Hallo aus Mainz,
„nach 12 Jahren habe ich es endlich geschafft, wieder nach Armenien zu reisen. War es im Jahr 2005 das pure Losglück im Europapokal, das mich in die Kaukasus-Region brachte, was sich übrigens mit Aserbaidschan im letzten Jahr nochmals wiederholte, bot sich dieses Mal recht spontan die Möglichkeit, endlich mal dieses wunderschöne Land länger zu bereisen, als für die Dauer eines Fußballspiels und einer Gratis-Übernachtung, die der FSV Mainz 05 im Sommer 2005 allen Auswärtsfahrern bezahlte. Schließlich „qualifizierte“ sich Mainz „nur“ über die Fairplay-Tabelle für den europäischen Wettbewerb – daher diese große Geste des Vereins.
Wurden wir damals mit als Teilnehmer im Fanflieger mit dem Bus vom Flughafen in die Hauptstadt Erevan gekarrt, stand jetzt, wie so oft, die erste „Prüfung“ nach Verlassen der Ankunftshalle auf dem Programm: mit dem Taxi zu einem realistischen Preis in die Stadt gelangen. Dummerweise spucken Geldautomaten an Flughäfen durchweg die größten Scheine aus, die ein Land zu bieten hat. Mit lauter 20.000 Dram-Noten (ca. 34 €) „bewaffnet“ ging es ans Verhandeln. 5.000 Dram galten als realistisch und 6.000 Dram wollte der Fahrer. Ich bot lediglich 5.000 Dram an, mit dem Verweis, dass ich aber nur 20.000 Dram-Scheine habe. 5.000 Dram waren nach freundlich bestimmtem Wortgefecht ok und los ging die Fahrt, da mir „no problem“ entgegnet wurde, was die Banknoten anbetraf. Am Hotel in einer dunklen Seitenstraße am späten Samstagabend angekommen, wartete ich auf die 15.000 Dram Wecheselgeld. Aber natürlich hatte der Fahrer in seiner Tasche nur 14.000 Dram dabei – entweder war das die Wahrheit, schließlich fischte er mit einem Griff das Bündel raus oder ich wurde mal wieder von diesem Berufsstand verarscht – sei’s drum: 1,70 € „verloren“ und dafür wieder ein Stück Reiseerfahrung gewonnen. Das nächste Mal kaufe ich dann doch wieder eine überteuerte Flasche Wasser am Airport, um Kleingeld griffbereit zu haben. Und 500 Dram „Trinkgeld“ hätte ich dem hilfsbereiten, freundlichen Fahrer ohnehin gegeben…
Am folgenden Tag wurden wir von unserem Guide zu einer herrlichen Wanderung in der Umgebung von Erevan abgeholt. Durch den Basalt-Canyon Simfoniya kamnya zu Deutsch „Sinfonie des Steins“ ging es zu einer Klosterruine hoch über dem Tal. Das Schöne am Internet ist für mich die Tatsache, dass man mit ein wenig Geduld kleine lokale Unternehmen findet, die z.B. diese Tagestour organisieren. So bleibt das zu entrichtende Geld im Land, statt z.B. zu einem Großteil bei einem ausländischen Reiseveranstalter zu landen. Und viele dieser kleinen Agenturen trainieren ihre Leute auch entsprechend der versprochenen Öko-Tourismus-Regeln. Das zeigte sich beispielsweise auf dieser Tour am Rastplatz zum Mittagessen. Während wir noch die herrliche Aussicht genossen, sammelte unser Guide Müll von anderen Wanderern ein. Die halbvolle Wodkaflasche nutzten wir allerdings noch zur Desinfizierung unserer Hände vor dem Essen als „Sanitizer“. Den Müll schleppten wir dann den Berg in den Tüten unserer Lunchpakete hinunter.
Diese Lunchpakete waren bereits eine perfekte Einstimmung auf das herrliche armenisch-vegetarische Essen, das wir die nächsten Tage genießen durften (so lange dieses im Magen blieb – doch dazu später mehr). „Vegetarier“ sind in der Kaukasusregion erstens keine Unbekannten (wie bspw. In großen Teilen Argentiniens) und sie kommen auch voll auf ihre Kosten. Dieses Mal gab es Rote-Beete-Salat mit Kartoffelbrei und hochdünne Fladen mit Spinat gefüllt. Dazu „Tan“, ein Milchgetränk, das Ayran sehr ähnlich ist.
