Skandinavien 2004 letzter Teil

Goddag,  

oder hallo aus  71°10’21“N oder dem angeblich nördlichsten Punkt Europas – oder noch ehrlicher Guten Morgen aus Mainz! Nach 40stündiger Odyssee vom Nordkap – mit dem Widerøe Bus wegen geschlossenem Flughafen nach Hammerfest –  mit einer Propellerkiste nach Tromsø und dreimal „Stehen bleiben“ und Fahrrad-Fetzen nach – Oslo in den Flughafenwald zum Zelten – und mit „There’s no better way to fly“-Lufhansa nach Frankfurt bin ich wieder auf dem 50. Breitengrad gelandet und reif für die Insel.  

Wie harmonisch hatte dagegen diese Woche für mich in Sapmi, dem Land der Sami am finnischen Inari-See angefangen. Außer ein paar Mücken, die ich mit dem alles bezeichnenden finnischen „Hyttys“ Spray Marke „OFF!“ sehr schnell loswurde, hatte ich dort oben einen angenehmen Ruhetag und endlich mal wieder die Gelegenheit zum Schreiben vom Teil 2.  

Die anschließende Fahrt in Richtung Nordwesten zur norwegischen Grenze brachte eine Neuerung mit: Wind! Da ich bisher praktisch nur durch Wald fuhr, gab es keinen Gegen- oder Rückenwind, der meine Geschwindigkeit irgendwie beeinflusste. Nun auf der Hochlandfläche von Sapmi (Lappland) hatte ich zum 1. Mal mit Gegenwind und Böen zu kämpfen. Gerade Seitenwindböen sind nicht gerade die angenehmsten Naturphänomene, da ich durch sie oft zur Straßenmitte „geweht“ wurde. Wie angenehm war es dann in Finnland zu radeln, wo sich die Autofahrer im Großen und Ganzen sehr rücksichtsvoll Radlern gegenüber verhalten: Man wird als Verkehrsteilnehmer wahrgenommen…und respektiert. Daher wird im großen Sicherheitsabstand überholt und ich wurde nie geschnitten.  

Die Fahrt über die Hochlandebene erweiterte mit einem Mal auch meinen Horizont, der in den letzten 13 Tagen lediglich 3 Meter nach links und rechts bis an den Straßen- bzw. Waldrand reichte. Statt Wald gab’s jetzt Sümpfe und Moore, die das Landschaftsbild bis an den kilometerweit entfernten Horizont prägten. Nun wurde der finnische Name für Finnland „Suomi“ endlich einmal Wahrheit, denn es bedeutet nichts anderes als Sumpf. Finnland selbst kommt wohl vom lateinischen „Fenia“, und bedeutet ebenfalls Sumpf.  

Nach 13 meist wunderschönen und oft sonnigen Radel-Tagen hatte ich den 1.720 km langen „Sumpf“ durchquert und mit Norwegen wieder festen Boden unter den Füßen. Kaum im Land der Fjorde und Berge angekommen, ging es auch schon steil bergan auf eine karge Hochfläche. In kleinen Senken wuchsen die letzten Kiefern und Birken. Da es ca. 25° C im Schatten waren, die Sonne mittlerweile 24 Stunden am Tag schien, kam ich mir mehr wie am Mittelmeer vor, als in der Polarregion. Diese warmen Temperaturen sind im Landesinneren von Nordnorwegen im Sommer durchaus normal – allerdings wird’s im Winter auch normalerweise bis ca. – 45°C  kalt. Durch die klare Luft waren schon die Fjorde umgebenden kahlen Berge des Eismeeres, das noch fast 100 km entfernt war, zu sehen. Je weiter ich nach Norden fuhr, desto weniger verkrüppelte Bäumchen säumten den Weg.  

Neben Fjorden ist Norwegen sicherlich für Lachs bekannt und Lakselv (norwegisch Lachsfluss), der erste Ort nach 74 km des Radelns vom Grenzort Karasjok zum Eismeer machte seinem Namen gleich alle Ehre. Auf dem Dorffest räucherten die Fischer den frisch gefangenen Lachs direkt auf der Gasse und für 3,50 € gab es eine Riesenportion Filet auf den Teller. Endlich mal keine Pasta zum Futtern und mein kulinarisches Desaster, was ich wegen dem etwas arg hohen Preisniveau in Norwegen befürchtet hatte, wurde abgewendet.  

