Die Fußballbundesliga-Saison 2020/21 ist für Fans des 1. FSV Mainz 05 Geschichte und die herovrragende sportliche Leistung der Mannschaft in der Rückrunde ist kaum in Worte zu fassen. Bundesweit findet dieses Wunder jedoch wie immer keine richtige Würdigung. Um es positiv zu sehen: Es gibt doch einen Punkt, der sich in der Pandemie nicht verändert hat. Mainz 05 fliegt weiterhin unter dem Radar der meisten überregionalen Beobachter*innen. Da ich vom Fußball selbst wenig Ahnung habe, möchte ich mein Fazit der Saison aus meiner persönlichen Gefühlslage während der vergangenen 34 Spieltage und 2 Pokalrunden herleiten. Schließlich verbinde ich Fußball eher mit emotionalen Kettenreaktionen als mit stabiler Viererkette.
Ich bin der Meinung, dass es die ganze Saison über schwierig war, mit der Gesamtlage in Deutschland und darüber hinaus umzugehen. Pandemie und Stadionbesuche passen nicht zusammen. Jede*r von uns war unweigerlich gezwungen, sich die persönliche rot-weiße Fußballwelt neu aufzubauen. Es war ein notwendiger Umzug aus der geliebten Umgebung, dem Stadion mit Fangesängen, mehr oder weniger guten Gesprächen – manchmal abhängig vom Promillegrad, Bierduschen, Ketchupflecken, Kippenduft, Kloschlangen und Pfandbecherdiskussionen hinüber in eine Zone, die aus Radio, Fernseher, Smartphone und/oder Computer bestand . Wir begaben uns ins „Fan-Homeoffice“.
Manche haben diesen Umzug vielleicht schon vor Jahren begonnen, etwa in dem sie zunächst nicht mehr oder nie auswärts gefahren sind, irgendwann die Dauerkarte abgegeben haben und auch keine Lust mehr hatten, überhaupt mal den Weg in die Bretzenheimer Felder auf sich zu nehmen. Je nach „Umzugs-Fortschritt“ war die Veränderung vielleicht für die eine oder den anderen im Laufe der Saison gar nicht so gravierend.
Auch ich hatte Anfang 2020 nicht die Energie, nach Wolfsburg und zur Hertha zu fahren. Solche Motivationsdellen hatte ich, seitdem ich 2005 regelmäßig auswärts fahre, immer mal wieder. Trotzdem hatte ich mich nach jedem Tiefpunkt wieder aufgerafft, auswärts zu fahren und wurde immer wieder belohnt – nicht immer mit sportlichen Ergebnissen, sondern vielmehr mit Erinnerungen an einen Tag voller meist positiver Erfahrungen, die man im durchstrukturierten Alltag eher weniger sammelt. So aber war mein letztes besuchtes Auswärtsspiel Ende Januar 2020 das in Gladbach. Ich kann mich noch an den überfüllten Shuttle-Bus zum Hauptbahnhof und an die nervige Weiterfahrt nach Neuss erinnern, da es die angezeigten Züge nicht gab und es Stunden dauerte, um in der Nachbarstadt anzukommen, wo ich den Abend mit Verwandten verbringen wollte. Damals war Corona noch weit weg und natürlich hätte ich nie gedacht, dass das bis dato meine letzte Auswärtsfahrt sein sollte (und der letzte Verandtenbesuch). Die kurze Pause des Spielbetriebs im letzten Frühjahr während der ersten Welle und die anschließenden Geisterspiele waren noch zu ertragen. Sie korrelierten auch ein wenig mit meinem temporären Auswärtsfahrten-Loch. Eine kleine Pause vom Fußball hatte mir auch auf meinen Reisen immer wieder gut getan.
#AlleoderKeiner lautete zu Beginn der neuen Saison 2020/21 das Motto vieler Stadiongänger*innen. Schließlich öffneten sich die Tore der verwaisten Arenen für ein paar Zuschauer. Gästefans waren ausgeschlossen. Alkoholverbote die Praxis und Stehplätze tabu. Das waren Zustände, wie ich sie in einem Stadion nicht erleben möchte. Natürlich kann ich auf das schale Stadionbier aus dem Plastikbecher verzichten. Das war ja bereits in Hoffenheim, Wolfsburg oder Augsburg schon vor der Pandemie der Fall. Aber Gästefans und Stehplätze sind für mich das Salz in der Suppe jedes Spiels mit Zuschauern. Was mich jedoch positiv stimmte: Es gab keine Spaltung der Fanszenen. Es hatte den Anschein, dass jede*r die Haltung des anderen respektierte.
Für mich persönlich kam der Stadionbesuch unter diesen Bedingungen nicht in Frage – zumal ich auch im Sommer 2020 ein wenig Unbehagen vor dem Virus hatte und eigentlich immer darauf achtete, die AHA-Regeln einzuhalten. Das Pokalspiel, das freitagsabends stattfand, schaute ich im Hof des Fanhauses an der frischen Luft immer mit genügend Abstand zu den anderen. Ich empfand es so komisch, das eigene Team nur auf dem Bildschirm verfolgen zu können – da ich es jahrelang gewohnt war, die rot-weißen Jungs auch in den letzten Winkeln des Kontinents in Armenien, Aserbaidschan oder auch im Erzgebirge zu unterstützen. Ich gab mir dennoch den Ligaauftakt eine Woche später erneut auf dem Hof des Fanhauses. Das war der Ort, an dem ich mir versprach, am ehesten die Saison emotional halbwegs stabil durchzustehen. Schließlich traf ich dort auch auf viele Nasen, die ich monatelang nicht gesehen hatte.
Das Spielgeschehen verfolgte ich mehr schlecht als recht und die Gegentore lösten bei mir keine wirklichen Gefühle aus. Gerade in Leipzig hatte mich vor ein paar Jahren auch noch das sechste, siebte oder achte Gegentor weit mehr runtergezogen, als die paar Gegentore, die es an diesem warmen Sonntagnachmittag gab. Auch über den Treffer der Nullfünfer konnte ich mich nicht wirklich freuen – ich bilde mir zumindest ein, dass es einen gab. Das war wirklich kein Vergleich zum kollektiven Jubel in einem dicht gedrängten Gästeblock. Ich kam mir wie sediert vor und schaute während des Spiels öfter auf mein Smartphone – für mich eigentlich im Stadion ein No Go wenn der Ball rollte. Wir hatten verloren, aber es fühlte sich nicht allzu schlimm an. Ich bezahlte meine Getränke, verabschiedete mich von den anderen Nullfünf-Bekannten und radelte nach Hause. Das Spiel war da schon nicht mehr präsent – ich musste es noch nicht mal mehr verdrängen. Es war einfach nicht mehr wichtig. Früher wühlte mich jedes Spiel mindestens für Stunden auf. Der Adrenalinspiegel senkte sich erst mit der Zeit. Diesmal hatte ich nach dem Spiel keine Lust mehr, mir auf Twitter oder Facebook, die Kommentare anzuschauen, geschweige denn, etwas dazu zu formulieren.
