„Fast“ geht vor „fair“

Update: 25. Juni 2020, 15:25 Uhr – offizielles Statement von Mainz 05 durch Dr. Michael Welling am Ende des Blogbeitrags.

Diese bizarre Bundesliga-Saison 2019/2020 neigt sich dem Ende zu. Was passiert zum Ende jeder Spielzeit? Wahlweise frustrierte oder euphorisierte Fans im TV-Bild? Anzunehmen, diesmal allerdings am Tressen statt am Wellenbrecher! Bierduschen auf dem Platz? Pandemie-bedingt vielleicht diesmal eher nicht! Motto-Shirts aus der Marketingabteilung? Definitiv: wahlweise mit dem Konterfei eines Publikumslieblings, der seine Karriere beenden oder woanders fortsetzen wird – oder einem Spruch, der auf die gerade beendete Saison gemünzt ist.

Wir können uns das bildlich vorstellen, wie die Verantwortlichen jeder Marketingabteilung aller Bundesligisten gemeinsam mit einer Kreativagentur spätestens ab dem 30. Spieltag an einem entsprechenden Konzept tüfteln. Wenn jenes Ereignis eintritt, dann zieht Plan A. Tritt es nicht ein, greift Plan B etc.

Mainz 05-T-Shirts mit Bezug auf Menschenrechte gab es auch in der Vergangenheit – damals waren Fair Fashion und Fast Fashion allerdings den wenigsten Protagonisten bekannt. Das sollte sich mittlerweile geändert haben.

Dieses Jahr ist ja wie schon geschrieben alles ein wenig anders. Dass die Zuschauer im Stadion fehlen, ist nicht nur bei diesem Thema Nebensache. Verkaufsmöglichkeiten gibt es ja auch außerhalb des Stadions genug. Umgekehrt kann das natürlich wunderbar thematisiert werden. Dieser Ball wurde auch von Mainz 05 bereits vor dem Spiel gegen Werder Bremen aufgegriffen. Ansonsten hätten sich die Spieler und Verantwortlichen das diesjährige Motto-Shirt nicht unmittelbar nach dem Abpfiff überstreifen können. Auf diesem sind die Aussagen abgedruckt, dass acht Meistertitel in Folge „langweilig“, elfmal den Klassenerhalt am Stück sichern „Mainzer Weltklasse“ und pandemiebedingt einmal kein gemeinsames Feiern durchzuziehen „schmerzhaft“ sei. Den großen Bayern mal als kleines Mainz mit Humor ans Bein zu pinkeln ist närrische Tradition – klein gegen groß – und daher meiner Meinung nach absolut in Ordnung. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Das soll hier, anders als in den sozialen Netzwerken, aber gar kein Thema sein.

Dass es dieses T-Shirt nicht unmittelbar nach dem Abpfiff online und ab Montag dieser Woche im Fanshop zu erwerben gab, macht die Aktion noch sympathischer. Ich möchte nicht wissen, wieviele T-Shirts in hohen Chargen in eben beschriebenen Brainstormings zwischen Marketing-Leuten und Kreativen entworfen und produziert wurden, um sie, nachdem Plan A nicht eingetreten war, klammheimlich in der Tonne zu entsorgen. Mainz 05 ging hier einen anderen Weg. Der Verkauf startete erst am Dienstagabend dieser Woche über die verschiedenen Vertriebskanäle mit dem Hinweis, dass es sich um eine Vorbestellung handeln und diese spätestens zum 5. Juli 2020 in den Versand gehen würde. Das ist mehr als löblich. Es wird quasi nur die Menge produziert, für die eine Nachfrage besteht. Nachhaltig ist dieses Handeln aber dennoch nicht.

Ob Baumwolle konventionell oder bio angebaut wird, macht für die Menschen vor Ort, z.B, in Indien, einen großen Unterschied. Der Preisunterschied in Deutschland ist jedoch sehr gering.

Um wirklich nachhaltig produzierte T-Shirts herzustellen, ist nicht nur der gerade genannte ökonomische Aspekt zu betrachten. Es geht auch um ökologische und soziale Dinge. Diese Punkte wurden leider nicht beachtet. Beim Anbau von Bio-Baumwolle wird u.a. auf den Einsatz von Pestiziden und Herbiziden zur Bekämpfung von Schädlingen und „Unkraut“ verzichtet. Wir alle machen uns Gedanken ums Insektensterben. Da sind Baumwollplantagen, die mit Insektiziden bearbeitet werden, der falsche Ansatz. Um die Böden vor dem Auslaugen zu schützen, werden Biobaumwollfelder in Form einer Mischkultur betrieben. Alternativ wird die so genannte 3-Felder-Wirtschaft genutzt. Ziel des Bio-Baumwollanbaus ist es auch immer, dass die Kleinbauern möglichst autonom arbeiten. Im konventionellen Anbau sind diese durch den Kauf von Dünger, gentechnisch verändertem Saatgut und den genannten Chemie-Keulen von Dritten abhängig. Dieser soziale Aspekt ist der dritte Baustein, wenn es um nachhaltiges Wirtschaften geht. Denn mit der Ernte der Baumwolle durch unabhängige Kleinbauern ist es ja nicht getan. Diese muss verarbeitet und das T-Shirt genäht werden. Labels wie der „Global Organic Textile Standard“ „Faitrade“ oder der „Blaue Engel“ sorgen dafür, dass entsprechende Ware zertifiziert und für uns Verbraucher eindeutig als ein Produkt identifiziert wird, das unter Bedingungen hergestellt wurde, die sich deutlich von dem „Standard“ unterscheiden, die bei der konventionellen Produktion von T-Shirts angewendet wird.

