Nächster Halt: Nachhaltigkeit im Fußballbusiness?!

Aus Anlass des dritten globalen Klimastreiks am 20. September unterstützt Mainz 05 die „Fridays for Future“ Protestaktion durch Einsatz eines Sonderzugs zum am gleichen Tag stattfindenden Auswärtsspiel in Gelsenkirchen. Ferner werden die Nullfünf-Mitarbeiter freigestellt, um an den Kundgebungen teilzunehmen.

Diese Aktionen sind ausdrücklich zu begrüßen. Der Verein positioniert sich eindeutig und setzt nach eigener Aussage ein Zeichen „für Nachhaltigkeit und für den Schutz der Umwelt“. Während andere Vereine mit diesem Thema noch fremdeln,  gilt Mainz 05 als Pionier bei diesem Thema im Profifußball, seitdem sich der Verein 2010 als erster klimaneutraler Verein positioniert hat und seither sich der „Mission Klimaverteidiger“ verschrieben hat. Allerdings muss der Verein meiner Meinung nach aufpassen, dass diese Aktionen zum Schalke-Spiel nicht ungewollt als Greenwashing abgetan werden.

Sonderzug nach Schalke am Tag des 3. globalen Streik fürs Klima
Sonderzug nach Schalke am Tag des 3. globalen Streik fürs Klima

Eine Fahrt mit dem Bus zum Auswärtsspiel ist nicht unbedingt klimaschädlicher, als die Bahn zu nehmen. Wer meine Spätlese kennt, weiß, dass ich der Bahn gegenüber sehr freundlich gesonnen bin. Sie fährt aber bis heute noch mit ziemlich viel Strom durch die Gegend, der aus Braunkohlekraftwerken stammt, die in Deutschland für einen sehr hohen Ausstoß des klimaschädlichen CO2 verantwortlich sind. Ferner ist die Bahn bis heute der größte Verbraucher von Glyphosat, was unter Umweltschützern auch nicht gerade einen guten Ruf hat, da es für das Insektensterben mit verantwortlich gemacht wird. Verkehrsträger gegeneinander auszuspielen ist nicht wirklich zielführend. Trotzdem ist es natürlich nicht verkehrt, diesen Zug fahren zu lassen. Es gibt nur in dieser Thematik eben keine Schwarz-Weiß-Malerei in Form des guten oder des schlechten Verkehrsmittels. Ob man innerdeutsch zu Auswärtsspielen fliegen muss, möglichst noch mit dem Privatjet, sei allerdings dahingestellt.

Nachhaltigkeit besteht aber nicht nur aus Klimaschutz. Es geht auch um ressourcenschonendes Auftreten. Daher müssen wir alle, auch Mainz 05, wollen wir nachhaltig agieren, unser gesamtes (wirtschaftliches) Handeln überprüfen – sprich eine Nachhaltigkeitsinventur durchführen. Im Marketing spricht man gerne von einer „Customer Journey“, also einer Reise der Kunden, wenn es um Berührungspunkte dieser mit Unternehmen geht.

Begebe ich mich jetzt unter Nachhaltigkeitskriterien auf eine Customer Journey bei Mainz 05, dann fallen mir Punkte auf, die  es wert sind, mal genauer unter die Lupe genommen zu werden:

Wenn ich das Stadion betrete und mich an den Verpflegungsständen anstelle, frage ich mich, warum Einweggetränkebecher genutzt werden. Mehrweg ist immer besser als Einweg, sofern dies keine Hygienerichtlinien untersagen. Oberstes Credo sollte immer sein, Müll zu vermeiden, damit Recycling erst gar nicht notwendig wird. Denn leider sind Becher aus Maisstärke, wie sie bei uns genutzt werden, nicht besser als Einweg-Plastikbecher: Anbauflächen für Becher statt für den Nahrungsmittelanbau zu nutzen ist schon problematisch. Wenn dafür am Ende noch der Amazonas-Regenwald abgeholzt wird, ist spätestens jedem klar, dass es wenig Sinn macht, Flächen mit Pflanzen zu bebauen, die zu Bechern verarbeitet werden, die wir nur ein paar Minuten nutzen. Recyceln lassen sich die Becher aktuell auch nicht wirklich. Wer mehr dazu erfahren möchte, klickt mal auf den Artikel der Wirtschaftswoche (Links finden sich am Ende des Artikels).

