Polen 2004

Nach längerer Reiseabstinenz ging es nun endlich mal wieder für mich daran, ein neues Land zu entdecken, das zudem sogar noch unser Nachbarland ist! Polen…hm was stellen wir uns darunter eigentlich vor?

Media-Märkte, die einer Heuschreckenplage ähnelnden „Kundschaft“ verwüstet werden, Automafia oder sonstige Klischees, die wohl mit der Wirklichkeit glücklicherweise nicht so viel gemeinsam haben! Gut…Geduld ist sicherlich einerseits hier gut zu gebrauchen und andererseits einem Deutschen fast so fremd wie alkoholfreies Bier! Denn jenseits der Oder hat man(n) einfach ein wenig mehr Zeit für ein Schwätzchen auch wenn die Schlange an der Information des Warschauer Flughafens immer länger wird. Dass ich dann endlich auch an die Reihe komme und meine Frage nach dem Bus nach Lublin stellen kann, war dann wie ein Segen für mich Gestressten Lufthansa Passagier, der dank deutscher Unpünktlichkeit erst in den Stress geraten ist. Natürlich werde ich ins nächste Reisebüro verwiesen, wo natürlich erst einmal wieder mit dem festsitzenden Kunden vor mir ein Schwätzchen gehalten wird.

Nach Aussage der Homepage des Fahrplans des Polski Express Busses von 2002 (!) hatte ich noch sagenhafte 5 Minuten, um mein Ticket zu erstehen. Die Angestellte hatte wohl Mitleid mit mir und meinem gestressten Blicken und verkaufte nun doch etwas schneller die Zugfahrkarte an den Kunden. „To Lublin? You have 3 minutes! Bus only 10 meters! No ticket here!“ Nachdem ich die zehn längsten Meter meines Lebens in ca. 1 Minute zurückgelegt habe und nach meinem deutschen Empfinden dabei sicherlich 250 Meter gerannt bin, erreichte ich den Bus nach Lublin. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich auch eine Fahrkarte erstehen kann, denn die kostet 44 Zloty (sprich Zwotti)! Ach wie schön wäre es doch gewesen, wenn Polen auch gleich den Euro bekommen hätte – nein ich musste natürlich vorher Geld wechseln und dafür einen Beleg ausfüllen und eine Unterschrift leisten – um dann am Ende mehrere 100 Zloty-Scheine zu erhalten! Da ich der einzige Fahrgast war, hatte mein Fahrer gerade irgendwie in der Hosentasche und auf dem Armaturenbrett 11 Zloty Wechselgeld zur Verfügung! Kreditkarten? Njet! Außerdem war eine Verständigung nur per Zeichensprache möglich, da ich kein Polnisch, er kein Englisch sprach! In körperlichen Verrenkungen nach meiner letztjährigen Reise geübt, machte ich ihm klar, dass ich den Schein wechseln werde und dann wieder auftauche und er bitte nicht wegfahren möge. Kaum zu glauben…ich bekam den Schein im „10 Meter“ entfernten Airport gewechselt (Bänker sprechen Englisch) und ich dann letzten Endes auch meine Fahrkarte!

Vorbei ging’s dann an ultramodernen nicht gestürmten Media-Märkten, Tesco Supermärkten, Géant- und Leclerc-Kaufhäusern und Lidl-Discountern on the road to Lublin! Polen hat zwar keine eigentlichen Autobahnen, doch man ist zumindest auf der Straße pragmatisch – denn wozu gibt es Seitenstreifen? Diese werden einfach in weitere zwei Spuren verwandelt und fertig ist die „Autobahn“, die übrigens in sehr gutem Zustand war!

