Virales Reisen in Indien – Teil 1

Liest Du eigentlich (noch) Reiseberichte? Der Trend von vergangenen Reisen zu berichten war Anfang der 2000er Jahre entstanden, als es plötzlich möglich war, per E-Mail über den Kreis von Freunden und Familie hinaus vom Abenteuer in der Welt zu berichten. Kaum einer derjenigen, die damals Reiseberichte schrieben, hatte im Sinn, damit ein wenig Geld geschweige denn seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Damals war es schlicht unmöglich, „Reichweite“ zu erzielen – es gab die Multiplikatoren Facebook, Twitter, Instagram und Co. noch gar nicht. Trotzdem hatte auch ich meinen Spaß, ab 2001 meine Erlebnisse zunächst per E-Mail an Freunde und Bekannte zu versenden.

Als die ersten Webseiten entstanden und die sozialen Netzwerke plötzlich da waren und damit auch die Möglichkeit viral (!) zu gehen, entstanden ab 2008 die ersten Reiseblogs. Der Beruf des Reisebloggers etablierte sich, die Inhalte professionalisierten sich und die Reiseberichte der „Amateure“ verschwanden von der Bildfläche. Auch ich verfasste ab 2008 kaum noch Reiseberichte und widmete mich mehr der Fotografie auf Auswärtsspielen von Mainz 05 und der Publikation der Bilder auf meiner neu eingerichteten Webseite „Meenzer on Tour“.

Während viele Reiseberichte darauf abzielten, zu zeigen, was für ein Abenteuer man gerade absolviert hatte, bieten viele Blogs seither die Möglichkeit zum „Nachmachen“ an. Die Leser*innen sollen Lust bekommen, selbst auf Reisen zu gehen. Und viele Menschen tun dies auch – was meiner Meinung nach eine prima Sache ist. Der Horizont wird erweitert, die Einheimischen profitieren vom vor Ort ausgegebenen Geld und vielleicht lernt man seinen deutschen Reisepass und den Alltag in Deutschland im Ausland erst richtig Wert zu schätzen. Das Reisen funktioniert dank des Internets wunderbar, wenn alles reibungslos läuft. Vorbei die Zeiten, als ich mit Hilfe eines Kurzwellenempfängers die Deutsche Welle suchen musste, um Nachrichten zu empfangen. Vorbei die Zeiten, Reisen mit Hilfe von Reiseführern, die bereits Jahre zuvor geschrieben wurden, vorzubereiten. Vorbei die Zeiten, meinen Eltern mit Hilfe eines 20-Dollar- Telegramms mitzuteilen, dass „allesgut“ (ein Wort und daher billiger) sei. Wie gesagt, das Reisen funktionierte auf einmal dank des Internets kinderleicht, so dass es plötzlich für jede und jeden möglich war, in den entferntesten Winkel der Welt aufzubrechen. Recherche? Reisevorbereitung? Plan B? Worst Case Scenarios? Geschenkt! Ergooglen lässt sich ja immer alles. Und wenn nicht? Dann sind wir im Jahr 2020 beim Reisen zu Zeiten von Corona angekommen und bei unserer aktuellen Reise durch Indien im März 2020.

Happy Holi auch am leeren Frankfurter Flughafen

Noch in Indien am Freitagabend lasen wir einen Stern-Artikel mit dem Titel „Die wollen hier keine Deutsche mehr – in Indien gestrandete Deutsche bitten verzweifelt um Hilfe“. Dort wurde berichtet, dass eine Gruppe von Deutschen, die wie wir in Goa vorher verweilten, nun in Mumbai festsaß. Die Gruppe startete via WhatsApp an den Stern einen virtuellen Rundumschlag gegen die deutsche Botschaft in Delhi, das Konsulat in Mumbai, die Inder an sich und die Airlines – weil ihnen die deutschen Beamten vor Ort angeblich nicht halfen, die Inder wegen des Virus Aversionen gegen Deutsche hätten und sie nicht mehr beherbergten und die Airlines sie nur abzocken wollten. Die Fehler und Verfehlungen wurden nur bei anderen gesucht. Eigenes Handeln kommt in dem Artikel gar nicht vor. Vielleicht ist es daher doch an der Zeit, mal wieder einen Reisebericht zu verfassen – über die Notwendigkeit auch in Zeiten des Internets eine gewisse Verantwortung für sich selbst zu übernehmen – egal ob in Indien oder zu Hause.

Am 6. März, einem Freitag, starteten wir vom Frankfurter Flughafen aus unsere Reise durch Indien. Zu diesem Zeitpunkt hätte eigentlich die touristische Messe schlechthin, die Internationale Tourismusbörse in Berlin, stattfinden sollen. Sie wurde genau eine Woche vorher, am 28. Februar, abgesagt – fünf Tage bevor sie am 4. März starten sollte. Solche kurzfristigen Änderungen sollten sich wie ein roter Faden auch durch unsere Reise ziehen. Wir hatten bereits Tage vor dem Start unserer Reise Befürchtungen, dass uns das Virus einen Strich durch Rechnung machen würde und wir die Indien-Reise nicht werden antreten können. Schließlich verleitet zunächst zögerliches Handeln bei uns Menschen oft dazu, in Panik übertriebene Maßnahmen einzuführen.