Die Tage wurden kürzer, die Nachmittage kühler, der Herbst kündigte sich an. Fußball in einem geschlossenen Raum mit anderen Menschen zu schauen kam für mich aus Angst vor Ansteckung nicht in Frage. Das erste Ligaspiel der Nullfünfer war damit gleichzeitig das letzte Mal in dieser Saison, dass ich ein Spiel von Mainz 05 wirklich komplett live verfolgte.
Der Rest der Hinrunde ist bekannt. Spielerstreik, der erste Trainerwechsel von Beierlorzer zu Lichte, ein verlorenes Spiel nach dem anderen. Ich nahm es zur Kenntnis. Oft schaute ich nach Spielschluss kurz im Netz das Ergebnis nach. Es löste bei mir keine wirklichen Emotionen aus. Gleichzeitig war ich erstaunt, dass in den sozialen Netzwerken praktisch alle, die auch vorher schon dort aktiv waren, sich über die Spiele genauso austauschten, wie vor der Pandemie. Es kamen sogar neue User*innen dazu oder wurden im Verlauf der Pandemiesaison erst so richtig aktiv. Natürlich muss das jede*r für sich entscheiden – für mich fühlte sich das irgendwie falsch an, spätestens als sich ab Oktober die zweite Welle abzeichnete und es klar war, dass es so schnell nichts mehr wird mit einem Stadionbesuch. Auch einen fertigen Impfstoff gab es noch nicht – Medikamente gegen Covid-19 fehlen sogar bis heute. Klar, der Spielbetrieb musste erneut aus kommerziellen Gründen durchgezogen werden – keine Frage. Es wurden ja auch die Arbeitgeber damals nicht wirklich verpflichtet, Homeoffice möglich zu machen. Daher war es natürlich logisch, dass der Ball rollte – mitten in einer Pandemie, der jeden Tag auch in Deutschland viele hundert Menschen zum Opfer fielen. Und ich sollte mich über eine weitere Niederlage meines Vereins aufregen? Bizarr!
Für mich fand ein Spiel immer im Stadion statt. Ich knipste ein paar Bilder, aber Social Media hatte für mich während des Spiels nie eine Bedeutung. Die Aufarbeitung des Spiels in den sozialen Netzwerken liebte ich früher dennoch sehr. Der Austausch mit Gleichgesinnten (und manchmal auch Fans der anderen Mannschaft) war meist sehr spannend, manchmal tröstend und oft mitreißend. Er fand für mich später statt, auf den langen Fahrten zurück nach Mainz oder bei Heimspielen auf der Couch zu Hause – Stunden nach dem Schlusspfiff, denn die Gespräche nachkicks am Fantreff waren für mich eine wunderbare „3. Halbzeit“. Für mich gab es plötzlich den ersten Schritt, das kollektive Stadion-Erlebnis, nicht mehr, daher konnte ich den zweiten Schritt das individuelle Aufarbeiten in den sozialen Netzwerken auch nicht mehr gehen – zumal da draußen ja ein Virus am Werk war. Das war spätestens dann abstrus, als mit dem „Lockdown light“ im November fast alles dicht gemacht wurde – um Weihnachten zu retten. Nullfünf war hingegen kaum noch zu retten, verlor weitere Spiele und mich berührte es irgendwie nicht wirklich.
Als dann kurz vor dem nicht mehr zu rettenden Weihnachtsfest Rouven hinschmiss, mit Jan-Moritz der nächste Trainer beurlaubt wurde und nach Neujahr die heiligen drei Könige (C+M+B) einzogen, packte mich auch keine große Euphorie. Ich wünschte meinem Verein alles, nur nichts Schlechtes und vorallem nicht den Abstieg. Und natürlich freute mich der Sieg gegen die Dosen. Auch bei mir keimte mit der Zeit die Hoffnung auf, dass es was werden könnte mit dem Klassenerhalt. So ging es den Rest der Saison weiter. Ja, ich fieberte sogar am Smartphone in der Kicker-App die letzten Minuten des Bayern-Spiels mit. Ich ärgerte mich über den späten Treffer der Eintracht.
Mit jedem der 17 anderen Clubs der aktuellen Spielzeit verbinde ich Geschichten meist von Auswärtsspielen, die teilweise 15 Jahre her sind, wie beispielsweise in Bielefeld 2005. Da habe ich immer noch Szenen vor Augen, wie alle aufgebracht und stinksauer auf den Zaun kletterten – weil es zwei Elfmeter gegen uns gab, die das Spiel entschieden – nachdem ich zwei Tage vorher aus Island vom Europapokal kommend, gerade die Sachen ausgepackt hatte, um quasi direkt weiter auf die Alm zu düsen. An die Geisterspiele der letzten Saison habe ich schon jetzt überhaupt keine Erinnerung mehr. Kenne ich die Ergebnisse von den meisten Gastspielen in den verschiedenen Stadien der vergangenen Jahre fast noch alle auswendig oder zumindest die Punkte, die wir da eingesackt hatten, weiß ich gar nicht mehr, gegen welche Teams wir in der Hinrunde vier Unentschieden geholt haben.
