Der letzte Eintrag endete an der thailändisch-kambodschanischen Grenze in Aranya Prathet. Am folgenden Tag reiste ich nach Kambodscha ein. Thailand ist alles in allem eigentlich das vielleicht am stärksten amerikanisierte Land Süd-Ost-Asiens. Ich denke nur an die breiten Highways, die 7-Eleven-24-Stunden-Shops an jeder Ecke, die vielen McDonald’s und KFCs, aber eines gab es dann doch nicht in Thailand: Casinos, denn die sind dort verboten. Dafür müssen die spielwütigen Thais beispielsweise nach in den kambodschanischen Grenzort Poipet. Kaum den Fluss, der beide Länder voneinander trennt, überquert, standen dort riesige Hotelpaläste, die auch noch so bezeichnende Namen wie „Las Vegas“ trugen. Die US-Spielhöllen-Metropole nach Kambodscha verlegt, versetzte mich fast in einen Schock. Doch dem nicht genug, auch wurde bei der Einreise, wie in den USA von mir ein Photo gemacht, dass jeden Schwerverbrecher alias Tourist bildlich festhält. Dafür können die Amis etwas, was die Kambodscha bei aller Bauwut schlicht vergessen haben: Strassen anlegen!
Während ich die Zeilen der vorangegangenen Mail verfasste, regnete es in Strömen, so dass ich nach 5 Metern Kambodscha mir die sagenhaft guten Strassen Thailands zurückgewünscht habe, denn als ich aus dem Immigration Office mit dem Rad heraustrat, befand ich mich fortan in einem Schlammacker sondergleichen, der in einen Kreisel mündete. Dieser erinnerte mich an eine Zentrifuge mit Restaurants, Marktständen und auf Kundschaft wartenden Mofa-Taxifahrern am äußeren Rand und hunderten Radlern, Mofafahrern, hupenden Autos, röhrenden LKWs und zum Bersten mit menschlichem Frachtgut gefüllte Pick-ups, die hier die Busse ersetzten in der Mitte der Schlammzentrifuge alias Kambodscha-Kreisel.
Der Schlammfluss, der definitiv nicht als National Highway 5 (NH5) zu bezeichnen war, zog sich bis zum Ortsende hin. Dort wurde diesem Cocktail aus Erde, Wasser und Schlaglöchern noch ein wenig Asphalt hinzugefügt, der aber anteilsmäßig am Straßenbelag gemessen eher ein Schattendasein führte. Ab sofort war das schnelle Radeln auf Thailands Highways vorbei und es hieß ab sofort Schlangenlinien-Radeln um Hunde, die hier ganz und gar nicht aggressiv sind, Rinder, Kinder, Hühner und Pfützen, die den so genannten Highway in eine rot-braun gefärbte finnische Seenplatte verwandelt hatten. Wenigstens musste ich nicht mehr auf kreuzende 2-Meter-Schlangen achten, wie im zuvor bereisten Thailand, die so mir nichts dir nichts aus dem Gebüsch am Straßenrand auftauchten und weder nach links noch nach rechts guckten – und ja eh nix hörten.
Das Radeln in Kambodscha war trotz ebener Strecke doch relativ anstrengend, im Gegensatz zu den 300 zurückgelegten Kilometern im Radler-Schlaraffenland Thailand. Permanent musste ich jetzt abwechselnd in die Pedale treten, um vom Schlamm auf den Asphalt hinaufzukommen, um dann ein paar Meter später wieder abzubremsen um in die nächste Schlaglochpfütze abzutauchen, deren Tiefe ich nie im Vorhinein abschätzen konnte. Während insbesondere in Bangkok niemand sonderlich von mir als Radler Notiz nahm, trat hinter der Grenzstadt Poipet das genaue Gegenteil ein. Auf den endlos bis zum Horizont reichenden Reisfeldern ruhte immer für einen Moment die Sichel, als ich vorbeifuhr.
Aus den Hütten und Büschen am Wegesrand kam immer ein „Hello“ „Bye bye“ „Thank You“ o. ä., ohne dass ich meist die Grüßenden überhaupt sah. Das ganze kam mir wie die Kappenfahrt am Fastnachtsdienstag vor, da ich oft mit der linken Hand den Lenker festhielt und mit der rechten in alle Himmelsrichtungen winken „musste“. Bei dieser Doppelbelastung von Radeln und Grüßen wurde ich natürlich schnell hungrig. Da kamen die unendlich vielen Essensstände, die es in Kambodscha am Wegesrand gibt wie gerufen.
Schnell ein paar Bananen futtern und bezahlen mit ja mit was eigentlich? Während Kambodschas Steinzeit im 20. Jahrhundert, unter der Herrschaft der sog. Roten Khmer, die das Land gänzlich von der Außenwelt isolierten, gab es gar keine Währung. Jetzt gibt es gleich drei: Kambodschanische Riel, thailändische Baht und der Evergreen(back) US-Dollar. So bezahlte ich meine Bananen in Baht und bekam Riel als Wechselgeld zurück. Ein Essen zahlte ich in Dollar und bekam Baht als Wechselgeld. Manchmal bekomme ich auch Dollar und Riel, da es keine US-Cents in Münzen gibt. Dieses System hat den Vorteil, dass man nie zur Bank gehen muss, da 1 US-Dollar 40 Baht oder 4000 Riel entsprechen.
Eigentlich ganz einfach, oder?
