Im Schatten der Dos‘

Was war das eigentlich für eine turbulente Woche, dass man in der Länderspielpause bis Samstagmorgen braucht, um sich einigermaßen zu sortieren? Jonny schaffte es am Wochenanfang mehr als verdient zum Kader der Nationalmannschaft zu stoßen und auch gleich eingewechselt zu werden, Dome stößt zur Wochenmitte sein Hardkohr-Image um, und rettet vermutlich einer älteren Frau das Leben und Klopp macht mal wieder sein ganz eigenes Ding und beschäftigt uns für den Rest der Woche.

Mit Klopp 2005 in Eriwan, Armenien

Bei allen drei Menschen dreht es sich um Geschichten von Helden, Vorbildern oder auch gefallenen Vorbildern. Die Bodenständigkeit von Jonny wird allgemein anerkannt, aber wenn es konkret wird, zum Beispiel beim Clean-up an der Arena oder bei der Begrünung von Ballfangzäunen, um die Biodiversität zu erhalten, hält sich der Applaus für ihn in Grenzen. Gerade bei solchen Aktionen im kleinsten Fankreis bei Themen, die nicht direkt mit dem Fußball zu tun haben, lernt man den Menschen ein bisschen kennen. Bei Dome scheiden sich die Geister seit eh und je –  vielleicht macht es bei ihm ja durchaus Sinn, zwischen dem Spieler und dem Mensch zu unterscheiden. Und immer wenn es um Klopp geht, ist man bei der AZ der Ansicht, dass das menschgewordene Chat GPT aus Mallorca, den Zeitungslesenden aus Mainz erklären muss, warum, wie und wann Kloppo etwas macht, also konkret diesmal wie er zu der Entscheidung kam, sich dem RB-Imperium anzuschließen.

Dass diese Annahme der AZ gar nicht so verkehrt ist, lässt sich daran erkennen, wie viele Menschen seine Entscheidung emotional bewegt hat. Wir Menschen haben den Drang, einige „Auserwählte“ unserer Spezies zu verklären und wie einen Messias hochzustilisieren. Erkennbar war das bei Klopp spätestens durch die „Jürgen, Jürgen!“-Rufe im Stadion – egal ob in Mainz fast im ganzen Rund oder im Dortmunder Gästeblock einmal pro Saison 05-Jahre lang. Und natürlich haben wir an einen solchen Messias Erwartungen – ich zum Beispiel damals in Köln 2008 eine schlagfertige Truppe auf den Platz zu bringen. Werden diese Erwartungen nicht erfüllt, sind wir enttäuscht. Über diese Enttäuschung konnte man in den letzten Tagen sehr viele Texte lesen. Darum soll es in diesem Blogpost nicht gehen – das bekommen andere viel besser hin. Diese Texte aber erzeugten viele Reaktionen – ein bisschen Zustimmung, aber auch sehr viel Ablehnung.

Was ich befremdlich finde, ist die Tatsache, dass sich viele Menschen mit dem RB-Imperium gar nicht auseinandersetzen. Für sie scheint der Brausekonzern ein normales Unternehmen zu sein, wie der Chemiegigant aus Leverkusen, die AG aus Wolfsburg oder Hopps Ex-Firma. Für viele scheint der Fußball einfach eine Branche zu sein, bei der viel Geld im Spiel ist – das bei RB genauso wie beim BVB, Hertha oder Werder halt „irgendwie“ von Investoren kommt. Und für viele Fans scheint RB Leipzig einfach ein ganz „normaler“ Verein zu sein, wie Mainz 05, der SC Freiburg oder der FC St. Pauli – nur mit weniger Fußballromantiker:innen. Das war die Erkenntnis, die mich seit Mittwoch sehr beschäftigt.

Beim RB-Konzern geht es um die Marke und Umsatzwachstum beim Verkauf eines Energydrinks. Alles andere wird diesen Punkten untergeordnet – auch der Fußball. Mit der Verpflichtung von Klopp will der Konzern das Image seiner Marke polieren. Das wird dem Konzern auch gelingen – außerhalb von Deutschland. Aber was ist schon Deutschland gegen den Rest der Welt? Und Klopp, der ja mittlerweile selbst eine polierte Hochglanzmarke ist, sieht darin wahrscheinlich eine Win-Win-Situation. Er kann seine Markenbekanntheit steigern – etwa in den RB-Filialen in Japan und Brasilien. Klopp als Marke wird in Deutschland womöglich verbrannt sein – dumm für seine Werbepartner, aber weltweit wird er damit sicherlich an Bekanntheit dazugewinnen. Aber das ist seine Sache.

