Guten Tag aus Jaisalmer,
auf der Suche nach Wärme und Trockenheit hat es uns in dieser Woche von den Berghängen des Himalajas in die Wüste Thar im äußersten Westen Indiens verschlagen. Diese „180 Grad Drehung“ in den Reiseplänen war wirklich notwendig geworden, da es in unserer angepeilten Wanderregion die stärksten Regenfälle seit 46 Jahren gab – und das auch noch in der eigentlichen Nach-Monsun-Zeit, in einem kurzem Abschnitt von Mitte September bis Mitte Oktober, in der es sich im Himalaja Indiens rein theoretisch gut wandern lässt. Viele Strassen waren nach den heftigen Regengüssen tagelang unpassierbar, es gab in einigen Dörfern, die wir bereisen wollten, heftigen Schneefall, und feststeckende Autofahrer wurden zum Teil per Helikopter aus der Luft mit Matratzen und Essen versorgt. Daher hatten wir mit unserem halben Tag Abgeschnitten sein sehr großes Glück. Auch die Telekommunikation war gestört und so erreichte mich die SMS mit dem Ergebnis der Mainzer gegen die Clubberer aus Nürnberg auch erst mit 12 Stunden Verspätung…
In Shimla angekommen, ging es mal wieder in eine Dependance meines Ashrams alias indische Bahnhofshalle. Auf meiner ersten Indienreise vor fünf Jahren flippte ich in Varanasi in besagter Halle aus, als nachts der Zug immense Verspätung hatte und ich nicht mehr wusste, ob und wann er kommt. Bekanntlich kam er irgendwann und drei Monate später brachte mich u.a. auch Indian Railways wieder heil nach Mainz zurück. Nun ja, dieses Mal sollte uns Indian Railways aus dem Dauerregen in die Trockenheit bringen. Dass dies ein großer bürokratischer Akt werden würde, war uns beiden klar. Aber natürlich überrascht Indien und Indian Railways insbesondere den Fremden dennoch immer wieder. Denn auch im Zeitalter von Internet und Online-Reservierungen muss man bei Indian Railways zunächst sich am Getümmel vor dem Schalter durchwuseln und ein Formular verlangen. In diesem muss dann alles sinnvolle zum begehrten Fahrscheinwunsch eingetragen werden, wie Zugnummer, Einsteige- und Aussteigebahnhof, Datum, Klasse und Sonderwünsche wie Oberbett im Liegewagen, aber auch so unnützes Zeug wie Adresse, Name und Unterschrift. Na ja Inder lieben halt Zettelwirtschaft. Danach geht es ans sich Anstellen. Das lief in Shimla recht zivilisiert, sprich nach westlichem Standard, eigentlich normal ab. Aber es gibt ja immer noch den Angestellten der Bahn, der das Ganze wieder very special werden lässt. Denn unsere auserwählten Züge waren tatsächlich buchbar, was an sich schon manches Mal an ein Wunder grenzt. Aber wir hatten ja den Sonderwunsch im 8er Abteil jeweils die beiden oben platzierten Liegen zu nutzen. Leider vergaß unser Schalterbeamter diesen Wunsch und wir bekamen für die beiden Strecken Kalka – Delhi und Delhi – Jaisalmer zwei Plätze untereinander. Jetzt werdet Ihr Euch vielleicht denken, ist doch egal – Hauptsache einen Platz – aber bei Indian Railways ist die Position der Liege für das Maß an Erholung in einem Urlaub von unglaublicher Wichtigkeit. Also machten wir den Beamten darauf aufmerksam, dass wir nicht unsere Wunschplätze erhielten. Nach einem Hin- und Herdiskutiere in Indian English kamen wir zum „Kompromiss“, dass wir die Tickets stornieren sollten und danach die Tickets mit den Wunschplätzen bekommen. Eigentlich ganz o.k:, oder? Na ja eigentlich recht stressig, denn nun mussten wir insgesamt vier Formulare erneut ausfüllen, also ein Stornierungsformular für Kalka – Delhi, eines für Delhi – Jaisalmer und dann wieder zwei neue Formulare für die gleiche Strecke. Und darüber hinaus sollten wir auch noch 160 Rupien Stornierungsgebühr zahlen. Dieser Betrag von 2,40 Euro ist eigentlich lapidar – aber insgesamt hat die Reise über 1.200 km nur knapp 1.000 Rupien gekostet – und von daher brachte uns Indian Railways mal wieder zum Ausflippen – aber egal, wir hatten nach ca. einer Stunde Formularausfüllen kurz vor Schalterschluss unsere Tickets und konnten so den Rest des Sonntags Spazieren gehen.