Unter anderem werden auch auf St. Pauli Mehrwegbecher genutzt. Die Stadionbesucher*innen haben die Möglichkeit, ihr Becherpfand Viva Con Agua de St. Pauli zu spenden. Man muss das Rad manchmal gar nicht neu erfinden, was zum Bespiel der 1. FC Nürnberg zu recht bemerkt hat, wie die Glubb-Fans auf Fasznation Nordkurve dargestellt haben (Link unten). Was für ein starkes Zeichen des deutschen Fußballs wäre es, in allen Stadien der Bundesliga neben denen in St. Pauli und Nürnberg diese Idee einzuführen? Und wieviel Geld käme da an jedem Wochenende für Trinkwasserprojekte weltweit zusammen?

Einwegbecher im Stadion
Einwegbecher im Stadion

Sind die Mehrwegplastikbecher irgendwann mal nicht mehr zu benutzen, kann aus ihnen etwas Neues entstehen, z.B. eine Bank zum Chillen vor dem Stadion. Diese Upcycling-Prozesse sorgen dafür, dass Plastik nicht generell verteufelt werden muss. Auch bei den Pappbechern könnte man einen Weg gehen wie das Neustadteis mit den Recup2Go Pfand-Bechern für Kaffee, Tee und Glühwein.

Statt dem aktuellen Getränkelieferant wäre es natürlich nachhaltiger, Bio-Getränke ins Sortiment aufzunehmen. Bei Kaffee und Kakao sollte auch darauf geachtet werden, Fairtrade-Produkte zu verwenden. Lokal produzierte Speisen und Rheinhessenwein zu verkaufen ist schon mal ein Tick weit nachhaltig – den Spundekäs und das wirklich tolle weitere vegetarische Angebot in Plastik zu verpacken, ist es aber nicht. Denn Plastik wird in Deutschland leider oft nicht recycelt, sondern exportiert – aktuell hauptsächlich nach Asien. Dann gilt es in Deutschland sogar offiziell als recycelt, landet aber leider allzu oft im Meer. Das Mainzer Start-Up Got Bag, macht übrigens aus Meeresplastik Rucksäcke – eine andere Art des oben beschriebenen Upcyclings. Auch für Geschirr könnte der Verein entweder ein Pfandsystem einführen oder wenigstens Einwegmaterial aus recycelter Pappe vorschreiben. Die Servietten für die Wurst im Brötchen sollten natürlich aus FSC-zertifierten Holzbestand produziert werden oder aus recyceltem Papier – jeweils CO2-neutral hergestellt.  

Beim Essen bleibt die Nachhaltigkeit aktuell auch noch allzu oft auf der Strecke. Warum keine Bio-Wurst und Bio-Pommes etc.? Gerade die fleischlosen Speisen sind in der Bio-Variante nicht wesentlich teurer. Dass wir alle weniger Fleisch konsumieren sollten, möchten wir nachhaltig leben, ist ohnehin klar. Dass eine Bio-Wurst 5 € kostet, ist halt der Preis dafür. Statt zwei Würsten aus Massentierhaltung, eine Bio-Wurst zu konsumieren, wäre halt ein Ansatz, wenn wir wollten… Aus dem Altöl und Frittierfett lässt sich in wenigen Jahren Biokerosin fürs Flugzeug herstellen – das nur am Rande, aber wir sehen dabei, dass aus vielen Abfälle in Zukunft Rohstoffe für neue Produkte entstehen können.

Habe ich genug gegessen und getrunken, geht es mal auf die Toilette. Urinale ohne Wasserverbrauch sind in Deutschland, wo es zum Glück noch genug regnet, aktuell wohl nicht unbedingt notwendig. Allerdings könnten die Toiletten z.B. mit Regenwasser versorgt werden. Klopapier ohne Plastikverpackung gibt es mittlerweile auch schon. Leider wird aber bis heute das Recycling-Klopapier immer in Plastik eingepackt. Aktuell gibt es nur einen Anbieter der Klopapier aus Pappverpackung anbietet – allerdings bestückt mit Bambusklorollen.