Während mich aufwühlende Auswärtsfahrten früher mindestens Tage emotional auf Trab hielten, hielt das beim Bayern-Sieg in dieser Saison einen halben Abend, beim Tor der SGE ein paar Minuten. In dieser Saison stand für mich dann recht schnell wieder die triviale Frage im Raum, was ich wohl kochen würde. Statt Belgischer Pommes am Düsseldorfer Hauptbahnhof auf dem Rückweg vom Spiel im Ruhrpott zu futtern, fing ich bereits nach ein paar Tagen Lockdown an, die Speisen zu kochen, die ich auf vielen Reisen durch Asien oder Mexiko sonst vor Ort auskoste. Seit Fastnacht herum frage ich wann wir alle wohl geimpft werden können? Dieses Gefühl verstärkte sich immer wieder, wenn bei Twitter im Sekundentakt Bilder von Impfausweisen oder Pflastern in die Welt hochgeladen wurden oder ich an der Bushaltestelle Plakate sehe, auf denen Menschen verkünden „Na klar lass‘ ich mich impfen“ – dabei hat noch mehr als die Hälfte der Bevölkerung kein Impfangebot erhalten. Und wie ergeht es wohl anderen Menschen in der Pandemie? Kindern und Eltern beim Homeschooling, medizinischem Personal, Künster*innen, Leute, die gar nicht auf ihr Schicksal aufmerksam machen können, weil sie dazu keine Möglichkeiten haben, Menschen in ärmeren Ländern, die überhaupt keine mittelfristige Impfperspketive haben? Sich gleichzeitig über den nächten Sieg der Mannschaft freuen, im Internet positiv eskalieren? Ich konnte es irgendwie nicht.
Natürlich fragte ich mich auch früher schon in nüchternen Momenten, was ich eigentlich davon habe, wenn mein Verein gewinnt – spätestens beim nächsten Tor für uns, das ich im Stadion miterleben durfte, kam mir diese Frage wieder vollkommen absurd vor. Das gegenwärtige rationale Auseindersetzen mit dem Fandasein in der Pandemie zersetzt die verbliebenen Emotionen – aber an den Sympathien für meinen Verein ändert das nichts – wenigstens etwas. Ich bin nicht Prio 1, 2 oder 3 – meine lautet Nullfünf.
Ich freue mich, dass wieder Ruhe in den Verein eingekehrt ist. Ich freue mich über den Klassenerhalt. Ich freue mich für alle, denen diese Saison besonders ab Januar so viel Freude bereitet hat. Ich freue mich für alle, bei denen durch die Spiele die versprochene Ablenkung von der Pandemie tatsächlich eingetreten ist. Ich freue mich für alle, die dank der Durchführung des Spielbetriebs ihren Job nicht verloren haben und vielleicht sogar um längere Kurzarbeit und daraus resultierende Steuernachzahlungen herumgekommen sind. Ich freue mich für alle, die es geschafft haben, in Bezug auf den Fußball einfach so weiter zu machen, dummzubabbeln, zu motzen, zu kommentieren und Content zu erstellen, so als würde die Pandemie in einer Parallelwelt stattfinden. Ich freue mich auch für alle, die bereits geimpft sind und das Gefühl der Angst, sich womöglich anzustecken, ad acta legen können. Und ich freue mich drauf, dass es irgendwann für Geimpfte, Genesene und Getestete wieder möglich sein wird, ins Stadion zu gehen und den Fußball endlich wieder zu fühlen. Dann „darf“ es sportlich auch gerne so wie seit Januar weiterlaufen 😉
In Deutschland endlich einmal irgendwo anders als in den eigenen vier Wänden die Seele baumeln lassen? Das war seit Anfang November ein Ding der Unmöglichkeit und zwar in allen Bundesländern. Doch Mitten in der dritten Welle der Pandemie tat sich plötzlich etwas, zu einem Zeitpunkt, an dem es gerade so schien, als sei das Licht am Ende des Tunnels der Pandemie gerade wieder in weite Ferne gerückt.
Der Föderalismus wurde in unserer Republik in der Pandemie teilweise recht hart kritisiert, etwa wenn zum Beispiel auf der rechten Rheinseite bei höheren Inzidenzen Fitnessstudios öffnen durften und linksrheinisch die Türen für Sportler*innen verschlossen blieben.
Ein zweiter Kritikpunkt, der uns in Deutschland sicherlich zu Recht trifft, ist oftmals der fehlende Pragmatismus. Wir möchten das Leben in geregelte Bahnen bringen. Das funktioniert in „normalen“ Zeiten größtenteils ganz gut, in einer Pandemie ist es allerdings schwerlich möglich, jeder Situation, die teilweise vollkommen neu für alle war, mit klar definierten Regeln zu begegnen.
Wenn allerdings die Chancen, die der Föderalismus den Entscheidungsträger*innen in unserem Land bietet, mit einer Prise Pragmatismus angereichert wird, können Projekte realisiert werden, wie sie das Land Schleswig-Holstein Anfang April angeschoben hat.
Wer die Deutschlandkarte mit den 7-Tage-Inzidenzen in den letzten Monaten genau studiert hat, sah, dass ganz oben immer eine Farbe dominierte, sei es grün, hellgelb oder grau, die im Rest der Karte fehlte. Die Inzidenzen in vielen Landkreisen Schleswig-Holsteins waren schon zu Beginn des Frühjahrs so niedrig, dass sich hier tatsächlich die Möglichkeit bot, der Tourismusbranche einen Weg aufzuzeigen, wie Reisen in der Pandemie für Ungeimpfte möglich sein kann, ohne unvorsichtig oder riskant zu handeln.
So habe ich an einem Freitag Anfang April in einer touristischen Fachzeitschrift das erste Mal von Modellprojekten im Tourismus gelesen, mit denen Schleswig-Holstein der Branche und vielen Urlaubsinteressierten einen Weg aufzeigen wollte, um touristische Reisen wieder möglich zu machen. Für dieses Projekt haben sich viele Landkreise des nördlichsten Bundeslands beworben. Das Land hat schließlich vier Regionen mit unterschiedlichen Sicherheits- und Hygiene-Konzepten ausgewählt.
Bereits ab Mitte April sollten die ersten Regionen an den Start gehen. Der Landkreis Nordfriesland mit seinen wunderschönen Inseln wollte Anfang Mai folgen. So wurde plötzlich mein immer gleiches Wochenende, das seit Frühjahrsbeginn immer samstags mit einer Tageswanderung im erweiterten Umkreis von Mainz etwas aufpoliert wurde, plötzlich um den Faktor „Reiseplanung“ erweitert. Für mich und meine Partnerin war klar, dass wir unbedingt auf eine der Inseln wollten. Das bedeute auch, dass wir unsere Tour erst Anfang Mai starten würden und noch etwas Zeit hatten. Zeit hatte allerdings damit auch die Pandemie, um diese Projekte infolge etwaiger steigender Infektionszahlen wieder zu beenden. Schließlich galt die Regel, dass, falls die Inzidenz über 100 steigen sollte, alles wieder dicht gemacht wird und alle wieder hätten abreisen müssen.