Ein recht steiler aber netter Spaziergang oberhalb von Shimla wurde meinem Wohlbefinden dabei fast zum Verhängnis. In ganz Shimla gibt es Affen, die die indische Tierquote wieder auf Normalniveau bringen, da sich wohl die meisten Kühe hier den Hintern abgefroren haben und es erstaunlich wenige muhende, wiederkäuende Vierbeiner gibt. Überall in Shimla wird man vor den Affen gewarnt. Man soll sie nicht füttern und einen Bogen um sie herum machen. Am Jakhu Tempel oberhalb der Stadt ist das Verhältnis Mensch zu Affe dann fast ausgeglichen. Natürlich hatte ich die Warnungen im Kopf und die Viecher gingen uns eigentlich auch aus dem Weg. Auf der Suche nach einem netten Motiv Affe plus Tempel kniete ich mich dann auf den Boden und knipste ein paar Bildchen. Unverfroren schlich sich von der Seite plötzlich ein Affe an und nahm in elegantester Weise, technisch hervorragend blitzschnell meine Brille von der Nase – obwohl ich noch eine Baseball-Cap anhatte. Ich trug weder Kratz- noch sonst irgendwelche Spuren davon, aber der Affe machte sich mit der Brille erstmal ein paar Meter davon. Sofort kamen ein paar Inder hergelaufen und meinten jetzt müsse ich mit dem Affen kommunizieren. Häh? Hm, ich sah meine Brille schon irgendwo in den Bergen Indiens von Affen zerkaut und war nur froh eine Ersatzbrille dabei zu haben. Die Inder meinten, ich müsste dem Affen etwas zum Austausch wie bspw. Essen bieten. Nun ja wir hatten natürlich nichts dabei, um diese Geiselnahme friedlich zu beenden. Aber in Incredible India gibt es natürlich für solche Geiselnahmen Unterhändler und diese warfen dem bebrillten Affen eine zur Kugel geformte Plastiktüte zu. Diese war wohl für den Affen attraktiver und er ließ die Brille fallen und mein Brillenretter konnte mein Nasenfahrrad unversehrt retten und war über einen angemessenen Kompensationsbetrag in Rupien sicherlich ‚very happy’ – Incredible India!
Am nächsten Tag hieß es Abschied nehmen vom Himalaja. Ein letztes Mal wurden wir an das heftige Regenwetter erinnert, denn die Bahnverbindung Shimla – Kalka war seit drei Tagen unterbrochen und um ins 80 km entfernte Kalka zu gelangen hatten wir uns vorerst zum letzten Mal wieder in einen Bus zu quetschen. Auch dieser konnte nicht die direkte Strecke nehmen, da die Strasse verschüttet war. Über Umwege erreichten wir dann Kalka und es ging auf einer Schlafen-Unmöglich-Zugfahrt in die Hauptstadt Delhi zurück. Eine Zugfahrt ist immer nur so angenehm, wie die Passagiere, die diese gestalten. Diese Erkenntnis bewahrheitete sich mal wieder auf der Fahrt nach Delhi, denn die gesamten sieben Stunden blökten Inder durch den Wagon, damit auch ja niemand ein Auge zudrücken konnte. In Delhi angekommen hieß es dann endlich abspecken. Zelt, Isomatte, Daunenschlafsack, Trockenessen, Winterklamotten verblieben in einer Packtasche in einem Guesthouse und wir zogen leicht bepackt nach wenigen Stunden Aufenthalt wieder zum Bahnhof zurück, um den Nachtzug nach Jaisalmer kurz vor der pakistanischen Grenze in der Wüste Thar zu nehmen. Wüste klang für uns in den nassen, feuchten Bergen wie das Paradies – um dieses aber zu erreichen, wurden wir von Indian Railways zuvor aber nochmals richtig auf die Probe gestellt. Zunächst einmal sorgte Indian Railways für große Verwirrung, denn wie bei allen Bahngesellschaften weltweit üblich besitzen Waggons auch hier Nummern, die auf Schildern angebracht sind. Dass diese Nummern aber gar nichts besagen, sondern vielmehr ein stoisch den Bahnsteig herunterschlendernder Bahnbeamter mit Kreide (!) den Wagen S6 in einer Reinkarnation zum Wagen S1 mutieren lässt, war auch für uns mal wieder neu – Incredible India! Aber selbst die Inder waren verwirrt und so löste sich die Hoffnung auf eine pünktliche Abfahrt natürlich auch gleich in Kreidestaub auf.