Corona – als ständige Begleitung auf unserer Reise

Bei der Abfahrt mit der S-Bahn in Mainz schien noch alles wie immer zu laufen. Die Bahn war gut gefüllt, halbwegs pünktlich, doch als wir am Flughafen ankamen war die Abflughalle bereits ziemlich leer. Die Sicherheits- und Passkontrolle absolvierten wir fast alleine. Dahinter wurden wir im Duty Free-Bereich erstmal auf andere Gedanken gebracht: „Happy Holi“. Traditionell stammt Holi aus Indien und findet in der ersten Vollmondnacht im Pahlguna Monat des Hindukalenders Ende Februar bis Ende März statt. In diesem Jahr war dies der 9./10. März. Im Duty Free Shop war alles auf Indien getrimmt – mit bunten Elefanten und Hindi-Schriftzügen, die über einen Discount zu Holi informierten. Außer uns machten auch ein paar Inder*innen Selfies vor dem bunten Elefanten. Andere Fluggäste gab es nicht im Duty Free Bereich. Beim Einsteigen ins Flugzeug wurden wir penibel auf unser Visum kontrolliert. Es handelt sich zwar um ein elektronisches Visum – aber einen Ausdruck, zumindest im Handy, sollte man genau aus diesen Gründen immer vorweisen können. Wir waren allerdings fast die einzigen Leute mit einem Visum – die große Mehrzahl der Menschen stammten aus Indien oder Nordamerika mit indischen Wurzeln, die gar keine Einreiseerlaubnis brauchten.

Als die Maschine abhob, waren wir froh, es geschafft zu haben – trotz der sich anbahnenden Corona-Krise noch nach Indien zu starten. Und plötzlich fiel uns auf, dass der Jumbo höchstens halb besetzt war. Dass mit halbleeren Maschinen nicht dauerhaft geflogen werden kann, war uns auch klar und wir rechneten schon damit, dass es bald Flugstreichungen geben würde. In den nächsten zehn Stunden konnten wir uns dann schon einmal ausmalen, wie wohl die Einreise nach Indien verlaufen würde. Schließlich gab es in Deutschland bereits mehrere hundert Corona-Fälle, in Indien aber genau drei. Allerdings wurden wir vor der Abreise mehrmals gefragt, ob es nicht leichtsinnig sei, gerade jetzt nach Indien zu reisen. Natürlich stimmten die gerade erwähnten Zahlen nicht. Natürlich war das Virus längt schon in Indien angekommen. Aber das Land ist ein vielfaches größer als Deutschland und die Region, in die wir reisen wollten, galt zum damaligen Zeitpunkt sogar noch als Corona-frei. Rein theoretisch machten wir folglich das einzig vernünftige. Wir schützten uns vor dem Virus, indem wir Deutschland verließen. Diesen Satz äußerten wir so natürlich nicht wirklich, aber wir Deutsche haben immer so einen Hang zu glauben, dass es bei uns am sichersten sei und andere Länder von uns lernen könnten. Das ist sicherlich manchmal der Fall, doch eine Beratungsresistenz ist im Fall von Deutschland sicherlich unangebracht. Es gibt auch andere Länder, die etwas auf dem Kasten haben.

Biergarten in Bangalore – diese sind mittlerweile wegen Corona geschlossen

Zielort unseres Flugs war die Hauptstadt des indischen Bundesstaats Karnataka: Die IT-Metropole Bangalore. Dort mitten in der Nacht angekommen, wurden wir gleich mal ins kalte Wasser geschmissen: Kaum die Flugzeugbrücke verlassen, gab es das erste Chaos. Schon damals am 7. März standen wir voll auf „Physical Distancing“. Wir hatten eigentlich keine große Lust, mit hunderten von anderen Reisenden in einer Schlange zu stehen. Abstände in einer Schlange in Indien lassen sich  zudem nie in Metern sondern eher in Zentimetern angeben. Doch es gab gar keine Schlange, sondern ein großes Gewusel. Es musste zur im Flugzeug bereits erhaltenen Einreisekarte noch eine „Corona“-Karte in zweifacher Ausführung ausgefüllt werden: Passdaten, E-Mail-Adresse, Handynummer und Angaben über den Aufenthalt in anderen Ländern innerhalb der letzten 14 Tage. Die Leute füllten die Karten auf dem Teppichboden, auf dem Rücken der Vorderleute oder auf dem Hartschalenkoffer aus. Danach ging es ums Vordrängen, um endlich einreisen zu können. Am ersten Check-Point wurde geprüft, ob die „Corona“-Karte komplett ausgefüllt war. Um dorthin zu gelangen, war massiver Ellbogeneinsatz nötig, denn das indische Schlangestehen hat eher etwas von Wrestling als von Vorfahrt gewähren. Danach mussten wir einen Beamten des Gesundheitsamts passieren, der mit einer Art Wärmebild-Pistole bewaffnet war. Hätten wir Fieber gehabt, wären wir bereits hier aussortiert worden. Cool bleiben war jetzt die Devise – im wahrsten Sinne des Wortes. Mit einem Wink wurden wir vorbeigelassen und durften den ersten Durchschlag der Corona-Karte abgeben.

Danach ging es zur Einreise, die dann recht unspektakulär erfolgte – allerdings an einem separaten Schalter für Leute mit E-Visum. Natürlich hatten wir uns erst in der falschen Schlange eingereiht, aber wir waren einfach schon mal glücklich, um zwei Uhr nachts Lokalzeit einen großen Schritt Richtung Einreise absolviert zu haben. Die zweite „Corona“-Karte mit der Einreisekarte abgegeben, Bild gemacht, Fingerabdrücke gemacht, bereit gestelltes Desinfektionsmittel danach genutzt und den Einreisestempel in den Pass gedrückt bekommen. Das Gepäck war auch schon da und am Zoll interessierte sich niemand wirklich für uns. Welcome to Incredible India! Und damit ging es an die wichtigen Dinge nach der Ankunft in einem fremden Land: Geld, SIM, Transport.