Das Thema Müll ist ein Umstand, der einem ja praktisch auf allen Reisen weltweit begegnet. In der Vergangenheit waren die Guides diesbezüglich auch recht unsensibel. Teilweise trugen sie (und damit auch ich) noch dazu bei diese zu verschmutzen, doch vor zwei Jahren auf Lombok wurde ich erstmals positiv überrascht. Die lokale Agentur trug das Wort „Green“ nicht nur im Namen. Vielmehr sind ihre Guides und Träger am Vulkan Rinjani angewiesen, tatsächlich Müll am Berg einzusammeln und diesen runterzutragen, während gleichzeitig einige Backpacker weiterhin ihren Müll einfach so in die Gegend warfen, weil das ja angeblich die Locals auch so machten. Nach der Aufräumaktion am armenischen Havuts Tar ging es zurück in die Hauptstadt Erewan, denn am nächsten Tag sollte unser Armenien-Abenteur erst so richtig beginnen…mit dem eigenen Auto.
Mietwagenreisen sind ja populärer denn je und auch in etwas ungewöhnlicheren Mietwagenregionen wie auf Mauritius oder auf Bali waren wir schon selbst mit dem Wagen unterwegs. Daher war einer der wenigen hilfreichen Tipps der neuesten Kaukasus-Ausgabe des Lonely Planets der, möglichst mit Mietwagen das Land zu erkunden. So ging es mit einem etwas höher gelegten Toyota Corolla, der schon ziemlich viele Kratzer und sogar schon einen kleines Riss in der Windschutzscheibe hatte, auf Tour. Hochgelegt, Kratzer, Riss in der Scheibe – Armeniens Straßen ließen interessante Fahrten erahnen. Dabei sind es in Ländern wie Armenien, in denen weit mehr als ein Drittel der Bevölkerung in der Hauptstadt wohnt, meist der Anfang und das Ende der Mietwagenfahrt, die größte Bewährungsproben, da oftmals der Verkehr in der Stadt am dichtesten, am chaotischsten, am rücksichtslosesten ist. Kommt dann noch ein Gewitterregen dazu, der die Straßen in reißende Bäche und die Myriaden von Schlaglöchern in eine armenische Seenplatte verwandelt, dann wisst Ihr, dass ich gerade vom Start der Reise berichte.
Ein eigentlich verlässliches Hilfsmittel, das Navi auf dem Smartphone, das mit dem Straßenwirrwarr Erevans auch sichtlich überfordert war, und immer recht plötzlich seine Meinung zum geplanten Fahrtverlauf kommunizierte, tat sein Übriges, dass ich anfangs die Mietwagen-Idee allerdings verfluchte. Der Umstand, dass wir auf einem Feldweg-ähnlichen Sträßchen schließlich die Hauptstadt nach einigen Umwegen verließen, war mir auch etwas schleierhaft, da wir wenig später dann auf eine gut geteerte Autobahn bei Ashtarak stießen. Ashtarak – bei diesem Namen werden sicherlich die 05-Fans aufhorchen, denn gegen diesen Club ging es ja bekanntlich vor 12 Jahren im Europapokal. Die Statuten der UEFA ließen es damals nicht zu, dass Mika Ashtarak zu Hause gegen Mainz antreten durfte, sondern in einem Stadion der Hauptstadt spielen musste. Herrlich auf einer Hochebene gelegen, von zwei Seiten von Schneebergen begrenzt, sah Ashtarak sehr einladend aus. Ich war wirklich hocherfreut, das Städtchen nach so langer Zeit dann doch noch zu Gesicht zu bekommen, schafften wir es damals aufgrund der Kürze des Aufenthalts nur kurz raus in die unmittelbare Umgebung von Erevan.
Wir passierten Ashtarak auf der Autobahn und stellten fest, dass armenische Verkehrspolitiker den Autofahrern mehr zutrauen, als es bei uns in Deutschland der Fall ist. Dass eine Baustelle, das Wechseln der Fahrbahn auf die Gegenseite notwendig macht, ist klar. In Armenien wird das auch praktiziert, aber es wird überhaupt nicht abgesperrt. Man holpert zwischen den Enden der Mittelleitplanke auf die Gegenfahrbahn und fährt dann sozusagen als Geisterfahrer weiter gerade aus. Das fühlte sich wirklich extrem komisch an, da natürlich Autos entgegenrauschten und auf der eigenen Fahrbahn kein Fahrzeug in Sichtweite war – zum Glück aber auch kein entgegenkommendes Auto. Ein paar hundert Meter später erblickte ich dann zu meiner Beruhigung tatsächlich ein vorausfahrendes Auto auf meiner Spur, das in die gleiche Richtung fuhr – alles gut.