Marken möchten für etwas stehen. RB möchte vermitteln, dass man mit Hilfe des Energydrinks Flügel bekommt und Grenzen überwinden kann. Darum sponsert RB auch zahlreiche Randsportarten mit Risikopotential für die Teilnehmenden. Allein zwischen 2008 und 2017 starben laut Deutschlandfunkkultur neun Athleten bei Extremsportveranstaltungen, die von RB ausgerichtet wurden. Das Image kann also zur tödlichen Falle für Menschen werden, die ihr eigenes Leben bei solchen Veranstaltungen riskieren.

Das Produkt selbst? Energydrinks stehen laut Brisant im Verdacht, krank zu machen. Bei regelmäßigem Konsum besteht die Gefahr von Herzkrankheiten wie Herzrhythmusstörungen und plötzlichem Herztod.

Und der Verein? Er bestand bei der Gründung 2009 laut RBlive aus sieben Mitgliedern. Der Verein lässt nur ausgewählte Menschen, die für RB tätig oder ihm nützlich sind, abstimmungsberechtigte Mitglieder werden. Mittlerweile wurde der elitäre Kreis auf 23 erweitert. Es gibt ferner nicht-stimmberechtigte Fördermitglieder, die der Mitgliederversammlung beiwohnen und Fragen stellen dürfen, nachdem DFB und DFL dies zur Auflage machten, damit der Verein seine Lizenz bekommt und der Schein eines Vereins, bei dem die Mitglieder das Sagen haben, gewahrt bleibt. 750 Menschen sind mittlerweile RB-Leipzig-Fördermitglied.

Und dann wäre da noch der hauseigene Kanal Servus-TV aus der RB Heimat Österreich. Dieser ist in der Pandemie laut BR zum Kanal der Querdenker geworden. Der Intendant erklärte beispielsweise im November 2021, dass das Anti-Parasitenmittel Ivermectin erfolgreich bei der Behandlung von Covid-19 Anwendung fände und dass die Corona-Impfstoffe die Gene verändern würden. Servus TV gilt laut Moment auch als rechtspopulistisch, hat ein Faible für Viktor Orbán und Marine Le Pen und wenn es um Expert:innen geht, werden hauptsächlich Männer eingeladen und wenig auf Ausgewogenheit geachtet.

Wenn man auf diese vier Punkte (Sponsoring von Risikoevents, Energydrink, Vereins-„Leben“ und politische Ausrichtung) schaut, merkt man sicherlich, dass der RB Konzern nicht viel gemein hat mit den genannten Konzernen aus Leverkusen, Wolfsburg und dem Kraichgau.

Und auch das liebe Geld fließt bei RB anders als bei den genannten Clubs. Das Eigenkapital von RB bekam während der Pandemie plötzlich Flügel und wurde um 100 Mio. Euro erhöht. Die Verbindlichkeiten waren mit 337 Mio. Euro 2023 die zweit höchsten in der gesamten Liga. Nur der FC Bayern hatte noch ein paar Mio. mehr zu verbuchen. Dafür war 2023 aber das Eigenkapital der Bayern fast fünfmal höher als das von RB. Sprich RB kann sich einfach so viel Geld leihen, wie es möchte – nicht am Kapitalmarkt zu entsprechenden Zinsen, sondern vom RB Konzern. Und da irrt Klopp, wenn er das trotzdem bereits 2022 in einem Video mit der DFL kleinredet, dass es nur kurz nach der RB Leipzig-Gründung um Geld ging, um die Aufstiege aus der 4. in die 3. Liga usw. hinzubekommen und man mittlerweile durch die Champions League-Teilnahmen sich quasi selbst finanziert.

Und das Hin- und Hergeschiebe von Fußballspielenden zwischen den einzelnen Teams hat ebenfalls Geschmäckle – interessiert aber DFB oder DFL irgendwie auch nicht. Aber deren Vorbildfunktion ist spätestens seit der WM Vergabe 2006 eh ebenfalls am Bobbes. Was sollen Kinder eigentlich bei den Stichworten DFB und Vorbild lernen? Wie man eine WM bekommt oder dass die Unschuldsvermutung bei Fans außer Kraft gesetzt wird, da der Verband nach der Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens gegen Fans die Vereine drängt, unmittelbar ein Stadionverbotsverfahren einzuleiten?

