Quo vadis Mainz 05? Vol. 2

„Wen wählst Du am Sonntag?“ war sicherlich die am häufigsten gestellte Frage beim gestrigen Stuttgart-Spiel. Während ich am Freitag mehr auf die Umstände rund um die Wahl eingegangen bin, geht es mir heute eher um die Kandidatin und die Kandidaten. Dankenswerterweise hatten hierfür die Supporters uns die Möglichkeit gegeben, sich vor dem Spiel unter dem A-Block ein Bild von ihnen zu machen. Gewinner waren eindeutig die Supporters, denn das Angebot mit den vieren ins Gespräch zu kommen, ist rege von Jung und Alt angenommen worden. 

Stadion am Europakreisel in Mainz
Stadion am Europakreisel in Mainz


Eine Wahlempfehlung auszusprechen ist immer eine schwierige Sache. Alle vier Kandidaten haben in ihren Präsentationen davon gesprochen, wieder Ruhe in den Verein bringen zu wollen. Bevor es später zur Wahl des Vorstandsvorsitzenden kommt, steht zunächst wohl noch ein Antrag auf eine Satzungsänderung an. In dieser geht es darum, zukünftig einen hauptamtlichen Vorstandsvorsitzenden zu wählen. Damit wäre die Wahl zum ehrenamtlichen Vorstandsvorsitzenden hinfällig und Ruhe würde bei Mainz 05 sicherlich nicht einkehren. Daher sollte man diese Änderung sicherlich im Hinterkopf behalten. Ob sich diese Änderung für heute empfiehlt, sei dahingestellt.

Rouven Schröder hat einmal sinngemäß gesagt, das wichtigste bei Mainz 05 sei der Verein und nicht die Köpfe. Die vier Köpfe, die das neue Aushängeschild von unserem Verein werden wollen, haben alle einen unterschiedlichen Wahlkampf in der Kürze der Zeit geführt. Gestern sah ich auf der Seite 17 der AZ eine Anzeige der „Interessengemeinschaft Mainz 05“. Wer diese Interessengemeinschaft ist, bleibt im Nebel. Es ist aber anzunehmen, dass diese mit dem Wissen von Herrn Doetz die Anzeige platziert hat. In dieser duzt sie alle Leserinnen und Leser der AZ zunächst und fordert diese auf, ins Stadion zu kommen. Wenn es um die Wahl geht, verfällt der Verfasser der Anzeige ins Sie und befiehlt „Wählen Sie Jürgen Doetz!“. Danach werden seine vermeintlichen USP (nicht Ultras Sankt Pauli – sondern Unique Selling Points) aufgezeigt: Er hätte Erfahrung. Frau Federhenn und Herr Hofmann sind bei Mainz 05 allerdings auch schon sehr lange im Geschäft. Er sei der Kandidat, den man kennt, „überall dort wo es hilft“ – das Komma fehlt tatsächlich – ob es an der heißen Nadel lag, mit der sie gestrickt wurde? Herr Hofmann hatte das Nachwuchsleistungszentrum aufgebaut und 12 Jahre geführt – dadurch ist er sicherlich gut mit DFB und DFL vernetzt. Herr Doetz sei der Kandidat mit klarem Programm „für unsere Probleme“. Von Lösungen ist nicht die Rede – denn diese hätte er ja in seiner Funktion bis Sommer auch präsentieren können. Schließlich sei Herr Doetz der Kandidat, „der dem Verein rund um die Uhr zur Verfügung stehen wird“. Die maximale Wochenarbeitszeit in Deutschland beträgt 48 Stunden – mehr möchte ich persönlich einem Ehrenamtler auch nicht zumuten. Schließlich arbeitet dieser in einem Team und die vorgestern angesprochenen Alphamännchen, die alles alleine entscheiden, befinden sich auf dem absteigenden Ast. Trotzdem ist der letzte Punkt sehr wichtig, wenn man an die oben genannte Satzungsänderung denkt, die im Raume steht. Womöglich wäre er ein Kandidat für einen zukünftig zu wählenden hauptamtlichen Vorstand.