Das Navi peilte für die 178 km lange Strecke nach Haghpat in Nordarmenien ca. 2h40 an. Dass dieser Wert sich nicht halten ließ, wussten wir nicht nur aufgrund der Irrwege am Anfang in Erewan, sondern auch aufgrund der ständigen Veränderungen der Straße. Sie war meist akzeptabel, aber dann so steil dass man kaum auf die möglichen 90 km/h Höchstgeschwindigkeit kam, dann war sie relativ flach, wusste aber in regelmäßigen Abständen durch Schlaglöcher zu „begeistern“, so dass ich mich nicht traute, tatsächlich mal Gas zu geben. Alles in allem kamen wir aber mit rund 60 km pro Stunde die ersten zwei Stunden doch gut voran bis nach Wanadzor. Dort verfuhren wir uns erstmal wieder, da das Navi einfach nur „nehmen sie die Autobahn“ befahl, statt mal anzusagen, ob es nach links oder rechts auf der vierspurigen Straße – von Autobahn zu sprechen wäre lachhaft gewesen – weiterging. Dann erstmal der nächste Schreck, da wir ja irgendwie zurück auf die alte Route mussten: Kreisverkehr!
Eigentlich ja kein Problem, aber in Armenien herrschen ganz offiziell andere Verkehrsregeln für Kreisverkehre: Vorfahrt hat der einfahrende Verkehr! Darauf muss man erstmal kommen, wenn die Fahrbahnmarkierung aufgrund von Schlaglöchern fehlt. Das Reinfahren war natürlich kein Problem, schließlich hatten wir ja Vorfahrt, ohne es zu wissen, aber es kam halt auch gerade kein Auto. Das änderte sich natürlich an der nächsten Einfahrt und zum Glück war es einer dieser Megakreisel mit mehreren Spuren, die natürlich nicht zu sehen waren, und das Auto links vor mir hielt doch tatsächlich an. Nachmachen ist manchmal so richtig gut – ersparte es uns womöglich einen Unfall. Der Vorteil von Kreisverkehren besteht darin, dass man so recht schnell wieder auf die alte Strecke gelangt, wenn man sich zuvor verfahren hat. Aber das vermeintliche Glück wendete sich erneut in Pech, denn wir fuhren nun in einen Stau, etwas, was es außerhalb von Erewan sonst sicherlich nie gibt, denn das Verkehrsaufkommen auf Armeniens Straßen ähnelt dem einer Kreisstraße in Rheinhessen um Mitternacht.
Wir befanden uns ziemlich am Anfang des Staus und merkten recht schnell, dass es sich um eine weitere Baustelle handelte. Auf der Gegenfahrbahn kam uns kein Auto entgegen und man sah nur Baumaschinen, die die gesamte Fahrbahn einnahmen. Ich nahm an, dass die Bauarbeiter einfach mal kurz die Straße sperrten, um die Baumaschinen zu bewegen und war recht entspannt, im Gegensatz zu einem armenischen Fahrer, der uns alle links überholte, vor der ersten Baumaschine aus dem Wagen sprang und wild gestikulierend auf die Bauarbeiter einredete. Normalerweise bringt so etwas eigentlich ja so rein gar nichts, aber nach ein paar Minuten Gebrüll, wurden die Maschinen tatsächlich zur Seite gefahren und wir konnten in die Baustelle hineinfahren. Die Straße, die schon teilweise frisch geteert war, befand sich aber an den meisten Stellen der nächsten Kilometer in einem erbärmlichen Zustand, da der alte Belag abgefräst war, es immer noch regnete und somit alles verschlammt war, und teilweise die Straße als solche gar nicht mehr zu erkennen war.