Während ich samstags den Lahnwanderweg erwanderte, begab sich meine Partnerin virtuell auf die Suche nach einer Ferienwohnung auf Amrum. Dorthin wollten wir schon immer – der wilden Natur wegen. Und kurz vor dem Ende meiner Wanderung teilte sie mir ihren Favoriten mit. Da wir nicht wussten, wie hoch die Nachfrage nach Ferienwohnungen war, sendete ich noch auf der Wanderung meine Anfrage ab. Zu dieser Zeit fand sich in den überregionalen Medien allerdings noch gar keine Meldung zu den Modellregionen.
Gleichzeitig wussten wir zu diesem Zeitpunkt gar nicht, ob wir überhaupt nach Schleswig-Holstein einreisen durften. Schließlich gab es im letzten Jahr Bundesländer, die zunächst nur ihren Landeskindern eine Reise erlaubten. Auf den informativen Seiten der schleswig-holsteinischen Landesregierung fand sich ein solcher Passus nicht. Beruhigt hat uns das allerdings auch nicht wirklich, denn die Pandemie hat immer wieder gezeigt, dass man mit Überraschungen zu rechnen hatte.
Dafür meldete sich das vermietende Paar recht schnell bei uns. Wir waren eigentlich davon ausgegangen, dass jede vermietende Person bei diesem Projekt würde mitmachen. Dem war zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht so. Wir hatten aber Glück, denn das Paar zeigte sich über unsere Anfrage erfreut und nahm die Reservierung unter Vorbehalt entgegen – schließlich waren es noch drei Wochen bis zur Anreise und in Deutschland war die dritte Welle gerade am hochschwappen.
Um ehrlich zu sein, hatten wir Mitte April auch nicht wirklich damit gerechnet, dass dieses Projekt wirklich startet. Schließlich hatte auch Ende März die Außengastronomie in Mainz geöffnet – für genau fünf Tage, ehe alles wieder schließen musste und während ich meine Buchung für das Ferienhaus auf Amrum am Koblenzer Hauptbahnhof vornahm und die Bahn wegen Personen im Gleis Verspätung hatte, musste ich mir danach erstmal Gedanken machen, was eigentlich passiert, wenn ich in Mainz arg verspätetet ankommen würde – schließlich galt damals ab 21 Uhr eine Ausgangssperre. Schließlich erreichte ich unsere Wohnung um halb neun Uhr abends.
Wir beobachteten in der Folgezeit jeden Morgen die Inzidenzen in Nordfriesland. Sie verharrten weiterhin auf einem Level, von dem wir in Mainz nur träumen konnten: plus minus 30! Gleichzeitig machten wir uns Gedanken, wie wir in einem Tag von Mainz auf die Insel Amrum gelangen könnten. Mit dem Zug war das theoretisch möglich. Allerdings hatten wir wenig Lust, auf 12 Stunden Zugfahrt mit Maske und der Ungewissheit am Ende einen Anschluss zu verpassen und es nicht am selben Tag auf die Insel zu schaffen.
Gleichzeitig war es unmöglich, die Reise mit dem Auto unterwegs irgendwo zu unterbrechen. Touristische Übernachtungen waren weder in Rheinland-Pfalz, Hessen, Niedersachen oder Hamburg Ende April/Anfang Mai erlaubt. Wir mussten es daher auf jeden Fall in einem Tag von Mainz bis nach Schleswig-Holstein schaffen. Glücklicherweise gab es mit den Regionen Büsum, Innere Lübecker Bucht und Schlei/Eckernförde weitere Landesteile, die sich für Tourist*innen öffnen durften – und das bereits ab Mitte April. Diese waren auch nicht von der Bundesnotbremse mit ihren Ausgangssperren betroffen, so dass wir auch zu später Stunde hätten anreisen können – bis 22 Uhr die Landesgrenze Hamburgs hinter uns zu lassen, sollte machbar sein.
Daher wollten wir bereits ein oder zwei Tage vor dem 1. Mai gen Norden fahren und in einer der anderen Regionen übernachten. Wir buchten über eine Buchungsplattform ein Hotel in Büsum – diese Region war von Mainz aus gesehen die nächst gelegene. Das Hotel meldete sich relativ schnell und meinte, sie müssten unsere Reservierung stornieren, da das mit der Modellregion noch nicht sicher sei. Wie sich später herausstellte sollte das Hotel Recht behalten. Aufgrund steigender Fallzahlen öffnete Büsum tatsächlich erst Wochen später.
Der nächste Versuch in der Inneren Lübecker Bucht und die nächste Absage: Das Hotel möchte bis auf Weiteres weiterhin nur Geschäftsreisende beherbergen. In der Tat waren Übernachtungen von Geschäftsreisenden in der Bundesrepublik nie verboten. Dass da das Hotel erstmal abwarten wollte, wie sich die Lage entwickelt war verständlich, zumal auch diese Region tatsächlich erst später als Mitte/Ende April öffnete – ebenfalls wegen steigender Inzidenzen.
Beim dritten Versuch gingen wir nun anders vor. Von Eckernförde hatte ich zuvor schon gehört und konnte es grob an die Ostsee in die Nähe Kiels verorten. Die Region Schlei kannte ich allerdings überhaupt nicht. Dass es sich dabei um einen über vierzig Kilometer langen Ostseefjord handelte und dass es überhaupt einen Fjord in Deutschland gab, war völlig neu für mich. Glücklicherweise bietet diese Regionen eine gute Internetseite an, auf der auch Beherbergungsbetriebe gelistet waren, die an dem Modellprojekt teilnehmen würden. So fanden wir über diese Seite eine Unterkunft und buchten direkt auf der Hotelseite.
Unsere Ferienhausvermieter auf Amrum waren anfangs auch nicht sehr optimistisch, was die Vermietung anbetraf. Trotzdem setzten sie den Vertrag auf, meinten aber, das mit der Zahlung könnten wir noch aufschieben – da ja alles so unsicher sei. Außerdem kannten sie auch noch nicht alle Bedingungen, unter denen sie überhaupt wieder vermieten durften. Wir waren trotzdem froh, überhaupt mal einen Beherbergungsvertrag unterschreiben zu dürfen, denn das Hotel aus der Schlei-Region meldete sich überhaupt nicht – was vielleicht aber auch ein gutes Zeichen war?