Es gab genau zwei Geldautomaten in der internationalen Ankunftshalle. Und beide akzeptierten weder Visa noch MasterCard. Daher hieß es Geld tauschen. Dafür musste der Pass mit den 100 Euro ausgehändigt werden. Es wurde eine Kopie vom Visum, vom Einreisestempel und den personenbezogenen Daten gemacht. Das machte Angestellter Nummer 1. Angestellter Nummer 2 untersuchte die beiden 50 Euro-Scheine auf ihr Aussehen. Eingefärbte Geldscheine oder Banknoten mit Rissen werden in Indien oft zurückgewiesen. Unsere druckfrischen Noten passierten den Test und ich durfte in einem Formular meinen Namen, E-Mail-Adresse, Adresse etc. eintragen. Zwischendurch wurde noch der Kunde vor mir fertig bedient – alles so zwischendrin. Meine Euro-Scheine sah ich zwischendurch auch nicht mehr. Aber es hatte alles seine Ordnung. So nach zirka 15 Minuten hatte ich dann meine Rupien in Empfang nehmen können.

Das mit der SIM-Karte, sprich dem Kauf einer lokalen Karte fürs Telefon, verschoben wir auf den nächsten Tag, es war schließlich bereits drei Uhr morgens. Schnell ein vorausbezahltes Taxi am Schalter neben dem Geldwechselbüro organisiert und schon fuhren wir mit dem Taxi ins Flughafenhotel. Am nächsten Morgen ging es nach einem ersten leckeren indischen Frühstück die 40 km in die Innenstadt von Bangalore. In der Metro gab es erste Hinweise zu Corona, die mit „Don’t panic, be aware“ zusammengefasst wurden. Wir empfanden diesen pragmatischen Umgang mit der anstehenden Pandemie als angenehm gelassen. Klopapier und Hamsterkäufe gab es in Indien nicht. Einerseits da sich Inder meist mit der linken Hand den Hintern abputzen und Supermärkte andererseits in Indien noch ein Novum sind.

Abfahrt in Bangalore mit der indischen Bahn

Bangalore ist die am westlichsten geprägteste Stadt Indiens. Daher gibt es hier dann doch bereits Shopping Malls mit kleinen Supermärkten, die zum Glück Katzen- und Hundefutter für uns bereithielten – unterstützen wir doch gerne auf unseren Reisen die Vierbeiner, die kein Zuhause haben. Tierheime gibt es in vielen Ländern überhaupt nicht und Kastrationsprogramme leider auch nicht. Aber den Tieren den Vorwurf zu machen, sich zu vermehren, wie beispielsweise bei uns den Stadttauben, ist halt wieder mal eine Bequemlichkeitsdenke von vielen von uns. Egal ob Taube, Hund oder Katze – es waren Menschen, die diese gezüchtet haben und daher haben wir meiner Meinung nach gegenüber diesen Kreaturen auch eine gewisse Verantwortung.

In den Shopping Malls gab es leider keine SIM-Karten zu kaufen. Aber in Indien gibt es immer jemanden, der etwas organisieren kann. So erzählte ich dem Hotelpersonal von meiner Not und eine Stunde später hatte ich meine SIM-Karte – natürlich zu einem Aufpreis, aber diesen Service habe ich natürlich gerne bezahlt. Es gibt sicherlich angenehmere Dinge, als in einer 10-Millionen-Metropole durch die Straßen zu irren und eine SIM-Karte zu suchen. Außerdem stand auch noch das Problem der Geldbesorgung auf dem Tagesplan. Beim Ableger einer französischen Großbank funktionierte dann die Kreditkarte und wir erhielten 10 000 Rupien (ca. 120 Euro). Bangalore zeichnet sich weniger durch Sehenswürdigkeiten wie das Rote Fort oder die Mausoleen in Delhi oder die tolle Lage auf einer Landzunge wie Mumbai aus. Bangalore besticht eher durch seine Gärten und Parks aber vorallem durch seine Pubs. Bier in Indien abseits der großen Hotels zu bekommen ist oft unmöglich. An vielen heiligen Orten gibt es sogar ein Alkohol- und Fleischverbot – und in Indien sind sehr sehr viele Plätze heilig. Anders hier in Bangalore – dort gibt es mittlerweile mehr als 50 Mikrobrauereien und Biergärten! Und ein Heavy Metal Festival, das mit dem berühmten Pendant in Wacken kooperiert! Daher wollten wir in 14 Tagen hier unsere Reise beenden und am Bangalore Open Air 2020 teilnehmen.

Fahrkarte per SMS

Am nächsten Tag wollten wir unsere Barreserven weiter füllen. Leider haben wir an einem anderen Bankautomaten als am Tag zuvor die Kohle besorgen wollen und wieder funktionierte das Abheben nicht. Angeblich sei die Kreditkarte gesperrt oder kaputt. Solche Horrormeldungen habe ich schon öfters auf Reisen gelesen und ich machte mich erstmal nicht verrückt. Als ich dann fünfzehn Minuten später am Geldautomaten vom Vortag auch kein Geld bekam wurde ich dann doch etwas unruhiger. Meine Kreditkarte hatte ein Limit von 300 Euro pro Tag. Da ich vorher bereits versucht hatte, 300 Euro abzuheben und das nicht klappte, versuchte ich mich damit zu beruhigen, dass dieser Betrag wohl erstmal geblockt wurde und irgendwann nach vielleicht einer Stunde wieder freigegeben wird, wenn die Abhebung tatsächlich nicht funktionierte. Das war auch diesmal so. Eine Stunde später hatte ich am gleichen Automaten endlich genug Geld für die nächsten Tage in der Hand – denn Geldautomaten in Indiens Provinz mögen deutsche Kreditkarten oft nicht so gerne.

Der Hauptgrund, eine lokale SIM-Karte zu erwerben, lag an unserem Hauptfortbewegungsmittel auf dieser Reise, dem Zug. Mussten wir auf früheren Indien-Reisen Tage einkalkulieren, eine Fahrkarte zu erstehen, war es Anfang 2020 plötzlich relativ einfach diese Wochen im Voraus online zu kaufen – nach ein paar für Indien typischen Bürokratiehürden, die es zu überwinden galt – für Inhaber*innen ausländischer Kreditkarten. Allerdings war an die Online-Bezahlung der Tickets die Verpflichtung gekoppelt, sich die Fahrkarte ab 3 Tagen vor der Abfahrt per SMS zuschicken zu lassen. Indien und ausländische Handynummern – das passt einfach nicht. Wer schon mal an einem indischen Flughafen versucht hat, das Gratis-WLAN-Angebot zu nutzen, weiß wovon ich spreche. Es muss immer eine Handynummer eingegeben werden, an die ein Code verschickt wird. Der Code kommt grundsätzlich bei +49-Nummern nie an. Und gleiches erwartete ich mit der SMS der indischen Bahn.