Danielle, die ich in Lublin besuchen wollte, teilte mir mit, dass aufgrund irgendwelcher polnischer Hochschulbestimmungen ich im Studentenwohnheim nicht wohnen dürfe…aber das ist in Polen kein Problem…denn man hat ja Kommilitonen, die noch bei den Eltern wohnen und um Mitternacht einen Deutschen bestimmt aufnehmen! Gesagt getan Walusz macht die Tür auf, begrüßte mich und schon wurde ich in „mein“ Zimmer geführt und ich knackte einfach bei einer polnischen Familie, die ich fünf Minuten vorher noch nicht kannte! Glücklicherweise habe ich ja immer mal ein Fläschchen Wein aus Rheinhessen dabei…und so konnte ich mich für diese echt klasse Gastfreundschaft wenigstens ein bisschen revanchieren! Na ja…dass zwischen Polen und Deutschen nicht immer alles so schön verlaufen ist, wissen wir ja alle! Dass man aber in den zu Museen umgewandelten Konzentrationslagern immer von „Nazis“ spricht und nie von „Deutschen“ hat mich wirklich beeindruckt! Es regnete und dabei war der Besuch des KZ Majdanek um so bedrückender. Aber ich denke als Deutscher sollte man um dieses Stück Polnisch-Deutscher Geschichte keinen Bogen machen! Die etwas bedrückte Stimmung am Frühstückstisch am nächsten Tag nach dem ich gefragt wurde, was ich mir so angeguckt habe, war relativ schnell verflogen „Chris…not your fault!“ und ich war ziemlich happy mit den Polen so einfach über unsere Vergangenheit zu babbeln.

Das alte Lublin hat sich den morbiden Charme des Ostblocks noch ein wenig erhalten. Neben renovierten Gebäuden gibt’s auch welche, bei denen man nicht so recht weiß, wie lange sie noch stehen bleiben. Auf den Speisekarten ist noch oft das leckere Essen wie Pirogi (eine Art Maultaschen) oder das süffige Bier in zahlreichen Variationen lediglich in polnischer Sprache angegeben. Ein Indikator, dass die Touristen sich aus Krakau oder Warschau noch selten in diesen Teil Ostpolens verirren. Dabei ist es wirklich wunderschön durch die gepflasterten Straßen der Altstadt zu marschieren, dem Geräusch der vielen Kirchturmglocken zu lauschen und den Blick auf die protzige Burg zu genießen, ehe man sich einen Latte Macchiato in einem der vielen Cafés im Freien hineinziehen kann und dank für unsere Verhältnisse sehr fairen Preisen sich diesen Luxus auch noch wahrlich gönnen kann!

Ich hoffe, Ihr habt ein bisschen Lust bekommen unseren östlichen Nachbarn mal einen Besuch abzustatten und das ’neue‘ Europa in der größer gewordenen EU zu entdecken! Na Razie!

Niederlande 2003

Auf meiner Stippvisite beim ersten EM Land, gegen das sich die deutsche Fußballnationalmannschaft nun im kommenden Juni durchwurschteln will, muss ich eingestehen, dass auch niederländische Fans von ihrer Mannschaft alles andere als begeistert sind. Dabei haben Fußballer in den Niederlanden die optimalen Trainingsbedingungen: Überall ist es flach, Wiesen gibt es im Überfluss, die Deiche sind natürliche Seiten- und Toraus-Linien, und die Kühe bleiben anders als in Indien auf der Weide und blockieren nicht das Mittelfeld.  

Apropos Indien…irgendwie fühlte ich mich ja schon ein wenig auf den chaotischen Subkontinent zurückversetzt: Fahrräder, Fahrräder und nochmals Fahrräder. Aber anders als bei uns wird hier die Spezies „Radler“ nicht getrunken, sondern Ernst genommen: Es gibt praktisch immer einen Radweg der den Namen auch verdient hat. Die Buckelpisten, in Deutschland oft als Radweg angepriesen und nur mit Mountain Bikes halbwegs befahrbar, fehlen hier komplett. Stattdessen findet der passionierte Radler ebene Pisten, bei denen sogar das Trampen à la Hollandaise, Pardon die Mitnahme auf dem Gepäckträger, beim Mitgenommenen keine bleibenden Schäden am Gesäß hinterlassen. Bei Baustellen auf dem Radweg gibt es eine beschilderte Umleitung, die tatsächlich wieder auf den eigentlichen Weg des Radelns zurückführt. So bleibt dem niederländischen Radler, das allseits beliebte Absteigen und Radweg-Suchen, das bei uns doch öfters vorkommt, erspart. Abgestellt wird das Rad in Radparkhäusern und die Wahrscheinlichkeit, sein Rad nach einer Kneipentour wieder zu finden liegt hier noch recht hoch, anders als in vielen anderen Zock- und Klau-Regionen.  