Bei fairem Handel wird auf die Wahrung von Menschen- und Arbeitsrechten geachtet. Es geht um das Recht, Gewerkschaften zu gründen, Arbeitssicherheit, Vermeidung von Diskriminierung, humane Arbeitszeiten und existenzsichernde Löhne (und nicht nur Mindestlöhne, wie beim staatlichen Label „Der grüne Knopf“). Kinderarbeit ist natürlich auch ein No Go. Für dieses Handeln wurde der Begriff „Fair Fashion“ etabliert.

Aus gutem Grund hat sich Mainz 05 entschlossen, mittlerweile viele Produkte im Fanshop anzubieten, die „Fair Fashion“-Kriterien entsprechen. Das ist mehr als vorbildlich. Umso weniger verständlich finde ich es allerdings, dass bei der Produktion des Saisonabschluss-T-Shirts genau auf solche Kriterien kein Wert gelegt wurde. Statt auf „Fair Fashion“ wurde bei diesem T-Shirt auf „Fast Fashion“ gesetzt. Die Gunst der Stunde, sprich der Nichtabstieg, sollte dazu genutzt werden, dass die Fans aus einem Impuls heraus das T-Shirt kaufen. Dabei muss das T-Shirt möglichst günstig sein, damit die Hemmschwelle zum Konsum recht niedrig liegt. Ein fair gehandeltes Shirt aus Bio-Baumwolle wäre sicherlich nicht für 10 Euro in den Verkauf gegangen. Aber hat es ein Verein wie Mainz 05 tatsächlich nötig, alles „mitzunehmen“ was geht? „Fast Fashion“ first, „Fair Fashion“ second. Ist das Leben der Bäuerinnen und Bauern, der Näherinnen und Näher nur etwas mehr wert, wenn es in den Rahmen eines Marketingplans passt?

#Whomademyclothes – mit diesem Hashtag fordern immer mehr Menschen Informationen zu den Bedingungen, unter denen die eigene Kleidung z.B. in Bangladesch hergestellt wurde.

Schließlich befindet sich auf dem Shirt auch noch das Hashtag #BLACKLIVESMATTER (BLM). „Schwarze Leben zählen“ steht also auf dem Shirt. Ohne dieses Hashtag der internationalen Bewegung, die sich gegen Gewalt gegen Schwarze Menschen einsetzt, wären die oben geschriebenen Absätze ein hehres Ziel gewesen. Dem muss sich ein Verein natürlich nicht verschreiben. Wenn der Verein allerdings auf seiner Seite in der Rubrik „Engagement“ das Kapitel „Mainz 05 hilft e.V.“ führt, in dem vom „karitativen Verein des Fußball-Bundesligisten“ die Rede ist, dann sollte es schon eine Rolle spielen, unter welchen Bedingungen ein Shirt produziert wurde – gerade wenn man Menschenrechte thematisiert. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Schwarze Leben zählen –  richtig so. Aber zählt das Leben bzw. die Bedingungen derjenigen, die das Shirt produziert haben, nicht genausoviel? 

Damit ist aber immer noch nicht geklärt, was die Aussage BLM auf dem Shirt zu suchen hat. Sie hat weder etwas mit der Meisterschaft der Bayern, noch mit dem Klassenerhalt oder dem nicht möglichen Feiern mit den Fans zu tun. Wieso steht es trotzdem auf dem Shirt? Entweder, um dem Zeitgeist und somit den „Fast Fashion“-Kriterien zu entsprechen. Das Hashtag gilt gerade als trendig, obwohl es die Bewegung bereits seit 2013 gibt. Ich kann mich nicht erinnern, dass es BLM schon einmal in der Vergangenheit auf ein Shirt von Mainz 05 geschafft hat. Oder es wird auf einen Teil der Spieler von Mainz 05 Bezug genommen. Da wäre dann allerdings eine sehr ungeschickte Brücke zur Hautfarbe geschlagen worden. Welche Hautfarbe Spieler von Mainz 05 haben, ist wahrscheinlich nahezu allen Fans und Mitgliedern egal. In dieser Saison haben den Klassenerhalt wieder mehr als 20 am Ball begabte Jungs hinbekommen – fertig (und gut so).

Gerade beim Fußball soll doch die Hautfarbe vollkommen egal sein. Sie bedeutet in der Kommunikation aber immer ein Ritt auf der Rasierklinge. Wie ich schon in meinem Blog „Aufräumen im eigenen Kopf“ schrieb, ist es quasi unmöglich, nicht in rassistische Denkmuster zu verfallen, wenn man von Rassismus selbst nie betroffen war. Erst neulich hat sich ein Mensch an der Hautfarbe einiger Spieler gestört und seine Mitgliedschaft bei Mainz 05 gekündigt. Der Verein hat diese Kündigung begrüßt und seine Antwort auf die Kündigung veröffentlicht. Das fand bundesweit fast durchweg eine positive Resonanz. Ein paar Tage später stellte der Verein einen Cartoon online, in dem Schwarze Menschen in einem Ruderboot zu sehen waren. Dem Verein wurde in den sozialen Netzwerken sofort Rassismus unterstellt. Dass man mit den rudernden Mainz 05-Spielern aus dem Cartoon Flüchtlinge im Mittelmeer assoziieren kann, liegt auf der Hand. Zum Glück hat der Verein den Cartoon sehr schnell wieder offline gestellt.

