In diesem Kapitel finden sich bisher nur Reiseberichte von den mitgemachten Fahrten der letzten Jahre. Auswärtsfahrten mit dem geliebten Fußballsportverein aus Mainz sind allerdings letztlich auch nichts anderes als Reisen. Daher findet sich nun erstmals hier ein Spielbericht.
Eigentlich laufen für mich Auswärtsfahrten mit unserem Verein schon immer recht ähnlich ab. Unabhängig von der Anfahrt mit dem (Fan)-Zug, dem Bus oder dem Auto (oder dem Flugzeug „Europapok…“) ob mit oder ohne Mitfahrer trifft man spätestens vor dem Block die ersten bekannten Nasen alias Gelgenheits-, Viel- und Allesfahrer, hält das eine oder andere Schwätzchen und geht gemeinsam in den Gästeblock. Für mich ist das Schöne an einer Auswärtsfahrt u.a. der gemeinsame Support aller Fans, egal wo man daheim steht oder sitzt. Und nicht immer ist die Masse an Auswärtsfahrern maßgeblich für den „gelungenen“ oder nicht so „gelungenen“ Support, da wir auch mit wenigen Hundert Leuten schon gut den Gästeblock gerockt und die Mannschaft (hoffentlich) damit unterstützt haben. Und egal ob wir Favorit oder Underdog sind, die Mannschaft ist immer für eine Überraschung gut und nach der Rückfahrt denkt man oft an den einen oder anderen magischen Moment zurück, den man mit allen im Block nie vergessen wird, wie z.B. die Tore in Fürth 2009 oder in Bochum 2005.
Doch an diesem Freitag war dann mal so richtig alles anders.
Die Konstellation Tabellenzweiter und Absteiger aus Liga 2 zu Hause gegen den Tabellenletzten und Aufsteiger aus Liga 4 brachte auf dem Papier schon eine gewisse „Klarheit“, die man als 05-Fans selbst bei den Bayern eigentlich spätestens nach Samis legendärem Hackentor so nicht mehr findet und vielleicht höchstens damals beim Pokal-Spiel in München kurz vor Weihnachten mal spürte. Und dann noch D Y N A M O. Das sind doch die, die „ständig“ aus dem DFB-Pokal ausgeschlossen werden und „richtig böse“ sind. Aber wenigstens war es nicht ganz so kalt wie in München anno dazumal. Dafür regnete es aber Bindfäden und das oben beschriebene Gruppendynamische gegen Dynamo zu erleben, bildete vorab eher Hoffnung als Erwartung. Aber dass der Abend dann doch ein von Emotionen geprägter wurde, hing zunächst einmal vom Verein Dynamo Dresden ab. Denn anders als vor ein paar Jahren, als ich an der Essener Hafenstraße vor dem verschlossenen Gästeblock ankam und letztlich irgendwo auf der Haupttribüne landete das erste positive Zeichen an diesem Abend:
Der Gästeblock war geöffnet (und mit Polizei und Wasserwerfer gesichert). Auf die nicht ganz ernst gemeinte Frage am Kassenhäuschen 50 Minuten vor Spielbeginn ob wir die ersten sind, ein „ja“ zu erhalten, ließ mich dann doch ein wenig wie in der 5. Jahreszeit vorkommen, schließlich galt es nun in eine komplett neue Rolle zu schlüpfen. So ähnlich müssen sich die 23 Wolfsburger Gästefans vor ein paar Jahren an einem Mittwoch im Bruchweg gefühlt haben. Das Stadion (fast) voll, bis auf ein kleines Fleckchen „Gästeblock“. Zu diesem 3.-Liga-Spiel kamen 23.204 (!) Dresdner Zuschauer und bei uns fanden sich schließlich 17 Leute im Block ein. Davon 2 Werder-Fans, die auf ihrer Städtereise die Stadionatmosphäre der Semper-Oper vorzogen. Und 8 Dresdner Kiebitze, die lieber in aller Ruhe das Spiel analysieren bzw. noch schnell 2 S-Block-Karten für Samstag loswerden wollten. Blieben 3 05-Fans aus Cottbus und wir vier. Mein Kumpel, 05-Fan seit Ouakili-Zeiten, aber seit 1997 in Dresden doch eher in der 05-Diaspora lebend und seine beiden Töchter, die seit Jahren ihrem ersten 05-Spiel entgegen fieberten. Dieses erlebten sie dann bereits in Chemnitz letzten Monat und an jenes Spiel werden sie sich wie Johannes Geis wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang erinnern.
Ideale Bedingungen also für unseren Auswärtsmob hier etwas zu reißen.
Beim Einlaufen der Mannschaften musste unser Mob dann mit allen rot-weißen Utensilien visuell auf sich aufmerksam machen, aber anscheinend hatten unsere Buben mit 17 Leuten weniger gerechnet und sie winkten doch überrascht zurück. Martin Schmidt kam lachend an die Eckfahne gelaufen und zählte dann auch nochmal ganz genau nach. Beim Blick auf die Aufstellung dann das nächste Positive. Denn mit Robin, Damian, Todor, Devante und Bene waren ja fünf Buben aus der ersten Mannschaft dabei. Ging da vielleicht doch etwas?
Gut, bei der Mannschaft vielleicht, aber gegen mehr als 20.000 Menschen zu supporten war dann doch nur Harakiri für die Stimmbänder. Aber egal, die einen oder anderen Sekunden, in denen es mal nicht D Y N A M O schallte, wurden dann doch genutzt den „1. FC Mainz“ lauthals zu unterstützen. Eigentlich hätten wir wohl schon eigens für den Stadionsprecher beim Warmmachen der Buben ein lautes „F S V“ skandieren sollen, denn er blieb 90 Minuten dabei, ein Spiel zwischen der SGD und dem FC aus Mainz zu sehen. Fühlte ich mich in meiner „Wolfburg-Rolle“ irgendwie bizarr, war der Heim-Support garantiert kein 3.-Liga-Niveau. Dresden kann es sicherlich mit vielen stimmgewaltigen Szenen in der 1. Liga aufnehmen und auch das Stadion ist ein echtes Schmuckkästchen. Und, außer einem Schmähgesang gegen Robin, war der Support ausschließlich auf die Unterstützung der eigenen Mannschaft bezogen. Und die Security war auch nicht vom Typ Stiernacken. Vielmehr handelte es sich um ganz sympathische Leute aus unserer Partnerstadt Erfurt. Einer meinte noch, er hätte hier bis auf einmal noch nie einen Heimsieg von Dynamo erlebt. Aber an diesem Tag war die Lage wohl etwas anders.