„Der Plan ist perfekt“ so lautet das Intro zu einem „investigativen“ Artikel des Fachmagazins für Torkanonen. Eigentlich soll es um die Kandidatur von Frau Federhenn gehen. Diese wird in der Online-Ausgabe als „letztes Puzzleteil“ bezeichnet. Im Artikel selbst geht es um den Puzzlespieler, den Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Herrn Höhne. Heldenhaft sind die Torkanonen-Journalisten Herrn Höhne auf die Schliche gekommen, als dieser die Mitgliedslisten durchforstete und feststellte, dass 30% der Nullfünfer, ja eigentlich Nullfünferinnen sind. Daher fiel seine Wahl auf das Aufsichtsratsmitglied Frau Federhenn, die er angeblich inthronisieren möchte. Dass dieses dem Aufsichtsrats zustehende Vorschlagsrecht auf einer Entscheidung des Gremiums beruhte und nicht die eines Alpamännchsens mit Allmachtphantasien war, haben die Torkanonen-Kolumnisten ignoriert. Und dass Herr Höhne, „wie aus sicheren Quellen zu erfahren war“, Frau Federhenns Reden und Interviews aufpimpte, zeigt vielleicht eher die Qualitäten von Frau Federhenn, die anders als viele Männer, nicht beratungsresistent ist, sondern sich helfen lässt. An seinen Schwächen zu arbeiten war sicherlich noch nie ein Fehler – aber ein Männer dominiertes Redaktionsteam macht natürlich keine Fehler und ist auf so etwas nie und nimmer angewiesen. Es wäre allerdings besser gewesen, Frau Federhenn hätte zum Zeitpunkt der Bekanntgabe ihrer Kandidatur ihr Mandat im Aufsichtsrat niedergelegt. Denn wenn sie nachher nicht gewinnt, wird sie zukünftig die Person, gegen die sie unterlag, kontrollieren. Wie war das noch mit Mainz 05, der Wichtigkeit, dem Verein und den Köpfen?

Ich nahm gerne vor dem Spiel das Angebot der Supporters an, um den Ausführungen des dritten Kandidaten, Herrn Hofmann zu lauschen, da ich ihn nicht kenne. Er stand vielen Leuten aus der aktiven Fanszene Rede und Antwort. Glücklicherweise wurden ihm auch in aller Ausführlichkeit kritische Fragen gestellt, z.B. zum Thema Motivation. Hofmann erklärte, dass er diesen Begriff im Sommer im Zusammenhang mit Mainz 05 gar nicht benutzt hat. Bei mir kam es damals so an, als sei er aufgrund von fehlender Motivation aus seiner Tätigkeit im Nachwuchsleistungszentrum ausgeschieden. Hofmann stellt die Sache gerade. Auf seine Ausführungen hin, die er gegenüber einem Journalisten tätigte, warum er nach 12 Jahren in dieser Funktion, in der er im Bereich Nachwuchsförderung sicherlich alles miterlebt hatte, die tägliche Routine vielleicht nicht mehr als so den Burner empfand, sprach der Journalist von Motivationsproblemen. Das ganze erinnerte mich ein wenig an den Don, der auch nicht sein Leben lang die Lebensversicherung von Mainz 05 spielen wollte. Hofmann selbst blieb vielmehr Mainz 05 eng verbunden, in dem er z.B. für Sandro die kommenden Gegner beobachtete – unmotiviert kann man eine solche Arbeit sicherlich nicht verrichten. Und ihm war wichtig klarzustellen, dass er seit drei Jahren Thomas Krücken im Nachwuchsleistungszentrum aufgebaut hat und praktisch eine fließende Übergabe ermöglichte. Hier merkt man, dass dieser Mann Aufgaben ernst nimmt und sich entsprechend engagiert.

Interessant waren auch Hofmanns Ausführungen über das Amt, auf das er sich heute bewirbt. Langfristig sieht er auch die Notwendigkeit, einen hauptamtlichen Vorstandsvorsitzenden zu installieren. Allerdings nicht heute, damit der Verein endlich zur Ruhe kommt. Und auf die Frage, wie er Amt und Job miteinander verbinden kann, erklärte er seinen Beamten-Status, der es ihm ermöglichen kann, kürzer zu treten und die notwendige Zeit für das Amt aufzubringen.

Ich wünsche mir vorallem, dass eine möglichst große Zahl an Nullfünfern nachher in die Halle 45 kommt – mit Perso und Mitgliedsausweis, damit unser neues Aushängeschild eine größtmögliche Legitimation erfährt.

In diesem Sinne, gute Nacht und bis später in der Halle 45!