Mit der lokalen SIM hat das alles problemlos funktioniert und wir starteten am 9. März unsere Reise mit der indischen Bahn. Als wir im Januar die Fahrkarten kauften, war uns Corona zwar schon ein Begriff und ich fragte mich bereits damals, ob das noch was wird mit unserer Indien-Reise, zumal ich ein Deja-vu hatte. 2002/03 reiste ich innerhalb eines Jahres von Mainz Hbf. nach Mainz Süd – halt anders herum, sprich vom Mainzer Hauptbahnhof über Amerika und Asien statt durch den Tunnel, der die beiden Bahnhöfe miteinander verbindet. Im April 2003 sah ich mich in Indonesien plötzlich mit SARS konfrontiert. Diese Lungenkrankheit verfolgte mich dann bis in die Türkei im Juli 2003 via Malaysia, Burma, Bangladesch, Indien, die Emirate und den Iran. Auch zu SARS-Zeiten fuhr ich mit der indischen Bahn und ein „Physical Distancing“ war in der „Sleeper-Klasse“ damals gar nicht möglich. Allerdings reiste der Virus damals auch nicht so wirklich um die Welt, so dass ich eigentlich nur bei den Grenzkontrollen durch Fieber messen und „Fit-for-Travel“-Kartenausfüllen konfrontiert war. Ferner war es leichter SARS-Infizierte zu identifizieren, da diese erst ansteckend waren, wenn die Symptome wie Fieber und Husten offensichtlich waren.

Klopapier – in Indiens Zügen frei erhältlich

Da ich auf überfüllte Abteile 17 Jahre später nicht mehr wirklich Wert legte, hatten wir uns für ein „2 Tier“-Abteil entschieden: einen Liegewagen mit vier Betten auf der rechten Seite des Gangs des Abteils und zwei Betten links längs des Gangs. Damit war es durchaus möglich, auf Abstand zu anderen Fahrgästen zu gehen. Die Reise nach Hospet verlief relativ ereignisarm. In unserem Viererabteil kamen wir mit unserem indischen Abteilnachbarn ins Gespräch. Das Schöne an Indien ist die Tatsache, dass viele Leute besser als ich Englisch sprechen. Dazu sind viele Inder*innen sehr gebildet und aufgeschlossen. So wird wie in unserem Fall eine Zugfahrt zu einem interkulturellen Austausch über Gott und die Welt. Unser Gegenüber war Rentner und fuhr für vier Wochen in einen heiligen Ort in der Mitte Indiens, um einem Ashram ein wenig herunterzufahren. Dass wenige Wochen später die halbe Welt ein Ashram werden würde, hatten wir am 9. März noch nicht wirklich erwartet.

Über Google Maps konnten wir den Zug in Echtzeit verfolgen. Aus einer Verspätung von einer Stunde wurde bei der Indischen Bahn schon mal eine pünktliche Abfahrt ein paar Stationen später, da die Bahn hier mit Puffern arbeitet. Leider gibt es in der indischen Bahn keine Speisewagen, so dass das von Händlern und der Bahn angebotene leckere Essen leider in Einwegverpackungen am Platz daherkommt.

Wunderbares Hampi

Fast pünktlich trafen wir nach einer Tagesfahrt in Hospet ein und ließen es uns die nächsten fünf Nächte in der Nähe von Hampi in der Mitte Indiens gut gehen. In der ersten Nacht in Hampi war nun auch offiziell Holi – wir bekamen davon wenig mit, da dieses Festival hauptsächlich im Norden gefeiert wird. Ich hatte wegen Corona allerdings schon ein wenig die Befürchtung, dass „Physical Distancing“ zu Holi in Indien wohl nicht durchzusetzen sei – denn zu Holi schmieren sich alle mit bunten Farben das Gesicht ein. Auch ich wurde am 10. März eingefärbt – aber die Angst, sich mit Corona zu infizieren, war zu diesem Zeitpunkt bei mir eigentlich immer noch nicht da – Indien hatte immer noch nur ein paar Dutzend Fälle – offiziell!

Dennoch starteten die indischen Behörden nun ihren Aktionismus. Am 11. März 2020 wurde verkündet, dass alle Visa von Deutschen für ungültig erklärt würden, sofern man noch nicht eingereist sei. Damit bewahrheitete sich vier Tage nach unserer Einreise das, was wir bereits eine Woche zuvor befürchteten: dass wir nun nicht mehr ins Land hätten reisen können. Das Visum von Deutschen, die bereits eingereist waren, blieb allerdings gültig, so dass wir zunächst nichts zu befürchten hatten.

Die Tage in der bizarren Felsen- und Tempelwelt Hampis waren anstrengend und traumhaft zugleich – so wie es in Indien eigentlich immer ist. Anstrengend, weil es schlicht zu heiß war. 35° C um 10 Uhr morgens sind einfach zu viel. Traumhaft, weil dieser Landstrich einfach wunderschön ist. Wir konnten am Flussufer von Tempelruine zu Tempelruine spazieren, auf Felsen klettern, den Tempelaffen beim Futtern zuschauen und das leckere indische Essen genießen. Beim Hinaufklettern auf einen Tempelberg machte uns die Unmöglichkeit des „Physical Distancing“ mal wieder zu schaffen. Privatsphäre gibt es in Indien nicht. Das Recht am eigenen Bild auch nicht. Und so mussten wir beim Hinaufklettern auf einen Tempelberg mehrmals ungefragt für Selfies mit Inder*innen posieren. Natürlich hätten wir das abschlagen können – aber wir sind hier die Gäste. Das ist in Indien halt normal und es hätte ziemlich rüde gewirkt, wären wir wild gestikulierend der Masse entflohen. Wer so etwas nicht mag, der sollte nicht nach Indien fahren.