Ja und dann kam die 93. Minute. Das Stadion sang bereits Minuten zuvor lauthals vom „Sieg“, der Kicker präsentierte seinen Bericht vom Dynamo-Spielgewinn und Mounir schob den Ball ins Netz. Noch nie hatte ich ein Stadion innerhalb einer Sekunde verstummen hören, denn schließlich jubelt in so einem ähnlich Moment ja dann der Gästeblock und wenn man mitten drin steht, kommt einem das natürlich sogar eher so vor, als ob die Lautstärke noch zunimmt. Da das Tor am anderen Ende des Platzes fiel, schauten wir uns zunächst erst alle etwas ungläubig an, um dann im nächsten Moment laut los zu schreien. Ein paar Millisekunden später bekamen wir es dann ein wenig mit der Angst zu tun. Wie würden die Heimfans reagieren? Diese waren aber wirklich dermaßen geschockt. Unsere Buben kamen freudestrahlend zu unserem Mob und wir hatten irgendwie ein unbeschreibliches Gefühl in uns – da man die Freude ja nicht wie gewohnt mit den Leuten vor, neben und hinter sich teilen konnte, denn vor und hinter uns war die leere Treppe. Der Security-Typ kam die Treppe herunter, lachte und sagte „sag‘ ich doch, ich habe hier erst einmal einen Heimsieg von Dynamo gesehen!“.
Ein bizarrer und doch schöner Abend ging zu Ende aber noch schöner, dass ich diese „Wolfsburg-Rolle“ bereits am gestrigen Samstag wieder ablegen konnte und lauthals mit so vielen Menschen um mich herum unserer Buben unterstützen konnte. Und am Dienstag im Frankfurt wird es dann auch wieder ein ganz normales Auswärtsspiel – schon schöner so!
Es ist Herbst, die Blätter fallen und bald kommen in der Glotze die ersten Jahresrückblicke. Für alle Mainz 05 Fans war dieses Jahr 2011 eine Achterbahnfahrt sondergleichen. Da war zum Beispiel die längste Auswärtsfahrt des Jahres. Eine gekürzte Version des Reiseberichts hierzu findet Ihr in der Ausgabe #28 der TORToUR, dem Mainzer Fanzine. Den kompletten Groundhopping-Bericht lest ihr hier:
Eriwan, Reykjavík, Sevilla – diese drei Ziele auf unser Europa-Hopping-Tour klingen noch heute in meinen Ohren nach viel mehr als Europapokaaal. Allerdings kannte ich zumindest vom Namen her auch diese drei Ziele schon vor 2005. Medias hieß nun das Ziel der Begierde anno 2011. Schon mal gehört? Ich jedenfalls nicht.
Während das Hinkommen zu den drei Abenteuerspielplätzen vor sechs Jahren mit dem Flieger recht unspektakulär zurückgelegt werden konnte (ok – nach Sevilla ging’s für mich ab Madrid mit dem Zug – von Reykjavik zurück musste ich via Kopenhagen fliegen, da die Kiste nach Frankfurt voll war – und von/nach Eriwan ab/nach Hahn ist auch von Mainz ’ne Weltreise) aber Medias war wirklich Hopping pur, da ich mit einem Kumpel fliegen wollte und wir a) keine 450 Euronen für den Ausflug verplanen wollten und somit der Fanflieger nicht in Frage kam und ich b) berufsbedingt eine Möglichkeit hatte, mit ihm vergleichsweise günstig mit dem Flugzeug nach Bukarest zu gelangen. Dort am späten MIttwoch Abend in der Ex-Heimat-Hauptstadt meines Kumpels angekommen, der als Kind rumäniendeutscher Eltern nach Westdeutschland zog, musste erstmal der Taxipreis am Flughafen Otopeni ausgehandelt werden. Draußen an den Taxis steht schon 3,51 Lei/KM – was ca. 20 € in die Innenstadt bedeutete. Irgendwie hatte ich etwas von 1,50 Lei/KM im Internet gelesen, doch diese Taxis schienen wie vom Erdboden verschlockt. Na – worscht – 20 € vereinbart und es ging nicht ins Taxi hinein sondern auf den angrenzenden Parkplatz hinaus. Und was sahen wir da stehen? Die 1,50 Lei/KM Taxis…
Am nächsten Tag ersparten wir uns das Taxi, hüpften für 75 Euro-Cent zu zweit in die Metro, um ein paar Stationen weiter, unseren Mietwagen abzuholen, der uns ins knapp 300 km entfernte Medias bringen sollte. An besagter Adresse stand ein Wohnhaus mit Efeu-überwuchertem „Europcar“-Schild im Vorgarten. Wir liefen einmal um den Block, um den Eingang oder wenigstens ein paar Autos im Hof zu finden – nix da. Kein Auto, kein Ladenlokal. Das Schild schien irgendwann einmal vom Himmel gefallen zu sein, denn das sah alles sehr nach Villenwohngebiet à la Meenzer Grüngürtel aus – aber nicht nach einem Mietwagenverleih. Also hat mein Kumpel die spielenden Kids auf rumänisch angequatscht, ob das hier ein Mietwagenverleih sei? „Keine Ahnung“ auf rumänisch braucht bei der eindeutigen Gestik keine Übersetzung. Das Trolleygerumpelgeräusch von Touristen brachte uns dann doch auf die Fährte, denn das Wohnhaus war tatsächlich die Mietwagenstation. Im Wohnzimmer wurde uns der Mietvertrag gereicht und man wusste sogar Bescheid, dass wir unseren Mietwagen am Flughafen zurückgeben wollten. Der Opel Astra war zwar nicht der bestellte Dacia, das war aber gar nich verkehrt, denn der Turbodiesel erwies sich als zugkräftiges Gefährt, ideal zum Überholen von Pferdefuhrwerken, Traktoren und anderen schleichenden Vehikeln – schließlich konnten wir nur 100 km Autobahn nutzen, ehe es danach 160 km durch die Karpathen in Richtung Sibiu (Herrmannstadt) ging.