Auch auf dem stillen Örtchen, lässt sich Nachhaltigkeit umsetzen
Auch auf dem stillen Örtchen, lässt sich Nachhaltigkeit umsetzen

Diese stammen aus China und der Transport von Klorollen um die halbe Welt ist nun auch nicht wirklich nachhaltig. Bei den Seifenspendern sollte Seife als Naturkosmetik ohne Mikroplastik zur Verfügung stehen. Ob Palmöl in die Seife „darf“, hängt davon ab, wie die Palmenplantagen entstanden sind. Wurde dafür Regenwald abholzt, ist Palmöl leider wirklich Mist. Das Zeug steckt übrigens auch in vielen Nahrungsmitteln drin, wo man es gar nicht vermutet, z.B. in Salzbretzeln für den Spundekäs – einfach mal auf die Verpackung schauen. Es gibt aber auch häufig palmölfreie Alternativen, gerade auch bei der Seife oder bei vielen Keksen. Beim Trocknen der Hände sind die elektrischen Trockner wohl am nachhaltigsten, wenn sie mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben werden – bei unseren Klimaverteidigern und dem entsprechenden Sponsor wahrscheinlich Standard.

Raus aus dem Klo, rauf auf den Sitzplatz. Beim CrowdFANding wurde es vorgemacht: Sitzschalen aus dem Bruchweg wurde neues Leben eingehaucht, in dem die Dinger von der Nordtribüne in einem Upcycling-Prozess (Reinigung der Dinger) an Liebhaber*innen der Bruchwegromantik gegen gutes Geld vertickt wurden, damit unser Fanhaus für Mainz entstehen konnte.

Auch beim Thema Kleidung gilt es Wege der Nachhaltigkeit zu finden.
Auch beim Thema Kleidung gilt es Wege der Nachhaltigkeit zu finden.

Wenn die rot-weißen Jungs auf den Platz laufen, tun sie dies natürlich nicht splitternackt, sondern in den vom Ausrüster gestellten Klamotten. Nachhaltig ist an den angebotenen Sport-Utensilien aktuell wohl wirklich kaum etwas. Natürlich muss kein Spieler in Bio-Baumwolle über den Platz traben. Es gibt aber Outdoor-Firmen wie Patagonia, die Funktionskleidung bereits nachhaltig herstellen – teilweise aus recycelter Plastik! Da sollte Druck seitens der DFL auf die Ausrüster ausgeübt werden, damit Kleidung und auch die Bälle möglichst vielen Fairfashion-Kriterien entsprechen. Es hat sicherlich niemand Lust, einen Ball zu verfolgen, der aus Kinder- oder Sklavenarbeit entstanden ist.

Hat hier Mainz 05 alleine praktisch keine Chance, etwas als Verein umzusetzen, liegt der Ball aber spätestens nachkicks, wenn ich mich auf meiner Customer Journey in den Fanshop begebe, wieder beim Fußballsportverein. Warum nicht alle Fanartikel auf Nachhaltigkeit überprüfen? Nachhaltigkeit schließt, wie oben bereits angerissen, auch die soziale Nachhaltigkeit ein. Fair gehandelte, mit GOTS-Siegel zertifizierte Kleidung aus dem Fanshop sorgt dafür, dass es eben zu keiner Kinderarbeit kommt, die Menschen, die Fanschals etc. herstellen, einen Arbeitsvertrag erhalten, das Recht eingeräumt bekommen, Gewerkschaften zu gründen, Urlaub zu bekommen u.v.m. Das was wir für uns zu Recht in Anspruch nehmen, könnten wir auch denjenigen ermöglichen, die unsere rot-weißen Klamotten herstellen.

Am Ende der Customer Journey angelangt, ziehen meine Gedanken natürlich weiter, beim Blick auf das Stadion. Ich sehe Schwalbennester, die geschützt werden, ein Stadion was wegen der Kaltluftschneise tiefer gelegt wurde und ein Dach mit Solarzellen. Nachhaltigkeit ist nicht erst der Hype der letzten Monate. Sie wurde auch schon in die Planungen zum Stadion am Europakreisel einbezogen. Dieser Punkt wird für mich als Fan immer wichtiger. Ich hätte große Probleme, einen Verein zu unterstützen, der mit Sponsoren zusammenarbeitet, die alles andere als nachhaltig arbeiten. Dementsprechend fühle ich mich bei Mainz 05 gut aufgehoben. Jetzt liegt es am Verein, dieses Thema Stück für Stück auch weiter umzusetzen  – nicht nur auf der Customer Journey, sondern auch hinter den Kulissen, hinter die ich als Stadiongänger gar blicken kann.