Der Verkehr dünnte sich mehr und mehr aus – es kam uns praktisch kein Auto mehr entgegen. Vor einer Tankstelle befand sich schließlich ein großes Loch – zum Glück wurde die Straße einfach zwischen den Zapfsäulen umgeleitet. Wir dachten schon, die Straße sei gesperrt… Dass dies kein Irrglaube war, stellte sich dann einige Rumpelkilometer später heraus. Das runde Schild mit dem roten Ring auf weißem Grund wurde zum Glück noch durch einen weißen Pfeil auf blauem Grund ergänzt, der auf ein kleines Sträßchen nach rechts zeigte. Wir dachten erst, das sei eine kleine Umleitung, doch die Straße machte einen Bogen nach rechts aus dem Tal heraus, dem wir seit Wanadzor folgten in Richtung eines Seitentals.
Daher wendeten wir, denn auch das Navi quäkte permanent „wenn möglich bitte wenden“. Glücklicherweise trafen wir im strömenden Regen auf einen Fußgänger und konnten mit Handzeichen fragen, welches die Route nach Alaverdi, der nächst größeren Stadt, sei. Er machte ebenfalls Handbewegungen, die erahnen ließen, dass wir leider wieder wenden und tatsächlich dem kleinen Sträßchen folgen mussten. Das Angenehme an der Straße war ihr Zustand: klein aber fein. Die vorangegangenen 20 km waren wir ja auf dieser Mega-Baustelle unterwegs gewesen und jetzt ging es plötzlich auf glatter Fahrbahn entlang, immer weiter weg von unserem Tagesziel. Denn das war das Schlechte an der Situation: erst plärrte die Stimme des Navis immer noch „wenn möglich bitte wenden“. Dann sollten wir einige Kilometer geradeaus fahren, um dann doch schließlich zu wenden und das im Dauerregen bei einsetzender Dämmerung. Wir hatten die Wahl: zurück nach Wandazsor fahren und dort die Nacht zu verbringen oder die gute, kleine Straße aus dem Seitental bergan zu fahren. Wir entschieden uns für die zweite Möglichkeit. Die angepeilte Ankunftszeit verschob sich minütlich um Viertelstunden. Plötzlich krächzte es endlich „Folgen Sie der Route für 2 km“ und man konnte erkennen, dass in der Karte des Navis tatsächlich kein Wenden mehr eingeplant war. Es ging voran in ein Bergdorf, das total ausgestorben war. Straßenschilder gab es auch nicht und wir verließen das Dorf auf einer Piste, wie ich sie in zuletzt in Costa Rica gesehen habe. Die wenigen Autos, die wir in den letzten Stunden sahen, waren auch fast alles Lada Niva Geländewagen – kein Wunder bei diesen Pisten, und ja, in Costa Rica waren wir auch mit einem Geländewagen genau deshalb unterwegs.
Wo es hinauf geht, muss es auch irgendwann wieder herunter gehen – im Schritttempo, Serpentine für Serpentine in einem Gebirgsbach alias Straße. Die Teerstücke sahen aus, als ob sie von einem Riesen einfach so herausgebrochen wurden und es bestand permanent die Gefahr mit dem höhergelegten Auto trotzdem an irgendeiner dieser Abbruckkanten aufzusetzen. In einem weiteren Seitental angekommen, stand auf einem rostigen Kontainer etwas auf Russisch mit einer Spraydose gesprüht, was eventuell „Alaverdi“ heißen konnte. Der Pfeil führte glücklicherweise, genauso wie das Navi, und mein Orientierungssinn in die gleiche Richtung nach links. Die Straße wurde nicht wirklich besser, aber das bereitete mir wesentlich weniger Sorgen, als die Steine und Felsstücke, die ab und zu so auf der Straße herumlagen. Was passiert eigentlich, wenn so ein Ding gerade herunterbricht, wenn wir unter der Felswand entlangfahren? Zum Glück musste ich mich viel zu sehr auf die Schlaglochseen, Steine und einmal auch auf einen rostigen Nagel konzentrieren, der einfach so auf der Fahrbahndecke nach oben zeigte, als mir weiter darüber Gedanken zu machen.