Das Fahren auf der Autobahn war recht unspektakulär und ließ uns schon Mittagessenpläne für Sibiu schmieden – doch auf Rumäniens Landstraßen wurde der Essensplan schnell Makulatur und das Entlangcruisen sehr schnell sehr spektakulär …schließlich wusste ich nie so recht, wie schnell man eigentlich unterwegs sein durfte. OK – bei uns gibt es Ortsschilder und das bedeutet 50 km/h. Einfach – aber halt nicht rumänisch. In Rumänien gibt es Ortsschilder, Ortschilder mit 50 km/h Gebot im Schild und welche mit 70 km/h Gebot. So und wieviel fährt man dann bei den „nackischen“ Ortsschildern? Mit 50 wurden wir gnadenlos überholt, mit 60 auch – aber da tauchten auch schon die ersten Radarfallen auf. Irgendwann passten wir uns der lokalen Geschwindigkeit halbwegs an und rauschten mit 70 durch die Radarfalle und in diesem Moment wurden wir von einer Karosse mit 90 Sachen überholt – aber die Radarfallen schienen irgendwie wohl gerade Mittagspause zu machen – zum Blitze machen waren sie jedenfalls nicht aufgelegt.
Natürlich düste nicht jeder 90 Sachen innerorts sondern auch manchmal nur 20 außerorts – gut außerorts kam fast nie vor, da sich ein Straßenkaff ans nächste reihte und wir letztlich ca. 60 km in der Stunde zurücklegen konnten – wenn wir die mit Spielstraßentempo zuckelnden LKWs überholen konnten. Nach 4:15 Stunden Fahrt oder 260 km erreichten wir unser Hotel in Sibiu (Herrmannstadt) und ich streikte. Nein, ich wollte nicht mehr mit dem Mietwagen weiter nach Medias. Ich wollte ein Bier – in Rumänien herrscht 0,0 Promille auf der Gass‘ – und ich war vom Fahren noch viel fertiger als später vom Elfmeterschießen. Also zum Bahnhof, doch den Zug, den es in Rumänien ja theoretisch fast überall gibt, den hatten wir gerade verpasst – und es fahren nur 4 Züge zwischen Sibiu und Medias. Der Bus? Den gab es auch, aber erst 2 Stunden später um halb sieben, dann wären wir wohl zur „nicht mehr möglich gehaltenen“ Verlängerung im Stadion gewesen. Also….50 km….mit dem Taxi! Wir zahlen am Ende soviel wie vom Flughafen nach Bukarest für die fast 4-fache Strecke und dafür ging es auch fast in Überschallgeschwindigkeit über die Landstraße, die plötzlich gar nicht mehr so guten Belag bot – und Anschnallgurte für die Kundschaft gab es in der Karosse auch nicht. Das war nicht fair! Wenn ich in Afrika oder Asien unterwegs bin – dann gilt gleiches Recht für alle, sprich kein Gurt für alle! Doch hier hatte der Fahrer einen und wir genossen Freies Sitzen auf der Rückbank. Also reklamierten wir in bester Fatmir Vata Manier bei unserem Chefe, uns doch bitte am Leben zu lassen und nicht im dreistelligen KM/H Bereich über die rumpelige Allee zu fliegen – wir sagten wir hatten ZEIT!
Zeit hatten wir auf diesem Trip eigentlich keine, aber lieber komme ich zu spät zum Spiel als zu früh in die rot-weiße Kiste. Zeit zum Essen war dann doch noch und mein Kumpel empfohl die ach so kleinen Würstchen, die hier in Siebenbürgen DIE Spezialität wären. Er, in der Gegend vom Glubb aufgewachen, konnte mir versichern, dass die Dinger nicht größer sind, als die „3 im Wecklä“ im Frankenstadion. Wir hatten Hunger, er schlug 4 pro Person vor und ich dachte, nö 04 Würste passen nicht – 05 Wörschte gilt’s zu futtern. Die Bedienung fragte „sonst noch was?“ und wir fielen gnadenlos auf diese Frage rein. Huch, wir hatten ja den ganzen Tag nichts mehr gegessen, jetzt gibt es 5 Winzlinge auf den Teller und eventuell später nix im Stadion. Also noch herrliche Beilagen aus Bohneneintopf, Krautsalat und Kartoffelbrei bestellt. Und natürlich das eine oder andere Kaltgetränk. Die „Vorspeisen“ kamen direkt und irgendwann auch das Fleisch, begleitet von neugierigen Blicken der Anwesenden, denn die Würste hatten die Länge unserer Feuerworscht und waren noch ein wenig dicker! Na super! Und das für einen Fleischvermeider wie micht, der 2010 beim WM-Grillen den lieben Tieren zu liebe auf Tofu-Wurst-Esser gemacht hat!