Weiterführende Links:

Mainz 05: Pressemitteilung „Mainz 05 unterstützt Fridays for Future

Handelsblatt: Glyphosat – „Größter Einzelverbraucher ist die Bahn

Wirtschaftswoche: „Bio-Becher ist genauso schlecht wie Plastik

Faszination Nordkurve: Becherspenden für Viva Con Agua

Global Organic Textile Standard: GOTS-Zertifizierung

Miteinander über Pyro reden ist kein Verbrechen

„Miteinander, persönlich reden“ – dafür habe ich am Montag in meiner Spätlese zum Spiel in Lautern geworben. Diese Bitte bezog sich einerseits auf die Vorkommnisse nach dem zweiten Tor des FCK. Gleichfalls gilt sie allerdings auch grundsätzlich auf höherer Ebene. Meine Meinung zum Umgang mit Pyro im Stadion:

„Wie hältst Du es mit Pyro?“ Zum Thema Pyrotechnik hat wahrscheinlich jeder Fußballfan eine Meinung. Kein Thema rund um den Fußball erhitzt im wahrsten Sinne des Wortes die Gemüter so, wie es die Mischung aus Salpeter und Kohle, Schwefel bzw. Aluminium hinbekommt. Pyro schreiben viele automatisch den Ultragruppierungen zu und meinen, ein rigoros durchgesetztes Verbot löse diese Thematik umgehend. Doch das greift viel zu kurz. Wie so oft ist es auch bei diesem Thema so viel komplizierter, als es vermeintliche Allwissende im Netz mit einfachen Lösungen verbreiten.

Mainz 05 Fans im Gästeblock des Borussia Parks

Zunächst stellt sich die einfache Frage, wie, warum und wann das mit der Pyro in Deutschlands Stadien angefangen hat. Dazu ein Blick zurück in den April 1960 und auf ein Zitat aus dem Eintracht-Archiv zum UEFA-Cup Halbfinale in Frankfurt: „Eine Viertelstunde vor Spielbeginn…kochte dann das Stadion wie ein Kessel Wäsche oder besser noch wie der Krater eines Vulkans. Rauchschwaden, Raketen, Leuchtkugeln, bengalisches Feuer, wogende Massen und schließlich der große Ausbruch der Stimmenorkane machten die Illusion fast zur gespenstischen Wirklichkeit – ein surrealistisches Bild. Der Lautsprecher sprach von kleinen Waldbränden und beschwor zahlreiche Menschen, die in die Lichtmasten gestiegen waren, wegen Lebensgefahr herunterzukommen. Vergeblich, – nun stiegen noch mehr gen Himmel.“

Ein Stadionsprecher, der die Zuschauer beim Spiel der SGE gegen Glasgow auffordern musste, das Abschießen von Feuerwerkskörpern zu unterlassen, da es bereits kleinere Waldbrände rund ums Waldstadion gab, aha!

Während beim Frankfurter Beispiel Pyrotechnik noch vornehmlich der Atmosphäre diente, und dabei der Wald abgefackelt worden war, wurde Anfang der 1980er Jahre diese weniger zur Untermalung der Stimmung benutzt, denn zum Kampf in der Kurve zwischen verfeindeten Hooligan-Gruppen, wie die 11FREUNDE 2012 bemerkten. Hier kamen neben Feuerwerksraketen hauptsächlich Knallkörper zum Einsatz, um sich durchzusetzen. Rauchgranaten wurden letztlich nur zur Randale genutzt. Szenen, die wir seit Jahrzehnten in unseren Stadien wohlgemerkt nicht mehr sehen.

Reden wir heute über Pyrotechnik in den Stadien, geht es hauptsächlich um Bengalische Feuer und da schließt sich der Kreis, was Pyro und Betze angeht. Schließlich waren es 1985 Fans des FCK, die die Pyro von Italien nach Deutschland brachten, nachdem ihr Idol Hans-Peter Briegel von der Pfalz nach Verona gewechselt war. Groundhopping war damals schon en vogue und so kamen die ersten Pfälzer Buben und Mädchen mit Pyro in den italienischen Stadien in Kontakt. Zurück auf dem Betze wurde laut 11FREUNDE Pyro von Kutten, Hools und Normalos eingesetzt – Ultras gab es Mitte der 1980er Jahre noch gar nicht in Deutschland.

Bis Anfang der 2000er Jahre war Pyrotechnik in den deutschen Stadien legal. Im Sprengstoffgesetz steht bis heute: „Das Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände in unmittelbarer Nähe von Kirchen, Krankenhäusern, Kinder- und Altersheimen sowie besonders brandempfindlichen Gebäuden oder Anlagen ist verboten.“ Der Begriff des Fußballstadions fehlt.