Quo vadis Mainz 05?

Eigentlich ist doch alles im Lot bei uns in der goldenen Stadt. Wir haben bekanntlich eine Jahreszeit mehr als der Rest der Welt und für viele von uns ist die aktuelle, die nullfünfte, selbstverständlich die schönste Jahreszeit von allen! Ich greife, anders das mittlerweile auch in Mainz dafür bekannte Fachmagazin, ungern in den demokratischen Entscheidungsprozess ein, aber wenn die Fraktionen von CDU, SPD, Grüne, FDP, ÖDP und FWG den Vorschlag des OBs gut finden, dann wird wohl am 7. Februar das „Margittsche“ an ihrem 75. Geburtstag die zweite Ehrenbürgerin der Stadt Mainz – mit Hilfe einer demokratischen Abstimmung im Stadtrat und zwar durch einem Mehrheitsentscheid. Es wäre erst die zweite Frau überhaupt nach Anna Seghers 1981 und eine, die ausgerechnet aus der von Männern dominierten Fassenachtsszene stammt.

Stadion am Europakreisel in Mainz
Stadion am Europakreisel in Mainz

Und wir befinden uns glücklicherweise im Jahr 2018 und nicht im Jahr 1970. Da saß Lenelotte von Bothmer im Deutschen Bundestag und der Bundestagsvizepräsident hatte angekündigt, er werde der Abgeordneten das Rederecht entziehen, wenn sie – in Hosen!!! – erscheinen würde. In dieser Epoche sind wohl einige Menschen hängengeblieben oder hängen an diesen alten Zeiten, wenn man bedenkt, was in den letzten Wochen in unserem Städtchen so abgegangen ist. Nein, früher war nicht alles besser (die Bundesliga per se mal ausgenommen). Und Ende 2017 hat sich in unserem Land sogar etwas Revolutionäres zugetragen. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass es zukünftig mehr als zwei Geschlechter geben müsse – also mehr als Männer, besser bekannt als „Fußballexperten“, und Frauen, die davon „natürlich keine Ahnung“ haben. Die Parteien von Die Linke bis CDU/CSU haben darauf recht souverän oder gar nicht groß reagiert. Aber wie gehen eigentlich manche, vorzugsweise männliche, Journalisten diverser Medien in Zukunft damit um, dass die Karlsruher Richter sogar an der Abschaffung der Geschlechter rütteln?

Wahrscheinlich waren einige so verwirrt, dass sie dem Aufsichtsrat von Mainz 05 plötzlich rein zufällig in dieser Woche ganz krude Fragen stellten. Denn 2017 hat sich noch etwas Wunderbares getan: Die Mitglieder des eingetragenen Fußballsportvereins von 1905 haben dafür gesorgt, dass ab sofort ein Fanvertreter in den Aufsichtsrat entsendet wird, sofern er von der Mehrheit der anwesenden Mitglieder bestätigt wird. Und dass dieser Fanvertreter Nähe zu den Fans zeigt, in dem er bei Auswärtsspielen im Gästeblocksteht (wo denn sonst?)… Sachen gibt’s. Da muss natürlich investigativ nachgefragt werden, warum dieser Fanvertreter gar nicht auf die Idee kommt, im proppevollen Block bei den Lilien den Versuch zu unternehmen,den weder Security noch Feuerwehr wagen, Fackeln zu löschen. Warum, fast ein Jahr nach dem Spiel in Darmstadt, ausgerechnet in der Woche vor der Wahl darauf herumgeritten wird? Zeitgleich fragt ein anderes Medium, was ein Kandidat bzw. eine Kandidatin vom Fußball eigentlich versteht? Wahrscheinlich hat dieses Medium erstens nicht mitbekommen, dass wir nicht den Sportvorstand wählen. Zweitens würde dieses Medium Rouven Schröder sicher nicht fragen, was er vom Tischtennis oder vom Handball versteht und drittens war Harald Strutz meines Wissens erfolgreicher Leichtathlet und kein Fußballexperte. 1970 lässt grüßen!

