Eigentlich sollte Euch diese Email bereits vor einer Woche erreichen. Doch gibt es auf unserer Erde doch noch Plätze, an denen es keine Internetcafés gibt. Daher erzähle ich Euch erst heute, was ich so am Jahresanfang gemacht habe und wünsche Euch gleichzeitig einen guten Start in die Woche.
Die Zeiten werden immer schnelllebiger. Nachdem ich das letzte Mal 2002/2003 von Mainz nach Punta Arenas in Chile etwas über 6 Monate unterwegs war, da ich den Umweg mit Bus, Bahn und Schiff via Island und Nordamerika nahm, schaffte ich es im noch jungen 2008 in knapp 24 Stunden nach ganz unten, ins wahre Downunder.
Dass für diese Mammut-Reise nur eine Bordkarte notwendig war, hatte ich dem Charterflieger der LTU zu verdanken. Damit aber alles nicht allzu einfach ablief, ging es erst einmal in einem ersten Hüpfer ins 3148 km entfernte Las Palmas. Dort war eigentlich nur ein Besatzungswechsel sowie ein kurzer Tankstopp vorgesehen. Doch diese Zwischenlandung dauerte dann doch länger als der Flugplan es vorsah, da es geschlagene 150 Minuten brauchte, um 50 läppische Tonnen an Kerosin in die Kiste zu packen. Unter normalen nicht kanarischen Zuständen würde so etwas ca. 30 Minuten dauern aber was soll’s, denn wir durften das Flugzeug ja nicht verlassen und so konnte man sich wenigstens noch ein wenig besser daran gewöhnen, fast 24 Stunden in einem Airbus A 330-200 zu leben.
Voll getankt stand nun ein Nachtflug über 6120 km nach Sao Paulo auf dem Programm. Da wir Passagiere bei der Ankunft in der brasilianischen Metropole bereits 14 Stunden im Flieger saßen, durften wir nun zur Abwechselung dieses Mal aussteigen und zunächst einmal wieder unser Handgepäck durchleuchten lassen. Als Dank gab es hinter der Sicherheitskontrolle einen Gutschein. Die Höhe des Betrags war bereits vor der Landung von den Flugbegleitern mit 8 US-Dollar angegeben worden.
Das war eine prima Idee, denn auf dem Papier fand sich kein Betrag. Stattdessen war wenigstens per Hand Gate 10 hingeschrieben worden, was ja auch recht praktisch war, denn niemand wusste, von wo wir weiterfliegen, noch wann wir weiterfliegen sollten. Nun ja 8 US-Dollar kann viel bedeuten, wenn im Flughafen alles in der brasilianischen Landeswährung angegeben war. Durch den schwachen Dollar, war es natürlich höchst schwierig in der Cafeteria den etwaigen Wert zu taxieren. Am Ende hatte es für ein Wasser, einen Kaffee und eine Empanada (Teigtasche) gereicht Zumindest wenn die nette Bedienung einfach mehrere Gutscheine zusammenrechnete, da einige andere Reisende lediglich einen Kaffee orderten. Pragmatismus pur!
Dieser äußerte sich auch in der Bezeichnung des Fluges, der in Frankfurt noch mit LTU LT9061 gestartet war. An Bord konnte man dann schon die Air-Berlin-Übernahme erahnen, denn das Bordmagazin hieß schon wie die Muttergesellschaft, genauso wie die Außenverpackung der Sandwichs, wohingegen die Brötchen noch in einem LTU-Karton gereicht wurden. Auf der Südhalbkugel angekommen, war dann die Namensänderung vollkommen: Mangels LTU-Logo war nun eines der amerikanischen Airline Delta angezeigt, denn was haben LTU, die Mutter Air Berlin und Delta gemeinsam? Richtig, sie haben rote Logos! Und was liegt da näher, als das Delta-Logo auf der Anzeigetafel zu nutzen. In der Spalte Remark war dann die erklärende Bezeichnung „TPS-01″ angegeben. Was das wohl heißen mag? Auf jeden Fall war plötzlich“Gate 7“ für den „Delta-Flug“ angegeben.