Bisher war diese Radtour problemlos verlaufen, doch kurz vor meinem Ziel, wurde ich vor ein besonderes Problem gestellt: Da Norweger straßenbautechnisch sicherlich die fortschrittlichsten Zeitgenossen auf unserem Planeten sind, bauen sie in diesem bergigen, mit Fjorden durchzogenen Land, Brücken, steile Straßen und leider auch Tunnels en masse. Ein paar hundert Meter durch einen stinkenden Tunnel zu radeln ist sicherlich o.k., aber wie sieht es mit einem fast 7 km langen Tunnel aus, der 212 Meter unter der Meeresoberfläche verläuft und extrem eng ist? Offiziell war die Durchfahrt durch den sog. Nordkapptunnellen für Radler verboten – doch das heißt in Norwegen nicht sonderlich viel. Da ich niemanden getroffen hatte, der dieses stinkende Abenteuer per Velo durchgestanden hatte, musste ich eine Alternative finden. Diese bestand letzten Endes darin, eine kleine Nebenstraße für ca. 100 km zu nehmen, und dann mit dem Postschiff auf die Nordkappinsel Magerøya zu fahren.

Dumm nur, dass das Schiff nur einmal täglich fährt, und dies morgens um 9:45 und mir diese Alternative erst am Abend zuvor um 19:00 einfiel. Da ich irgendwann einmal wieder nach Hause musste, blieb mir nicht viel anderes übrig, als nach 128 gefahrenen Kilometern noch schnell abends die 100 km zum Fährhafen zurückzulegen.  

Aber gibt es was schöneres als freitags nachts um Mitternacht bei Sonnenschein eine kurvenreiche kleine Straße von Fjord zu Fjord entlang zu radeln auf der kein einziges Auto fährt? 5 km vor dem Kaff – es gab auf den 100 km sonst keines – stellte ich mein Zelt neben der Straße auf, denn es störte ja eh niemanden, dank des Jedermansrechts in Skandinavien. Dies besagt, dass jeder auf öffentlichem Land sich zu jeder Zeit aufhalten darf – dies schließt das Zelten glücklicherweise ein. Mit 228 km in den Beinen und einem aus Finnland importierten Dosenbier im Kopf schlummerte ich sofort ein.  

Die Fahrt mit dem Postschiff, das zwischen Bergen im Südwesten Norwegens und Kirkenes an der Grenze zu Russland im Nordosten des Landes pendelt war äußerst angenehm. Das Rad wurde im Frachtraum deponiert und ich hielt mich im Café am Kaffee fest, während die Felskulisse der Eismeerküste an mir vorüber zog. Nach 2 Stunden Fahrt war ich in Honningsvåg, dem Hauptort der Nordkappinsel angekommen. Nach weiteren 34 km extrem bergiger Straße hatte ich dann das Ziel meiner Reise erreicht: Vom Nordkappfelsen aus blickte ich bei strahlendem Sonnenschein auf das ruhig daliegende Eismeer hinaus. Ich hatte jetzt den nördlichsten mit dem Rad anfahrbaren Punkt Europas erreicht – aber Europa endet nicht am Nordkap, wenn man Spitzbergen, das 1.200 km weiter nördlich liegt, zum Kontinent der griechischen Fußballhelden zählt. 2.016 km lagen seit meiner Abfahrt vor exakt 2 Wochen hinter mir und ich dachte mir, das ganze war ja eigentlich bis auf den einen Regentag in Mittelfinnland ganz easy…doch man soll ja nie den Tag vor dem Abend loben!  

Eigentlich wollte ich vom Nordkap aus via Tromsø und Oslo nach Frankfurt fliegen. Per Zufall erfuhr ich, dass das Radar am Flughafen Nordkap kaputt sei und dies seit einer Woche. Das Ersatzteil kommt aus Oslo – irgendwann und bis dahin bleibt der Flughafen geschlossen. Nun setzte die Fluggesellschaft Widerøe, die hier oben mit kleinen Propellerkisten (Dash 8) herumschwirrt, zweimal täglich einen Bus ins dreieinhalb Stunden entfernte Hammerfest ein, wie ich im Internet herausbekam, denn der Flughafen war bis auf ein verirrtes japanisches Ehepaar ausgestorben. Ich wollte ja eigentlich erst am Folgetag fliegen, aber ruckzuck fuhr ich zum Campingplatz, packte meine Sachen  und fuhr zum Flughafen zurück. Irgendwann kam ein Angestellter in Jeans und T-Shirt und meinte der Bus käme gleich. Gesagt getan, der Bus kam und statt zu fliegen rollten wir los. Weit kamen wir nicht, da es so heiß war und Rentiere schlaue Viecher sind. Um sich vor der Sonne zu schützen, lungerten Dutzende Tiere am Tunneleingang herum und blockierten diesen. Auf Hupen reagieren diese Wesen nur mit vollkommener Ignoranz, so dass der Busfahrer aussteigen musste und wie von der Tarantel gestochen laut brüllend in die Herde rannte. Aha…so sah wohl einmal ein Wikingerüberfall aus!!! Na ja, das Gebrülle und Herumlaufen verfehlte seine Wirkung schließlich nicht und weiter ging’s zum Flughafen Hammerfest, wo wir direkt ohne jegliche Sicherheitskontrolle ins Flugzeug nach Tromsø verfrachtet wurden.