Es gab in 2017 noch etwas wunderbares, was es eigentlich gar nicht hätte geben dürfen. Aufgrund der Zündelei in Darmstadt wurde schließlich von den damals handelnden Personen bei Mainz 05 beschlossen, den Ultras keine Karten mehr für Auswärtsspiele zukommen zu lassen. Sprich in höchster Not im Abstiegskampf entschloss man sich für Kollektivstrafen und dafür, eine große Gruppe von Menschen, für etwas büßen zu lassen, das Einzelne begangen haben. Was das für das Gerichtigkeitsempfinden junger Erwachsener für Auswirkungen hat, war anscheinend zweitrangig. Außerdem war diese Maßnahme entweder reine Symbolik, um Home-Pöbler zu besänftigen (dazu später mehr), oder man war so naiv zu glauben, dass diese Maßnahme tatsächlich greift – was natürlich auch etwas über die „Fannähe“ aussagt. Die Maßnahme griff bekanntlich nicht – denn ansonsten würden wir womöglich diese Saison gegen K-Town statt dreimal gegen Bembel-Town spielen. Denn wer stieg in Ingolstadt da nochmal runter vom Zaun und machte die rot-weißen Jungs so richtig heiß auf den Abstiegskampf? Es war keine der handelnden Personen im Verein, die das vielleicht wesentlich professioneller hinter den Kulissen taten – aber genau dieser Funke (Achtung: feuergefährlich) musste hin und her springen – in der Öffentlichkeit – zwischen Mannschaft und Fans. Und das war unbestritten ein Verdienst eines Mitglieds der Ultras, die an einem Sonntag Nachmittag nach Oberbayern fuhren, statt Nullfünf am Fernseher zu konsumieren und über das Ergebnis im Anschluss genüsslich zu meckern. Wunderbar!

Dass nun plötzlich alle gegen Kollektivstrafen sind, ist ja schön undgut. Aber das entscheidet glaube ich auch ein Vorstandsvorsitzender nicht alleine. Daher wählen wir am Sonntag auch keinen Allmächtigen – auch wenn das immer noch viele Männer im Fußball glauben, wenn man den Artikel vom Donnerstag in der AZ liest, in der der BVB-Boss dafür plädiert, dass einer der Kandidaten „den Laden wieder in Ordnung“ bringen soll. Herr Watzke sollte allerdings mitbekommen haben, dass es in Mainz demokratische Vereinsstrukturen gibt, in denen der den Laden in Ordnung bringen sollte, der die Mehrheit der anwesenden Mitglieder in einer entsprechenden Versammlung hinter sich bringt und nicht durch schwarz-gelbe Absolution – auch wenn es echte Liebe ist. Für die Demokratie wäre es hilfreich, wenn alle sich an diese Spielregeln halten würden, gerade wenn man Ultras vorwirft, sich nicht an Spielregeln zu halten, wenn diese im Stadion Pyro abbrennen. Man kann durchaus seit der Trump-Wahl ein wenig Angst vor der Macht der Mehrheit bekommen. Nur, egal ob in den USA oder in Mainz, wenn die Mehrheit der Meinung ist, dass die Alternative für sie keine Alternative ist, dann sollte diese Alternative dafür sorgen, entsprechende mehrheitsfähige Angebote zu unterbreiten – was im Umkehrschluss ausdrücklich nicht bedeutet, sowohl in den USA und in Mainz, dass der Wahlgewinner automatisch das Beste für Land bzw. Verein ist. Natürlich war im Nachhinein die Wahl von Kaluza alleine schon deshalb nicht der Knaller, weil wir am Sonntag schon wieder zur Wahl gebeten werden. Bei der Wahl am Sonntag tritt auch eine personifizierte Übergangslösung an. Vielleicht hat der Verein genau diese Übergangslösung nach der Ära Strutz gebraucht – aber vielleicht eher im Sommer 2017 für ein paar Monate als jetzt im Winter 2018 für drei Jahre – aber, das sollen einfach die anwesenden Mitglieder am Sonntag entscheiden.