Die Inzidenz in Nordfriesland stieg nicht und auch in der Schlei-Region, die Mitte April öffnete, war die erste Woche nach der Öffnung gut verlaufen. Auch die Bedingungen für die Reisenden standen mittlerweile fest. Es musste eine Verpflichtungserklärung zusätzlich zum Beherbergungsvertrag unterschrieben werden. In dieser gaben wir unser OK, dass wir uns vor der Abfahrt einem Corona-Test unterziehen würden, die Kontakt-Nachverfolgungs-App „Luca“ herunterladen würden und in regelmäßigen Abständen weitere Tests in der Region würden vornehmen lassen. In der Schlei-Region und in Eckernförde gab es tausende von Testungen und die Positiv-Rate lag im Promillebereich. Die wenigen positiv Getesteten verteilten sich auf Urlauber und Einheimische, so dass man von einem Einschleppen der Pandemie nicht reden konnte.
Diese Verpflichtung zur Luca-App-Nutzung und zu regelmäßigen Testungen empfanden wir als nicht wirklich aufwendig, störend oder abstoßend. Schließlich befinden wir uns immer noch in einer Pandemie, bei der Reisen spätestens ab dem Spätherbst 2020 verpönt waren.
Gleichzeitig war das Testen seit März in Deutschland allgemein relativ einfach möglich, zumal nur ein Antigenschnelltest gefordert wurde und nicht der aufwendigere PCR-Test. Letzterer gilt allgemein als sichererer, aber auch teurerer. Dieser spielte in den von den Modellregionen entwickelten Sicherheits- und Hygienekonzepten allerdings eine entscheidende Rolle: Würde man positiv getestet, sollte mit Hilfe eines PCR-Tests geklärt werden, ob das Testergebnis tatsächlich korrekt war oder nicht. In der bereits genannten Verpflichtungserklärung war auch klar geregelt, was passiert, wenn wir positiv getestet werden: Entweder Quarantäne im Beherbergungsbetrieb oder sofortige Abreise im PKW. Auch aus diesem Grund war die Idee, diesmal mit dem Auto zu fahren, statt den Zug zu nehmen, die richtige Entscheidung, auch wenn ich persönlich in „normalen“ Zeiten lieber Zug statt Auto fahre und Bahnreisen natürlich nachhaltiger sind.
Ein paar Tage vor der geplanten Abfahrt kontaktierte ich unser Hotel in der Schlei-Region. Dieses meldete sich zurück und sendete eine ähnliche Verpflichtungserklärung wie unsere Vermieter auf Amrum. Diese musste innerhalb von 48 Stunden zurückgeschickt werden – ansonsten wäre der Beherbergungsvertrag gegenstandlos gewesen. Also schnell das Blätterwerk durchgelesen, ausgedruckt, unterschrieben, mit dem Handy abfotografiert und zurückgeschickt. Die Reise sollte jetzt nicht am Papierkram scheitern.
Dann das erste Mal seit Monaten endlich wieder Packen, denn die Reise durfte tatsächlich angetreten werden, da unser Test, den wir in einer Mainzer Apotheke machten, negativ war. Diesen schickten wir, wie vereinbart, an unser Hotel in der Schlei-Region. So ganz konnte ich es allerdings immer noch nicht fassen, dass es endlich losgehen konnte.
Auf der Autobahn nach Norden war tatsächlich relativ wenig Verkehr – schließlich galt ja eigentlich immer noch ein Lockdown und in den meisten Regionen Deutschlands mittlerweile die Bundesnotbremse. Je näher wir der Landesgrenze zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein kamen, desto mehr fielen uns die vielen Autokennzeichen aus allen Teilen Deutschlands auf – Bayern war eindeutig Spitzenreiter – und Schleswig-Holstein zu diesem Zeitpunkt Ende April das einzige Bundesland, das sich teilweise für Tourist*innen öffnete.
Dann die Ankunft im Hotel: Das letzte Mal, dass wir in einem Hotel in Deutschland übernachteten, datierte auf Anfang September 2020, als wir den Mainradweg von Mainz bis Würzburg radelten. Die FFP2-Maske auf, die Tür geöffnet, die Hände desinfiziert und gespannt gewesen, was jetzt passiert. Schließlich gab es Weltregionen während der Pandemie, in denen Tourist*innen alles andere als mit offenen Armen empfangen wurden – galten sie doch machen als Treiber der Pandemie. Meine Bedenken waren aber unbegründet. Die Dame an der Rezeption, die uns mit Maske hinter der Plexiglasscheibe freundlich begrüßte, überprüfte in ihren Unterlagen, die von uns eingereichten negativen Testergebnisse und die unterschriebenen Verpflichtungserklärungen. Sie händigte uns den Schlüssel aus und erklärte uns das Prozedere fürs Frühstück.
Jede Modellregion in Schleswig-Holstein hatte, genauso wie für Testintervalle, ein eigenes Konzept, das auch wissenschaftlich begleitet wurde. Durch die unterschiedlichen Handhabungen, auch was das Öffnen von Innengastronomie angeht, versprach man sich genügend Daten, um daraus Schlüsse für das ganze (Bundes)Land zu ziehen. In der Schlei-Region war vorgesehen, das Frühstück auf dem Zimmer einzunehmen. Wir empfanden diese Regel als sehr beruhigend. Schließlich wollten wir wieder reisen – aber nicht zu jedem Preis. Wir wollten uns einer zusätzlichen Ansteckungsgefahr durch diese Reise nicht aussetzen. Ob wir nun in einem Supermarkt in Schleswig-Holstein (mit Inzidenz 30) oder in Mainz (mit Inzidenz weit über 100) einkaufen würden, sprach ja sogar eher für Schleswig-Holstein. Aber ein Frühstück gemeinsam mit anderen Gästen in einem geschlossenen Raum wäre uns zu riskant gewesen. Schließlich sind Schnelltests höchstens tagesaktuell einigermaßen sicher. Aber die geforderten Testintervalle für Übernachtungen lagen bei 48 bis 72 Stunden.
