Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!
01 Hin und weg:
Der Spielplan bereitet Stadiongänger:innen in dieser Spielzeit ziemliche Kuriositäten. Nicht nur die Doppelungen in Liga und Pokal, erst gegen Bielefeld und demnächst im Januar gegen Bochum, sondern auch die Tatsache, dass es praktisch im Zwei-Wochen-Rhythmus in diesem Herbst nach NRW den Rhein hinunter zum Auswärtsspiel ging, ist ein bizarrer Umstand. Eine gewisse Routine sollte sich da einstellen – eigentlich, oder gar zu viel Routine? Die Bahn traf am Samstagmorgen keine Schuld, dass es wieder „abwechslungsreich“ wurde. Ich war mit den Gedanken bei einer beruflichen Sache, die ich unbedingt noch schnell im Mainzer Hauptbahnhof erledigen wollte und bemerkte nicht, dass ich am falschen Gleis auf den ICE nach Dortmund wartete. Erst eine Minute vor der Abfahrt schaute ich vom Display meines Smartphones hoch, entdeckte den pünktlichen Zug am Nachbargleis und hörte schon das Piepen der Zugtüren. Ich sprintete zwar noch die Treppe hoch, der Zug war auch noch auf der Anzeigetafel zu sehen, aber ich hörte schon das Geräusch des anfahrenden Zugs. Dumm gelaufen Christoph! Was tun?
Durch die Zugbindung meines Sparpreises war mir klar, dass das jetzt ein ziemlich teurer Ausflug nach Ostwestfalen werden würde – aber egal, es ist Spieltag, nach 15 Jahren geht es endlich wieder auf die Alm und nur weil ich zu blöd bin, mich zum richtigen Gleis zu begeben, mache ich jetzt keinen Rückzieher. Finanziell tat es natürlich sehr weh, ein komplett neues Ticket zum Flexpreis zu erstehen – zumal noch über die ICE-Schnellstrecke Frankfurt-Flughafen – Köln, da der Zug, der eine Stunde später die Rheinstrecke fahren sollte, schon als verspätet angezeigt wurde. Die Auswärtssucht hatte über drohende Leere im Geldbeutel gesiegt.
02 (N)immer nuff:
Nach Bielefeld hatte ich es bisher zweimal geschafft, 2005 und 2006. Damals bin ich jeweils mit Freunden im Auto nach Ostwestfalen gedüst, bei meinem ersten Besuch auf der Alm gab es vor 16 Jahren noch eine Reifenpanne obendrauf – zusätzlich zu den zwei Elfmetern gegen uns, die damals das Spiel entschieden – nach einer langen Woche, die in Rostock im DFB-Pokal startete, auf Island im Rahmen der Europa-League-Quali weiterging und in Bielefeld ihr Ende fand. Somit kam es wie beim Gastspiel in Sinsheim in dieser Saison wieder zu einer Premiere – die Anreise mit der Bahn und somit auch erstmals die Ankunft am Bielefelder Hauptbahnhof. Dieser sah so ähnlich aus, wie der Triumphbogen in Paris vor ein paar Wochen – er war Christo-Style-mäßig komplett verhüllt. Statt französischer Eleganz versprühten die Bauplanen deutsche Gründlichkeit im verregneten Herbst.
Da ich zur ursprünglichen Ankunftszeit die Stadt erreichte, hatte ich nun genug Zeit, ein wenig die Metropole Ostwestfalens kennenzulernen. Bielefeld war trubelig – wie alle Großstädte Deutschlands am Samstagmittag. Mein Ziel, das „Miezhaus“ etwas außerhalb der Altstadt, erreichte ich nach wenigen Minuten zu Fuß.
Mittlerweile gibt es in Deutschland viele Katzencafés, die auf Auswärtsfahrten besucht werden können. In Leipzig und München hat es sich bereits ergeben, den dortigen Vierbeiner:innen im Rahmen eines Erstligaspiels einen Besuch abzustatten – genauso wie in Hamburg – der dortige Besuch ließ sich allerdings aus sportlichen Gründen nicht mit einer Bundesligapartie verbinden, das ist allerdings ein anderes Thema…
In den Katzencafés sind die Fellnasen aus der Tiervermittlung die Stars. Durch eine Schleuse ging es in den Innenraum – schließlich möchte man verhindern, dass die Tiere durch die Haustür auf die Straße entweichen und im schlimmsten Fall gleich plattgefahren werden. Im Miezhaus wurde auch auf das Dorf Sentana aufmerksam gemacht. Ein Gnadenhof, auf dem alten, kranken und geretteten Tieren, die keine andere Vermittlungschance mehr haben, ein sicheres Zuhause geschenkt wird. Natürlich gab es für diese Initiative eine kleine eigene Saisonspende. Und vielleicht dauert es nicht wieder 15 Jahren bis zum nächsten Auswärtsspiel in Bielefeld. Dann lässt sich vielleicht vorkicks ein Besuch dieses Hofs arrangieren, schließlich sind dort Gäste willkommen.