Abendstimmung in Hampi

Reisende in Indien sind oftmals so bizarr, wie Inder*innen. So laufen viele Fremde in den lokalen Klamotten durch die Gegend, färben sich die Haare mit Henna und geben den Guru. Trotzdem sind diese Menschen oft angenehme Zeitgenossen und Traveller Talk mit diesen ist meist sehr lustig. Was allerdings der UK-Guru mit seinem wunderbaren britischen Englisch so berichtete, gefiel uns gar nicht. Angeblich würden Reisende aus Hampi, das ebenfalls im Bundesstaat Karnataka lag, an der Weiterfahrt in den Bundesstaat Goa gehindert – wegen Corona. Bisher machte das Virus uns keinen Strich durch die Rechnung, doch wenn wir nun aus der staubigen Hitze Hampis nicht ans Meer fahren durften, wäre das natürlich ziemlich ätztend gewesen. Daher machten wir uns nach dem Gespräch gleich auf die Suche nach funktionierendem WLAN – das leider in Indien nicht immer so wirklich vorhanden ist. Auch das mobile Internet mittels lokaler SIM gab hier in der indischen Einöde nur „Edge“ her.

Teil 2 über die Weiterreise folgt demnächst

Weltreise in der eigenen Stadt

Wenn wir Mainzer*innen gefragt werden, was unsere Stadt bereits seit Jahrzehnten fast einzigartig in Deutschland macht, antworten die Jüngeren vielleicht das Marktfrühstück oder die Nullfünfer. Oder vielleicht die politisch-literarische Fassenacht?

 Programmheft und Isomatte sollten auf dem Open Ohr immer überalle dabei sein - passendes Accessoire: der Meenzer-on-Tour-Turnbeutel, fair gehandelt und aus Bio-Baumwolle
Programmheft und Isomatte sollten auf dem Open Ohr immer überalle dabei sein – passendes Accessoire: der Meenzer-on-Tour-Turnbeutel, fair gehandelt und aus Bio-Baumwolle

Sehr wenige Mainzer*innen werden wahrscheinlich das Open Ohr nennen, das mittlerweile zum 45. Mal auf der Zitadelle stattfand. „Zu links, zu wenig bekannte Künstler*innen, zu politisch, zu viele komische Menschen“ – das waren und sind Dinge, die ich ab und zu höre, wenn es um das alljährlich an Pfingsten stattfindende Festival geht. Ich persönlich finde das sehr schade, denn natürlich leisten die Nullfünfer gute Arbeit und als Fan unterstütze ich den Verein gerne in den Bretzenheimer Feldern, am Bruchweg oder auch in Aserbaidschan, wenn Mainz mal wieder spielt. Genauso habe ich die Fastnacht fest ins Herz geschlossen und finde es immer wieder schön, einmal im Jahr montags uff die Gass‘ zu gehen, statt, wie der der Großteil des Landes, einfach wieder eine neue Arbeitswoche einzuläuten. Ein von der Stadt (zwischen)finanziertes, politisches und von einer freien Projektgruppe mit sehr viel Engagement vorbereitetes Festival, das seit Mitte der 1970er Jahre existiert, ist tatsächlich einzigartig für Deutschland.

1997 war für mich als Mainzer diesbezüglich ein sehr bedeutendes Jahr: Am Pfingstsonntag bin ich mittags erstmals zu einem Zweitligaspiel der Nullfünfer gegangen und nach dem Spiel ebenfalls zum ersten Mal zum Open Ohr – lustigerweise mit einigen meiner Freunde, mit denen ich mich 2019 auch wieder auf der Zitadelle traf (und im Stadion am Europakreisel vierzehntägig sowieso). Die bereits angesprochene freie Projektgruppe, die fast ein Jahr lang das Festival ehrenamtlich mit vielen hauptamtlichen Mitarbeiter*innen der Stadt vorbereitet, stellt das Festival jedes Jahr unter ein Motto. Um welches Motto es sich 1997 gehandelt hat, weiß ich heute nicht mehr. Ich fand es damals allerdings schon interessant, dass es drei Bühnen und mehrere Zelte gab, in denen nicht nur Musik, sondern Theater, Kabarett und Podiumsdiskussionen angeboten wurden.

Blieb ich beim ersten Mal nur einen Tag, änderte sich dies im Folgejahr und ich gab mir die nächsten Jahre die volle Dröhnung Open Ohr mit drei Nächten Zelten, wenig Schlaf, viel Feiern und jeder Menge Spaß. Bin ich an Pfingsten nicht am Reisen, wie 2003 auf meiner Weltreise oder 2007 mit dem Fahrrad in der Ukraine, dann ist das Open Ohr seither für mich ein fester Bestandteil meiner „Jahresplanung“ – und genauso wichtig wie Spiele der Nullfünfer oder die fünfte Jahreszeit.

Regenjacken waren nur am Freitag ständige Begleiter
Regenjacken waren nur am Freitag ständige Begleiter

Das diesjährige Motto „Partei ergreifen“ traf den Zeitgeist vollkommen. Der Niedergang der ehemaligen Volksparteien hatte sich schon im Sommer 2018 abgezeichnet und ist seit der Europawahl aktueller denn je. Sicherlich auch aus diesem Grund waren die Diskussionen und Foren gut besucht und glücklicherweise auch wieder mit Politiker*innen bestückt, die das Parteienspektrum von ziemlich weit links bis einen Tick weit rechts der Mitte gut abdecken. Das war leider nicht immer so und das war auch öfters ein Thema bei der Festivalkritik – denn beim Open Ohr dürfen die Besucher*innen ihre Meinung schon immer kundtun – Jahrzehnte bevor Social Media dies allgemein möglich machte. Die Projektgruppe nahm diesen Punkt auch immer wieder auf, entgegnete allerdings, dass es manchmal schwierig sei, Politker*innen rechts der SPD für einen Besuch zu gewinnen.