Nach einer nicht geplanten Übernachtung im hübschen Tromsø sollte es dann am nächsten Morgen weitergehen, doch nichts ging, da die nächsten drei Maschinen alle voll waren. Nach jedem vollen Flug, auf dem ich nicht mitkam, musste ich erneut einchecken und meine Gepäcketiketts wurden jedes Mal gewechselt, so dass ich die gesamte Belegschaft (mit Schichtwechsel) von Scandinavian Airlines in Tromsø  kennen lernte. Beim vierten Versuch (siehe Mainz 05) klappte mein „Aufstieg“ in die Boeing 737 von Braathens Airlines und ich kam schließlich statt am Mittag halt am Abend in Oslo an. Dumm nur, dass mein Rad diesen Flug nicht so heil überstanden hat. Das gesamte Hinterrad ist völlig verzogen, so als wäre eine ganze Meute Wikinger mit ihren Booten drübergerudert, und ich konnte das Rad nicht mehr bewegen. Shit happens… denn auch der letzt Flug nach Frankfurt war schon weg.  

Also das Rad in die Gepäckaufbewahrung und ich in die Büsche vom Oslo Airport. Denn der Flughafen ist 50 km von der norwegischen Hauptstadt entfernt und in Norwegen herrscht ja das Jedermannsrecht und Wald gibt’s am Oslo Airport genug. Mit meinen Radtaschen beladen, schlug ich mich hinter dem Frachtgebäude in die Büsche und verbrachte ein mehr oder weniger ruhige Nacht neben der Start- und Landebahn, denn leider herrscht hier kein Nachtflugverbot.  

Der Lufthansa sei Dank bin ich nun wieder heil und munter in Meenz am Rhein angekommen und freue mich von Euch zu hören.  

Skandinavien 2004 2. Teil

Buore beaivi…  

bedeutet Hallo und ist Sami, die Sprache der Sami hier in Sapmi, ganz weit im Norden unseres Kontinents. Sapmi ist Euch sicherlich unter dem Namen „Lappland“ besser bekannt. Mittlerweile bin ich mit dem Rad in den äußersten Norden Europas vorgedrungen, doch angefangen hatte die 2. Mailetappe in Kuhmo, Mittelfinnland.   Nachdem ich Euch Teil 1 in der Bücherei geschrieben hatte, fing es an zu regnen. Leider hörte es nicht mehr so schnell auf, so dass ich zu meiner absoluten Lieblingsbeschäftigung am nächsten Morgen übergehen durfte: Nasses Zelt einpacken! Hm, toll…denn es regnete einfach weiter, so dass ich „endlich“ mal richtig durchgewaschen wurde. Von unten durch die Strasse, von oben durch Petrus Werk und von der Seite von den finnischen Holzlastern.  

Dazu wurde es recht kühl und ich hatte 132 km vor mir, die ich unbedingt irgendwie durchstehen musste, da ich fernab der Hauptverkehrsstrassen unterwegs war. Auf diesen Hauptstrassen besteht Busverkehr und ich hätte dort einfach den Bus nehmen können. Doch ich wählte diese entlegene Strecke, um dem relativ dichten Verkehr Süd- und Mittelfinnlands zu entgehen. Nach 42 km erreichte ich das 1. Kaff und gleich ein Tante Emma Laden. Dort gab es karelische Teigtaschen  à la Quiche Lorraine. Das baute mich wieder auf. Aber der Regen wurde stärker und es waren noch 90 km bis zur Hauptstrasse. Mittlerweile überholten mich nur noch Holzlaster und russische Autos, denn Russland war nur noch ein paar km entfernt.  

