Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!
01 Hin und weg:
Spiele in der ersten Runde im DFB-Pokal waren seit jeher bundesweit kein Publikumsmagnet. Als ich jedoch vor ein paar Wochen am Tag der Pokalauslosung auf Instagram nach dem Lieblingsgegner fragte, war der FCK der absolute Renner (vor Waldhof). Dementsprechend war auf Mainzer Seite das Interesse für dieses Spiel auch wirklich größer als in den vergangenen Jahren, als es hauptsächlich in den Osten der Republik nach Aue, Cottbus oder Chemnitz ging. Auf Lauterer Seite hat man sich das Verhalten wohl ein bisschen bei der SGE abgeschaut und proklamiert, dass Spiele gegen Mainz kein Derby wären. Ihr Derby wäre das gegen Waldhof und so viel wichtiger als das Pokalspiel gegen Mainz.
Gut, gegen die Diva vom Main hat Mainz 05 bisher erst 50-mal gekickt, und das seit der Saison 1931/32. Gegen Lautern ging es wirklich erst sehr viel später, nämlich 1933/34, zur Sache… Und am Samstag auch erst zum 69. Mal. Wegen mir ist unser Derby das gegen Wormatia Worms. Die Begegnung fand erstmals in der Saison 1920/21 statt und wurde bisher 115-mal ausgespielt. Und gegen Waldhof gab es zwischen 1928 und 2003 nur 36 Partien… Von daher…
Ich persönlich finde Spiele gegen Lautern und die SGE immer wesentlich reizvoller als Partien gegen andere Mannschaften. Vielleicht auch gerade weil Frankfurter und Lauterer das Match in der Bedeutung immer herunterspielen und dann doch bereits Wochen zuvor auf Mainzer Plattformen ihren Senf zu allem dazugeben und sich am Spieltag doch besonders ins Zeug legen.
Das mit der Attraktivität der Erstrundenbegegnung haben sich wohl ziemlich viele andere Mainzer*innen auch gedacht. Schließlich brachen mehr als 6000 auf, um in die Pfalz zu düsen. Und auf Lauterer Seite? Der Zuschauer-Schnitt lag letzte Saison bei wirklich beachtlichen 21192 Besucher*innen – in der 3. Liga wohlgemerkt. Am Samstag fanden allerdings über 40000 Zuschauer den Weg auf den „Betze“ – das ist für die 1. Runde im DFB-Pokal fast rekordverdächtig (Delmenhorst vs. Werder hat es noch getoppt). Das lag ganz sicher an der Attraktivität der eigenen Mannschaft – nicht. Und nachkicks ein T-Shirt mit dem Text „Die Nr. 1 im Land sind wir!“ aufzulegen, wird traditionell sicherlich bei jedem historischen Sieg auch in der 3. Liga gemacht. Denn das Shirt nach dem Sieg gegen Sonnenhof Großaspach „Die Nr. 1 im Verkehrsverbund Rhein-Neckar sind wir!“ kann ich schon nirgends mehr im Netz kaufen – schade eigentlich. Aber im Ernst: Tief gestapelt und hoch gewonnen.
Was nicht so gut aufging war die Idee, mit zwei Entlastungszügen, die zwischen Mainz und Lautern eingesetzt wurden, die zahlreichen Zugfahrer*innen in die Pfalz zu bringen. Ein Tweet verriet, dass der erste Zug, der eigentlich in Ingelheim halten sollte, direkt nach Lautern durchfuhr. Das hatte ich mir ein paar Tage vorher schon gedacht. Lust auf eine Busfahrt hatte allerdings auch nicht wirklich. Das Motto „Alle in weiß!“ nahm ich dann etwas wörtlicher und schlug mit einem weißen ICE von Mannheim kommend auf – natürlich mit dem in Weiß gehaltenen „Internationaler Fußballsportverein“-Shirt, fuhr der Zug doch weiter nach Paris. Wenn ein paar Pfälzer mitlesen und sich an dieser Stelle über das Auftreten des FSV in Europa auslassen, dem sei empfohlen, mal die jüngere Statistik des eigenen Vereins aufzuschlagen. Da gibt es erstmal sehr lange nix und dann den traditionellen, europaweit bekannten Derby-Gegner FK Teplice, gegen den 2002 und 2003 gleich zweimal Schluss war – im Intertoto Cup und im UEFA-Pokal in der 1. Runde, in der für uns ziemlich grandios verlaufenen Saison 2003/04 😉
02 (N)immer nuff:
Manche werden jetzt vielleicht den Kopf schütteln, aber ich habe am Betze nie Probleme mit dem Nuff-Kommen gehabt. Das lag Samstag und wie auch in der Vergangenheit an den Cops, die es, anders als es in Frankfurt möglich ist, hinbekommen, die Fanlager zu trennen. Provokationen bleiben so auf verbales Blöken beschränkt. Auch die Flexibilität, den Tross des ersten ankommenden Sonderzugs schon mal nuff zu begleiten, weil sich der zweite Zug verspätete war eine gute Idee. Den Leuten die Möglichkeit zu geben, Essen, Limo und Bier am Wegrand zu kaufen, und es auch Frauen zu ermöglichen, mal kurz auszutreten, war ein ziemlich souveränes Auftreten der Gesetzeshüter (was auch für den Rückweg galt).