Und dennoch, ein Heiner Geißler hat es sich nicht nehmen lassen, das Open Ohr zu besuchen, genauso wie Julia Klöckner, die vor ein paar Jahren zu einer Diskussion rund um das Thema Heimat eingeladen wurde. Dieses Jahr waren auch wieder Vertreter*innen der CDU und der FDP bei unterschiedlichen Diskussionen mit an Bord. Daher fand ich die Diskussionen dieses Jahr auch weitaus spannender als in manchen Jahren zuvor, in denen sich alle Podiumsteilnehmer*innen ohnehin fast einer Meinung waren. Und besser als jede Talkshow waren diesen Foren allemal, nicht nur, weil man sich respektvoll begegnete, sondern die anderen auch ausreden ließ, sich sogar manchmal einem Argument der Gegenseite zumindest nicht komplett verschlossen hat.

Die Ente ist (genauso wie der Rabe) mittlerweile Dauergast auf dem Open Ohr - hier beim Konzert von Sookee auf dem Drususstein
Die Ente ist (genauso wie der Rabe) mittlerweile Dauergast auf dem Open Ohr – hier beim Konzert von Sookee auf dem Drususstein

Das Argument, das Wahlrecht auch für Menschen unter 18 Jahren einzuführen, da auch eine Meinungsfreiheit für Menschen ohne Meinung gilt, fand ich ziemlich überzeugend – und die Pauschalisierung, dass junge Menschen keine Ahnung von Politik haben, darf eh angezweifelt werden. Einer Jutta Ditfurth zu lauschen, die sowohl Grüne als auch die „Fridays for Future“ Bewegung ein wenig entzauberte (wer darf da genau sprechen, wer ist da medienkompatibel, wen kann man für die eigene Partei „verwerten“), bringen sicherlich viele der Besucher*innen zum Nachdenken. Ihre These, dass Minderheiten unser Land verändern, Stichwort Arbeiterbewegung und Frauenrechtlerinnen, fand ich einprägsam.

Aber nicht nur Politiker*innen standen Rede und Antwort. Die Berliner Rapperin Sookee krabbelte extra frühmorgens aus ihrem Bett in der Hauptstadt, um vor ihrem Konzert mit uns über Haltung auf der Bühne zu diskutieren. Denn aus dem anfänglichen Interview wurde, wie auf dem Open Ohr üblich, eine Diskussion mit dem Publikum. Dafür stehen immer Mikrofone vor den Bühnen bereit und häufig beleuchten die Zuhörer*innen Punkte, die zuvor nicht angesprochen wurden. Für die Queerfeministin gibt es beim Thema Kunst und Haltung keine zwei Meinungen. Sie ist der Auffassung, dass Künstler*innen ja von der Öffentlichkeit profitieren. Daher hat die Öffentlichkeit auch ein Recht zu erfahren, welche Haltung Künstler*innen einnehmen. Manchmal urteilen Aktivist*innen ja in ziemlicher Schwarz-Weiß-Marnier in „Gute“ und „Schlechte“ – anders Sookee, die z.B. Sarah Connor, die ja bisher nicht gerade als politische Aktivistin galt, für ihr Lied „Vincent“ ausdrücklich lobte. Darauf angesprochen, auch mal etwas trivialere Songs zu rappen, um eine breitere Masse zu erreichen, entgegnete Sookee, dass das schon eine gewisse „Vergeudung von Atem“ sei – dementsprechend hat sie in der von Männern dominierten Welt des Sprechgesangs auch ein schwieriges Standing. Vor der Kraft, die Menschen wie Sookee und Ditfurth aufbringen, dauerhaft unangepasst in unserem Land für Minderheitenmeinungen Partei zu ergreifen, kann ich nur den Hut ziehen.

Natürlich werden solche Menschen permanent in den Sozialen Netzwerken dafür kritisiert und mit Hass und Häme überzogen. Für Ditfurth bietet Social Media dennoch mehr Chance als Bedrohung. Sie kann hier ihre Thesen ihrem Publikum rüberbringen. Wofür früher wohlwollende Journalist*innen notwendig waren, ist es heute nur eine funktionierende Internetverbindung, (was in Deutschland allerdings auch manchmal eine Herausforderung darstellt). Die Kabarettistin Sarah Bosetti hat die schlimmsten Beschimpfungen gesammelt und daraus lyrische Werke erstellt – ein sehr souveräner Umgang mit völlig niveaulosen Schmähungen. Ihre Anekdoten über das Scheitern, am Pfingstmontag vorgetragen, greifen das Thema genauso kreativ auf, wie es Nico Semsrott sicher die nächsten fünf Jahre in Brüssel und Straßburg rüberbringen wird. Eben jener Semsrott hatte im letzten Jahr das große Zelt zum Platzen gebracht, an einem heißen Pfingstmontag-Mittag.

Der Tag auf der Zitadelle fängt allerdings schon viel früher an. Mit Frühsport zum Beispiel – und der Möglichkeit, Vorurteile zu revidieren. Letztes Jahr machten wir uns um kurz vor zehn zum Beispiel auf, um mal eine Zumba-Session mitzumachen. Dass das alles andere als ein sinnbefreites Herumgehüpfe ist, stand bei mir schon nach ein paar Minuten fest, als ich völlig außer Atem gewesen war. Letztes wie dieses Jahr gab es auch Yoga, Tanz und dieses Jahr Qi Gong  aus Tibet. Es bringt mich immer wieder zum Schmunzeln, wenn Meditierende auf Mitmenschen treffen, die gerade ihr erstes Stubbi am Morgen öffnen. Denn auch fast einzigartig: Die Besucher*innen dürfen unbegrenzt Wasser mitbringen, das es auch zum Auffüllen unterhalb des Drusussteins gibt. Außerdem können sie bis zu einem Liter an Limo, Bier oder Wein auch in Glasflaschen (!) mit hineinnehmen.