Ich frage mich ganz ehrlich, was die Medien reitet, sich in solche ur-demokratische Entscheidungsprozesse einzumischen. Das Offenlegen der Definition des Ehrenamts à la Nullfünf und die Bezahlung dessen in Bezug auf den Vorgängers Kaluzas ist ein großer Verdienst der Medien – chapeau! Aber schon bei der Wahl des Aufsichtsrats im Sommer hat sich dann eine große Mainzer Tageszeitung nicht mit Ruhm bekleckert, als deren Verlagsangehöriger seine Kandidatur für den Aufsichtsrat nach Kaluzas Sieg zurückzog und mehre Medien den Ultas die „Schuld“ am Ausgang der Vorstandswahl gegeben haben. Hätte hätte Fahrradkette – aber, wenn er damals das demokratische Mehrheitsprinzip akzeptiert hätte, dann würde er womöglich jetzt im Aufsichtsrat Kontrolle ausüben. Womöglich auch die Kontrolle darüber, ob und wen der Aufsichtsrat ins Rennen um den Vorstandsvorsitz schickt. Die AZ hat vielleicht daraus gelernt, denn aktuell wird sachlich berichtet, ohne mit Schlamm in die Schacht der Lesergunst zu ziehen. Dafür fühlen sich jetzt andere Magazine berufen, ein Watergate am Rhein aufzudecken. Dafür wird auch eine Kollegin der Zunft zur Fan-Kolumnistin herabgestuft. Dass es sich dabei um eine Frau handelt – vielleicht Zufall – in einer von Männern dominierten Sparte des Journalismus vielleicht auch nicht. Nur sollte sich das Fachmagazin lieber wieder um Torwartkanonen und um die Elf des Spieltags kümmern, wenn man noch nicht einmal korrekt zitieren kann, denn so lässt es sich so viel schöner tendenziös berichten.

Viele 05-Sympathisanten bekommen es leider nicht auf die Kette, Mitglied zu werden. Und die mehr als 10.000 Mitglieder bekommen es nicht auf die Reihe, auswärts zu fahren, auch wenn es nur in Gefilde des SV Gonsenheim geht, um in der Halle 45 ihre Stimme abzugeben. Es ist doch so viel kuscheliger vor dem PC zu sitzen, lebenslanges Stadionverbot für Pyromanen zu fordern, Sandro rausschmeißen zu lassen und den rot-weißen Jungs kollektive Arbeitsverweigerung zu attestieren. Wir haben mehr als 10.000 Mitglieder und eigentlich müssten wir mal wieder nach Bembeltown ausweichen, wie anno 2005 für den UEFA-Cup, um alle Mitglieder unter ein Dach zu bekommen, wenn es um die Wahl des Vorstandsvorsitzenden geht. Aber wahrscheinlich wird am Sonntag selbst die Halle 45 nicht aus allen Nähten platzen – trotz dieser subtilen Mobilisierungsversuche, die ja ganz nett wären, würde es dem hehren Zwecke dienen, mehr Leute an die Wahlurne zu bewegen – egal, wen man da wählen möchte. Wem das Ergebnis im Nachhinein nicht passt, der schiebt es einfach auf die, die alle zwei Wochen durch die Republik düsen, die Mannschaft zum Großteil bedingungslos unterstützen und sich im Verein engagieren. Aber vielleicht gibt es ja noch Lernfähige unter den das letzte Mal daheim gebliebenen Mitgliedern, die sich aus der Komfortzone des Flatrate-Motzens rausbewegen und von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen.

Denn ich bin schlicht und einfach dafür, am Sonntag die Demokratie in unserem Verein hochleben zu lassen, wählen zu gehen und das Ergebnis zu akzeptieren – schließlich wird sicherlich kein Videobeweis dafür benötigt.Und dann lasst uns mit dem neuen Aushängeschild unseres Vereins gemeinsam den Abstiegskampf angehen, damit hier auch weiterhin alles im Lot bleibt. Und lasst uns als Mitglieder, wenn es die anwesende Mehrheit möchte, an diesem Tag Fußball-Geschichte schreiben.

Lasst uns Fehler akzeptieren

Warum ich ins Stadion gehe und nicht ins Internet, um mir zahlreiche Dekoder zuzulegen, um den Fußball auf dem Bildschirm zu betrachten? Hm, weil nunmal der abgedroschene 5-Euro-ins-Phrasenschwein-Werbespruch „Mittendrin statt nur dabei!“ tatsächlich stimmt.