Auf geht’s Mainzer kämpfen und Würste vernichten! Wir waren in Championsleague-Form, waren gut im Spiel gegen die Wurst, und vernichteten die 10 Gegner gnadenlos. Dann rollten wir ins Stadion…und mussten miterleben, dass es dieses Jahr die einziger Europa-Fahrt mit dem Fußball-Spocht-Verein werden würde. Bereits in der Halbzeit machten wir die Rückfahrt nach dem Schlusspfiff klar: mit ein paar Freunden, die mit dem Mietwagen hierher unterwegs waren und auch nach Sibiu mussten. Diese mussten ihren Flieger in Sibiu kriegen und irgendwie waren die Verkehrsverhältnisse innerorts wieder etwas undurchsichtig. Mit 80 Sachen ging es schließlich gen Westen gegen Medias‘ Einbahnstraßen zurück auf die Hauptstraße. Nur gut, dass die rumänische Polizei anderes zu tun hatte, als Verkehrsüberwachung in der rumänischen Pokal-Schreck-Stadt zu machen. Die Jungs ließen uns in der Stadt raus…genau gegenüber vom „Non-Stop-Kiosk“. Da es im Stadion nur Pepsi und das wohl nur bis zur Halbzeit gab, würde ein kühles Bierchen nachts um halb eins jetzt wirklich gut tun. Ruckzuck zwei Pils bestellt, wunderte ich mich über den Preis. 14 Lei – das entspricht 3,50 €! In einem Kiosk…in Rumänien! Da stimmt was nicht – aber es stimmte alles bis auf meine Vorstellung der Volumina von zwei Bier, denn das zierliche Mädchen hievte aus dem Kühlschrank zwei 2,5 Liter-Plastikflaschen kalten Gerstensafts auf den Thresen! Na dann Prost!
Den Heimweg zum Hotel fanden wir über einen Umweg – denn ein Schalke-Fan, der gerade sein freiwilliges soziales Jahr in Sibiu leistete, musste uns ja noch zum Spiel befragen und mitteilen, dass Medias gerade letzter der Liga sei…Nun ja, was entgegnet man einem Gazprom-Sympathisanten, nach verlorenem Elfmeterschießen bei Gaz Methan? „Viel Spaß mit Christian Fuc..!“ Und Tschüss!
Die Nacht war kurz und knapp. Zum Glück gab es ein großes Frühstücksbuffet, denn um 15.15 Uhr startete unser Flieger zurück nach Westeuropa und wir entschlossen uns, die „Panorama-Straße“ durch die Karpathen nach Bukarest zu nehmen. Meine Theorie war folgende: Der ca. 100 km Dauer-Straßenkaff-Fahrt auf dem Hinweg mit Radarfallen-Dauerpräsenz und dadurch bedingtem Dauerstress zwischen Überholt und vielleicht doch Geblitzt werden, sollten wir dort entkommen, denn für über 50 km gab es dort gar kein Kaff (und auch keine Radarfalle). Außerdem sollte man dort schneller vorankommen, da man außerorts ja 90 oder so fahren durfte. Die ersten Kilometer entpuppte sich dieser Matchplan als perfekt! Zwar fuhren wir auf unendlichen Serpentinen dem Himmel entgegen bis auf 2.000 Meter Höhe, doch die rasenden Rumänen schafften mit ihren Autos gerade mal 20 km/h und so wurde die Kurvenfahrt zu einem Computer-Spiel unter realistischen Bedingungen – Auto um Auto wurde überholt, Kurve um Kurve abgehakt und dann waren wir oben…am Tunnel in die Walachei. Durch die Röhre zogen dichte Nebelschwaden und die Geschwindigkeit in dem engen Ding musste rapide gesenkt werden. Unser Navi zeigte bisher als voraussichtliche Ankunftszeit 13.30 Uhr an. Perfekt für einen Abflug um viertel nach drei. Doch jetzt ging es ja durch die rumänische Pampa und dort ist wohl bisher noch nicht so viel Fördergeld der EU für den Straßenbau angekommen. Die Straße wurde erstmal enger, der Belag am Rande ausgefranzt und mit weidenden Kühen belegt. Ich fühlte mich so langsam nach Indien versetzt – aber hey wir sind gerade aus dem EUROPA-Pokal rausgeflogen nicht aus dem WELT-Pokal.
Irgendwann hatte die Straße keine Lust mehr Straße zu sein sondern lieber Schlaglochpiste! Gut, dass wir die Selbstbeteiligung durch eine Zusatzversicherung auf 150 € gesenkt hatten – wir dachten allerdings eher an Fahrzeugklau statt an Fahrzeugvernichtung beim Abschluss der Police. Aber das Navi war gnadenlos – irgendwann hatte es wieder GPS-Empfang und plötzlich stand da 14:15 Uhr statt 13:30 Uhr als voraussichtliche Ankunftszeit… Gut Meldeschlusszeit war 14:45 Uhr – aber 30 Minuten für die Mietwagenabgabe und wo war eigentlich diese Abgabe? Womöglich wieder in einem Wohnviertel in der Nähes des Airports?
Gut…weiter…irgendwann erreichten wir dann wieder die 100 km Autobahn bis kurz vor Bukarest. Dort waren 130 km/h erlaubt – wenn es nicht regnet. Was machte also Petrus? Genau, erst tröpfelte es und ich sagte mir, die 80 km/h bei Regen, die dort vorgeschrieben sind, gelten nur bei nasser Fahrbahn. Der Gedanke wurde von Petrus erraten und so kübelte es auf einmal und das Navi war wieder gnadenlos: 14:30 Uhr war jetzt angesagt! Und dann das noch, bei der Ausfahrt auf den Ring war Stau, da im Kreisel ein LKW liegenblieb. So durfte ich erstmals im Rechtsverkehr mal gegen den Uhrzeigersinn in einen Kreisel einbiegen – fühlte sich so komisch an, wie ein Auswärtssieg bei den Bayern! Und weiter ging es im 40 km/h Tempo auf der Ringgasse von Bukarest eingekeilt von LKWs bis kurz vor den Flughafen, wo dann eine letzte Radarfalle in der Ausfahrt grüßte. Um 14:30 Uhr waren wir dann tatsächlich am Flughafen angekommen und das Mietwagenzentrum nur einen Steinwurf vom Terminal entfernt. Das Auto war heil geblieben, die zahlreichen Kratzer und der Stein in der Scheibe wurden tags zuvor schon im Wohnzimmer registriert und somit setzten wir zum Endspurt der Meenzer in Rumänien an, checkten um 14.40 Uhr ein und starteten um 15.15 Uhr nach Paris! Bahnhöfe passieren, z.B. in Lautern kann manchmal länger dauern!