Irgendwann erreichten wir wieder das Haupttal und ein Lada kam uns entgegen und der Fahrer machte Zeichen, stehen zu bleiben. Während ich in Mittelamerika in so einer Situation lieber das Gaspedal bis zum Boden durchtrete, entschloss ich mich hier tatsächlich zu halten, gelten doch die Staaten des Kaukasus als sehr sicher. Überfälle auf Autos sind nahezu komplett unbekannt und man konnte unser Auto auch gar nicht als Mietwagen identifizieren. Das war dann wohl auch der Grund, warum wir angehalten wurden. Der Fahrer konnte natürlich kein Englisch, wollte wohl aber nach dem Weg zu einem mir unbekannten Ort fragen und erwähnte das international wohl wirklich einheitliche Wort „Tunnel“. Oh Gott, wenn jetzt auf der Strecke noch ein Tunnel zu passieren wäre, der vielleicht aufgrund eines Felsrutsches gesperrt war, dachte ich mir. Ich konnte dem armen Mann nicht weiterhelfen, versuchte zu gestikulieren, dass man, wenn man in einigen Kilometern links abbog über diese kleine Straße über den Berg wieder auf diese Hauptstraße gelangte. Keine Ahnung, ob ihm das weiterhalf. Wahrscheinlich war er genauso schlau wie zuvor, ich war aber tatsächlich beunruhigt, aufgrund des Worts „Tunnel“.
Im weiteren Verlauf der Straße kam uns tatsächlich kein Auto entgegen und ich machte mich schon darauf gefasst, dass hinter der nächsten Kurve tatsächlich die Straße an einem Tunnel endete. Stattdessen sahen wir irgendwann die ersten Lichter von Alaverdi und wenig später befanden wir uns auch schon auf dem kleinen Serpentinensträßchen in das Bergdorf Haghpat, in dem unser Navi, uns nochmals einen kleinen Streich spielte, in dem es irgendwie auf direktem Weg ein enges Gässchen zu unserer Unterkunft nehmen wollte. Diese befand sich zum Glück neben dem von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannten Kloster, so dass wir einfach auf der Hauptstraße blieben und dann auf einem Platz ankamen. Das Kloster war angetrahlt, der Rest des Kaffs war dunkel, inklusive unserer Unterkunft.
Es war erst halb acht Uhr abends, aber wirklich alles bis auf das Kloster stockfinster. Ich konnte aber zum Glück noch ein paar Gestalten ausmachen, stieg aus und fragte, ob es sich hier um das Haghpat Hotel handelte. „Yes“ war die erlösende Antwort. Der Begriff „Hotel“ ist ja recht schwammig. Wenn es aber nur einen Raum und fünf Zimmer gibt, die alte Dame und der zahnlose Herr, der mich an Louis de Funes erinnerte, die einzigen Mitarbeiter waren, dann würde der Name Homestay die Unterkunft schon besser beschreiben.
Weiter oben habe ich ja das Internet wegen der Möglichkeit gelobt, dass lokale Agenturen weltweit ihre Dienstleistungen anbieten können. Eine weitere Möglichkeit des Internets sind ja die beliebten Hotelbewertungen. Es soll bekanntlich Leute geben, die stundenlang Hotelbewertungen lesen oder abgeben. Früher nahm ich an, dass die Eigentümer sich teilweise ihre Bewertungen vielleicht selbst schreiben – natürlich nur die guten. Das stimmt wohl so nicht wirklich und bei unserem alten Pärchen bestimmt nicht, schließlich konnten sie kaum Englisch, geschweige denn Deutsch etc. Die Bewertungen waren eigentlich durchweg positiv und die Alten waren auch tatsächlich sehr herzlich und nett. Allerdings regnete es immer noch und es war ziemlich kalt. Das störte uns in der ersten Nacht noch nicht wirklich, aber die zwei folgenden Nächte waren einfach unangenehm und anstrengend. Die euphorischen Bewertungen das Bad betreffend konnte ich noch halbwegs nachvollziehen: es war sauber, groß und warmes Wasser gab es in der ersten Nacht auch noch. Dass die Klospülung nicht automatisch funktionierte und man immer den Wasserkasten öffnen musste, an dem Styropor-Ding herumspielen musste, damit das Wasser reinlief – geschenkt, dass man den Kasten irgendwann auch öffnen musste, damit das Wasser nicht einfach durchfloss – in vielen Teilen der Welt auch normal, also so what?! Dass aber einer schrieb, das Hotel könnte es mit einem Vier-Sterne-Ding in der Erewan aufnehmen, fand ich dann doch mit den größten Quatsch, den man in Bezug auf diese Location verfassen konnte. Spätestens dann, als es überhaupt kein Wasser mehr gab (das dann eine Stunde später wieder kam) und natürlich der Strom auch noch regelmäßig ausfiel. All das ist für mich Alltag in vielen Ländern der Welt. Aber die Kälte und die fehlende Möglichkeit, tatsächlich Abhilfe zu schaffen war einfach ätzend: Heizungen waren Fehlanzeige. Bei der mobilen Elektroheizug, die wir in der letzten Nacht erhielten, steckten wir den Stecker in die Steckdose mit dem Resultat, dass wenig später die Sicherung rausflog. Auch die Matraze, bei der man jede einzelne Feder am Morgen als temporäres Tatoo mit sich trug, war einfach schlecht. Da fragte ich mich schon, was solche Bewertungen eigentlich bringen. Klar, im Sommer braucht man keine Heizung, aber Matratzen sind ja das A und O einer Übernachtung. Schließlich verbringt man darauf ja dann doch oft ein Drittel seiner Reise. Wir hätten vielleicht mangels Alternative trotzdem in diesem Hotel übernachtet, aber dass dieses so enthusiastisch in den komplett wolkenverhangenen Himmel von Haghpat gelobt hat, zeigt mir dann doch, dass Bewertungen im Internet einfach mit Vorsicht zu genießen sind.