Erst auf einer Musterstadionordnung des DFB tauchte Anfang der 2000er Jahre das Verbot für Pyrotechnik auf. Bis dahin wurde sie teilweise in den Medien bewundert. Man sprach von „südländischer Atmosphäre“ und von den Vereinen wurde sie auch schon mal für Werbezwecke genutzt, z. B. laut 11FREUNDE bei Kickers Offenbach mit dem Slogan „Der Berg brennt“. Zu dieser Zeit erst bildeten sich in vielen Vereinen Ultragruppierungen, die wieder aus Italien inspiriert, Pyrotechnik seither nutzen, um die Unterstützung ihrer Mannschaft visuell zu untermalen.

Das Sprengstoffgesetz kennt, wie oben beschrieben, kein Stadionverbot. Menschenansammlungen und Feuerwerk können einwandfrei funktionieren, z.B. bei den Mainzer Sommerlichtern oder bei Rammstein-Konzerten in Fußballstadien. Hier sind geschulte Menschen am Werk, die legal ihrer Arbeit oder ihrem Hobby nachgehen.

Auch ihrer Arbeit gehen die zahlreichen Ordnungskräfte vor jedem Spiel nach, die versuchen, die jeweilige Stadionordnung mit Leben zu füllen und etwaige Pyrotechnik bei den Besucher*innen zu finden. Jeder weiß, dass ein riesiges Stadiongelände unmöglich frei von Pyrotechnik zu halten ist. Deshalb gibt es seit fast 20 Jahren das übliche Katz- und Mausspiel zwischen Ordnern und Stadionbesucher*innen, was Pyrotechnik anbetrifft. Selbst Nacktscanner, wie bereits gefordert, und Spürhunde (bereits im Einsatz) werden es nicht schaffen, Pyrotechnik aus den Stadien zu bekommen. Je heftiger die Repressalien werden, desto mehr fühlen sich manche Menschen angestachelt, nur aus Protest dagegen anzugehen und Pyro ins Stadion zu schmuggeln und sogar am helllichten Tag samstags um halb vier nachmittags zu zündeln, auch wenn der visuelle Effekt gleich null ist.

Natürlich kann man dieses Spiel von allen Seiten einfach so wie die letzten 20 Jahre weiterspielen: Die Zuschauer bringen das Zeug rein und zündeln illegal weiter, die Behörden ermitteln wochenlang akribisch wegen Ordnungswidrigkeiten, mancher Innenpolitiker fordert reflexartig Haftstrafen für Pyromanen, die Vereine zahlen oder reichen die Strafen an die Verursacher*innen weiter, sprechen bundesweite Stadionverbote aus und wir alle spalten weiter in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke.

Glücklicherweise ist, soweit ich weiß, bisher noch niemand beim Einsatz von Pyrotechnik lebensgefährlich verletzt worden. Trotzdem wurden bei der Polizei zwischen 2013 und 2017 196 Verletzte durch den Gebrauch von Pyrotechnik gezählt, sprich, das Thema sollte allen Beteiligten im wahrsten Sinne des Wortes unter den Nägeln brennen – Aussitzen ist keine Lösung. Nicht, dass es tatsächlich irgendwann zum Supergau kommt. Dann würden plötzlich Kommissionen einberufen werden und Aktionismus und Populismus würden Hand in Hand durchs Land laufen bis die nächste Katastrophe größere Klickzahlen verspricht und das Thema bei der Mehrheit wieder in Vergessenheit gerät.

Denn durch das Verbot der Pyrotechnik in den Stadien kann diese in die Hände von Leuten geraten, die nicht wie bei den Sommerlichtern oder bei einem Rammstein-Konzert eigens dafür ausgebildet wurden. Nur weil man etwas verbietet und damit vermeintlichen Schutz herstellt, heißt das nicht, dass dieser gewährleistet wird. Auch viele Drogen sind verboten (Alkohol hingegen gilt als Kulturgut), und trotzdem gibt es leider jedes Jahr viele Drogentote zu betrauern. Das Verbannen der Pyrotechnik in die Illegalität sorgt nicht dafür, dass das Stadionerlebnis sicherer wird.