Ja in Paris hätten wir auch spielen können…aber das ist ein anderes Thema….wir zogen sofort weiter nach Köln/Bonn mit einer kleinen Propellerkiste, da mein Kumpel freitags abends auf ’ne Party wollte. Ich hatte eh nix mehr bis zum Sonntagsspiel gegen Leverkusen geplant und so tat ich ihm den Gefallen mit ihm dorthin zu düsen, äh nee zu propellern. Bisher hatte auf dieser Reise alles geklappt, über Paris nach Bukarest die Flieger bekommen, das Mietwagenzentrum in Bukarest gefunden, die Radarfallen nicht zum Blitzen gebracht, das Spiel gew…öh nee, angeguckt, die Karpathen durchquert und via Paris wieder die Bundesrepublik erreicht. Doch es gibt ja in Deutschland eine Institution, die immer wieder gerne Pläne durchkreuzt, auch wenn wir europäisch unterwegs sind: Die Deutsche Bahn AG! Und daher brannte es irgendwo lichterloh, so dass weder eine Bahn nach Deutz noch in umgekehrter Richtung nach Troisdorf verkehrte! Verkehrte Welt eigentlich – im Indian Light alias Rumänien funzt alles und im Wirtschaftswunderland Schland ging gar nichts mehr. Jetzt machte ich als 05-Fan den Magath, zückte die Kohle, verabschiedete mich schnell von meinem Kumpel und düste mit dem Taxi nach Siegburg zum ICE-Bahnhof. Auf die Bahn ist ja Verlass und so hatte ein ICE in Richtung Frankfurt Flughafen natürlich genau die Verspätung, die ich brauchte, um diesen noch zu erreichen. 30 Minuten später war ich am Flughafen Frankfurt und mein Kumpel immer noch nicht weg vom Köln Bonner Airport…verkehrte Welt! Meine liebe S 8 brachte mich dann auf die richtige Rheinseite, 30 Minuten früher als die geplante Verbindung vor dem Streckenbrand und das Kapitel Europapokaaal hatte dann auch für mich ein Ende! Was bleibt ist der Eindruck, dass es manches Mal ganz gut tun kann, Europokaaal nur alle paar Jahre zu machen, denn diese Fahrt war extrem anstrengend und ein Erlebnis, das sich 1a an die Europa-Fahrten anno 2005 anschließt….danke Jungs des Kaders 2010/2011 für dieses einmalige Hopping!
Der Fußball-Weltmeisterschaftsqualifikation sei Dank hat es mich dieses Mal nach Baku, in die Hauptstadt Aserbaidschans verschlagen. Nach meinem Trip 2005 zum UEFA-Cup-Qualifikationsmatch Mika Ashtarak vs. Mainz 05 führte mich nun also wieder König Fußball in den Kaukasus.
Die Anreise gestaltete sich mit einem Direktflug von Frankfurt nach Baku und einer Reisezeit von 4 Stunden sehr einfach. Nur, so habe ich wieder einmal gelernt, endet ja die Reise nicht am Flughafen…vielmehr fängt sie dort erst richtig an; um exakt zu sein, bereits bei der Einreise nach Aserbaidschan.
Deutsche brauchen für das muslimisch geprägte Land am Kaspischen Meer ein Visum, das man aber für den gleichen Preis wie in der Botschaft in Berlin auch am Flughafen erhalten kann. Voraussetzung sind lediglich zwei Passbilder und 60 €. Um sinnloses doppelt Anstellen zu vermeiden, muss man wissen, dass man sich erst den Einreisestempel besorgt, und dann praktisch einen Schritt zurück vor die Einreiseschalter macht, um anschließend das Visum zu erhalten. Dann geht es nochmals zur Einreisebeamtin,die sich allerdings nur vergewissert, dass man sein Visum in den Pass geklebt bekommen hat.
Nachdem mein Gepäck und ich durch eine Sicherheitskontrolle gegangen waren, deren Existenz völliger Quatsch ist, da ich ja bereits in Frankfurt vor dem Einsteigen kontrolliert wurde, und ich einen vollkommen sinnlosen Zettel zu meinem Gesundheitszustand einem umhertingelden Flughafenmitarbeiter in die Hand gedrückt hatte, der trotzdem im 5-Minuten-Takt mich in der Einreiseschlange nochmals nach dem Zettel bat, stand ich nun in der Ankunftshalle. Ich hatte es endlich geschafft, in diese ehemalige Sowjet-Republik einzureisen.
Aserbaidschan ist nicht Euro-Land und somit stand ich gleich vor dem nächsten Problem, da Geldtauschen angesagt war. Doch beide Geldautomaten weigerten sich, mir die lokale Währung Manat auszuhändigen. Der eine Automat hatte angeblich kein Papier mehr für Quittungsbelege, der andere nicht mehr genug Cash und der Bankschalter war natürlich sonntags abends um 22.30 Uhr geschlossen, obwohl gerade ein Flugzeug mit 200 nach Manat lechzenden Passagieren angekommen war. Gleichzeitig stürmten die Piranha-Taxifahrer auf mich zu und wollten natürlich abstruse Summen an Geld, um mich zu meinem Hostel zu bringen.
Der Fahrer mit dem betagtesten Fiat-Taxi war am schnellsten auf Touristen-Normalniveau von 20 US$ heruntergehandelt. Die Adresse, die ich ihm zeigte, schien ihn anfangs nicht zu interessieren. Erst in der Innenstadt, die bei 1,8 Millionen Einwohnern doch ein bisschen größer als Mainz ist, fing die Fragerei an, denn mein Hostel war eher ein unbekanntes International Youth House mit einer genauso unbekannten Adresse.