RB ist also alles andere als ein normaler Konzern in einem sonderbaren Verbandsumfeld. Er sponsert risikobehaftete Events, stellt ein womöglich gesundheitsgefährdendes Produkt her, dehnt das Vereinsrecht mit Hilfe von DFB und DFL maximal und hat einen Rechtsdrall im Bereich Medien. Es ist anzunehmen, dass dies auch Klopp gewusst hat, als er sich dafür entschied, Head of Soccer zu werden. Für viele Menschen ist damit der einstige Messias gefallen – weil sie wissen, wofür RB steht. Für andere ist RB ganz „normal“, weil es ihnen egal ist, wie der Fußball tickt und der Klopp ja so toll ist und für wieder andere ist RB sogar „toll“, weil er die Fußballromantiker:innen vor den Kopf stößt und RB den Fußball neu „erfindet“.

Vielleicht sollten wir einfach Abstand nehmen von Vorbildern, die wir nur aus den Medien kennen? Wer von uns kennt schon Jürgen Klopp persönlich – vorallem noch nach seiner Mainzer Zeit? Natürlich konnte man in der Vergangenheit viele Sachen an ihm sympathisch finden. Er hat natürlich viel Gutes bewirkt – auch fernab des grellen Scheinwerferlichts der Medien. Aber Menschen lassen sich ungern fremdbestimmen. Nur er weiß, was ihn getrieben hat, zu RB zu gehen. Das ist sein gutes Recht. Gut finden muss man es trotzdem nicht. Und vielleicht merkt er es irgendwann selbst, dass das ein Fehler war, weil sein Koordinatensystem womöglich doch etwas anders angelegt ist, als das von RB.

Für viele ist dieser Wechsel von Klopp zu RB eine Zäsur. Das verstehe ich überhaupt nicht. Wir wussten vor Mittwoch, dass es im Profifußball der Männer (und zunehmend der Frauen) nur um Kohle geht. Wir konsumieren diesen Fußball im Stadion oder in den Medien. Es kommt aber darauf an, was wir daraus machen. Oft wird der Satz ausgesprochen: Niemand ist größer als der Verein. Daher sollten wir uns doch bitte auf unseren Verein konzentrieren. Die jüngeren Fans haben Klopp nie bei Mainz 05 als Trainer wirken sehen, geschweige denn als Spieler die vier Tore in Erfurt gegen RWE erzielen sehen. Sie schreien lieber „Mainzaaa, Mainzaaa!“ als einem mittelalten Mann mit sehr weißen Zähnen zu huldigen, den sie nur aus Erzählungen oder vom Bildschirm her kennen.

Lassen wir doch Klopp Klopp-Dinge machen und uns Vorbilder bei uns suchen, bei Institutionen und Menschen, die wir wirklich kennen. Denn diese Woche zeigte ja, wofür ein Verein stehen kann, zum Beispiel beim Spiel für Liam in Jugenheim. Wir haben eine Fanabteilung mit ihrer AG Soziales, deren Mitglieder als Vorbilder und Aushängeschilder des Vereins in der Region Gutes tun. Wir haben einen Verein mit handelnden Personen der glaubhaft „Nie Wieder!“ ruft. Wir haben die Supporters mit einem Vorstand, der auch mal Tacheles redet, wenn es notwendig ist und bundesweit vernetzt ist, damit Fans gehört werden. Wir haben Fanbeauftragte, die sich für unsere Belange einsetzen. Wir haben ein Fanprojekt mit mehreren engagierten Mitarbeitenden, die für viele jüngere Fans eine Anlaufstelle sind, wenn sie Probleme haben. Wir haben die Fanhilfe, die sich für Fanrechte einsetzt – ebenfalls bundesweit, was gerade aktuell wieder sehr wichtig ist, wenn im Freistaat einige Politiker:innen, Fans zur Bedrohung der bayuwarischen Weltordnung hochjazzen. Und wir haben das Fanhaus, in dem regelmäßig sehr viele Vorbilder zu Gast sind.

Wir leben im Schatten des Doms – in Wiesbaden lebt man nun eben im Schatten der Dos‘.