Nach 49 km Schlammpiste, die in der Karte als gute Teerstrasse ausgewiesen war, erreichte ich Sisophon, wo ich notgedrungen übernachtete, da auf meiner Karte die nächsten 103 km zu meinem großen Ziel Siem Reap als Piste eingezeichnet waren und es bereits Mittag war. Sisophon ist ein verschlafenes Nest im Westen Kambodscha, das die zweifelhafte Ehre hat, anscheinend noch nicht an das World Wide Web angeschlossen zu sein, da meine kambodschanischen Gesprächpartner sehr wohl mit dem Begriff Internet etwas anfangen konnten aber meinten, dass es diese Neuerung bei ihnen noch nicht gäbe. Dafür war der zentrale Platz der Stadt ein geschotterter Fußballplatz, auf dem ich sogar ein wenig mitkicken konnte.
Am nächsten Morgen nahm ich dann die angeblichen 103 km Piste nach Siem Reap in Angriff. Die ersten 50 km waren eine wahre Wohltat. Es gab tatsächlich keinen Asphalt, der die Strasse in Puzzelteile verwandeln konnte, so dass es sich recht einfach fahren ließ, zumal die Straße abgetrocknet war. Dies hatte allerdings den entscheidenden Nachteil, dass ich auf einer Wüstenpiste fuhr, die in die feuchten Reisfelder verlegt wurde. Noch nie war ich über starken Seitenwind so froh wie an diese Tag: Jedes Auto wirbelte so viel Staub auf, dass ich immer kurz bevor mich das Auto passierte die Luft anhielt, die Augen schloss und hoffte, durch die Wolke ohne Staublunge durchzukommen.
Das einzige etwas größere Kaff auf diesen 103 km war nach 48 km erreicht und lud zum Essens- und Toiletten-Stopp ein. Denn anders als bei uns ist es in Kambodscha nicht ratsam sich bei akutem Harndrang mal schnell in die Büsche zu schlagen. Schuld daran sind die Roten Khmer und die Vietnamesen, die in den 80ern des letzten Jahrhunderts das gesamte Land verminten. Diese sind bis heute nicht vollständig beseitigt worden und die Gefahr beim Pinkeln in die Luft zu fliegen, ist in Kambodscha leider durchaus realistisch. Für die Einheimischen ist dies natürlich der blanke Horror – wie so vieles in der oft traurigen Geschichte des Landes im 20. Jahrhundert.
Im Restaurant nach Essen gefragt, bekam ich die Antwort „No food, only omelette and baguette!“ – Jawohl Baguette, denn die Franzosen haben ja hier auch einmal das Land besetzt und für mich glücklicherweise den Rechtsverkehr eingeführt und eben Baguettes bis in die tiefe Provinz gebracht. Warum Baguette und Omelette kein Essen sein sollen, weiß ich nicht, aber so gestärkt nahm ich die zweite Hälfte der Tagesetappe in Angriff, im Gefühl, dass das Vorankommen doch an diesem Tag gar nicht so schlimm war. Aber Kambodschas so genannte National Highways überraschen doch immer wieder gerne: So luden die nächsten Kilometer zum Schunkeln ein. Die permanenten Bodenwellen ließen mich abwechselnd vom Sattel nach vorne kippen oder nach hinten rutschen. Dazu kamen Sandpassagen, die mich einmal nach links und danach nach rechts schlingern ließen. Wer braucht da noch die Hofsänger um in Fastnachtslaune zu kommen – und das bei 0 Promille im Blut aber bei Außentemperaturen von ca. 40 Grad! Später irgendwo in den Reisfeldern Kambodschas herumdümpelnd, dachte ich, dass es sich beim Anblick der Teerstrasse am Horizont um eine Fata Morgana handelte, doch die angebliche Luftspiegelung stellte sich als real existierende Strasse heraus – die erste seit meiner Ankunft in diesem Land und nach sage und schreibe 125 km! Warum um Himmels Willen auf einmal eine Teerstrasse aus der Schunkelpiste wurde, weiß ich nicht, aber fortan wurde das Radeln ja fast eintönig, denn der mittlerweile erreichte NH6, erinnerte stark an eine Kreisstrasse im Hunsrück – bis auf die Tatsache, dass natürlich ab und zu ein paar Schlaglöcher von bis zu 50 cm Tiefe, dafür sorgten, dass mir auch ja nicht zu langweilig wurde. Nach 7 Stunden Radeln war ich rotbraun einpaniert, hatte mein Tagesziel Siem Reap erreicht und sparte durch die Panade mindestens 100 ml Sonnencreme, denn durch diese Dreckschicht schafft es noch nicht einmal die brennenden Sonnenstrahlen Kambodschas.
Die Ankunft in Siem Reap schockierte mich fast so wie die Ankunft in Kambodscha. War ich nun ca. 150 km durchs kambodschanische Ländle geradelt und sah meist nur Strohhütten auf Stelzen, flankierten plötzlich 5-Sterne-Hotels die Einfahrt in die Stadt. Der Grund liegt zwar auf der Hand, denn die weltberühmten Tempel von Angkor liegen nur ein paar Kilometer nördlich. Doch dass hier pure Luxusherbergen, Rockkneipen mit Happy Hour und Myriaden von japanischen Touristen existieren, hätte ich nicht gedacht.
Über meine Eindrücke aus Angkor berichte ich das nächste Mal. Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende und drücke natürlich morgen die Daumen, dass die Punkte aus der Veltins-Arena ins goldische Meenz mitgenommen werden.