Zunächst fuhren wir im richtigen Viertel an der falschen Stelle im Kreis. Irgendwann hatte der Fahrer dann meine Handzeichen kapiert, die ihm besagten, dass im englischen Beschreibungstext zum Zugang zum Hostel von zwei Straßen, die eine Kreuzung bilden, die Rede war, die in der Nähe der Hostel-Straße lagen. Alsbald waren wir dann in der besagten Straße, nur die Hausnummer 72 war unauffindbar. Natürlich wollte mein Fahrer mittlerweile einen Zuschlag, zu dem ich zunächst gar nichts sagte. Als ich feststellen musste, dass wir mit dem Auto die Adresse eh nie finden würden, wir zum Glück an einem nach aserbaidschanischen Niveau angeblichen 4-Sterne-Hotel mit Hausnummer 52 immer mal wieder vorbeibrausten und es auf Mitternacht zu ging, stieg ich entnervt aus. Vorher hatte ich natürlich noch einen kleinen Kampf wegen dem Fahrpreis auszufechten. Wir einigsten uns natürlich in der Mitte, also auf 5 US$ Zuschlag. Dann machte ich mich im dunklen Baku zu Fuß auf den Weg, um mein Hostel vielleicht doch noch zu finden – allerdings vergeblich – ich kam immerhin bis Hausnummer 62, die wir mit dem Taxi vorher nicht gefunden hatten. Die in der Reservierung angegebene Telefonnummer ließ nach dem Wählen nur ein aserbaidschanisches Gebrabbel folgen, das wohl etwas wie „kein Anschluss unter dieser Nummer“ bedeutete. Aber es gab ja noch das 4-Sterne-Hotel und somit hatte ich dann doch noch ruckzuck ein recht komfortables, wenn auch etwas hochpreisiges Dach über dem Kopf. Am Ende dieses stressigen Abends verstand ich auch erstmals den Sinn einer Minibar. Ohne Manats in der Tasche konnte ich dann doch noch meinen enormen Durst mit einer Sprudelflasche stillen.
Nachts um zwei schreckte mich eine SMS aus dem Schlaf, denn nun sorgte sich mein Hostel um mich. Ich schrieb kurz an diese mir unbekannte Nummer zurück, dass ich morgens anrufen würde, denn ich wollte jetzt einfach nur noch pennen. Nach dem leckeren Frühstück mit Pirogen (gefüllte Teigtaschen), Gurkensalat und Schafskäse sowie selbst zu süßendem Tee und fadem Nescafé ging es dann ans Bezahlen. Da ich ja immer noch keine Manat in der Tasche hatte, wollte ich mit Kreditkarte zahlen. Dies sollte dann 18% mehr kosten. Allerdings war der Preis, den ich zu berappen hatte, am Ende wohl mit Kreditkarte nur unwesentlich höher, da ich sonst in Euro zu einem Kurs von 1:1 hätte zahlen müssen. Eigentlich bekommt man für einen Euro aber 1,13 Manat. Der Grund, warum ich 18% Aufschlag zahlen sollte, stellte sich beim Erhalt der Rechnung heraus: ich musste die Mehrwertssteuer bezahlen! Ansonsten hätte ich wohl in diesem 4-Sterne-Hotel schwarz gepennt…
Mein eigentliches Hostel erreichte ich dann nach einem Rückruf auf der unbekannten Handynummer der letzten Nacht und einem vereinbarten Treffpunkt vor der pakistanischen Botschaft, nur einige hundert Meter und zwei Häuserblocks entfernt von meiner ersten Herberge in Baku. Am Treffpunkt wartete dann die Rezeptionistin, der die ganze Angelegenheit doch arg peinlich war und die mich durch ein kleines Wirrwarr von Gassen hinter der Botschaft ins Hostel brachte. An der Tür war weder ein Schild noch eine Hausnummer angebracht, so dass ich sowieso keine Chance gehabt hätte, diese Herberge in der Dunkelheit zu finden. Als ich ihr von der toten Telefonleitung erzählte, meinte sie, das kombinierte Fax- und Telefongerät sei wohl letzte Nacht ausgeschaltet gewesen. Nun gut, Stornogebühren muss ich wenigstens nicht auch noch bezahlen, da sie zugaben, dass der Fehler ja wirklich nicht bei mir lag. Spätestens hier merkte ich, dass Aserbaidschan und Tourismus noch wie zwei Fremdkörper wirken – und ich in diesem Land übrigens auch keinerlei Japaner vorfand, ansonsten ja ein guter Indikator, inwiefern ein Land touristisch erschlossen ist.