Nun ja beim Kaffeetrinken im Wartesaal durfte dann im Land des Rekordweltmeisters wenigstens Fußball im TV geguckt werden (Luton vs. Liverpool und Andrej Voronin saß wie bei ehemaligen 05ern üblich natürlich auf der Bank). Und eingestiegen wurde schließlich weder von Gate 10 noch von Gate 7 sondern von Gate 9 wie uns der Angestellte persönlich mitteilte. Ansagen sind in Sao Paulo morgens um sechs wohl noch nicht so angesagt. An Bord wurde uns dann mitgeteilt, dass der Flugplan gerade erst eingetroffen sei. So hatten wir eine weitere Verspätung von ca. 30 Minuten aber was soll’s. In fünf weiteren Flugstunden ging es auf das letzte Teilstück, um nach 3878 km nun endlich in Punta Arenas anzukommen. Wir rollten auf die Parkposition und dachten, wir hätten es geschafft. Doch zu früh gefreut und zu weit gerollt: Die Fluggastbrücke konnte nicht angelegt werden und somit mussten wir auf einen Flugzeugschlepper warten, der die Maschine schließlich zwei Meter zurückdrückte, ehe wir nach 23 Stunden und 56 Minuten endlich in Punta Arenas angekommen waren und chilenischen Boden betreten durften.
Dies war der Tag der Superlative, denn nachdem ich gerade ich meinen längsten Flug in meinem Leben ohne Thrombose überstanden hatte, schaffte ich auch gleich noch den kürzesten Aufenthalt meines Lebens in einem fremden Land – innerhalb eines Tisches am Flughafen Punta Arenas. Der erste Beamte am Tisch drückte mir den Einreisestempel nach Chile in den Pass hinein, ehe seine Kollegin, die dreißig Zentimeter neben ihm saß, mir bereits schon wieder den Ausreisestempel verpasste.
Dieser „Rausschmiss“ aus Chile war allerdings Programm, denn wenig später saß ich bereits an Bord meines Schiffes, der MS Vistamar, um völlig unspektakulär einfach so mir nichts dir nichts in See zu stechen und Chile wieder zu verlassen. Zunächst waren die letzten Häuser verschwunden, dann der Empfang per Handy und schließlich das südamerikanische Festland. Durch die Magellan-Straße schipperte das Schiff nach Süden, an immer höher hinaus ragenden Felseninseln vorbei, die mehr und mehr Schneeflächen aufwiesen. Aus dem Schnee wurden schließlich Gletscher, aus dem ruhigen Fahrwasser, schäumende Wellen und aus dem strahlend blauen Himmel, gespenstische weiß-schwarze Wolkenstimmungen. In diesem Teil der Welt zieht die Natur ein sagenhaftes Schauspiel mit Licht und Schatten, Wolken und blauen Himmel ab, so dass das Zuschauen an Deck niemals langweilig wird. Ab und zu wurde das Schiff von posierenden Orcas (große Schwertwale) und Vogelschwärmen begleitet – kein Wunder, denn was sollen die Tiere in diesem abgeschiedenen Teil der Welt auch anderes tun. Die Temperatur von ca. 13° C wurde durch den aufkommenden Wind gefühlt, auch immer niedriger und so langsam tuckerten wir dem Ende der Welt und der ersten Nacht entgegen.
Am nächsten Morgen lief das Schiff, nachdem es sich kurzzeitig auf dem offenen, schaukelnden Pazifik befand, ostwärts in den Beagle-Kanal ein. Das Wetter zeigte sich wieder von seiner besten Seite. Strahlend blauer Himmel, ruhige See, steile Felshänge mit hohen Wasserfällen und Gletscher, die direkt ins Meer hinabstürzten, bildeten eine faszinierende Szenerie, zu der es sich sehr gut frühstücken ließ. Mittags wurde, nach ca. 520 km Seereise, die wahrscheinlich südlichste Stadt der Welt, Ushuaia erreicht.
So ganz sicher mit diesem Superlativ kann man nicht sein, da auf der Südseite des Beagle-Kanals die Chilenen mit dem Kaff Puerto Williams (2.000 Einwohner) diesen Titel beanspruchen. Aber auch die sehr künstlich anmutende argentinische Stadt Ushuaia (60.000 Einwohner), auf der Nordseite des Kanals gelegen, hat mit dem Begriff Stadt recht wenig zu tun. Chile und Argentinien stritten sich in der Historie nicht nur um solche Lappalien, wer die südlichste Stadt der Welt nun innehat, sondern auch um die große Insel im Süden Südamerikas: Feuerland.