Was den Verein letztlich dazu gebracht hat, den Hashtag abzudrucken, bleibt sein Geheimnis. Bei der Beschreibung des T-Shirts im Online-Shop wurde darauf nicht eingegangen. Auch im Statement zum Klassenerhalt vom Mittwoch wird kein Bezug auf das Hashtag genommen. Es hat fast den Anschein, dieses wird gegenwärtig wie ein Claim analog zu „Unser Traum lebt“ verwendet. Wortpiratin Mara hat dem Verein in ihrem Blogbeitrag für die AZ, den Ratschlag erteilt, er möge sich bei solchen Themen sensibilisieren, u.a. durch eine hohe Diversität bei den Mitarbeiter*innen. Vielleicht hätten diese tatsächlich entsprechende Bedenken geäußert und dazu geraten, auf das Hashtag zu verzichten und das Shirt lieber „fair“ als „fast“ zu produzieren. Auf ein paar Tage mehr beim Versand und eine geringere Absatzmenge aufgrund eines höheren Preises wäre es da sicherlich nicht angekommen – auf ein lebenswerteres Leben in Indien oder Bangladesch aber schon, das mit der Verwendung von fair gehandelten Shirts aus Biobaumwolle ermöglicht worden wäre. Und ein passendes Hashtag hätte ebenfalls abgedruckt werden können: #Whomademyclothes  

Offizielles Statement von Mainz 05 durch Dr. Michael Welling:

„Lieber Christoph, Danke für den spannenden Blogbeitrag und die Sensibilisierung für das wichtige Thema. Wie Du weißt, ist es uns wichtig, dass wir bei unseren Merchandising-Artikeln eine hohe Sensibilität an den Tag legen. Nicht immer gelingt uns dies. In diesem konkreten Fall ist es aber glücklicherweise so, dass die T-Shirts aus 100% Bio-Baumwolle sind, Ökotex 100, Fairwear und ein Vegan Zertifikat haben. Wir haben das aber nicht transportiert, weil wir nicht sicher sein konnten, dass es in der Kürze der Zeit überhaupt gelingt. Und: Wir können bei solchen Aktions-T-Shirts Stand heute auch nicht garantieren, dass es zukünftig immer gelingt. Auch deshalb haben wir das nicht in den Fokus gerückt.
Bitte begleite uns weiter kritisch, lege den Finger in die Wunde und transportiere das nach außen. Vielleicht sollten wir uns zukünftig direkter austauschen, damit Du die Hintergründe kennst. Komme jederzeit auf uns mit Fragen zu.“

Quellen:

Bio-Baumwollle vs. Nicht-Bio: Das sind die Unterschiede“ – watson

Grüner Knopf: Was taugt das erste staatliche Siegel für nachhaltige Kleidung? – Utopia.de

Fair Trade Kleidung bei Mode und Textilien“ – GREEN SHIRTS

Fast Fashion – Fakten, Ursachen, Folgen & Lösungen“ – CareElite

Wortpiratin: Auch im Fußball gilt: „Check mal Deine Privilegien“!“ – Allgemeine Zeitung Mainz

Bilder: Pixabay, privat

Wie wäre es mit einer Task Force „Green Deal für die Bundesliga“ liebe DFL?

Mainz 05 spielt morgen Abend in der alten Försterei. Es ist anzunehmen, dass der selbst ernannte erste klimaneutrale Fußballverein der Bundesliga heute mit dem Flugzeug nach Berlin reisen wird. Wer dabei Schnappatmung bekommt, weil die Nullfünfer innerdeutsch fliegen, oder weil wir angeblich gerade wirklich andere Probleme haben, dem sei das Weiterlesen nicht unbedingt zu empfehlen – Schwarz-Weiß-Malerei passt nicht wirklich zu unseren rot-weißen Farben und grünen Themen.

Grundsätzlich alles auszuschließen, sprich niemals (innerdeutsch) zu fliegen oder keine Rücksicht auf das Klima zu nehmen, ist in unserer komplexen Welt nicht zielführend. Würde von heute auf morgen sogar der gesamte Flugverkehr zum Erliegen kommen, wie es gegenwärtig fast der Fall ist, werden immer noch 97 Prozent des bisher ausgestoßenen Kohlendioxids (CO₂) emittiert – sprich diese rigorose Maßnahme hätte keine wirklichen Auswirkungen auf die Entwicklung des weltweiten Klimas. Dennoch ist es natürlich umweltfreundlicher mit der Bahn oder dem Bus nach Berlin zu reisen. Nur bringt es das Klima nicht wirklich weiter, wenn eine Gruppe von 20 Menschen auf diesen Flug verzichten sollte und sich das Flugverhalten und -angebot aller anderen Player nicht verändert.

Hier am Bruchweg zeigte Mainz 05 allerdings schon seine Bereitschaft zum Klimaschutz durch eine Solaranlage auf dem Stadiondach. Bäume sind ebenfalls eine Möglichkeit des Klimaschutzes, da sie CO₂ speichern.