Vor lauter Hotelsucherei hatte ich für mein Gastland zunächst überhaupt keinen Blick gehabt. Ich denke, Baku ist eine Mischung aus heruntergekommener ex-Sowjet-Stadt und post-modernem-Öl-Boomtown à la Dubai. Eine Mittelklasse an Autos, Häusern, Kleidung scheint es nicht zu geben. Ladas an denen der Zahn der Zeit nagt oder Porsche Cayennes an denen sich der Staub der Halbwüste vor der Stadt zu schaffen macht, begegnen mir meist mit Affenzahn auf den mehrspurigen Boulevards, die entweder an schönen Pinienparks oder mit Müll übersähten heruntergekommenen Plattenbauten entlangziehen. Highheels oder ausgelatsche, kaputte Flipflops prägen das Schuhwerk, aber dass ich mich in einem muslimischen Land befinde, erkenne ich nur bei genauem Hinsehen. Islam und Alkohol gehen hier dank der klassenlosen (Sauf-)Gesellschaft eine interessante Symbiose ein. Der Anteil an Kopftuch-tragenden Frauen ist in Mainz deutlich höher und der Muezzin scheint von aserbaidschanischer Disko-Mucke in den vielen Handy-Läden verdrängt worden zu sein. Alle Marken dieser Erde sind in dieser Stadt, die die Finanzkrise wohl nur aus dem Fernsehen kennt, mit eigenen Dependancen vertreten. Überall wird gebaut, restauriert und Instand gesetzt:
In der Altstadt mit ihren verwinkelten Gassen, Palästen und einer wunderschönen Moschee, umgeben teilweise von einer dicken Festungsmauer, sind nur noch minimale Baukorrekturen zu vollbringen. Sie steht als Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO. Um diesen kleinen Stadtteil, der vielleicht so groß ist, wie die Altstadt in Mainz ringt sich eine Art Neustadt, die beim ersten Ölboom Anfang des 20. Jahrhunderts entstand. Diese prunkvollen Villen und Bauten wurden und werden peu à peu restauriert. so dass teilweise ganze Straßenzüge mit Baugerüsten versperrt sind. In den bereits fertiggestellten Bereichen lässt es sich wunderbar flanieren und in den vielen Park mit ihren unzähligen Springbrunnen herrlich von der Sonne ausruhen. Um diesen Neustadt-Gürtel herum begegnen sich unmittelbar erste und fast dritte Welt. Moderne Wolkenkratzer werden neben Plattenbauten errichtet. Mit den unzähligen mehrspurigen Autobahnen erinnert dies eher an Los Angeles als an eine Metropole am Rande des Kaukasus.
Nach meiner zweiten Nacht „durfte“ ich wieder umziehen, da ich die folgenden beiden Übernachtungen bereits ein Jahr im voraus gebucht hatte, und in diesem zweiten Hostel für die beiden vorangegangen Übernachtungen dieses bereits belegt war, nutzte ich nun die Metro zum Umziehen. Diese erinnert noch extrem an die Zeit, als Aserbaidschan ein Teil der Sowjetunion war. Die Metro-Stationen werden mit teilweise klapprigen, steilen, ultraschnellen und -langen Rolltreppen erreicht, an deren Ende immer noch eine Babuschka sitzt und guckt, ob das Ding funktioniert. Die Wagen sind auf Volkstransport ausgelegt und bieten klassenlos allen wenig Platz zum Sitzen. Allerdings zog hier auch schon die Moderne ein. 2 Manat (1,75 Euro) Pfand kostet eine Metrokarte, die man dann mit mindestens 0,2 Manat laden muss. Eine Fahrt kostet unglaubliche 0,05 Manat, also 4 Cent! Ich hatte einen Manat draufgeladen und es natürlich nicht geschafft in 5 Tagen den Betrag von 0,85 Cent oder 20 Fahrten abzufahren. Die Quittung, die ich erhielt, war dann doch wieder soviet-style, denn sie war in russisch und kyrillischen Buchstaben verfasst. Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 (!) ist aserbaidschanisch natürlich Landessprache und eigentlich alles damit abgefasst. Ähnlich wie die Türken haben die Aserbaidschaner 1918 die arabischen Schriftzeichen durch lateinische ersetzt. 1939 haben die Sowjets diese durch kyrillische Buchstaben ausgetauscht bis 1991 wieder auf Lateinisch umgeschwengt wurde. Aber in den tiefen U-Bahn-Schächten Bakus herrscht die alte Sowjetunion doch noch weiter!
In meinem neuen Hostel angekommen, musste ich feststellen, dass ich nur noch in Städten wie Baku, die bei den Übernachtungspreisen zu den teuersten der Welt gehören, gewillt bin, für ein solch mieses Hostel 20 US$ pro Nacht zu bezahlen. Das an sich schon enge, längliche Zimmer war mit drei Doppelstockbetten zugestellt. Das zweite Zimmer fasste nochmals zwei Doppelstockbetten. Es gab ein enges, aber wenigstens sauberes Bad und einen Raum, in dem sich das Sozialleben abspielte:eine Alibiküche, ein Kühlschrank für Bier, eine Couch auf der Emil, der Rezeptionist lag und immer nur „twenty Dollar“ brabbelte, wenn man fragte, was eine Übernachtung kostet. Lustigerweise habe ich folglich alle meine Übernachtungen in Aserbaidschan nicht in Manat bezahlt: die erste mit Kreditkarte, die zweite, weil immer noch ohne Manats, in Euro (im korrekten Umtauschverhältnis) und die nächsten also in US-Dollar.
Dieses Hostel war die günstigste Option in Baku zu nächtigen und dies wussten natürlich auch alle anderen Fußballfans und sonstigen Reisenden. Dementsprechende war das Hostel komplett überbucht, die Leute schliefen auf dem Boden und ich konnte mich glücklich schätzen eine dünne Matraze ohne Kissen in einem arg wackeligen Doppelstockbett mein Eigen zu nennen. Auf der Toilette war abwechselend Klobrillensurfen angesagt, da diese lose herumlag, oder es wurde meine Fingerfertigkeit geprüft, da sich das Schloss nur mittels eines Zahnstochers wieder öffnen ließ. Aber die Lage des Hostels, mitten in der Altstadt, ließ dann wenigstens etwas das ätzende Übernachten vergessen.