Natürlich war es eine prima Sache mit den tatsächlich hier in tausendfacher Ausgabe herumrollenden Hollandrädern ins Restaurant oder in die Kneipe zu düsen. Berge sind hier ein Fremdwort, so dass tags wie nachts die Radwege von allen Bevölkerungsschichten genutzt werden, und sich so ein ganzes Volk fit hält und auch im platten Zustand wieder nach Hause findet, statt am nächsten Hügel in den Graben zu rollen.    

Einerseits muss man auch in den Niederlanden ein prallen Geldbeutel nach der Euro-Einführung haben, um überhaupt in die Nähe des Plattheits-Zustands zu geraten. Andererseits fällt die Auswahl wie man, finanzielle Mittel vorausgesetzt, in eben diesen Zustand fällt, nicht nur wegen der in ganz Holland verbreiteten „Coffie-Shops“, extrem leicht. Urige Kneipen mit unzähligen, zwar nicht nach dem Reinheitsgebot gebrauten, aber doch sehr trinkbaren Gerstensaft-Varianten, laden zum Verweilen und zum Diskutieren über Fußball ein. Und um eben diesen geht es zumindest am 15. Juni 2004, wenn Deutschland gegen die Niederlande spielen wird. Testet dies am besten mal alles selbst aus, hier in den sympathischen Niederlanden und freut Euch auf ein gutes Spiel zwischen zwei fußballverrückten Nationen – egal wie es auch ausgehen mag!  

Bis dahin wünsche ich Euch allen einen geruhsamen Advent. Genießt die Zeit mit Tee und Plätzchen oder dem einen oder anderen Glühwein oder spaced in einem Coffie-Shop mal so richtig ab!

Guyanas 2002 Teil 3

Ich hoffe, Ihr habt weiterhin Lust auf kleine Geschichten, die man während einer Reise durch Südamerika tagein tagaus erlebt. Die letzte Mail endete am sagenhaften Kaieteur Wasserfall. Der Wasserfall alleine wäre den bereits geschilderten etwas turbulenten Flug vielleicht nicht Wert gewesen. Aber da Paul der indianisch-stämmige Ranger nun mal sicherlich seine Bestimmung gefunden hat, Stadtmenschen wie mir die Schönheit seiner Heimat  zu zeigen, sah ich dank seiner Hilfe einige leider selten gewordene Vögel, die im Dickicht des Dschungels nur mit geschulten Augen erkannt werden können. Auch die sog. Golden Frogs, kleine wie der Name schon sagt, golden leuchtende Frösche, die in Blatt-Trichtern leben, hätte ich sicherlich ohne seine Hilfe nicht entdeckt, denn wer guckt schon permanent in am Wegesrand stehende Blatt-Trichter hinein.

Die Tage an den Kaieteur Fällen, ohne Strom, fließend Wasser (es stammt aus der Regentonne, die natürlich immer voll ist), Autos, Strassen, Internet und anderen „Errungenschaften“ der Zivilisation gingen natürlich viel zu schnell vorbei. Mittlerweile hatte ich mich auch damit abgefunden, wieder in das Flugzeug zu steigen, das mich aus der „grünen Hölle“ abholen soll. Als Alternative zum Flug wäre mir nur eine dreitägige Wanderung in Richtung der nächsten Straße geblieben. Da zog ich dann doch letztendlich die Buschkiste vor. In Guyana ähneln diese „Linienflüge“ aber eher einer Busfahrt. Lediglich der Anfangsflughafen und der Endflughafen stehen fest. Die Stopps en Route bestimmen die mitfliegenden Passagiere. Im Office von Roraima Airways, die mich nun wieder abholen soll, schaute ich auch ganz genau, dass die Angestellte notierte, dass ich von den Wasserfällen 2 Tage später wieder abgeholt werden wollte, um dann weiter nach Süden in Richtung guayanisch-brasilianische Grenze zu fliegen. Denn der „Flughafen“ von Kaieteur Falls besteht lediglich aus einer Holzschutzhütte, einem WC und einer ca. 400 m langen Piste. Zum Glück existiert wegen der widrigen Wetterverhältnisse aber eine Wetterstation, die das aktuelle Wetter an die Piloten funken kann, und auch im Notfall mal anfragen kann, ob ein Flugzeug vorhat, hier zu landen. Denn leider herrscht  im tiefsten Regenwald, meist eher britisches Wetter: Mit anderen Worten: Nebel und Regen.  