Gegenwärtig dominiert die Corona-Krise aktuell – Fußball und Fliegen inklusive. Unabhängig davon, ob wir Geisterspiele für richtig oder falsch halten, war die Betriebsamkeit der DFL in der Krise bemerkenswert. Vor der Virus-Krise drehten sich glücklicherweise viele Diskussionen um die Klimaerwärmung. Langfristig ist dieses Thema auch bedeutsamer als Corona und wird hoffentlich bald wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Denn die Belastung der Luft durch Gase, die den menschengemachten Klimawandel begünstigen, hat durch die Pandemie höchstens eine kleine Pause eingelegt. Und nur weil kaum noch jemand über das Klima spricht, ist diese Problematik ja nicht aus der Welt.

Umso verwunderlicher finde ich es, dass ich auf der Seite der DFL bei der Suche nach dem Wort „Klima“ die Antwort erhalte: „Zu Ihrer Suche gibt es leider keine Ergebnisse.“ Dabei geriert sich die DFL ja als Interessenzusammenschluss von 36 kleinen und mittelständischen Unternehmen. Bei den meisten anderen Unternehmen in Deutschland ist das Thema „Klima“ mittlerweile in den Fokus gerückt, alleine schon deshalb um im weltweiten Wettbewerb langfristig nicht abgehängt zu werden. Umweltschutz und Wettbewerbsvorteile schließen sich in vielen Teilen der Wirtschaft schon länger nicht mehr aus. Die EU spricht von einem Green Deal der auf den Weg gebracht werden muss und viele Wirtschaftswissenschaftler fordern bei Förderprogrammen für einzelne Branchen in der Post-Corona-Zeit aus der nutzlosen Abwrackprämie für Autos in der Finanzkrise zu lernen und stattdessen Zukunftstechnologien, die das Klima schützen, finanziell zu supporten.

Beim zweiten Versuch auf der DFL-Seite mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ etwas zu finden, erhalte ich immerhin drei Ergebnisse: „Der Verteilerschlüssel“, „Neue Rechteperiode für vier Spielzeiten“ und „Stellungnahme des DFL-Präsidiums“. Bei den ersten beiden Treffern handelte es sich um die Verteilung der Gelder für die Medienrechte der Saisons 2017/2018 bis 2020/21. Beim letzten Treffer geht es um die Fortführung des Spielbetriebs in Zeiten der Pandemie: „Es steht außer Frage, dass künftig Nachhaltigkeit, Stabilität und Bodenständigkeit zu den entscheidenden Werten gehören müssen. Diese Werte gilt es nach Überwindung der akuten Krise in konkrete Maßnahmen umzusetzen.“.

Infoseite von Mainz 05 über die „Mission Klimaverteidiger“

Nachhaltigkeit setzt sich aus wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aspekten zusammen. Ob die DFL tatsächlich auch die ökologischen Aspekte dabei berücksichtigt, darf zumindest angezweifelt werden. Aktuell dreht sich bei der Diskussion um die Neuausrichtung des Fußballs vieles um Gehaltsobergrenzen, Financial Fairplay und um eine gerechtere Verteilung der Fernsehgelder. Aber einen Ansatz, wie ihn Mainz 05 seit Jahren verfolgt, klimaneutral zu agieren, ist damit wahrscheinlich nicht gemeint.

Dass gerade der finanziell nicht wirklich perfekt ausgestattete Fassenachtsverein sich diesem wichtigen Zukunftsthema widmet, ist mehr als löblich. Mainz 05 ist hier Pionier und ich bin mir sicher, dass im Hintergrund viele richtige Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit getroffen werden. So sind viele Fanshop-Artikel mittlerweile GOTS-zertifiziert, was bedeutet, dass Shirts, Schals etc. zu fairen Bedingungen und ökologisch einwandfrei produziert wurden. Es gibt eine Kooperation mit der Mainzer Firma Got Bag, die Plastik als Beifang aus dem Meer fischen lässt und daraus einen Faden herstellt. In diesem Upcycling-Prozess entstehen schließlich schicke Rucksäcke aus Meeresplastik.

Zum Begriff „Klima“ findet sich aktuell kein Eintrag auf der Homepage der DFL.

Bereits im Header der 05-Startseite wird das Thema „Engagement“ erwähnt und auf die „Mission Klimaverteidiger“ verlinkt. Dort findet sich der Hinweis, dass die Solaranlage auf dem Stadiondach durch die Stromerzeugung jährlich den Ausstoß von 470 Tonnen CO₂ verhindert. Mit einem weiteren Klick gelangt man dann auf die komplette Meldung und findet hinter der Aussage mit den 470 Tonnen den Satz, „Mainz 05 ist seit 2010 klimaneutral.“.