Die ersten Kilometer verlief die Fahrt recht angenehm. Im 8er-Abteil saßen tatsächlich acht oder sogar weniger Seelen. Zu dieser Zeit wurde auch unsere Fahrkarte vom Schaffner geprüft. Komischweiser wurden von den acht Fahrgästen im Abteil nur von dreien die Tickets kontrolliert. Und nach einem weiteren Halt in einem Vorort von Delhi wurde der Liegewagen von Pendlern gestürmt und der Schaffner löste sich einfach im Nichts auf. So saßen auf einmal auf der untersten Liege fünf Leute und unsere obere Liege auf der unsere Rucksäcke lagen, wurde ebenfalls in Beschlag genommen. Natürlich machte ich mich mit meinem Protest etwas lächerlich – aber es zeigte den Leuten wenigstens, dass wir gegebenenfalls nicht kampflos unsere Liegen aufgeben würden, wenn wir müde sind. Am Ende war dann alles halb so schlimm, denn als wir andeuteten, jetzt mal ruhen zu wollen, wurden die Liegen anstandslos geräumt. Die Mittelliege wurde hingegen noch gar nicht aufgebaut und die unterste Liege war ja in Pendlerbesitz! Ihr erinnert Euch jetzt, warum wir auf die oberste Liege bestanden? Yep – und so war dann die 19 Stunden Fahrt nach Jaisalmer eigentlich recht entspannt – selbst das Zugessen war recht lecker und das für 0.57 Euro! Und dass der Zug am Ende 15 Minuten Verfrühung hatte, wieder in das Bild von Incredible India(n Railways).
In Jaisalmer wurde dann zu unserer Freude das Klischee einer Wüstenstadt bestätigt. Es ist heiß, trocken und die Regentage gehörten somit der Vergangenheit dieser Reise an! Aber wir genießen in diesem Kleinod mitten in der Wüste nicht nur das Wetter, sondern auch die das Leben und die Lage dieses Ortes: Auf einem Hügel befindet sich mitten im Nichts ein riesiges Fort, das bis heute bewohnt ist. Es zählt wohl nur deshalb nicht zum Weltkulturerbe der UNESCO, da Autorikscha, Moped und Kuh durch das Burgtor düsen dürfen und es leider auch bis heute möglich ist, innerhalb der Festungsmauern als Hotelgast zu übernachten, was die Wasserversorgung und die Drainage zusätzlich unnötig belastet. All dies führt dazu, dass dieses Monument zu den 100 am gefährdesten Denkmälern weltweit gehört. Es besteht wirklich die Gefahr, dass diese Burg irgendwann kollabiert und man dann nur noch die Ruinen bewundern oder die omnipräsenten Kamelsafaris buchen kann.
Seit unserer Ankunft in Indien gibt es etwas was wir in diesem Land wirklich sehr bewundern und das ist das Essen. Und da Indien kulinarisch gesehen mindestens die Bandbreite eines Kontinents hat ist ein Restaurant, das sowohl nord- wie südindische Küche auf einer Speisekarte führt und diese Speisen dann auch tatsächlich auftafeln kann, ein wirkliches Paradies! Und in Jaisalmer fanden wir diese Futteroase! Zum Frühstück gibt es zum Beispiel Idli, Klöße aus Linsen-Reisteig, die immer mit einer Kokosnusssoße und Linsensoße gereicht werden. Oder Dossa, hauchdünne Pfannkuchen, gefüllt mit Tomaten, Zwiebeln oder auch Kichererbsenpaste. Oder Poha, eine Art Reisflakes mit Erbsen und Tomaten. Dazu gibt es überall in der Stadt hundertprozentigen frisch gepressten O-Saft, den omnipräsenten Chai (Tee) und Buttermilch oder Yoghurt oder natürlich Lassi. Da es zurzeit so extrem heiß ist, eignet sich Raita am besten als Mittagessen. Dies ist auch ein Yoghurt der entweder mit einer Art Backerbsen versehen oder mit Paprika, Zwiebeln und den unterschiedlichsten Gewürzen gemischt wird. Natürlich gibt es auch das Standard-Indien-Essen wie bspw. Palak Paneer (Spinat mit Käse), das hier zur Gruppe des Punjab-Essen zählt. Dass die indische mit der italienischen Küche Gemeinsamkeiten aufweist zeigt sich dann bei Utapam einer Art Fladen, der mit Tomaten und Zwiebeln belegt, ähnlich einer Pizza schmeckt. Und Upma ist ein Linsengrießgericht, das sehr der Polenta ähnelt. All diese Gerichte waren mit vielen Gewürzen angereichert und es einfach immer wieder verwunderlich wie kompliziert und aufwendig die Inder kochen, um das beste kulinarische Futter für ein paar Cent auf den Teller zu zaubern. Ein Bestandteil der in den meisten Ländern viel zu kurz kommt ist das Brot, das hier auch superlecker ist: Oben im Himalaja gab es das dicke tibetanische Fladenbrot, Chapatis (dünne Fladen), Papad (krosses Gebaeck aus Linsenteig) und Roti aus dem Tandoor-Ofen runden jedes Mahl perfekt ab. Da man ja doch recht viel Zwiebeln, Knoblauch und sonstige geruchsintensive Dinge sich beim Essen in den Rachen wirft, gibt es dann beim Bezahlen gesüßte Aniskörner, die wie eine Art Domestos den Mund- und Rachenraum reinigen.