Auf dieser vermutete man große Ölvorkommen Grund genug für Menschen, bekanntlich auch in anderen Teilen unserer Erde einen Krieg anzufangen. Dieser wurde in den 80ern des letzten Jahrhunderts in letzter Minute durch Papst Johannes Paul II. verhindert, da beide Staaten erzkatholisch sind und der friedliebende Papst seine Autorität für den Frieden erfolgreich einsetzen konnte. Der Name Feuerland stammt vom Seefahrer Magellan, der bei seiner Weltumsegelung von 1519 bis 1522 Feuerland „entdeckte“ und die Passage zwischen dem südamerikanischen Festland und der Insel als erster Europäer durchfuhr. Er nannte sie so, da er überall aufsteigende Rauchsäulen entdeckte. Diese stammten von den dort lebenden indigenen Einwohnern. Für diese war das Feuer dermaßen existenziell wichtig, da es wegen der niedrigen Temperaturen, die hier schon immer vorherrschten, es ein fatales Geschehen gewesen wäre, wenn ein Feuer einmal ausgegangen wäre. Durch die Ankunft der Europäer geschah langfristig mit den Ureinwohnern, das, was auch im restlichen Teil der Welt leider immer wieder geschah: Sie wurden durch eingeschleppte Krankheiten und Jagd auf sie selbst, innerhalb von ca. 30 Jahren ausgerottet.
Heute ist Ushuaia lediglich ein Verkehrsknotenpunkt, um den Feuerland-Nationalpark zu besuchen, oder einfach mal die Panamericana, die Straße, die sich durch ganz Amerika zieht, rund 17.000 Kilometer nach Norden zu fahren, um nach Alaska zu gelangen. Gut, ich hatte heute Alaska nicht auf dem Programm, also ging es mal wieder ein wenig wandern und die Natur genießen. Diese ist auch am südlichen Ende der Welt nicht ganz so paradiesisch, wie wir es uns vielleicht gerne vorstellen, denn der Mensch versucht ja immer irgendwie Profit zu machen. Und die ersten Siedler hier unten, dachten, wir kopieren mal das, was ganz oben im Kontinent gut funktioniert: der Handel mit Biberpelzen. Also wurden diese Viecher aus Kanada importiert und nach ein paar Jahren stellte man fest, dass man mit diesen Pelzen nicht reich werden würde. Dafür vermehrten sich die Tiere sprunghaft, mangels natürlicher Feinde, und setzten erstmal die Insel Feuerland unter Wasser, da sie ja so gerne Dämme bauen. Diese sind auch heute noch zu bewundern, denn als Jagdobjekt taugen Biber nicht, da sie als Wild nicht kulinarische Begeisterungsstürme hervorrufen und auch der staatlich geförderte Abschuss dieser Spezies nur rund 15 Euro pro Skalp einbringt. Aufgrund der Scheu und Nachtaktivität ist dies ein eher schwieriger und folglich unrentabler Nebenverdienst.
Ein anderer Flop mit der Einfuhr fremder Tiere, waren die Kaninchen. Auch diese vermehren sich unkontrolliert und auch diese führen mangels natürlicher Feinde ein geruhsames Leben in der neuen Welt. Für Argentinier kommen diese Lebewesen auf dem Speiseplan nicht vor, da für die Chicas und Chicos dieses Teils der Erde, Fleisch nur dann als Fleisch gilt, wenn es mindestens schuhsohlengroß ist und die Dicke eines Brötchens hat. Somit werden Kaninchen nicht als Jagdtrophäe akzeptiert, anders als bei ihrer Einführung durch hungrige Soldaten am Ende des vorletzten Jahrhunderts.
Das Wandern im Feuerland Nationalpark bietet vor allem meteorologisch gesehen permanent eine Abwechselung, da hier April-Wetter praktisch Programm ist. Kaum gibt es einen Platzregen mit heftigem Sturm und kaum hat man sich entsprechend in Gore-Tex-Jacke und Wanderstiefel gezwängt, da scheint schon wieder die Sonne und man fängt im Südsommer bei 15° C und Windstille sofort an zu schwitzen. Das Wandern durch die Moore und die subpolaren Urwälder mit ihren von Flechten überzogenen Bäumen und den von Moos bewachsenen Felsen war gerade zum Abtrainieren von auf dem Schiff angefressenen Fettreserven eine gute Idee. Schließlich war das erste, was man nach der Rückkehr auf das Schiff machte Essen. Um kurz vor Mitternacht: Essen, morgens von acht bis zehn: Essen, mittags Essen, nachmittags Essen und schon war wieder ein kulinarisches 24-Stunden-Programm vorbei. Die Kunst auf Schiffsreisen besteht meiner Meinung darin Verzicht zu üben, hauptsächlich bei der Völlerei, aber auch bei alkoholischen Getränken.