Am Frankfurter Flughafen existiert daher für solche Wetterverhältnisse ein sog. Instrumentenlandesystem, mit dem der Pilot auch bei 0 m Sicht landen kann. Hier gibt es so was natürlich nicht. Daher hieß es am Tag meiner geplanten Abreise: Warten, denn die Sicht von vielleicht 300 m und eine Wolkendecke in Höhe von ca. 150 m machten eine Landung unmöglich. Aber der Ranger Paul und Susan von der Wetterstation machten mir Mut, und vertrösteten mich darauf, dass es schon irgendwann aufklaren wird. Der Pilot fragte auch den Wetterbericht über Funk ab, gab aber auf unserer Frage, ob er landen würde keine Antwort. Doch tatsächlich klarte es nach 2 bis 3 Stunden auf, und plötzlich meinten Paul und Susan sie hörten ein Motorengeräusch. Es konnte sich nur um meinen Flieger handeln. In der Tat bemerkte auch ich nach ein paar Minuten ein Brummen und kurz darauf war das kleine Flugzeug, das mich wieder in die Zivilisation bringen würde, auch schon gelandet. Wieder war ich der Einzige der diesmal einstieg und nach ca. 4 Minuten Bodenzeit, war der Flieger schon wieder in der Luft, um nach ca. 20 Minuten in irgendeinem Indianerdorf zu landen, da ein anderer Passagier abzusetzen war.  

Eine Stunde später, nach einem äußert ruhigen Flug, änderte sich die Landschaft abrupt. Der Regenwald wurde durch eine rot- braun gefärbte Ebene abgelöst. Bald darauf setzte die Maschine in Lethem, dem letzten Dorf vor der Grenze nach Brasilien, ca. 200 km nördlich des Äquators auf. Die Savanne, in der ich gelandet war, sieht genauso aus, wie die berühmte Serengeti in Ostafrika. Gemeinsam haben beide Landschaften einem großen Reichtum an Tieren, mit dem Unterschied, dass es hier keine Löwen o. ä. Artgenossen gibt, die mich hier von einer Radtour abhalten könnten. So ging es mit dem Rad (ohne Gangschaltung aber mit Placebo Bremsen) eines Einheimischen auf Safari! Am Pistenrand stehen Strohhütten, die mich wieder stark an den schwarzen Kontinent erinnern, doch aus den Hütten schauen mich hier erstaunte Indianeraugen an. Das Schöne an Guyana ist die Tatsache, dass die Amtssprache Englisch ist, und man daher leicht mit den Einheimischen, die hier zu 90% Indianisch-stämmig sind, in Kontakt treten kann. Auf die Frage, was ich hier so mache, entgegnete ich in einem Gespräch am Wegesrand, ich sei Tourist. Doch dieses Wort hatte mein Gesprächspartner, der ansonsten nicht gerade von einem anderen Stern stammt, noch nie gehört. Anscheinend ist die Spezies Touri hier wirklich noch eine seltene Erscheinung. Die Leute wunderten sich zwar warum ich hier mit einem Fahrrad durch die Gegend kurve, aber dies erweckte bei Ihnen kein Misstrauen, eher Neugierde, wie das Leben in Deutschland so sei.  