Doch was bedeutet das? Zwar wird erklärt, dass mit Entega und dem Darmstädter Ökoinstitut regelmäßig Daten erhoben werden, um den CO₂-Fußabdruck zu bestimmen. In diesem Fußabdruck sind auch die Fanbewegungen enthalten, sprich die An- und Abreise zu Heim- und Auswärtsspielen. „Die dennoch verursachten CO₂-Emissionen werden über den Erwerb von Zertifikaten zur Förderung von Klimaschutzprojekten kompensiert.“, so die Aussage auf der Seite. Vom TÜV Rheinland hat der Verein auch ein entsprechendes Energie-Zertifikat erhalten. „Dabei wurden die Ergebnisse des CO₂-Fußabdrucks systematisiert, um noch gezielter und effektiver Maßnahmen für das Energiemanagement zu ermitteln und zu bewerten.“

Das ist alles vorbildlich. Natürlich ist für viele Menschen eine solche Kommunikation vollkommen ausreichend. Allerdings stellt sich die Frage, ob der Verein tatsächlich ausschließlich auf die CO₂-Kompensation setzt, ob das Ökoinstitut und der TÜV ebenfalls nur den CO₂-Abdruck errechnen und zertifizieren oder ob der Verein tatsächlich den notwendigen zweiten Schritt geht und auch Non-CO₂-Emissionen kompensiert. Erfolgt eine solche Non-CO₂-Kompensation, sollte er es auch kommunizieren. Kompensiert er ausschließlich CO₂, besteht die Gefahr, dass Leute, die sich mit der Problematik auskennen, dem Verein gegebenenfalls „Greenwashing“ unterstellen könnten.

Atmosfair lehnt es ab, die Strecke Frankfurt – Berlin -Frankfurt zu kompensieren, da die Bahnfahrt klimafreundlicher ist.

Schließlich ist es wissenschaftlich erwiesen, dass neben CO₂ weitere Gase Einfluss auf den Klimawandel haben. Die Non-Profit-Organisation „atmosfair“ bietet auf ihrer Webseite die Möglichkeit an, Flüge zu kompensieren und zwar über den reinen CO₂-Abdruck hinaus: „Für die Berechnung der Klimawirkung von Non-CO₂-Emissionen über 9 000 Meter Höhe werden die CO₂-Emissionen in dieser Höhe mit einem Aufschlag von 2 multipliziert und dann zum reinen CO₂ addiert (‘Faktor 3’).“.

Möchte man nun die Flüge Frankfurt – Berlin – Frankfurt bei atmosfair kompensieren, erhält man allerdings den Hinweis, dass es eine Bahnverbindung mit besserem CO₂-Fußabdruck gibt. „Nach dem Klimaschutzgrundsatz „Vermeiden und Reduzieren vor Kompensieren“ bieten wir daher die CO₂-Kompensation für diesen Flug nicht an.“ Trotzdem wird der Abdruck errechnet: Es entstehen 58 kg CO₂-Emissionen und 50 kg Non-CO₂-Emissionen. Über diese Non-CO₂-Emissionen findet sich bei Mainz 05 kein Hinweis. Wird dieser Betrag pro Person, die heute nach Berlin fliegt, eingerechnet oder nicht? Das Öko-Institut sollte das ermitteln und entsprechend kommunizieren können. Unabhängig davon, ob sich heute die Mannschaft ins Flugzeug setzt oder doch den Bus nimmt, fliegen Nullfünfer für gewöhnlich durch die weite Welt: zu Vertragsverhandlungen, zum Scouting, zu anderen Auswärtsspielen. Würde dann allerdings nur der CO₂-Anteil kompensiert, wäre das Wirtschaften des Vereins CO₂-neutral aber nicht vollkommen klimaneutral. Die Frage ist auch immer, wie schnell die Kompensation erfolgen soll – auch darüber findet sich kein Beleg auf der Seite von Mainz 05.

Eine reine CO₂-Kompensation der Strecke Frankfurt – Berlin – Frankfurt mit Hilfe von Bäumen kostet auf Compensaid.com 2,59 €.

Neben atmosfair bietet auch „Compensaid.com“ eine Kompensation an und das auch tatsächlich auf der innerdeutschen Strecke zwischen Frankfurt und Berlin. Dabei kann zwischen verschiedenen Varianten gewählt werden: Möchte man innerhalb von 20 Jahren die Kompensation mit Hilfe von Bäumen durchführen, da diese CO₂ speichern, kostet das 2,59 € für die reine CO₂-Kompensation. Leider bietet die Seite keine Non-CO₂-Kompensation an. Würde man aber das o.g. Beispiel von atmosfair von 50 kg Non-CO₂-Emissionen nutzen, würden nochmals 2,32 € fällig. Das sind meiner Meinung nach Beträge, die jede Person, die fliegen möchte, auch bezahlen könnte. Alternativ gibt es mittlerweile nachhaltiges Flugbenzin (sustainable aviation fuel – SAF), das beispielsweise aus altem Speiseöl oder Holzabfällen hergestellt wird. Der Nachteil: SAF ist extrem teuer. Für die Strecke Frankfurt – Berlin – Frankfurt wären laut Compensaid 63,14 € für die reine CO₂-Kompensation fällig. Möchte man zusätzlich seinen Non-CO₂-Fußabdruck unmittelbar kompensieren, wären 54,43 € zusätzlich zu berappen.  