Blick aus dem Gästeblock auf das Spielgeschehen im Borussia-Park
Blick aus dem Gästeblock auf das Spielgeschehen im Borussia-Park

Und was erlebte ich gestern im Gästeblock? Ein Tor, das erst nicht zählte, dann durch den Videobeweis doch. Eskalieren? Irgendwie nicht. Auch Abdou freute sich zunächst wie ein Schneekönig, dann wurde sein Jubeln abgebremst und schließlich zählte das Tor dann doch. Das kam mir irgendwie wie ein schales Bier vor und die Schmähgesänge gegen den DFB im Anschluss an das gegebene Tor aus dem Mainzer (!) Block zeigen schlicht, dass es Fußballfans halt auch um das Wie und nicht nur ums Gewinnen an sich geht.
Dass Jean-Philippe zuvor elfmeterreif gefoult wurde und der Videobeweis nicht zum Einsatz kam, nun ja. Denn schlimmer geht ja immer: Levins Schuss ins Glück, der Block eskaliert, um dann Sekunden später wieder runterkommen zu müssen. Da war es dann eigentlich schon fast egal, ob das Tor nun zählte oder nicht – die Emotionen wurden wunderbar zerstört.
Vor dem Anpfiff gestern wurde der Videobeweis zum x-ten mal auf der Anzeigetafel erklärt. Er soll den Fußball gerechter machen. Ein hehres Anliegen, eine für sich genommen gute Idee. Aber wenn man das gestrige Spiel betrachtet, hätte das erste Tor letztlich nicht gezählt. Der Gästeblock wäre explodiert und dem Schiedsrichter alles Übel dieser Welt gewünscht worden – so wie seit der Einführung der Bundesliga und schon weit davor. Levins Ding hätte der Schiri als Tor gewertet und der Gästeblock wäre explodiert. Vielleicht hätte es die eine oder andere Bierdusche gegeben. Wer auswärts fährt, der weiß, was es heißt, in der Höhle des Löwen einen Treffer bejubeln zu dürfen. Man steht sicher früh und vielleicht verkatert auf, fährt hunderte von Kilometern und denkt daran, wann sein Club das letzte Mal einen Dreier in der Fremde geholt hat – davon können wir Mainzer ein sehr bekanntes Liedchen singen. Und dann ein Tor für den eigenen (eingetragenen) Verein! Grandios, galaktisch, geil!
Wenn man aber das Versagen beim Foul an Jean-Philippe betrachtet, dann kann man folgendes Fazit ziehen: Der Videobeweis hat nicht dafür gesorgt, den Fußball gerechter zu machen, er hat es aber hinbekommen, dem Fußball seine Emotionen zu nehmen.
Warum der Fußball nicht gerechter wird ist klar. Weil hier Menschen am Werk sind. Und Menschen machen Fehler. Man will also eine Tatsachenentscheidung eines Menschen ggf. durch einen Videobeweis, der durch einen Menschen angeleiert wird, korrigieren. Das kann funktionieren, muss es aber nicht. Vielleicht sollten wir einfach wieder mehr Vertrauen in die Leistung der Schiedsrichter entwickeln oder uns einfach daran laben, sich über ihre Tatsachenentscheidungen so richtig schön aufzuregen. Und sicher ist: Es gleicht sich bestimmt nicht alles an Fehlentscheidungen aus. Aber ein Fußballspiel lebt nun mal von seinen Emotionen. Dass Trainer und Offizielle den Videobeweis wollen, ist nachvollziehbar. Sie wollen das Unkalkulierbare, die Tatsachenentscheidung eines Menschen ausmerzen, damit sie im schlimmsten Fall nicht durch einen Fehler eines anderen um ihren Job gebracht werden. Denn diesen Leuten geht es nicht um Emotionen, sondern rein ums Geld. Und da wären wir schon wieder bei der Kommerzialisierung des Fußballs angelangt. Dass aber auch diese monetären Argumente letztlich ins Leere laufen, sollten die Verantwortlichen zur Kenntnis nehmen.
Und wenn man wie ich als Stadiongänger vielleicht bis gestern dem Videobeweis, nicht erst seit dem Hertha-Spiel, freundlich gesonnen war, dann gestehe ich gerne meinen Fehler ein und denke, dass man diesen nach der Testphase oder gerne früher bitte abschaffen sollte. Er sorgt nicht für Gerechtigkeit und Berechenbarkeit, sondern nur für den Verlust von Emotionen. Und Fehler können tatsächlich sogar zum Schmunzeln anregen. Das hat Robin gestern wunderbar unter Beweis gestellt! Und wenn wir alle mal lernen, Fehler letztlich zu akzeptieren, dann wird der Fußball wieder menschlicher!
In diesem Sinne – pro Stadionverbot, aber nur für den Videobeweis!