Zur blauen Stunde vor der Hauptbühne über den Dächern von Mainz
Zur blauen Stunde vor der Hauptbühne über den Dächern von Mainz

Dazu sind die Getränkepreise extrem fair, wenn man die Preise kennt, die bei anderen Festivals aufgerufen werden. Die Speisen sind im Vergleich zu den Vorjahren ein wenig teurer geworden, dafür wurde endlich durchgängig auf Plastikbesteck und -teller verzichtet. Überhaupt sind die Eintrittspreise sehr fair und familienfreundlich. Kinder unter 14 Jahren zahlen nichts und ein eigenes Kinderprogramm sorgt dafür, dass auch die jüngeren Besucher*innen auf ihre Kosten kommen. Die schiere Menge an Kinderwagen und Buggys zeigte, dass das Angebot auch angenommen wurde. Wie beim Auto geht es beim Kinderwagen aber in Richtung „SUV“ – vielleicht sollten nächstes Jahr tatsächlich mal Parkplätze für diese Gefährte eingeführt werden – schließlich sollten auch Menschen mit eingeschränkter Mobilität noch etwas vom Festival mitbekommen und nicht von Buggys umzingelt werden – gerade auf den Wallanlagen am Drususstein. Aber zurück zur Preisgestaltung: Es gibt ein Sozialticket und wenn man 0,10 Euro pro Tag ein Jahr zurücklegt, dann hat man auch als Geringverdiener*in das Viertagesticket schon gelöst. Sehr transparent wird auch die Verwendung der Eintrittsgelder im Programmheft dargestellt. Der größte Teil geht mit 25 % für die Veranstaltungstechnik drauf. Da das Festival seit Jahren sehr friedlich abläuft, muss glücklicherweise für Security recht wenig Geld aufgewendet werden. So bleiben am Ende ca. 17 Prozent des Eintrittspreises für die Künstler*innen übrig.

Schüttelübungen bei Qi Gong morgens um zehn vor der Hauptbühne
Schüttelübungen bei Qi Gong morgens um zehn vor der Hauptbühne

Seit Jahren verpflichtet die freie Projektgruppe keine musikalischen Top Acts mehr, sondern eher Bands, die einem Massenpublikum wahrscheinlich unbekannt sind. Dadurch dass viele Genres in den vier Tagen abgedeckt werden, kommen wohl die meisten von uns auf ihre Kosten. Genauso wie man sich mal morgens auf Yoga oder Zumba einlassen kann, ist es doch auch extrem spannend, sich im Laufe des Tages auf unbekannte Bands, Theatergruppen und Kabarettistinnen und Kabarettisten zu freuen. So entsteht eine künstlerische Reise durch die ganze Welt. Das Schöne am Open Ohr ist zudem die Tatsache, dass man, mangels Publikumsmagneten, bei den meisten Konzerten auch auf der Wiese sitzen bleiben und gemütlich der Musik lauschen kann, ohne Angst haben zu müssen, plattgetrampelt zu werden.

Alles in allem waren es mal wieder eine wunderschöne Zeit auf der Zitadelle mitten in der Stadt. Ein ganz klein bisschen zähle ich schon die Tage bis zum nächsten Pfingstfest. Doch davor geht es erstmal wieder ins Stadion und zur Straßenfassenacht im schönen Mainz am Rhein.

Reisewarnung, Sicherheitshinweis etc. – was bedeutet das?

„Früher war die Welt noch in Ordnung.“ Diesen Satz hört man immer mal wieder durch die Gegend geistern. Aber tatsächlich kann man unsere moderne, globalisierte Welt in zwei Hälften teilen, was die Bedrohungslage angeht. Naturkatastrophen gab es schon immer und vielleicht nehmen diese aktuell sogar zu. Auch Anschläge durch Terroristen gibt es seit Menschengedenken. Trotzdem ist der 11. September 2001 eine Zäsur. Erstens sah damals die halbe Welt live zu, wie die Flugzeuge in New York in die Zwillingstürme gekracht sind. Diese mediale Wirkung ist sicherlich der Ursprung für viele Taten, die seither weltweit verübt wurden. Gleichzeitig gibt es seit diesem Tag einen weltweiten Sicherheitshinweis auf eine terroristische Bedrohungslage.

Auf dem Weg von Mainz nach Kapstadt machten wir 1995 auch Halt in Asmara, Eritrea, für das heute eine Teilreisewarnung besteht.
Auf dem Weg von Mainz nach Kapstadt machten wir 1995 auch Halt in Asmara, Eritrea, für das heute eine Teilreisewarnung besteht.

Zur einer guten Reisevorbereitung gehört meiner Meinung nach auch das Studieren der aktuellen Sicherheitslage. Vor dem Internetzeitalter war diese Informationsbeschaffung relativ schwierig. Letztlich klappte dies mit guten Reiseführern einigermaßen. Jedoch waren diese Quellen teilweise veraltet. Aber die Zeiten waren damals auch noch nicht so schnelllebig. Heute werden wir von Behörden, Medien, Bloggern etc. förmlich mit Infos, Links und Webseiten überflutet – teilweise in Echtzeit. Traditionell gute Informationsquellen sind Regierungsseiten von demokratischen Ländern. Bei uns in Deutschland gibt das Auswärtige Amt Informationen zu allen Ländern der Welt aus. Diese werden regelmäßig aktualisiert und spiegeln meiner Meinung nach in den meisten Ländern die Welt die tatsächliche Sicherheitslage objektiv wieder. Im Zweifelsfall sind die Informationen eher zu „defensiv“ sprich, es wird eher gewarnt als nicht gewarnt – was durchaus nachvollziehbar ist. Man kann gegebenenfalls eine Zweitmeinung einholen, z.B. bei den entsprechenden Seiten aus den USA, Großbritanniens, Australiens, Frankreichs oder Neuseelands.