An diesem Beispiel erkennen wir, dass es bereits heute theoretisch möglich ist, fast klimaneutral zu fliegen. Es ist einfach eine Frage des Geldes. Da wären wir dann wieder beim Fußball. Was wäre das eigentlich für ein Signal, wenn die Branche ihre Flüge mit SAF kompensieren würde? Dadurch würde die Nachfrage nach SAF erhöht und langfristig der Preis sinken. Das wäre gesellschaftspolitisch ein riesen Gewinn. Das ist jedoch wahrscheinlich sehr unrealistisch, da das eingenommene Geld durch die Medienverträge anderweitig verwendet wird. Aber Mainz 05 sollte auf seiner Webseite erläutern, welche Klimaschutzprojekte gefördert werden, wie lange es dauert, um eine solche Kompensation (z.B. über Bäume) durchzuführen und ob diese Projekte von Organisationen, wie dem „Gold Standard“ zertifiziert werden. Der Gold Standard wird vom Umweltbundesamt wie folgt bewertet: „Achten Sie bei Kompensationsanbietern auf diese Zertifizierung. Die Gold-Standard-Foundation ist eine Non-Profit Zertifizierungsorganisation, die in der Schweiz registriert ist. Berechtigt zur Zertifizierung durch „The Gold Standard“ sind nur Projekte, die nachweislich zur Reduktion von Treibhausgasen führen und gleichzeitig gut für die lokale Umwelt und soziale Belange der Bevölkerung sind.“ Leider besteht auch bei Projekten immer die Gefahr des Greenwashings – daher ist die Zertifizierung so wichtig.

Die unmittelbare CO₂-Kompensation mit Hilfe von SAF kostet auf Compensaid.com 63,14 €.

Außerdem ist natürlich fraglich, wie der Verein die Fanströme berechnen möchte. Hätten wir am Mittwoch in Köpenick gespielt, wüsste der Verein ja nicht wirklich wer mit der Bahn, mit dem Bus, mit dem PKW oder mit dem Flugzeug nach Berlin gereist wäre. Natürlich interessiert sich die Mehrheit der Leute für solche Details nicht. Es ist allerdings meiner Meinung nach wichtig, die Berechnungsgrundlagen darzulegen, um tatsächlich nicht in den Verdacht des Greenwashings zu geraten. Airlines, die direkt eine Kompensationsmöglichkeit anbieten, lassen sich die Berechnungsgrundlagen durch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften attestieren und diese auch publizieren. Es ist anzunehmen, dass der TÜV Rheinland, der Mainz 05 zertifiziert, eine solche Berechnungsgrundlage erstellt hat. Diese sollte entsprechend öffentlich zugänglich sein.

Ich habe als Fan diesbezüglich mittlerweile einen gewissen Anspruch, schließlich schreibt sich der Verein seit 2010 das Attribut der Klimaneutralität auf seine Fahnen. Allerdings sollte für so eine fundamentale Aussage auch entsprechende Belege erbracht werden. Für mich ist der Ansatz, klimaneutral zu agieren auch ein Grund, warum ich meinen Verein so wertschätze. Er ist trotz der oben gestellten Fragen, die sich sehr schnell beantworten lassen sollten, tatsächlich Vorbild: Für uns Fans, aber auch für andere Vereine in der Bundesliga und auch andere Vereine in anderen Sportarten. Wir lieben unseren Verein und werfen ihm oft vor, sich nicht richtig zu positionieren. Manche möchten aus Nullfünf ein zweites St. Pauli machen, das bei vielen gesellschaftlichen aber vielleicht eher unbequemen Themen eindeutig Stellung bezieht. Manche finden Union Berlin (trotz der Vorkommnisse 2002) cooler, weil die Fans das Stadion mit umgebaut haben. Ich finde, die Positionierung als Vorreiter beim Klimaschutz ist zumindest ein markanter Wesenszug unseres Vereins, der damit in der Liga nahezu ein Alleinstellungsmerkmal hat – dieses allerdings noch viel mehr herausstellen sollte, gerade in der nächsten Zeit.

Und die DFL? Die klopft sich aktuell auf die eigene Schulter. Ihr Konzept „Task Force Sportmedizin / Sonderspielbetrieb“ geht gegenwärtig einigermaßen auf. Mit Stolz verkündet sie, die ganze Welt würde darauf schauen. Ich würde mich freuen, wenn sie in Kürze eine entsprechende Task Force „Green Deal für die Bundesliga“ aufbauen würde. Schließlich sind alle Verantwortlichen der Meinung, dass die Bundesliga Vorbild-Charakter hat – auch gerade für die anderen Ligen in Europa. Die Premier League, die ja mit noch mehr Geld zugeschüttet wird, könnte es sich moralisch dann sicherlich nicht leisten, hintanzustehen, gerade auch weil in Großbritannien teilweise Umweltschutz wesentlich stringenter, insbesondere im Bereich der Supermärkte und Modefirmen (Fair Fashion), umgesetzt wird als bei uns, wo oft noch „billig“ vor „bio“ und „fast“ vor „fair“ steht.

Ferner begeistert Fußball alle sozialen Schichten, alle Geschlechter und die meisten Nationen. Klimaschutz geht uns alle an. Es bietet sich für die nächste Spielzeit tatsächlich die Chance, als Liga (und mit dem DFB als Verband) voranzugehen und den Klimaschutz zu priorisieren. Dann hätte die DFL eine weitere Möglichkeit, sich auf die Schulter zu klopfen und weltweites Vorbild zu sein – beim wichtigsten Thema unserer Zeit überhaupt.