Nach weiteren 50 km im Dauerregen überraschte mich Finnland mal wieder. Mitten in der Pampa gab es wieder einen Laden, und was für einen: Neben den üblichen Lebensmitteln lagen Kühlschränke, Mikrowellen, Lautsprecherboxen herum. Die Dorfjugend probierte die Boxen aus und ich konnte es kaum  fassen, dass es sogar Kreppel und Kaffee gab – dazu potthässliche gelbe und blaue Plastikstühle und eine Spiegelwand mit Tisch, an denen ich den bizarrsten Kreppelkaffee meines Lebens genoss. Außerdem besaß ich einen finnischen Schatten, der ständig hinter mir herlief und wischte, da ich klitschnass war und meine eigene finnische Seenplatte produzierte.  

So gestärkt ging es auf die letzten 35 km und dann war mal wieder Glückszeit angesagt: Ich hatte keinen Bock auf Schlafen im nassen Zelt und Finnen überraschen ja gerne und so wurde mir ein alter Ford Transit mit Heizung angeboten. Dieses erwärmende Angebot nahm ich dankend an. Dass ich dann noch am Abend meine  Lebensmittelvorräte gegen einen besonderen Eindringling verteidigen musste, hätte ich nicht gedacht: Plötzlich kam ein Esel um die Ecke und fraß ruckzuck alle Pfefferminzteebeutel samt Packung auf. Wenigstens hatte er jetzt einen guten Atem, denn er leistete mir den gesamten Abend Gesellschaft.  

Am nächsten Morgen sah die Welt schon wieder ganz anders aus: strahlend blauer Himmel und Sonnenschein. So konnte ich gemütlich auf der Europasstrasse nach Norden weiterfahren. Es gab zwar wieder kaum Käffer, aber alle 20 km Mini-Straßencafés, in denen es bspw. Pfannkuchen auf Holzfeuer gebacken mit selbst gepflücktem Beerenkompott gab. Über solch einfachen Dinge freue ich mich auf dieser Tour ganz besonders. Denn das ist das wunderbare an solchen Reisen: Das gesamte Leben dreht sich lediglich um 3 Fragen: Halte ich die Reise körperlich durch, hält das Rad durch und halten wir gemeinsam das Wetter aus – banal, oder? Darum gibt es eigentlich auch nur 3 Zustände während der Fahrt: Radfahren, Essen und Trinken, Schlafen! Das macht das Leben endlich mal einfach. Denn unser Alltag ist doch oft kompliziert: Zu früh Aufstehen, Hetze zur Arbeit, wann aufhören zu arbeiten, damit man noch Zeit zum Einkaufen hat, was heute Abend machen, was am Wochenende etc. etc. Da habe ich es gerade sehr einfach!!!   Nach 1.248 km Radfahren habe ich am Sonntag morgen den Polarkreis erreicht. Ab diesem Punkt bewege ich mich nordwärts geographisch gesehen in der Arktis. Aber so arktische Temperaturen habe ich noch nicht: 30 Grad und Sonnenschein! Am Polarkreis geht am 21. Juni die Sonne nicht unter und am 21. Dezember nicht auf. Nördlicher Gefilde haben diese Extreme noch wesentlich länger als einen Tag und hier am Inari-See geht die Sonne ca. um 0:45 unter und um 1:15 wieder auf. Diesen kurzen Nächten tragen die Kneipen Rechnung: Selbst im kleinsten Kaff sind die sie bis mindestens 3 Uhr auf und veranstalten KARAOKE! Die Finnen fahren dabei fast drauf ab wie Koreaner! Ob es an der ähnlichen Grammatik beider Sprachen liegt?  

Mittlerweile bin ich öfters im Stau! Aber nicht wegen Autos sondern wegen Rentieren. Diese halb-wilden Viecher, grasen in ganz Nordfinnland,  nehmen auf den hupenden Autofahrer keine Rücksicht und blockieren einfach mal die Strasse, so lange sie Lust haben. Lediglich vor mir als Radler haben sie Angst, da ich keinen Krach mache (oder bestialisch stinke?). Später landete dann ein Stück Rentier sogar auf der „Polar Pizz“a gemeinsam mit Annanas und Zwiebeln. Das Fleisch schmeckt eigenartig, aber gut!  