Worauf wir uns neben der Übernachtung in einem Hotel auch ewig gefreut haben, war die Möglichkeit, endlich wieder Essen zu gehen. Dabei waren die Voraussetzungen an diesem April-Abend alles andere als einladend: Es war kalt, es regnete, es war windig – und dennoch genossen wir es, mit unseren mitgebrachten Klapprädern am Ostseefjord Schlei ein paar Kilometer zu einem Biergarten zu fahren, der ein großes Zelt aufgestellt hatte, bei dem alle vier Seiten geöffnet waren und es somit als „außen“ galt. Vor dem Betreten des Zelts, setzten wir zum ersten Mal die Luca App ein. Schnell den QR-Code abgescannt und schon waren wir im Biergarten eingecheckt und konnten die Speisekarte durch Scannen eines weiteren Codes auf dem Smartphone in aller Ruhe studieren. Die Luca-App wird von vielen Menschen, die sich mit Datenschutz auseinandersetzen, kritisch betrachtet. Der Landesbeauftragte von Rheinland-Pfalz bezeichnete in der Allgemeinen Zeitung Mainz vom 22. Mai 2021 die „Luca-App besser als Zettelwirtschaft“ und hält die Anwendung aber für nutzbar.
Bereits seit Mitte April hatte die Außengastronomie in Schleswig-Holstein landesweit wieder geöffnet – generell war die Nutzung der Luca-App die einzige Bedingungen, um wieder Essen und Trinken außer Haus auf Mehrweggeschirr zu sich zu nehmen. Tests waren grundsätzlich nicht vorgeschrieben. Die Tische im Zelt standen in weitem Abstand und aufgrund der Wetterbedingungen waren wir fast die einzigen Gäste an diesem Abend. Wir genossen es aber trotzdem, endlich mal wieder auszugehen. Speis und Trank waren zudem sehr lecker – so startete die Reise wirklich wunderbar. Nach dem Verlassen des Biergartens mussten wir uns noch schnell in der Luca App auschecken – dazu wurden wir auch mittels Push-Mitteilung entsprechend bereits nach einer halben Stunde im Biergarten hingewiesen. Den Einsatz der Luca-App empfinden wir weder als störend noch als kompliziert.
Am nächsten Morgen stand das Projekt „Frühstück holen“ an. Maskiert ging es hinunter in den Frühstücksraum. Dort war schon unser Tablett vorbereitet. Am Vorabend konnten wir unsere Sonderwünsche (vegetarische Speisen) nennen und alles war auf dem Tablett wunderbar „eingedeckt“. Käse, Ei, Marmelade und Honig, Brötchen, Besteck und Geschirr. Die Thermoskanne Kaffee bzw. heißes Wasser gab es „obendrauf“. Aufgrund der geräumigen Zimmer mit zwei Stühlen und einem großen Tisch war das Frühstücken traumhaft angenehm. Diesen Test haben das Hotel und das Frühstück bei uns auf jeden Fall bestanden.
Wer diesen Blog schon länger verfolgt, weiß, dass wir gerne zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind. Dazu kaufen wir uns oft Wanderführer, die es mittlerweile für fast jede Region Deutschlands gibt. Allerdings macht es natürlich nicht viel Sinn, für eine Region, in der man nur einen Tag bleibt, einen neuen Wanderführer zu kaufen. So entdeckten wir dank des Ostseefjords Schlei eine neue Art, der Tourenvorbereitung: In der App „Komoot“ hat der Tourismusverband der Region so genannte „Collections“ hinterlegt. Diese können von registrierten Anwender*innen eingesehen werden. Die Wanderroute ist auf einer guten Karte hinterlegt und die Tour kann mit Hilfe des Smartphones abgegangen werden. Eine Wunschregion kann gratis heruntergeladen werden, falls man in Regionen unterwegs ist, bei denen man keine Flatrate oder keinen Mobilfunkempfang hat. Alle Weltregionen gibt es für einmalig ca. 30 Euro zum Download.
So starteten wir zu einer der in den Collections vom Ostseefjord Schlei hinterlegten Touren. Auf dem dreistündigen Rundweg sind wir nur wenigen anderen Wander*innen begegnet. Wir genossen die weite, offene Landschaft und konnten wunderbar abschalten. Corona war plötzlich ganz weit weg.
Für den Freitagabend hatten wir bereits Tage zu zuvor von Mainz aus per WhatsApp einen Platz in einem Restaurant in Schleswig reserviert, da wir davon ausgegangen waren, dass die Außengastronomie in einer solch hübschen Stadt an einem Freitagabend nach so viel Monaten des Lockdowns wohl vollkommen überlastet sein würde – das Gegenteil war der Fall. Viele Plätze blieben auch an diesem Abend leer. Abholung und Lieferservice dominierten auch weiterhin in unserem Restaurant. Die Menschen hatten sich wohl im Lockdown eingerichtet und zögerten noch, wieder Speisen in einem angenehmen Ambiente an der zugegebenermaßen sehr frischen Luft zu genießen.
Am nächsten Morgen, dem 1. Mai, war es nun auch in Nordfriesland soweit. Der Landkreis mit seinen Inseln öffnete sich wieder für Tourist*innen. Wir befürchteten einen Dauerstau auf der Landstraße nach Dagebüll, doch nur wenige Autos mit auswärtigem KfZ-Kennzeichen fuhren in Richtung Fähranleger. Allerdings gab es bereits zwei Wochen vorher für die avisierte Mittagsfähre keinen Autostellplatz mehr. Wir entschieden uns daher, das Auto in Dagebüll zu lassen und vielmehr unsere Klappräder mit rüber nach Amrum zu nehmen. Das war natürlich auch die wesentlich nachhaltigere Variante.
Bevor wir übersetzen wollten, stand der nächste Schnelltest an. Glücklicherweise gab es sowohl am Fähranleger als auch am Parkplatz in Dagebüll Testmöglichkeiten. Ein verpflichtender Test, um die Fähre zu nehmen gab es allerdings nicht. Vielmehr mussten wir uns testen lassen, um in unser Ferienhaus hineinzukommen. Tage zuvor hatten wir uns bereits für die Teststelle am Fähranleger online registriert und die dazu notwendigen Papiere ausgedruckt und ausgefüllt. Am Testzentrum angekommen hatte man allerdings in der Zwischenzeit komplett auf digitale Erfassung umgestellt. Ein QR-Code musste eingescannt werden und danach konnten wir die Daten im Smartphone eintippen und absenden. Ein Bestätigungscode wurde per SMS zurückgeschickt. Nach der Eingabe erhielten wir auf unserem Smartphone einen individuellen QR-Code, den wir zur Testung bereit halten mussten. Anwenderfreundlicher geht es eigentlich nicht. Allerdings hatten einige Menschen, die mit Smartphones nicht so vertraut waren, ihre Probleme. Dafür stand hilfsbereites Personal zur Verfügung, so dass alle Reisenden umgehend an ihren Test kamen, da mehrere Testcontainer geöffnet hatten.