Am nächsten Tag begab ich mich nun in das vierte Land meiner Reise und musste mich nun mit der vierten Sprache auseinandersetzten. In Surinam kam ich mit Englisch relativ gut durch. In Französisch Guyana und Guyana gab es keinerlei Sprachbarrieren, doch mit der Einreise nach Brasilien änderte sich dies schlagartig. Der Grenzbeamte konnte noch einige Brocken „Ingles“. Doch seither komme ich mit meiner Frage „Vôce fala ingles?“ also „bitte bitte sprecht doch wenigstens einige Wörter Englisch“ nicht sehr weit. Es blieb mir nichts anderes übrig, als auf der Busfahrt nach Boa Vista, dem ersten Ziel in Brasilien, anzufangen Portugiesisch zu lernen, wollte ich nicht ständig mit der Gebärdensprache eine Art rhythmischer Sportgymnastik betreiben.  

Obwohl ich mich nun immer mehr dem Äquator nähere, blieb die Savanne beherrschend. Irgendwie hatten wir das doch im Erdkunde- Unterricht anders gelernt, oder? In Amazonien gibt es tropischen Regenwald (so weit er nicht schon zerstört ist). Aber von Savannen sprach meiner Meinung niemand.  

Mit Brasilien erreichte ich ein Land der krassen Gegensätze. Hier prallen erste und dritte Welt permanent aufeinander. Positiv für mich als Reisenden stellt sich die Tatsache dar, dass man wieder gute (Kredit)Karten hat. Sie werden glücklicherweise sogar im Supermarkt akzeptiert, nachdem diese Plastikkarten bisher eher als Ersatzlineal dienten, denn in den Guyanas war Cash das einzige Zahlungsmittel. Auch konnte ich mich nun mit äußerst komfortablen Bussen fortbewegen, die Strassen waren wieder geteert und Schlaglöcher hatten meist Seltenheitswert. Andererseits fuhr man oft an Papphüttensiedlungen, den bekannten Favelas vorbei, die die immer noch weit verbreitete Armut dieses Schwellenlandes zeigen.  

Aber zwei Dinge scheint alle BrasilianerInnen zu einen: Als erstes sei Futbol genannt!   In Boa Vista bummelte ich durch die Gassen während des WM- Testspiels Portugal gegen Brasilien. Überall gab es kleine Kneipen am Straßenrand mit einem völlig überdimensionierten Riesenfernseher, der das Spiel übertrug. Um den Fernseher waren die Menschen versammelt, wie Bienen im Bienenstock um ihre Königin. Die Gassen hatte ich praktisch für mich alleine. Und plötzlich hörte ich aus allen Fernsehern nur noch das berühmte GOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOL! Und das obwohl die Portugiesen ein Tor schossen!!! Brasilien glich dann durch einen Elfmeter noch aus, der die etwas trübe Stimmung wieder aufhellte. Ich hatte keinen Moment dieses Spiel eigentlich verfolgt, war aber permanent unwillkürlich auf dem neuesten Stand der Dinge. Ich weiß ja nicht, was in dieser fußballverrückten Nation abgeht, wenn es wirklich um die WM geht, denn es war ja nur ein Testspiel. Das Testspiel der Deutschen Elf gegen Argentinien wurde übrigens danach gezeigt, aber ich halte es zur Zeit doch eher mit Mainz 05, deren Sieg gegen Bielefeld, sogar über Weltempfänger und mit Hilfe der Deutschen Welle bis zu den Kaieteur Wasserfällen mitzubekommen war. Am Sonntag wurde ich dann noch Zeuge einer Radioübertragung eines Fußballspiels in São Paulo. Der Kommentator erinnerte mich in seinem oralen Output von sicher 10 Wps (words per second) an eine Kette Knallkörper, wie wir sie an Sylvester immer loslassen. Nur mit dem Unterschied, dass bei einem Feuerwerk nach ein paar Sekunden wieder Ruhe herrscht und neu gezündet werden muss. Unser Kommentator hingegen schoss sein Feuerwerk aus aneinander gereiten Wörtern 45 ganze Minuten ohne Pause in den Äther. Lediglich alle paar Minuten hörte man ein gewisses Röcheln, da anscheinend beim Reden gleichzeitig ja irgendwie auch Luft in seine Lungen kommen musste, um wieder neue Wörter hinausposaunen zu können. Der Spielstand war übrigens die ganze Zeit 0:0!!!  