Die meiste Zeit geht es landschaftlich immer noch durch Wald. Lediglich seit gestern Nachmittag, kurz vor dem riesigen Inari-See lichtet sich der Wald und Moore prägen die Landschaft, ähnlich den schottischen Highlands.  

Die Region nördlich des Polarkreises ist der Lebensraum der Sami, die früher Lappen genannt wurden. Sie sind die eigentlichen Ureinwohner Finnlands. Sie zogen, nachdem die Finnen kamen vor, ihr Nomadenleben im Norden weiterzuführen. Sie wurden lange Zeit wie so viele Minderheiten unterdrückt. Im 17. Jhdt. wurden sie zwangschristianisiert. Ihre Naturreligion mit Schamanentum wurde verboten. Im 2. Weltkrieg mussten 1944 die Deutschen nach der Niederlage gegen die Sowjets das Land verlassen und brannten alles nieder, so dass es heute kaum noch ein Gebäude in Lappland gibt, das aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg stammt. Dank der EU und dem finnischen Staat haben die Sami jetzt ein relativ gutes Leben mit Rentierzucht. Ihre Sprache ist anerkannt, alles ist 2-sprachig beschildert und sie haben ein eigenes Parlament.  

So…jetzt mache ich mich mal auf, wieder das Land zu entdecken, um bald mal wieder etwas zu berichten!

Skandinavien 2004

Nach 11 Monaten Reiseabstinenz bin ich nun seit Samstag wieder ‚on the road‘ und dies im wortwörtlichen Sinne. Um den angefutterten Chips- und Gerstensaft-Vorrat, den ich während der Fußball EM angesammelt habe wieder hinunter zu bekommen, rolle ich nun per Bike durch das Land der 188.788 Seen.

Ihr habt es erraten ich bin in Finnland unterwegs – ein Land das sich nicht zur EM qualifiziert hat, und deshalb muss ich mich für das deutsche Abschneiden hier auch nicht rechtfertigen – außerdem klebt auch nur ein 05er Aufkleber auf meinen Taschen und keine Deutschlandfahne.  

Da ja aller Anfang schwer ist, war der Beginn der Tour alles andere als schön. Im Landeanflug mit dem Finnair Airbus A320 konnte ich dank der Videokamera, die am Fahrwerk angebracht war, erst im letzten Moment die hell erleuchtete Landebahn erkennen, denn es regnete und es war neblig.

Willkommen in Finnland! Wenigstens hat den Flug mein Fahrrad gut überstanden, und schon stand ich aber vor dem nächsten Problem: Wie komme ich auf die rund 20 km entfernte Landstrasse, denn um den Flughafen gab es nur Autobahnen und Schnellstrassen. Das Fahren auf letzteren war ziemlich ätzend, denn diese waren z. T. 8-spurig ausgebaut, und ich wurde oftmals angehupt. Der Regen hörte wenigstens auf und plötzlich gab es endlich einen Fahrradweg neben der Strasse. Mittlerweile kann ich sagen, dass Finnland ein Radlerparadies ist, was Radwege anbetrifft. Diese sind meist in gutem Zustand und von der Strasse getrennt. Außerdem sind sie breit genug, um zu überholen. So hat jedes noch so kleine Kaff im Süden einen wunderbares Radwegenetz. Zum Überqueren der Strassen sind Unterführungen für Radler angelegt, so dass man auf den Wegen tatsächlich schneller als auf der Strasse vorankommt.  