Um die Tage bis zum Spiel nicht nur mit Flanieren zwischen Dior-Boutique und Backgammon-spielenden teils Wasserpfeife rauchenden Alten zu verbringen, ging es raus aus der Stadt, zunächst einmal in einer Kombi aus U-Bahn (0,04 Euro) und Marshrutka (Mini-Bus) (0,16 Euro) zum ehemaligen indischen Ateschgah-Feuertempel. Ateschgah bedeutete soviel wie „Hort des Feuers“. Die Abseron-Halbinsel an derem südlichen Ende Baku liegt, ist mit Öl- und Gasvorkommen reichlich ausgestattet. Das Gas ströhmte daher schon seit mindestens dem Mittelalter an manchen Stellen einfach an die Oberfläche und fing natürlich Feuer. Auf dieses vollkommen nachhaltige Feuerwerk von Mutter Natur fuhren daher bereits vor 300 Jahren Sadhus aus Indien ab und bauten einen Feuertempel, an dem sie ihr Leben damit verbrachten, auf glühenden Kohlen zu sitzen. Der heutige Tempel ist aus dem 18. Jahrhundert und liegt mittlerweile in einem alten Erdölfördergebiet vollkommen deplatziert, daher wurde er mit Beginn der Erdölförderung 1883 aufgegeben. Das immer noch brennende Feuer stammt mittlerweile von den Gaswerken aus Baku, da das Gaslevel durch dessen Ausbeutung mittlerweile arg gesunken ist. Trotzdem ist dieser Ort noch heute etwas wirklich bizarres.
Direkt hinter den Tempelmauern sieht es dann eher apokalyptisch und definitiv biologisch tot aus. Bis zum Horizont nicken die Ölpumplen in einer ehes gespenstischen gruseligen Athmosphäre. Beim Reisen merkt man allzuoft, wie schön wir doch zu Hause wohnen, denn in dieser Apokalypse nur rund 10 km vom Glamour-Leben entfernt leben auch Menschen, die den Öl-Boom zwar mitbekommen haben, aber nicht gerade in einem positiven Sinne.
Am nächsten Tag war ich mit Allan einem 66-jährigen US-Amerikaner und einem nicht englisch sprechenden Taxifahrer on tour. Auf Vermittlung der Couch-Potatoe Emil aus dem Horror-Hostel ging es in Richtung iranischer Grenze in die Halbwüste am Kaspischen Meer. Allan war ziemlich platt, als er seit Tiflis (Georgien) eigentlich nur noch deusche Fußballfans traf. Als Ami war klar, dass er keine Ahnung vom Fußballspiel an sich hat, aber als L.A. Dodgers (Baseball) und Lakers (Basketball) Supporter weiß er, was es heißt, Fan zu sein. Als Emils Leidensgenossen haben wir uns gemeinsam auf diesen Ausflug gemacht, der uns in Qobustan zunächst zu einzigartigen Felszeichnungen aus dem 12. Jhdt. v. Chr. in einer surrealistischen Steinlandschaft führte. Als wir dann unserem Taxifahrer, der schon nicht genau wusste, wo dieses Weltkulturerbe liegt, mitteilten, dass mit Emil ausgemacht sei, die Schlammvulkane südlich von Qobustan zu besuchen, wollte er einen Aufpreis. Glücklicherweise sprachen die Mitarbeiter in Qobustan „little english“ und gaben dem Fahrer zu verstehen, dass dieser Besuch bereits im Fahrpreis inbegriffen sei. Nach längerem hin und her, rief er schließlich Emil an und es entstand ein Dialog auf aserbaidschanisch, bei dem es wohl darum ging, die besten Schimpfwörter möglichst laut und schnell, einer Kalashnikow ähnlich, durchs Handy an den Kopf zu werfen. Es stellte sich heraus, dass der Fahrer lediglich 35 Manat erhielt, wir aber 80 Manat zahlten. Evil Emil!
Der Fahrer machte sich schließlich auf den Weg und wusste natürlich gar nicht, wo die Vulkane liegen – aber das war ich ja schon von der Hotelsuche ein paar Tage vorher gewohnt. Dank des Lonely Planets wussten wir, dass wir nicht völlig falsch fuhren, als wir plötzlich auf einer Holperpiste entlanggurkten, da der gut geteerte Highway nur rund 500 m parallel davon verlief. Aber unser Fahrer, natürlich immer noch sauer auf Emil, wollte wohl eine Abkürzung nehmen und schaffte es auch immer wieder mitten in der Einöde der Halbwüste Leute nach dem Weg zu fragen. Tatsächlich fanden wir auf einmal ein anderes Taxi in der Pampa und wir hatten unser Ziel erreicht. Drei weitere Touristen hatten sich ebenfalls hierher verirrt. Ich war glücklich, dieses Mal doch mit einem aserbaischanischen Taxifahrer mein Ziel erreicht zu haben und es sah sehr lustig aus, diese zwei bis drei Meter hohen Mini-Vulkane bei ihrer Arbeit zu beobachten. Alle paar Minuten flog mal mehr mal weniger Schlamm aus ihrem Schlund. Dieser war eiskalt und das einzig gefährliche war in die Schlammlava zu treten und dann eventuell mehr oder weniger zu versinken. Allerdings trocknete der Schlamm bei Temperaturen in der Sonne von ca. 50° C doch arg schnell.
Genau diese Sonne machte mir auch zu schaffen und ich fing mir einen Sonnenstich und megamäßige Kopfschmerzen ein. Aber trotzdem überlebte ich die unspektakurläre Rückfahrt genauso wie das noch unspektakulärere Spiel, das Deutschland 2 zu 0 für sich entschied. Die Stimmung im Stadion war zumindest bis zum ersten deutschen Tor wirklich prima. Das gesamte Stadion machte eine Choreographie in den Landesfarben blau, rot, grün gesponsert von McDonald’s. Internationale Bestimmungen verbieten eigentlich das Ausschenken von Alkohol bei Fußballspielen, doch im muslimisch geprägten Aserbaidschan wurden die durstigen Germanen mit Bier bis zum Geht-nicht-mehr versorgt. Anfangs gab es noch Bierbecher, plötzlich kam ein Fan mit einer 2-Liter-Plastikflasche zurück in den Block. Trotz der arg angetrunkenen Fans blieb alles friedlich. Mit einem Sonnenstich im Kopf war ich froh, dass es neben Halal-Hot-Dog auch Coca-Cola und Wasser gab. So überlebte ich die 90 Minuten und die letzte Nacht bei Evil-Emil in seinem 1000 Camel Hostel, ehe mich der Flieger nach Wien brachte, von wo ich diese Zeilen schreibe.