Zum Testen rät sich ein paar Münzen für die Kaffeekasse mitzubringen, denn ich empfand es wirklich als Privileg, endlich wieder reisen zu dürfen. Dass die Modellregionen ihren Test starten konnten liegt auch an den vielen Menschen, die dieses Testsystem innerhalb kürzester Zeit aufgebaut haben. Da darf auch gerne mal ein Trinkgeld gezahlt werden. Das Testergebnis (negativ) wurde rund 15 Minuten später direkt aufs Smartphone geschickt und wenig später ging es dann auch schon auf die Fähre.
Bisher ließen sich auf dieser Reise zusätzliche Kontakte wunderbar vermeiden – vor allem in geschlossenen Räumen. Das sah auf der Fähre ein bisschen anders aus. Unsere Klappräder konnten wir im Freien auf dem Autodeck abstellen. Um allerdings auf das Sonnendeck zu gelangen, mussten wir drei Etagen im Innenbereich der Fähre hinaufsteigen. Natürlich galt hier Maskenpflicht, die auch von allen praktiziert wurde. So war es möglich, den Innenraum innerhalb von ein paar Minuten nach oben hin zu durchqueren.
Trotz Wind und Regen hielten wir uns auf dem offenen Deck auf – was allerdings nur wenige andere Gäste ebenfalls machten. Gleichzeitig war das Bordrestaurant geöffnet. Das war für uns ein Punkt, den wir nicht ganz verstanden. Gegebenenfalls ungetestete Menschen hielten sich für maximal 90 Minuten in einem geschlossenen Raum auf, um ohne Maske Essen und Trinken zu sich zu nehmen. Das war uns persönlich zu riskant.
Natürlich soll es in einer Pandemie Regeln geben. Gleichzeitig sollte aber auch der gesunde Menschenverstand eigentlich für eine gewisse Eigenverantwortung sorgen. Daher blieben wir auf dem Sonnendeck und stiegen bei der Ankunft in Amrum auch erst die Etagen zu den Rädern hinab, als die Innendecks bereits geleert waren. So war es wieder möglich, diesen Bereich innerhalb von einer Minute zu durchqueren.
Mit Sack, Pack und Rad marschierten wir in Wittdün auf Amrum die wenigen hundert Meter zu unserem Ferienhaus. Das Testergebnis hatten wir unseren Vermietern bereits von der Fähre aus per WhatsApp zugeschickt. Auf Amrum war es unsere Pflicht, nun jeden zweiten Tag einen Test zu machen und das Ergebnis wieder an die Vermieter zu übermitteln. Dazu hatten wir bereits Termine in einer Apotheke in Wittdün eine Woche vor der Ankunft reserviert. Innerhalb der letzten Woche vor der Öffnung wurden allerdings weitere Testzentren auf Amrum etabliert, so dass alle drei Gemeinden auf Amrum Gästen kostenlose Testmöglichkeiten anbieten konnten – natürlich auch sonn- und feiertags.
Wie in der gesamten Modellregion Nordfriesland üblich, waren auch auf Amrum die Innenräume der Gastronomie geöffnet. Anders als auf der Fähre musste zum Besuch allerdings ein tagesaktuelles negatives Testergebnis präsentiert werden. Das galt auch für die Außengastronomie und natürlich auch für Insulaner*innen. Auch das Personal wurde täglich getestet. Trotzdem saßen wir in Amrum immer draußen. Uns persönlich war es zu riskant, innen zu speisen.
Doch zunächst mussten wir in Erfahrung bringen, welche Lokale überhaupt geöffnet waren. Der Landkreis Nordfriesland hatte dazu ein „Board“ erstellt, welches er am 28. April auf seiner Facebook-Seite mit einem Post vorgestellt hat. Allerdings ist diese Übersicht bis heute nicht über Smartphones einsehbar. Anhand dieser Liste, die wir auf dem Laptop einsehen konnten, war dann die Wahl der Restaurants möglich. Als Reisende, die auf Fisch und Fleisch verzichten, sind aussagekräftige Speisekarten essenziell. Leider haben das noch nicht alle Gastronom*innen auf dem Schirm. Und leider bieten auch viele Restaurants immer noch nur ein „vegetarisches Quotengericht“ an. Das schränkte die Auswahl der Restaurants bereits ein wenig ein.
Es wurden allerdings auch Faktoren wichtig, die vor der Pandemie nicht so wirklich zählten. Ein Dach über dem Kopf zum Beispiel, sprich eine Außengastronomie, die auch bei Regen genutzt werden kann. Ein Windschutz ist an der Nordsee auch keine schlechte Idee und Personal, das motiviert ist, auf die aktuellen Umstände einzugehen, ist auch nicht verkehrt, zum Beispiel wenn es um die Versorgung mit Decken geht. Schließlich war es die erste Mai-Woche über doch ziemlich frisch auf Amrum.
Auf dieser Insel wurde der anfangs angesprochene Pragmatismus wunderbar gelebt. Zwar mussten tatsächlich immer Termine für den nächsten Schnelltest gebucht werden. Da aber Anfang Mai das Testangebot die Testnachfrage eindeutig überstieg, durften wir auch schon mal eine oder zwei Stunden vor dem eigentlichen Termin die Maske absetzen, damit in unserer Nase ein Abstich vorgenommen werden konnte. So ließen sich die Tests wunderbar in das Tagesprogramm einbauen. Das ist natürlich in der Hochsaison sicherlich nicht möglich – aber so lange es die Kapazitäten zulassen, ist dieser Pragmatismus einfach angenehm.
Wunderschön waren die Tage auf Amrum auch durch die Gründe, die bereits vor der Pandemie für die Beliebtheit dieser Insel sprachen: Die Weite der Landschaft mit ihren unzähligen Dünen, Wäldern, Tümpeln, Teichen und Seen. Oder der breite Kniepsand-Strand, der gefühlt die Hälfte der Insel bedeckt. Die idyllischen Dörfer und das sich ständig verändernde Wattenmeer sowie die vielen gefiederten Bewohner taten ein übriges, dass wir uns hier sehr wohl fühlten.