Schließlich sind Fahrten in diesem Teil der Erde nicht immer ein beschauliches Vergnügen: Durch das östliche Ende des Beagle-Kanals schipperten wir durch die Nacht nach Süden und der Wellengang wurde immer heftiger. Die Bullaugen in diesem Teil der Welt müssen bei Schiffen permanent aus Sicherheitsgründen verschlossen sein, so dass ich von außen nur das Gurgeln und Gluckern hören konnte, wenn das Schiff bei jeder Welle in die Tiefe abtauchte. Morgens passierten wir schließlich das berühmte Kap Hoorn, den angeblich südlichsten Punkt Südamerikas. Dabei ist Kap Hoorn lediglich ein 424 m hoher vorgelagerter Fels. Kap Hoorn wurde 1616 von zwei holländischen Seefahrern „entdeckt“ und diese nannten es Kap Hoorn einfach und pragmatisch nach einem ihrer Segelschiffe „Hoorn“. Die chilenischen Inseln Diego Ramirez liegen 100 km südwestlich von Kap Hoorn und stellen den eigentlich südlichsten Punkt Südamerikas dar, oder sollte vielleicht der südlichste Punkt Feuerlands in der Nähe von Ushuaia dies sein oder gar lediglich der südlichste Punkt des südamerikanischen Festlands?
Mit Extremen ist es halt immer extrem schwierig. Auf jeden Fall herrschte beim Passieren von Kap Hoorn extremes Wetter obwohl nur Windstärke 6 herrschte. Hier treffen die Wassermassen von Pazifik und Atlantik aufeinander. Dieses Meeting äußert sich in fünf, sechs Meter hohen Wellen und einem Wind, der mich fast umgeschmissen hat. Das Schiff schwingt dementsprechend nach links und rechts sowie nach vorne und hinten. Das Sich-Fortbewegen fällt einem bei so einem Wellengang schon sehr schwer, etwa so wie nach einer gut durchzechten Nacht an Land. Man muss sich beim Laufen gerade auch im Inneren des Schiffes überall festhalten, wenn man am Ende der Seereise nicht total verbeult ankommen will. Auch der Magen stellt sich auf dieses Schwanken recht schnell ein und reagiert oft mit einem Über-Bord-Werfen von unnötigem Ballast. Daher war es ein guter Einfall, alle zwei Meter kleine Plastikbeutel zu postieren, die in relativ kurzer Zeit vom großen Teil der Reisenden wohl in Anspruch genommen wurden. Den Pillen meines heimischen Pharmazeutinnensupport sei Dank und ich überstand die Überfahrt bisher ohne Umkehrschub in der Magenregion.
Das ganze Schwanken und Wanken ist allerdings beste Übung für die bald anstehende Fastnacht im „goldischen Meenz“ und es war nett anzusehen, sich auf der Toilette festzuhalten und Labello- und Lippenstifte beim Hin- und Herschunkeln zu bewundern, genauso wie Zahnputzbecher und aufgehängte Handtücher. Abends lädt dazu die Showband ein, sich auch schon musikalisch auf die närrischen Tage einzustellen, so dass ich bei meiner heutigen Rückkehr nach Mainz karnevalistisch nicht ins Hintertreffen geraten bin, Helau!
Irgendwann beruhigte sich das Meer wieder ein wenig und wir wurden auf der Fahrt nach Süden von Kapsturmvögeln, Südlichen Riesensturmvögeln und Albatrossen begleitet. Die Vögel schwirrten stundenlang am Heck des Schiffes hinterher. Je weiter es nach Süden ging, desto zahlreicher wurden die fliegenden Begleiter. Eigentlich sah es immer unwirtlicher aus und ich hätte ohne die Tiere das Gefühl gehabt, wirklich so langsam das Ende der Welt erreicht zu haben. Zu den fliegenden Begleitern gesellten sich am Abend des zweiten Tags auf offener See dann plötzlich auch Wale, was zunächst am Auspusten vom Luft-Wasser-Gemisch erkennbar war. Und plötzlich näherte sich auch der erste einzelne Eisberg. Einige Stunden später fühlte ich mich schon fast von diesen gefrorenen Kolossen umzingelt, und die Zahl der Vögel, die uns weiterhin unablässig folgten, stieg in die Hunderte. Nach fast 50 Stunden Überfahrt, die See hatte sich zum Glück längst beruhigt, kamen die ersten Eispanzer des Festlands der Süd-Shetland-Inseln zum Vorschein. Was ich dann da unten ganz im Süden unserer Erde alles so erlebte, erzähle ich Euch im zweiten der Teil.