Als zweites Merkmal, das alle BrasilianerInnen zu einen scheint, sei der äußerst ausgeprägte Körperkult genannt. In diesem Land kann man, um im guten britischen Understatement zu sprechen, niemals „underdressed“ sein, denn wenn die Mädels schon im Bikini zum Einkaufen latschen, und die Jungs nur in knapper Badeshorts zum Kippchen Rauchen auf die Strasse gehen, dann kann man als Touri sich gar nicht mehr falsch anziehen. „Schönen“ Menschen in Brasilien, und das ist fast jede(r) hier, wird provokativ hinterher (oder auch hinein) geschaut, nachgepfiffen oder auch hinterher gehupt, je nach der logistischen Situation. Auch die Ärmsten der Armen versuchen durch nobel anzusehende Kleidung ihrem sozialen Umfeld zu entweichen, dabei zählt natürlich eher die Qualität als die Quantität der Kleidung.  

Allerdings gibt es in Brasilien auch äußerst viele Straßenkids, die schon äußerst früh von zu Hause ausgesetzt, oder verscheucht wurden, da die gesamte Familie nicht zu ernähren war. Als weißer Tourist in Brasilien ist man natürlich das direkt anzusteuernde Ziel eines jeden Straßenkids. Eine Regelung, mit dieser penetranten Bettelei der Straßenkinder von Brasilien zu unterbinden sei, zeigte mir auf der Busfahrt im „Terror Ship“ von „Bin Ladin“ nach Georgetown, „Papi“ ein Rastafarian aus einem Dorf im Nordosten Brasiliens: Bettelt Dich jemand an, da er anscheinend hungrig ist, biete ihm etwas zu Essen an. Hat diese Person nun wirklich Hunger, wird sie auf Dein Angebot eingehen. Möchte diese Person hingegen nur wieder ein paar Réais für einen nächsten Pitú (Caipirinha) erhaschen, beißt sie bei Dir auf Granit. Die Probe auf Exempel machte ich später in Manaus, wo ich von Straßenkids nur so umringt war: Ein kleiner Junge wurde zur permanenten Klette, da er um ein paar Centavos (Untereinheit von Réal) bettelte. Da ich gerade kein Futter parat hatte, schleppte ich meine „kleine Klette“ bis zur nächsten Garküche mit, bei der es für einen Réal (ca. 0,50 €) Fleischspießchen gab. Geduldig und anscheinend wirklich hungrig wartete meine „kleine Klette“ bis der Spieß fertig gebraten war, und es war vielleicht für ihn die einzige (warme) Mahlzeit am Tag. In diesem Falle war also Papis Strategie genau aufgegangen. Das Gegenteil hatte ich mit Papi auf der Fahrt nach Georgetown auch öfters erlebt.  

Was das Essen im Allgemeinen anbetrifft, ist Brasilien sowieso das Paradies für jeden Gourmet: Entweder kann man für umgerechnet 2,50 € „All U can Eat“ erleben oder man geht in die leckeren „Per Kilo Restaurants“, in denen man sich den Teller mit verschiedensten Spezialitäten volladen kann, und danach der Preis (meist 3-4€ pro Kg.) nach dem Gewicht bestimmt wird.  

Von der ersten größeren Stadt in Brasilien (Boa Vista) ging es über 640 km per Bus  in Richtung Manaus. Das Bild der Steppe wich in der Nähe des Äquators doch allmählich dem des Regenwaldes bzw. der Rinderweide, die nach dem Abholzen des tropischen Regenwaldes hier entstanden sind. Und plötzlich verriet ein Schild „Bemvindo ao Equator“. Wir haben mit unserem Bus soeben den Äquator überquert. Genau an diesem Flecken Erde herrscht zumindest für mich immer ein grässliches Wetter. Schon 1995 herrschte auf diesem berühmten Breitengrad am Mt. Kenya Nebel und Temperaturen Nahe am Gefrierpunkt. Und nun in Südamerika? Es spielte sich genau die gleiche Situation hier nochmals ab: Schmuddelwetter am Äquator, allerdings bei 32°C!  