Würde man dieser Wahrheit ins Auge schauen, sich eingestehen, dass man Pyro nie komplett aus dem Stadion fernhalten wird können und den 2011 kurz gestarteten und abrupt beendeten Dialog zwischen DFB und Fans wieder aufnehmen, die Erfahrungen in Dänemark mit kalter Pyrotechnik und in Norwegen mit so genannten Stadionfackeln (umbenannte Seenotfackeln) in die Gespräche einfließen lassen, könnte man vielleicht Bereiche schaffen, in denen Pyrotechnik kontrolliert gezündet wird – von Fans, die dafür vorher geschult wurden. Damit ließe sich wahrscheinlich nicht jede Pyroaktion im Block verhindern. Aber jede kontrolliert gezündete Fackel ist eine weniger, die unkontrolliert in der Masse hochgehalten wird.

Voraussetzung wäre dafür natürlich eine Genehmigung durch die Behörden und die Vereine. Dass die Polizei einer solchen Möglichkeit nicht grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, zeigt das Beispiel in Hamburg. Laut NTV sagte ein Sprecher der Hamburger Polizei: „Die Polizei Hamburg ist grundsätzlich offen für Gespräche und alternative Konzepte zum Umgang mit Pyrotechnik.“ Und HSV-Präsident Hoffmann wird zitiert: „Die einfache Sanktionierung von Pyro-Vergehen hat bislang zu keinem besseren Umgang mit der Thematik geführt – ganz im Gegenteil.“.

Die Realität sieht allerdings ganz anders auch, wenn man das Urteil der DFB-Gerichtsbarkeit vom 9. August 2019 betrachtet. Im Anschluss an ein Fußballspiel zwischen dem Karlsruher SC und den Würzburger Kickers wurde per Stadionsprecher eben diese Veranstaltung für beendet erklärt. Es folgte eine Veranstaltung der KSC-Supporters, bei der das Abbrennen von Pyrotechnik im Wildparkstadion durch die Behörden im Vorhinein genehmigt wurde. Trotzdem wurde der KSC zu einer Strafe von 3000 Euro vom DFB verurteilt. Die Begründung: Der Verein hätte sich diese Veranstaltung vom DFB genehmigen lassen müssen. Wegen vermeintlicher Kompetenzüberschreitung geht nun der KSC in Berufung – Ende offen. Ironie der Geschichte: Der Einsatz von Pyrotechnik war kein Grund für das Urteil – obwohl genau dieser die Ermittlungen erst seitens des DFB in Gang gebracht hatte. Mit Rechthaberei und Prinzipienreiterei kommt man aber nicht wirklich weiter. Es bleibt der Eindruck, dass der DFB aktuell an einer Lösung kein Interesse hat.

Vielleicht weht mit der Wahl von Fritz Keller zum neuen DFB-Präsidenten bald ein frischer Wind in der DFB-Zentrale und man nimmt den Dialog mit den Fans wieder auf, unweit der Stelle, bei der 1960 alles angefangen hat: an den brennenden Bäumen gegenüber vom Frankfurter Waldstadion – wo ansonsten die nächste illegale Pyroshow sicherlich nur eine Frage der Zeit ist.   

Quellen:

http://www.eintracht-archiv.de/1959/1960-04-13st.html

https://www.11freunde.de/artikel/eine-kleine-geschichte-der-pyrotechnik-deutschland

https://www.gesetze-im-internet.de/sprengv_1/__23.html

https://www.n-tv.de/sport/fussball/Hamburger-SV-will-Pyrotechnik-legalisieren-article20858008.html

1. Mai – Gefällt mir!

Viele von uns haben heute frei. Heute vor genau 100 Jahren ist das in Deutschland zum ersten Mal passiert. Die Nationalversammlung der Weimarer Republik erklärte einmalig den ersten Tag im Mai zum gesetzlichen Feiertag. Der 1. Mai war schon länger ein Kampftag für Arbeitszeitverkürzungen, der seinen Ursprung in den USA nahm. Ende des 19. Jahrhunderts kämpften amerikanische Gewerkschaften für einen 8-Stunden-Tag. Auch in Europa wurde hierfür gekämpft und für den 1. Mai 1890 ein Streiktag avisiert. Unternehmerverbände drohten im Gegenzug mit Entlassungen. Es gab aber auch Unternehmer mit Weitsicht wie z.B. Ernst Abbe bei Zeiss in Jena, der den 1. Mai als Feiertag bei sich im Betrieb einführte. Noch heute heißt das Stadion in Jena Ernst Abbe Sportfeld.