Ebenfalls gut bewertet wurden unsere Führer von Alaverdiguides. 25 zum Teil sehr gut englisch sprechende junge Armenierinnen und Armenier möchten Reisenden ihre Region zu Fuß vorstellen. Dazu bieten sie Halb- und Ganztageswanderungen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade an. Obwohl das Wetter nicht so recht mitspielte war der Aufenthalt dank der Guides in Haghpat wirklich wunderbar. Auf alten Fußwegen ging es vom Kloster Sanahin zurück zu unserem Kloster in Haghpat. Theoretisch wären wir noch in ein weiteres Bergdorf gelaufen – aber es regnete dann doch zu stark und im Nachhinein bin ich froh, diese Tour abgebrochen zu haben, denn in der Nacht taten sich Magen und Darm zusammen, um mich auf Trab zu halten, indem ich des mehrmals den Wasserkasten herumschieben musste. Komplett platt stellte sich für mich am nächsten Morgen die Frage, Bett oder Basilika? Schließlich wollten wir von einer alten Basilika unterhalb einer Felskante mit unserem Guide durch einen Canyon wandern. Ich entschied mich darauf zu vertrauen, dass die drei Marmeladebrote im Magen blieben und mir genug Kraft gaben, den Walk durchzuhalten. Dies gelang schließlich mit Ach und Krach. Es war schon interessant zu sehen, wie der Körper innerhalb einer Nacht komplett abbauen und für mich eine relativ einfache 9 km Wanderung zur absoluten Herausforderung werden kann. Am Ende der Wanderung wurden wir von einer alten Frau angesprochen. Daviet, unser Guide, kannte sie nicht, konnte uns aber übersetzen, dass sie uns auf einen armenischen Kaffee einladen wollte. Das war bereits die zweite Kaffeeeinladung, nachdem wir beim Müllsammelsonntag schon diesen herrlich starken Kaffee, bei dem der Satz in der Tasse verbleibt, gratis genießen durften. Auf der heutigen Wanderung bekamen wir von einem Schafhirten Walnüsse geschenkt und die alte Dame toppte alles, denn natürlich blieb es nicht beim Kaffee. Baklava-Gebäck und eingelegte grüne Walnüsse wurden zum Nachmittagskaffee gereicht. Die Gastfreundschaft der armenischen Bevölkerung war tatsächlich umwerfend und natürlich hätten wir für den Kaffee auch etwas bezahlt, das wäre allerdings als unhöflich angesehen worden.