Quellen: Die erwähnten Zitate stammen aus meinem Buch „Mit Bedacht fliegen – 19 Aspekte zur Reisevorbereitung in Zeiten von Flugscham und Greenwashing„, 119 Seiten, Eigenverlag, 2020.

Willkommen in der neuen „Egalität“

Wie bist Du eigentlich auf den Gedanken gekommen, irgendwann einmal ins Stadion zu gehen?

Es liegt in der Natur der Sache, dass wir uns bisher meist erst für Fußball interessiert und uns dann zum ersten Mal ins Stadion begeben haben. Natürlich gab es in der „alten Normalität“ auch den umgekehrten Fall, sprich, dass Menschen, die mit Fußball so rein gar nichts am Hut hatten, von Freund*innen mitgeschleppt wurden und im Stadion die Liebe zum Spiel entdeckten. Aber dieses Szenario ist auf absehbare Zeit erstmal nur noch graue Theorie.

Wäre die Liga erst 2021 oder 2022 aber gleichzeitig mit Zuschauern im Stadion neu gestartet, hätte es sich um eine Art „Winterschlaf“ für alle Beteiligten gehalten. So aber führen die Geisterspiele bei mir zu einer Art „Back to the roots“. Schließlich schaute ich die letzten 20 Jahre Vereinsfußball praktisch ausnahmslos im Stadion. Die Pay-TV-Debatten zu Premiere, Arena TV, Sky und Co. liefen an mir komplett vorbei. Ich genoss es turnusgemäß, alle zwei Wochen die Dauerkarte einzupacken oder durch die Republik zu düsen, den Alltag komplett zu vergessen und das Auswärtsspiel ergebnisunabhängig zu genießen – weil wir alle einen an der Waffel ham.

Irgendwan sind wir alle zum ersten Mal ’nuff gegangen.

Dass ich kein großer Fan der Geisterspiele bin, habe ich ja bereits Anfang April thematisiert. Das Für und Wieder wurde landauf landab wochenlang durchdiskutiert. Eine wirkliche Erweiterung der Erkenntnisse blieb für mich dennoch aus. Hoffentlich aber nicht für die Allgemeinheit, die ja den aktiven Fans oftmals unterstellt hatte, sich vor den Stadien zusammenrotten zu wollen. Jetzt ist der erste Geisterspieltag gelaufen und die Fanszenen haben wie während der ganzen Krise verantwortungsvoll gehandelt. Dass Mainz 05 ein gutes Auswärtsspiel in Köln bestritt, wo wir in der ersten Liga noch nie gewonnen haben, lässt mich in der Analyse natürlich noch subjektiver urteilen. Aber eigentlich kenne ich dieses Gefühl, dass einerseits Spieltag ist und ich andererseits nicht dabei bin, seit jeher von meinen Reisen, die ich nie wirklich an den Saisonfahrplan angepasst habe.   

Doch so ganz kam mir das am Wochenende dann doch nicht so vor, wie meine freiwillige wochenweise Abstinenz der letzten Jahre. Ich musste mich in meinen Gedanken zeitlich noch weiter nach hinten begeben und kam schließlich in den 1990er Jahren an. Fankultur mit Gesängen, Fahnen und Choreos, wie wir sie seit rund 20 Jahren kennen, gab es damals noch nicht. Mein erstes Zweitligaspiel sah ich 1997 zu Pfingsten am Bruchweg – danach ging’s am gleichen Tag zum ersten Mal auf’s Open Ohr – dass beides dieses Jahr nicht (mehr) stattfinden kann – Ironie des Schicksals. Vorher kam es mir gar nicht in den Sinn, ins Stadion zu gehen. Dennoch war ich damals schon Mainz 05-Fan. Ich habe jeden Artikel der AZ oder der Rheinzeitung – je nachdem, welches Abo meine Eltern gerade hatten – verschlungen. An 05-Spiele im Fernsehen oder im Radio kann ich mich gar nicht erinnern. Ich identifizierte mich trotzdem mit dem besten Fußballverein der Stadt und war unendlich happy, dass wir damals schon so lange in der zweiten Liga spielten. Zuvor sind wir schließlich relativ oft knapp am Aufstieg aus der Oberliga Südwest in die zweite Liga vorbeigeschrammt. Meist waren Eintracht Trier oder Salmrohr einfach einen Tick besser gewesen. Schließlich waren es meine Kumpels, die mich zum ersten Liga-Spiel mitnahmen, um danach auf der Zitadelle den Pfingstsonntag ausklingen zu lassen.

Stehplätze und Fahnenmeer – hoffentlich kein geschichtsträchtiges Bild der Vergangenheit

Jetzt fühle ich mich tatsächlich wieder in diese Zeit vor meinem ersten Ligaspielbesuch versetzt. Sky-Kunde werde ich in diesem Leben wohl nicht mehr. Liveticker finde ich ebenfalls schrecklich. Ich hatte am Sonntagnachmittag trotzdem mal kurz den Zwischenstand gecheckt – das gab es vor 20 oder 25 Jahren dann doch noch nicht. Dass es 2:1 für Köln stand fand ich direkt mal mega sch… Und da merkte ich, dass ich zwar Geisterspiele genauso fand, wie den Zwischenstand, ich aber trotzdem mit Nullfünf mitfieberte. Um halb sechs herum checkte ich das Endergebnis und freute mich sehr, dass wir nicht wie fast jedes Jahr in Köln verloren haben. Und ich entschied mich, auch im SWR die Zusammenfassung im Fernsehen zu verfolgen.