Blick auf das Ernst-Abbe-Sportfeld nach dem Spiel von Mainz 05 bei Carl-Zeiss-Jena.

Blick auf das Ernst-Abbe-Sportfeld nach dem Spiel von Mainz 05 bei Carl-Zeiss-Jena.

Wenn wir heute von Streiks hören, sind wir oft genervt. Natürlich ist es ätzend, wenn der Flieger nicht geht, der Zug ausfällt oder sonst etwas in unserem durchgeplanten Leben mal wieder nicht so funktioniert, wie wir das vorher allzu knapp einkalkuliert hatten. Aber ein Streik muss halt weh tun. Er ist das legitime Mittel der Arbeitnehmer, ihren Forderungen Ausdruck zu verleihen. Das Streikrecht ist eine große Errungenschaft in Deutschland und viele Arbeitnehmerrechte, die für uns heute selbstverständlich sind, wurden durch engagierte Gewerkschafter*innen hart erkämpft.

Überhaupt machen wir uns sicherlich über viele Dinge rund um die Arbeit, die uns so im Alltag begleiten, keine großen Gedanken, da diese nicht wie eine Push-Mitteilung aufblinken. Gleichzeitig reden heute viele von Nachhaltigkeit. Oft geht es da um ökologische Nachhaltigkeit. Aber zu diesem Begriff gehört auch die soziale Nachhaltigkeit. Ich persönlich gebe lieber mein Geld für Produkte aus, bei denen ich das Gefühl habe, dass die Leute, die sie hergestellt haben, fair behandelt werden.

Teeplantage Sri Lanka
Teepflückerinnen in Sri Lanka – Toiletten sind dort nicht unbedingt Standard

In vielen Ländern außerhalb der westlichen Industrieländer sind Acht-Stundentage noch kein Normalzustand. Selbst Toiletten gehören manchmal nicht zum Standard. Als ich letztes Jahr durch die Teeplantagen Sri Lankas gewandert bin, sah ich im Feld ein kleines weißes Häuschen, auf das das Fairtrade-Logo drauf gemalt war. Es handelte sich um eine Toilette für die Teepflückerinnen. Bei konventionellen Plantagen sei eine Toilette kein Standard, wie mir unser Guide erklärte.

Das Fairtrade-Logo finden wir auch bei vielen tropischen Obstsorten z.B. bei Bananen, bei Kaffee und Wein z.B. aus Südafrika. Oft kosten uns diese Produkte gar nicht mehr Geld, aber es kommt mehr Geld bei den Produzenten vor Ort an und der Zwischenhändler oder der Discounter/Supermarkt um die Ecke streicht einen Tick weit weniger ein. Auch fair gehandelte Kleidung kann man mittlerweile an Siegeln der Fair Wear Foundation oder am GOTS-Logo erkennen. Auf der Seite „Der nachhaltige Warenkorb“ findest Du alle Siegel, die aktuell existieren, auch zu Bio-Produkten und Energieklassen.

Aber auch bei uns direkt vor der Haustür kann man etwas bewusster durch die (Arbeits)-Welt streifen. Die Artikel, die wir lesen, die Podcasts die wir hören, die Bilder, die wir anschauen, können wir, wenn sie uns gefallen, mit einem Like versehen und soweit möglich vielleicht auch teilen. Viele Unternehmen schauen gerade in der Online-Welt auf Klicks, Seitenbesuche etc. Die Kreativen stehen dadurch unter einer besonderen Beobachtung. Über Blogs und Rubriken, die keine Likes einbringen, schwebt ein Damoklesschwert. Dabei lesen wir vielleicht viele Beiträge sehr gerne, möchten uns gleichzeitig nicht outen, dass uns etwas gefällt. Am Ende sind dann alle die Dummen: Die Kreativen erhalten keine Möglichkeit mehr, mit ihrer Arbeit Geld zu verdienen und wir keine Beiträge mehr, die uns doch eigentlich so gut gefallen haben.

Die meisten Kreativen sind darüber hinaus Freiberufler*innen, die keinen Acht-Stunden-Tag, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und keinen bezahlten Urlaub haben. Einige wenige können sehr gut von ihrer Arbeit leben. Für viele aber geht es ständig darum, den nächsten (bezahlten) Job zu erhalten. Da sollte es doch für uns alle möglich sein, uns die Arbeit zu machen und Likes zu verteilen…und das nicht nur am Tag der Arbeit.