Es war auf Amrum tatsächlich möglich, abzuschalten. Natürlich galt es morgens beim Bäcker die Maske aufzusetzen, die Luca-App zu nutzen und sich regelmäßig testen zu lassen. Aber das waren alles Kleinigkeiten, die wir gerne für den Aufenthalt auf der Insel in Kauf nahmen.
Auch wenn wir die autofreien Ostfriesischen Inseln wie bspw. Baltrum lieben – haben uns die Autos auf Amrum nicht gestört. Die zahlreichen Wanderwege sind so angelegt, dass wir praktisch nie die Straße queren mussten. Für Radfahrende stehen zwei Nord-Süd-Routen zur Auswahl, bei denen man nur am Anfang und am Ende auf einer Straße entlangradeln muss. Der Verkehr war so gering, dass es tatsächlich ein Miteinander der Teilnehmenden am Verkehr problemlos möglich war.
Nach ein paar Tagen auf Amrum stand für uns fest, dass wir keine sonderlich große Lust hatten, allzu schnell wieder in das von der Bundesnotbremse betroffene Mainz zurückzukehren. Stattdessen entwickelte sich unsere Reise zu einem Road Trip durch Schleswig-Holstein. Nach der Woche Amrum blieben wir noch zwei Tage in Nordfriesland und machten in Husum Station. Dort nahmen wir einen Hotelservice der besonderen Art in Anspruch. Statt geschlossenem Wellness-Bereich stand ein hoteleigener Corona-Test zur Verfügung. Während wir in Mainz und auf Amrum bereits zwei Varianten des Nasenabstrichs kennengelernt hatten (einmal tief in die Nase gefühlt bis ins Hirn und einmal im vorderen Nasebereich), war hier der Spucktest angesagt. Das war in der Theorie natürlich die angenehmste Variante, denn das Nasenkitzeln ist natürlich alles andere als eine tolle Erfahrung. Man möchte die Tester*innen ja auch im schlimmsten Fall nicht noch als Dank für ihre Arbeit annießen (obwohl man natürlich in die Armbeuge nießen soll). Aber für den Spucktest muss erstmal genug Spucke vorhanden sein, diese muss auch zielgerichtet ins Röhrchen gelangen und letzteres soll natürlich beim Verschließen auch nicht überlaufen. Unser Favorit war danach eindeutig der Nasenabstrich im vorderen Teil des Riechorgans.
Eine weitere Neuerung wartete in Husum auf uns. Wir hatten eine Reservierung für ein Restaurant gemacht, in der Annahme, dass nur der Außenbereich geöffnet sei. Schließlich stellte sich heraus, dass wir im Innenbereich Platz nehmen sollten. Das war uns, wie bereits erwähnt, zu riskant und wir hatten daher bereits eine Stunde vorher angefragt, ob wir auch in einem Strandkorb draußen Platz nehmen dürften. Das wurde vorab bejaht, später bei unserem Erscheinen dann vom Chef verneint. Pragmatismus ist nicht jedem in die Wiege gelegt und wir waren froh, nach ein paar Minuten Suche auch am Samstagabend noch ein Pub gefunden zu haben, das uns draußen einen trockenen Platz ohne Reservierung anbieten konnte.
Am nächsten Morgen die nächste Überraschung. Es sollte Frühstückbüffet geben. Das Besorgen von Essen mit Maske störte uns wenig, aber auch hier hatten wir ein mulmiges Gefühl, da ja im Frühstücksraum mehrere Menschen gemeinsam ohne Maske gegessen hätten. Und wir alle hätten dort mit Tests sitzen können, die weitaus älter als 24 Stunden waren, während vor der Hoteltür 24 Stunden am Tag Maskenpflicht galt. Auch hier siegte am Ende der Pragmatismus des Hotelpersonals. Wir fanden eine Lösung, die dem Personal nicht zu viel Aufwand bereitete und uns das Gefühl der relativen Sicherheit gab.
Da wir uns am Ostseefjord Schlei mit seinem Sicherheit- und Hygienekonzept so wohl gefühlt hatten, verbrachten wir noch ein paar erholsame Tage an der Schlei-Mündung in der Nähe von Kappeln. Es war in der Zwischenzeit gar nicht mehr so einfach, eine Herberge zu finden, da fast alles ausgebucht war. Glücklicherweise waren wohl immer mehr Übernachtungsbetriebe davon überzeugt, dass es was wird mit dem Modellprojekt. Und so kamen wir in einem Gasthof unter, der tatsächlich erst drei Wochen nach dem Start des Projekts in der zweiten Mai-Woche öffnete und dadurch noch kurzfristig ein Zimmer für uns hatte. Auch hier gab es wieder das Frühstück auf dem Zimmer, das wir uns zuvor an einem Büffet mit Bedienung zusammenstellen konnten. So konnten wir mit gutem Gefühl jeden Morgen den Tag gut gestärkt beginnen, ehe es dann doch wieder irgendwann zurück nach Mainz gehen musste…in einen Landkreis mit geschlossener Gastronomie und Ausgangssperre um mittlerweile 22 Uhr für Ungeimpfte wie wir es sind.
Fazit: Jeder Mensch hat ein anderes Sicherheitsempfinden. Die wenigen Situationen, in denen wir uns unwohl gefühlt haben, konnten wir entweder mit Hilfe von Pragmatismus durch das Hotelpersonal lösen oder durch optimiertes „Zeitmanagement“ auf der Fähre, in dem wir allen anderen den Vorrang beim Aussteigen ließen. So war es für uns persönlich möglich, eine wunderbare Reise durch Schleswig-Holstein zu verbringen. Dass Mobilität gleichzusetzen ist, mit erhöhter Gefahr, sich und andere anzustecken, wenn man praktisch nur an der frischen Luft unterwegs ist und die ansonsten die AHA-Regeln einhält, gilt mittlerweile ja auch als wiederlegt.
Wir wurden zehnmal getestet – zehnmal negativ. Wir empfanden es als ein Privileg, die erste Maihälfte zu reisen – ungeimpft aber trotzdem mit einem guten Gefühl der Sicherheit – den Testmöglichkeiten und dem zumeist gelebten Pragmatismus der sehr offenen und freundlichen Menschen Schleswig-Holsteins sei Dank.
Transparenz: Alle Kosten für Transport, Essen, Trinken und Übernachtung wurden selbst bezahlt. Die Komoot-App nutze ich in der Gratis-Version. Die Werbung für die Komoot- und Luca-App erfolgt unbeauftragt und unbezahlt.