Wahrscheinlich werde ich die restlichen Spieltage so ähnlich verbringen. Ich fühlte mich emotional zwar angesprochen, weil die Jungs in Rot und Weiß spielten. Natürlich bin ich auch froh, wenn mein Verein diese Zeit wirtschaftlich überlebt und im besten Fall nicht absteigt. Ich fürchte aber auch, dass, je länger diese Abstinenz anhält, sich viele überlegen, ob sie noch ins Stadion gehen. Denn dieser „moderne Fußball“ ging ja vielen von uns schon seit geraumer Zeit auf den Keks. Aber wir spielten das Spiel lange genug mit. Nun merken wir, dass es für das Produkt Fußball unerheblich ist, ob wir nuff gehen oder nicht. Natürlich haben manche Spieler in einem Nebensatz in ihren Interviews erwähnt, dass die Zuschauer fehlten. Aber wirklich tiefes Bedauern habe ich nicht verspürt. Es ist mittlerweile eine ziemliche Egal-Mentalität entstanden. Es ist im Grunde genommen egal, ob mit oder ohne Zuschauer gespielt wird – selbst aus finanziellen Kriterien, was natürlich nur für die Bundesliga gilt. Bilder aus den Fanblöcken fürs Fernsehen waren eh meist nur Beiwerk, um ein paar Sekunden zwischen Einlauf und Anpfiff zu füllen. Und Stadionatmosphäre kann ja, wie mittlerweile alle wissen, über eine zweite Tonspur als Option eingestellt werden. Neue Choreos brauchen die Vereine auch nicht wirklich. Das, was die organisierten Fans an visuellem Material in den letzten Jahren geliefert haben, reicht für das sich mit fremden Federn schmücken auf Collagen, Briefköpfen oder Einspielern in den nächsten Jahren mehr als aus. Es ist auch schon fast egal, wer da spielt: Ob es ein Konstrukt ist, eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, eine Werkself oder ein eingetragener Verein. Und es ist auch egal, wann gespielt wird. Bayern um 18 Uhr am Sonntagabend in Köpenick? Egal – es muss ja außer der Mannschaft eh keiner mehr abends um halb neun noch von Berlin nach München fahren. Die „beliebten“ Montagsspiele sind letzten Endes auch egal.  Letztlich ist es sogar egal, ob überhaupt hingeschaut wird – Hauptsache der Fernseher ist eingeschaltet und die Quote stimmt. So ist es mir 2005 beim Spiel HSV vs. Hertha in Kambodscha ergangen – es liefen drei Spiele (einmal Bundesliga und zweimal Premier League) auf drei Fernsehern gleichzeitig und niemand außer mir nahm sonderlich Notiz vom Spielgeschehen – es wurde einfach die ganze Zeit gewettet und gezockt – das Spiel an sich war den Leuten komplett egal. Der asiatische Markt guckt halt anders. Aber das kann den Verantwortlichen fürs Auslandsgeschäft der Bundesliga auch egal sein. Hauptsache die Kohle fließt.  

Stadionatmosphäre kann sogar in einer Turnhalle aufkommen, aber nicht im heimischen Wohnzimmer – ob mit oder ohne Tonspur.

Natürlich ist das oben beschriebene Szenario überspitzt dargestellt. Ich hoffe, dass durch das Durchziehen der Geisterspiele wir langfristig, was Fanbelange angeht, wieder in die „alte Normalität“ gelangen. Gleichzeitig ist allerorten zu hören, dass sich der Profifußball verändern soll. Dass diese Veränderungen im Sinne der Fans sind, hoffen wir zwar inständig, alleine mir fehlt dazu der Glaube. Dabei möchte ich niemanden etwas unterstellen, doch ich fürchte tatsächlich um die Stehplätze, da anzunehmen ist, dass die Ansteckungsgefahr dort höher ist, als auf Sitzplätzen mit Maskenpflicht. Und ich fürchte um die 50 plus 1 Regel: Viele Vereine sind mittlerweile wohl in finanzielle Schieflage geraten und dieses Szenario ist Wasser auf die Mühlen der Befürworter der Abschaffung von 50 plus 1. Ansonsten gehe ich davon aus, dass sich im Profifußball nichts ändern wird. Wenn aber Stehplätze tatsächlich abgeschafft und Investoren Tür und Tor geöffnet werden, dann bin ich mir auch gar nicht mehr sicher, ob ich mich überhaupt noch mit meinem „Verein“ identifizieren kann. Er ist mir dann vielleicht auch egal. Eine neue „Egalität“ wäre eigentlich das Ziel gewesen, das viele Fans schon vor Corona vor Augen hatten: eine Gleichheit der Chancen für alle Vereine, beim Titelkampf, beim Ringen um die Europapokalplätze und beim Vermeiden des Abstiegs durch eine faire Verteilung der Fernsehgelder. Doch leider fürchte ich, dass diese neue Gleichheit im Profifußball nach dem Ende der Krise nicht eintreten wird. Ich lasse mich da aber gerne eines Besseren belehren. Schließlich stirbt die Hoffnung bekanntlich zuletzt – und mir ist der Bundesligafußball (noch) nicht egal.