Am nächsten Tag spielten sowohl das Wetter als auch der Magen und der Darm wieder mit, so dass es mit dem Auto wieder auf Abenteuer durch Armenien gehen konnte. Bis Wanadzor sollte es eigentlich die gleiche Strecke zurückgehen, aber natürlich informierten wir uns vorher und erfuhren so, dass die Straße eigentlich für zwei Jahre (!) gesperrt sei, da u.a. der Tunnel (aha!) erneuert wurde und eine großräumige Umleitung eingerichtet sei. Das war auch in der jetzt zu nehmenden Fahrtrichtung tatsächlich entsprechend mit einem Schild angegeben. Leider fehlte dieses auf der Hinfahrt. So aber verlief die Weiterfahrt nach Dilijan komplett ereignislos. Statt der avisierten 2 Stunden, fuhren wir zweieinhalb Stunden aber das ist ja kein Vergleich zu den sechs Stunden, die wir von Erevan statt der zweidreiviertel Stunden brauchten. Bevor wir losfuhren, bekamen wir von der alten Dame unseres Homestays noch Socken zum Abschied geschenkt – weil wir so viel gefroren haben. Versteht mich bitte nicht falsch: Ich mochte den Aufenthalt trotzdem, das Menschliche in dieser Herberge wurde wirklich groß geschrieben. Ich hatte vielmehr den Eindruck, dass die beiden alten Menschen so zunehmend ihre Schwierigkeiten hatten, das Hotel so zu leiten, dass es nicht verkommt. Auch wenn sie nur fünf Zimmer hatten – Madame hat abends für alle gekocht, morgens Frühstück gemacht und natürlich müssen die Zimmer in Stand gehalten werden. Mich haben halt nur die extrem positiven Bewertungen gewundert. Natürlich bat die Dame auch eindringlich darum, dass wir ihr Hotel positiv bewerten. Und diesem Wunsch sind wahrscheinlich die meisten Gäste nachgekommen – sicherlich auch ein bisschen aus Dankbarkeit.
In Dilijan angekommen, wurden wir von unserem nächsten Hoteleigentümer mit einer mächtigen Alkohohlfahne begrüßt. Dass er darauf bestand, sofort bei der Ankunft zu zahlen, wir aber nicht genug Cash dabei hatten und somit mit der Kreditkarte versuchten zu zahlen, ließen den ersten Eindruck etwas ins Negative abgleiten. Es blieb beim Versuch mit der Karte zu zahlen, denn erstens wollte er nur die Hälfte mit der Karte haben, dann war er so ungeduldig, da das Lesegerät „Please Wait“ anzeigte, er aber statt zu warten, dieses auf den Tisch schlug und dieses in alle Einzelteile zersprang. Es quälte aber noch einen Beleg raus auf dem „Approved“ stand. Er behauptete aber felsenfest, dass der Betrag nicht abgebucht wurde. Zum Glück ging es nicht um große Beträge (ca. 34 €), aber genervt war ich trotzdem. Und natürlich wurde mir der Betrag abgebucht. Aktuell versucht das Hotel mir den Betrag wieder zurückzutransferieren – Ausgang offen…und die Bank möchte den Betrag auch nicht erstatten, obwohl ich den Beleg nicht unterschrieben habe…
Wir fuhren zum nächsten Geldautomaten holten das Geld und konnten dann im Casanova Inn, erstmal entspannen. Jede Tür ziehrte eine venezianische Karnevalsmaske und der große Aufenthaltsraum war beheizt – juhu! Auftauen, aufwärmen und sich von der Kälte Haghpats erholen. Anders als viele Städte Armeniens, die aus hässlichen grauen heruntergekommenen Plattenbauten bestehen, gab es in Dilijan vereinzelt sehr hübsche Häuser. Der Ort war schon in der Sowjetunion als Touristen-Ziel und Kurort bekannt, vielleicht wurde daher ein bisschen mehr auf eine ansprechende Bausubstanz geachtet. Kulinarisch war Dilijan auch wieder ein Paradies, sogar für Vegetarier. Überall im Kaukasus erhalten diese Salate, viel Gemüse, Kartoffeln und leckeres frisches Brot. Sogar Urgetreide wie Emmer findet den Weg auf die Speisekarte. Während wir in Haghpat mangels Alternative drei Nächte Homecooking erlebten, was leider für Vegetarier etwas öde, aber wenigstens satt machend war, gibt es in Dilijan tatsächlich eine große Restaurantszene. Noch schöner war allerdings die umgebende Natur mit ihren Blumenwiesen, Nadelwäldern, Schneebergen und was in Armenien natürlich nicht fehlen darf: Klöstern.
Zurück in die Hauptstadt Erevan führte die Reise am tiefblauen Sevan-See auf ca. 2.000 Metern entlang. Hinter einer Biegung der Autobahn ragte dann plötzlich der Berg Ararat der über 5.000 Meter hoch ist, hinter der Millionenmetropole Erewan hervor. Ein erhebender Anblick und ein wunderbarer Abschluss dieser Reise durch ein faszinierendes Land mit herrlicher Natur, imposanten Klöstern und sehr sehr freundlichen Bewohnern. Ich hoffe nicht, dass es wieder zwölf Jahre dauert, um diesem wunderbaren Land, den nächsten Besuch abzustatten.