Nach 13 Studen Busfahrt erreicht ich nun meinen ersten Endpunkt dieser Reise: Manaus, die berühmte Stadt am Amazonas. Dabei liegt das 1,4 Mio. Einwohner zählende Manaus – an Einwohner mehr als die 3 Guyanas zusammengenommen – gar nicht am Amazonas nach brasilianischer Definition.  

Am sog. „Encontro des Aguas“ (Zusammenfließen des Wassers) ca. 12 km östlich von Manaus fließen der durch die Stadt ziehende Rio Negro (schwarzer Fluss) und der Rio Solimões aus Peru kommend zusammen. Lediglich die „letzten“ 1.500 km Flusslänge bis zu seiner Mündung in den Atlantik nennen die Brasilianer den Fluss nun Rio Amazonas. An dieser Stelle des Flusses ist der Rio Solimões schon seit 5.000 km auf seiner Reise Richtung Osten. Am Encontro des Aguas fließt das schwarze, also wirklich dunkler wirkende Wasser kilometerlang neben eher hellbraunen des Rio Solimões entlang, ehe sie sich dann doch irgendwann vermischen.    

Mit dem Erreichen von Manaus hieß es nun für mich wieder Abschied nehmen von Amazonien, zu dem die drei Guyanas ebenfalls gehören. Ein besseres Abschiedsbild als die riesigen Flussdampfer, die von Manaus entweder flussaufwärts bis nach Tabatinga an das Dreiländereck Kolumbien, Brasilien, Peru in ca.10 Tagen fahren, oder flussabwärts nach Belém in ca. 5 bis 6 Tagen konnte es für mich nicht geben. Gerne wäre ich mit einem dieser Schiffe weiter gezogen. Doch stattdessen „durfte“ ich wieder einmal den „Luxus“ eines Flugzeuges genießen. Dieser „Luxus“ bestand darin, um 3h10 morgens von Manaus nach São Paulo fliegen zu dürfen und dadurch die harten Bänke der Wartehalle des Flughafens in Manaus auf Schlafmöglichkeiten zu testen. Erwartungsgemäß fiel der Test negativ aus.  

Der Anflug auf die 20 Mio. Einwohner Metropole São Paulo war äußerst beängstigend: Wir flogen über ein bis an den Horizont reichendes Häusermeer. Von einer Landschaft war hier definitiv nichts mehr zu erkennen. Daher hatte ich nicht gerade sonderlich große Lust auf diesen „Moloch“, nachdem ich für fast 3 Wochen keine Hochhäuser, ja noch nicht einmal mehr 2- bis 3-stöckige Gebäude gesehen hatte. Aber nicht die „Reize“ dieser Stadt brachten mich hierher, sondern vielmehr die Tatsache mal wieder jemanden der weltweit verstreuten Schnickschnack-Gemeinde zu besuchen.  

Maria betreut in einem Vorort von São Paolo Kinder in einer Art Kindertagesstätte für ein Jahr. Dadurch dass Maria nicht im Zentrum sondern ca. 30 km davon entfernt lebt, war es gar nicht so einfach sich mal kurz so in dieser Metropole zu treffen. Denn ich spreche nun mal erst äußerst gebrochen portugiesisch und Marias Gastgeber „não ingles“ (kein Englisch). So kam es dass das erste Telefongespräch etwas im Sande verlaufen ist, da Maria nicht zu Hause war, und ich irgendwie vermitteln wollte, dass ich sie am nächsten Tag besuchen wollte. Glücklicherweise haben Marias Gastgeber ihr aber von diesem komischen Anrufer berichtet, und letztendlich konnten wir uns dann doch noch treffen. Nach dem Besuch bei Maria heißt es nun endgültig Adeus Brasil und es geht nun wieder der Heimat entgegen.