03 Kon-Trolle
Nicht ganz so souverän verlief die Kontrolle am Eingang des Fritz-Walter-Stadions. Dass Banner an einem separaten Eingang zu kontrollieren waren, wurde zumindest nicht allen Fangruppierungen mitgeteilt. Eine Fanszene besteht nicht nur aus Ultras und ultranahen Gruppen. Es gibt auch Fanclubs, die mit Banner anreisen. Ansonsten waren die Kontrollen allerdings ziemlich unstressig zu passieren.
04 Kampf um den Mampf
Lautern stand für mich immer für Pferdewurst. Ich hatte sie zwar selbst nie verzehrt, aber das war schon irgendwie…Tradition *hust*. Genauso wie Wein, nein, nicht Weinschorle, sondern Pfälzer Wein im 05er-Becher. Dass es dieses Mal keinen Alkohol im Gästeblock gab, wurde vorab bereits bekannt gegeben. Bei den Sommertemperaturen und den heißen Gemütern war das nicht die schlechteste Idee – und Krombacher Weizen alkoholfrei lässt sich sicherlich samstags halb vier mit drei Wurstsorten zur Wahl dann doch ganz gut genießen. Nur hat es sich noch nicht bis in die Pfalz herumgesprochen, dass es auch Homo Sapiens gibt, die ihre Ernährung ohne Wurst bestreiten. Gut, ich war nur an Kiosk 2, aber ich nehme stark an, dass es an Kiosk 1 jetzt nicht unbedingt, Seitansbraten und Rote Beete Carpaccio gab… Bemerkenswert war das Outfit der Catering Crew: Komplett mit Nullfünfer-Shirts ausgestattet – nette Deeskalationsstrategie!
05 Käfighaltung
Der Gäste-Stehblock im Fritz-Walter-Stadion liegt ziemlich in der Ecke. Daher hatten die Supporters Mainz den direkt daneben liegenden Gäste-Sitzblock 18.1 zum Stimmungsblock auserkoren. Die Sicht aufs Geschehen war gut und gemeinsam mit dem ebenfalls vollen Stehblock, hatte das ganze Potential, das ja auch in der ersten Halbzeit gezeigt wurde (singan „Nie mehr 2. Liga, nie mehr nie mehr!“ singaus). Da für mich die Situation nach dem 2:0 ziemlich unübersichtlich war, mittlerweile Meldungen und Falschmeldungen, Beschimpfungen, Rechtfertigungen, Erklärungsversuche etc. in den sozialen Medien, einem Tsunami ähnlich, auf uns User hinabprasselten, nur drei Wörter meinerseits: Miteinander! Persönlich! Reden! Alles andere ist meiner Meinung nach nicht zielführend. Die Chance, dass ich oder jeder andere in den sozialen Netzwerken eine andere Person mit meinen Argumenten in einer Diskussion überzeugen kann, tendiert gegen null. Und die, die man damit eigentlich erreichen möchte, trifft man genauso wenig, wie die Jungs am Samstag das Tor. Wem es um die Sache und nicht um Aufmerksamkeit geht, der klärt das persönlich.
Fazit: Die erste Edition des Jahrgangs 2019/2020 lässt sich mit dem Sprichwort „Sodbrennen am Betze mangels Pferdewurst“ charakterisieren.
Rot-weiße Grüße,
Christoph – Meenzer on Tour