Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!
01 Hin und weg:
Freitag abends halb neun in Wolfsburg ist sicherlich die denkbar unangenehmste Spielansetzung, seitdem die unsäglichen Montagsspiele abgeschafft wurden (aber leider am 2. Mai nochmals Auferstehung feiern). Nach 17 Jahren auswärts Fahren habe ich auch keine Lust mehr, um 3 oder 4 Uhr nachts zurück auf die richtige Rheinseite zu gelangen. Aber in Wolfsburg übernachten? Geht rein theoretisch, aber die Hotels sind vergleichsweise teuer. Also ging es für mich zunächst mit dem ICE nach Braunschweig, wo es für die Hälfte der Wolfsburger Preise ein gutes Hotel gab, das auch noch direkt gegenüber des dortigen Hauptbahnhofs liegt. Innerhalb einer Stunde schnell die Sachen ins Zimmer gebracht, ging es mit dem nächsten ICE weiter nach Wolfsburg. Dabei steht natürlich immer die bange Frage im Raum, ob die lokführende Person tatsächlich einen Halt auf dem Weg in die Hauptstadt einlegt. In der Vergangenheit hielten sich da einige nicht an den fahrplanmäßigen Stopp. Daher war ich natürlich froh, dass beim Vorbeirauschen an hunderten nagelneuer PKWs plötzlich die Bremensen quietschten und ich zwei Stunden vor Anpfiff am ausgestorbenen Bahnsteig aussteigen konnte.
02 (N)immer nuff:
Da zwischen Hauptbahnhof – ja, es gibt wirklich einen Hauptbahnhof – und Stadion nur der Mittellandkanal zu überqueren ist, verzichete ich diesmal auf ein Klapprad. Eben dieses Gewässer sorgt beim VfL Wolfsburg dafür, dass der Club pro Jahr 11 Millionen Liter Trinkwasser spart, indem die Plätze mit Grauwasser bewässert werden. Anders als das Thema Energieeffizienz, das aktuell in aller Munde ist, wird im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit Wassereffizienz praktisch nie genannt. Hier geht der VfL Wolfsburg in der Liga wirklich vorbildlich voran. Auch auf anderen Gebieten ist der Club zugegebenermaßen in Sachen Nachhaltigkeit fast so gut wie sein Frauenteam im Fußball.
03 Kon-Trolle
Das „Wolfsburger Modell“, was das Bier angeht, hat auch die Pandemie überdauert. Vor dem Einlass gibt es richtigen Gerstensaft, der allerdings noch vor der Kontrolle geleert werden muss. Dahinter gibt es nur alkoholfreie Getränke, was angesichts des Spielverlaufs die eine oder den anderen vor eine große Herausforderung gestellt haben könnte. Das Spiel schön trinken oder Frustsaufen war im Gästeblock nicht möglich.
04 Kampf um den Mampf
Der Spieltag wurde vom VfL unter das Motto „Diversität“ gestellt. Es gab Pfandbecher, Banner und Logos in Regenbogenfarben. Der Mittelfeldkreis wurde vom Platzwart in ein Friedenssymbol umgewidmet und am Essensstand gab es eine große Enttäuschung. Während die Currywurst in der VW-Kantine mittlerweile durch eine vegane Variante ersetzt wurde, gab es im Gästeblock die altbekannte Version aus Fleisch. Es sei denn, es wurde nicht angegeben, dass sie vegan ist, was ich stark bezweifle. Dazu gab es Schnitzel und Bratwurst im Brötchen. Letztere war mit 3,20 Euro die günstigste Speise im Block. Alterantiv gab es eine Brezel für 3,50 Euro. So hält es also Wolfsburg mit der Verschiedenheit bei den Essgewohnheiten von Auswärtsfans. Es ist einfach immer wieder lustig bis peinlich, wie sich Fußballvereine eines Themas versuchen anzunehmen und dann bereits an den Basics scheitern. Wie immer geht es nicht darum, dass hier jemand auf seine Wurst aus Fleisch verzichten soll. Menschen, die entweder aus Gründen des Geschmacks, der Gesundheit, des Klimaschutzes und/oder des Tierwohls auf Fleisch als Nahrung verzichten nur eine trockene Brezel anzubieten, die auch noch teurer als die Wurst ist, ist an Ignoranz nicht zu überbieten. Dann lob ich mir am Ende ja fast lieber einen Präsidenten, wie den von Union, der das ganze Thema als Gedöns abtut und sich wenigstens ehrlich positioniert.
05 Käfighaltung
Die Ankunft im Gästeblock hatte was von Dorfdisco um drei Uhr morgens. Die Auswahl der Musik war gut, sie war nur viel zu laut und auf der Tanzfläche aka Tribüne war nichts los. Der Vorteil des Wolfsburger Gästeblocks ist die breite Tanzfläche zwischen Wurstbude und Stehbereich. Dort wurde tatsächlich vorkicks klassisch getanzt, denn als Nullfünfer*in möchte man wenigstens bis zum Anpfiff ein Erlebnis haben, an das man sich auch nachkicks noch gerne erinnert. Ähnlich wie in Augsburg war schon nach einer Viertelstunde der Drops quasi gelutscht aber das war nur der Startschuss für die Meute im Block, so richtig loszulegen. „Nullfünf, Nullfünf, Nullfünf, Nullfünf“ hallte es minutenlang in die Halbzeitpause rein. Die zweiten 45 Minuten wurden mit einem netten „Aus…Aus…Auswärtssieg“ begonnen. Es folgte „Wir gewinnen, wir gewinnen, wir gewinnen sowieso!“, abgerundet durch „Mainz wird deutscher Meister, Mainz wird deutscher Meister, Mainz wird deutscher Meister nächstes Jahr!“. Genau dieser Humor holte mich so richtig ab. Zugegeben, ich hatte spätestens nach dem 4:0 zwischenzeitlich keine Lust mehr auf das Spiel. Ich tigerte oberhalb der Stehplätze hin und her und wurde wirklich durch die Gesänge wieder eingefangen. Dadurch, dass die Mannschaft in der zweiten Halbzeit nicht auseinander fiel und ein zweites Leipzig-Debakel verhinderte, erhöhte sich die Mitmachquote im Block von Minute zu Minute. Statt wie im Netz auf die Spieler einzuhauen, wurde im Stadion verbal munter weiter eingeheizt, weil wir alle einen an der Waffel ham‘. Und das „Auswärts fahren ist schön!“-Lied in der Dauerschleife mit Schaleinsatz war der Höhepunkt einer letztlich trotzdem gelungenen Auswärtsfahrt. Forza Moguntia!
Fazit: Der Jahrgang 2021/2022 zeigt die Diversität zwischen Geschehen auf dem Platz und der positiven Eskalation im Block.
Rot-weiße Grüße,
Christoph – Meenzer on Tour