Da ich erst um vier Uhr nachmittags in Helsinki loskam und noch fast 150 km Tagesdistanz vor mir hatte, war ich natürlich über die nördlich Lage meines Gastlands sehr angetan: Sogar im Süden ist es z. Zt. um Mitternacht noch hell und tatsächlich fuhr ich am ersten Tag bis 23 Uhr ohne Probleme ohne Licht durch die Gegend. Wer denkt Finnland ist ein plattes Land hat recht. Doch leider ist jeder der 188.788 Seen auf einem anderen Höhenniveau entstanden, so dass das Fahren von See zu See alles andere als easy going ist: Die kleinen Landstrassen erinnern eher an Achterbahnen, denn urplötzlich geht es einfach einmal für 150 m rund 15% steil berg an, ehe es dann sofort wieder 100 m 15% runter geht. Dieses Berg- und Tal-Fahren macht aber riesig Spaß, denn ich kann ja gleich immer Anlauf für den nächsten Hügel nehmen. Mit der Zeit erkenne ich auch die kleinen Fallen auf der Strasse wie Querrinnen oder Schlaglöcher, die es ab und zu gibt und so bereitet das Fahren bisher relativ wenig Probleme.   Wer Wald mag, wir Finnland lieben. Seit 6 Tagen fahre ich nun hauptsächlich durch Wald. Mal Birke, mal Kiefer mal beides mal anderes aber immer Wald. Die ersten 2 Tage war es wie eine Fahrt durch einen grünen Tunnel, dann kamen im Landschaftsbild alle 100 Meter ein See dazu und seit gestern dann auch die ersten richtig hohen Hügel, von denen sich herrliche Blicke auf die Seenplatte ergeben. Fuhr ich an den ersten beiden Tagen noch relativ viele Hauptstrassen, die sehr stark befahren waren, und hauptsächlich von russischen Lkws und finnischen Holzlastern bevölkert waren, die aber mit ihrem Sog mich immer superschnell werden ließen und mir eigentlich gar nicht unsympathisch waren, geht es seit dem 3. Tag fast nur noch auf kleineren Strassen entlang und ich habe die Natur für mich alleine. Die Käffer werden mit der Fahrt durch Karelien immer spärlicher.

Heute fuhr ich 75 km auf der Strasse ohne Kaff. Das ist zwar ganz nett, aber dafür schleppe ich auch kiloweise Pasta, A-Saft, Banänchen etc. durch die Gegend. Wenn ich von Karelien erzähle, dann vom heutigen finnischen Teil, denn die andere Hälfte gehört zu Russland und diese Situation ist bezeichnend für das ganze Land.  

Erst war Finnland eine schwedische Kolonie, dann wurde es russisch. Erst als Lenin die Oktoberrevolution durchzog, konnte sich Finnland 1917 selbständig machen und paktierte gleich mal wieder mit den Falschen: Den Nazis! Als die rote Armee Finnland besetzte, gab sie Ostfinnland, also Karelien nur zum Teil zurück und Finnland durfte nicht der NATO oder der EU beitreten. Erst nach dem Zerfall der Sowjetunion kam es doch noch zur  EU-Mitgliedschaft, und das Land ist nun sogar Gründungsmitglied der Euro-Zone, was natürlich ganz praktisch ist! Wer finnische Euro-Münzen möchte, schickt mir am besten ’ne SMS!  

SMSen ist hier wesentlich einfach als mailen. Alle 30 km haben die Finnen alias NOKIA-Land einen Mast errichtet, so dass ich sogar in der ostfinnischen Pampa an der russischen Grenze noch Empfang habe. Die Masten lohnen sich aber auch für die Finnen, denn 94% aller Hauhalte besitzen ein Handy und wenn’s in die Mökki (Ferienhaus) geht, dann hat man(n) immer noch Empfang – echt praktisch. Ein weiteres Klischee stimmt auch: Sauna…gibt’s auch überall und wird gerne gemacht – genauso wie Autofahren und Formel 1 gucken. Es war schon ein gesellschaftliches Erlebnis in der Shell-Tanke einen Regen abzuwarten und neben lauter kleinen Kimmis, Mikkas und Kekes Formel 1 zu gucken. Die Tanken sind sowieso für mich genial: Kavio (Kaffee) gibt’s immer frisch und stark und dazu gleich einen Supermarkt und ein Restaurant. Prima wenn ich mal wieder völlig durchnässt in der Tanke ankomme.  

Aber eigentlich ist das Wetter gar nicht so grauenhaft. Es wechselt halt sehr schnell. Gerade platzte der Regen hinunter und schon fängt die Sonne an zu strahlen – und umgekehrt… Finnland überrascht gut und gerne. Auch die manchmal grimmig dreinblickenden Menschen sind superfreundlich wenn man sie grüßt – allerdings ist nicht jeder des Englisch mächtig und so ist die Zeichensprache manchmal wirklich notwendig. Auch das Einkaufen ist so eine Sache: Alles ist auf finnisch und schwedisch angegeben. Trotz des hohen Verwandtschaftsgrades zwischen Schwedisch und Deutsch raffe ich nicht immer was ich so kaufe. Der „Frischkäse“ zumindest war keiner und schmeckte etwas komisch – war aber hoffentlich kein Tierfutter.  

So…jetzt ist meine Zeit in der Bücherei in Kuhmo um und ich fahre mal wieder zum Shoppen in den Abenteuersupermarkt – wenigstens das Wort für Bier (Olut) habe ich mir schon merken können!