03 Kon-Trolle
Nach einem Snack im Miezhaus ging es im Nieselregen schnellen Schrittes durch die Stadt an schönen Häusern entlang zur Bielefelder Alm. Anders als die meisten Stadien der Republik liegt diese mitten in einem Wohngebiet. Es geht an Schrebergärten hindurch auf einen Ascheplatz, ab dem die Maskenpflicht galt und die 3G-Regeln akribisch mit Check des Personalausweises überprüft wurden. Für die 400 mitgereisten Fans war genügend Personal vorhanden, so dass der Check innerhalb von ein paar Sekunden erledigt war. Alles in allem ein ziemlich lässiges Unterfangen.
In der Pandemie wurde viel über den Profifußball geschimpft – auch von mir. Aber sowohl in Hoffenheim und Leverkusen wie in Dortmund und nun in Bielefeld und zu Hause in Mainz wurden bzw. werden die Kontrollen mittlerweile professionell durchgeführt – da könnten sich viele Gastrobetriebe in der Republik eine Scheibe abschneiden.
04 Kampf um den Mampf
An dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle, die mir zu den letzten Spätlesen im Stadion oder über Kigges Feedback gegeben haben. Ein Kritikpunkt war die allzu ausführliche Beschreibung von Essen und Trinken. Natürlich fahren wir alle nicht hunderte von Kilometern, um Getränke aus Ein- oder Mehrwegbechern zu konsumieren und Wurst oder Vurst zu futtern. Wer aber den ganzen Tag damit verbringt, seinen geliebten Fußballsportverein in alle Winkel der Republik nachzureisen, für den ist das kulinarische Angebot im Stadion ein wesentlicher Bestandteil des Vergnügens – gerade, wenn man vorkicks keine Gelegenheit hat, so nette Cafés wie das Miezhaus zu besuchen.
Dass Essen und Trinken wichtig ist, dachten sich auch die Verantwortlichen der Arminia nach dem letzten Heimspiel gegen den BVB. Dort scheint es eine Panne bei den Kassen gegeben zu haben, so dass nichts gekauft werden konnte. Daher gab es diesmal Bier und Wurst günstiger – und das auch im Gästeblock, obwohl wir von der Panne ja gar nicht betroffen waren.
Meine in dieser Spielzeit übliche Saisonspende, die u.a. davon abhängig ist, ob eine vegetarische Speise günstiger ist als Wurst oder Bulette ließ sich so nicht wirklich ermitteln, da die Bratwurst mit 2,50 €, die Pommes mit 3.00 € und die Brezel preislich gar nicht ausgeschildert war. Das Bier gab es für 3,50 € zzgl. 1 Euro Becherpfand – obwohl 4,70 € angeschlagen war. Alles etwas undurchschaubar – gut, dass bereits vorkicks 2 € Sondersaisonspende an den Gnadenhof Sentana flossen.
Der vergitterte Bierausschank erinnerte mich ein wenig an die Kneipen Kenias, in denen es das „Tusker Lager“ auch immer nur durch die Gitterstäbe gibt – eine schöne Erinnerung an mein geliebtes Afrika und einer von ein paar netten Impressionen aus der Bundesliga abseits der Copy-Paste-Arenen.
05 Käfighaltung
Diese schönen Eindrücke setzen sich beim Betreten des Gästeblocks fort. Dieser liegt mittlerweile komplett auf der Hintertortribüne, anders als beim letzten Gastspiel vor 15 Jahren, als sich der Stehplatzbereich in einer Ecke der Gegengeraden befand, der Sitzbereich aber auf der Hintertortribüne. Damals kauften die Supporters die Sitzplätze auf, da man aus dem Stehblock ähnlich wie im Dreisamstadion in Freiburg eine extrem schlechte Sicht aufs Spielfeld hatte. So schön die Aktion auch war – genutzt hat es damals nichts, denn es gab nichts wirklich Schönes zu sehen – Nullfünf verlor damals 0:1.
Während in den neuen Copy/Paste-Arenen der Eckenbereich abgerundet ist, dominiert in Bielefeld noch der Kubismus – von einem Großteil des Stehplatzbereichs blickt man auf die Gegengerade mit Arminia-Fans. Das Tor der Hintertortribüne sieht man praktisch gar nicht. Dafür gibt es oben einen Ausgang mit herrrlichem Blick auf die Kleingartenanlage und die Bielefelder Vorstadt. Ganz unten im Gästeblock gibt es allerdings eine Ecke, von der man das Tor erblicken kann – und damit Jonnys herrlich erorberten Sturmlauf zum Siegtor wunderbar mitbekam – ehe der Gästeblock gepflegt eskalieren konnte.
Fazit: Der Jahrgang 2021/2022 zeigt, dass 15-jährige Reife die Auswärtssucht sehr zufrieden stellen kann. Die bisher beste Spätlese der Saison – prost!
Rot-weiße Grüße,
Christoph – Meenzer on Tour