Gleich zwei Länder mit Reisewarnung (Syrien) und Teilreisewarnung (Libanon) haben wir 1996 noch problemlos bereisen können. Das Bild entstand an der syrisch-libanesischen Grenze.
Gleich zwei Länder mit Reisewarnung (Syrien) und Teilreisewarnung (Libanon) haben wir 1996 noch problemlos bereisen können. Das Bild entstand an der syrisch-libanesischen Grenze. Allerdings gab es damals auch Sicherheitshinweise für den Libanon.

Die heftigste Note, die das Auswärtige Amt aussprechen kann, ist eine Reisewarnung. Diese gilt aktuell für 25 von 195 Staaten der Erde. Stand heute zählt z.B. Sri Lanka nicht zu dieser Liste, aber die Ukraine und Japan. Der Westen der Ukraine ist vollkommen risikolos zu bereisen. Im Osten des Landes finden seit 2014 bewaffnete Konflikte statt. In Japan wird vor einer Reise in die Gegend des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi gewarnt, da dort die Strahlenmenge nach der Reaktorkatastrophe 2011 immer noch lebensgefährlich ist. Der Rest von Japan ist ebenfalls ohne Bedenken zu bereisen. Daher existieren in beiden Ländern ein so genannte Teilreisewarnung. Von den 25 Ländern mit Reisewarnung wird in 18 Ländern nur bei Reisen in einen gewissen Landesteil gewarnt. Lediglich für Syrien, Jemen, den Südsudan, Libyen, Somalia, Afghanistan und die Zentralafrikanische Republik existiert eine Reisewarnung, die für das ganze Land gilt.

Groundhopping 1998 zum Afrika-Fußball-Cup nach Ouagadougou in Burkina Faso, für das aktuell auch eine Teilreisewarnung besteht.
Groundhopping 1998 zum Afrika-Fußball-Cup nach Ouagadougou in Burkina Faso, für das aktuell auch eine Teilreisewarnung besteht.

Laut Auswärtigem Amt enthalten Reisewarnungen „einen dringenden Appell“, Reisen in ein Land zu unterlassen, „wenn aufgrund einer aktuten Gefahr für Leib und Leben“…“gewarnt werden muss“.

Tokio 1999 zur Kirschblüte, aktuell besteht auch für Japan eine Teilreisewarnung.
Tokio 1999 zur Kirschblüte, aktuell besteht auch für Japan eine Teilreisewarnung.

Ferner spricht das Auswärtige Amt Sicherheitshinweise aus. Seit dem 11. September 2001 gilt, wie bereits erwähnt, ein weltweiter Sicherheitshinweis. Vorher gab es einen solchen weltweiten Hinweis tatsächlich nicht. Es gab vor 2001 schlicht keine globale terroristische Gefahr. Der weltweite Sicherheitshinweis gilt abstrakt, da es ja das Ziel von Terroristen ist, Unsicherheit zu verbreiten. Niemand weiß, wann und wo der nächste Anschlag stattfindet. Als „beliebte“ Anschlagsziele gelten laut Auswärtigem Amt „Orte mit Symbolcharakter“, wie dies auch in Sri Lanka der Fall war: Obwohl weniger als 10% der Menschen auf der Insel Christen sind, wurden Kirchen ausgewählt, genauso wie 5-Sterne-Hotels. Das Christentum und Luxushotels gelten als Symbole der westlichen Gesellschaft. Kirchen an Ostern in die Luft zu sprengen, hat natürlich einen noch größeren Symbolcharakter. Daher sind religiöse Feiertage Zeitpunkte, an denen man immer ein bisschen aufpassen sollte, wenn man in einem fremden Land unterwegs ist. Der wichtigste Satz steht allerdings am Ende des weltweiten Sicherheitshinweises: „Die Gefahr, Opfer eines Anschlages zu werden ist im Vergleich zu anderen Risiken, die Reisen ins Ausland mit sich bringen, wie Unfällen, Erkrankungen oder gewöhnlicher Kriminalität, vergleichsweise gering.“.

Eine Radtour durch die Ukraine war 2007 problemlos möglich. Seit 2014 existiert auch in diesem Land eine Teilreisewarnung.

Neben Reisewarnungen und dem weltweiten Sicherheitshinweis gibt es auch Sicherheitshinweise für einzelne Länder. Diese weisen „auf besondere Risiken“ hin. Sie können eine Empfehlung auf einen Verzicht auf die Reise enthalten oder es wird abgeraten, dorthin zu reisen. Aktuell existiert z.B. für Sri Lanka ein Sicherheitshinweis. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass eine akute Gefahr für Leib und Leben bis dato nicht existiert.

Djenné 1998 war eine Reise wert. Leider existiert auch für Mali aktuell eine Teilreisewarnung.

Fazit: Man kann bei der Reisevorbereitung das ganze wie eine Ampel betrachten:

  • Rot – Reisewarnung
  • Gelb – Sicherheitshinweis
  • Grün – keine Gefahr -> gibt es seit dem 11. September 2001 aber nicht mehr, da es einen weltweiten Sicherheitshinweis gibt. Vielleicht gilt „Grün“ in der Antarktis, der Arktis etc. – sprich Gebiete, in denen wenig bis gar keine Menschen leben
1994 in der Sahara Rad zu fahren war anstrengend, aber sicher. Für Ägypten existiert aktuell auch eine Teilreisewarnung.

Bevor man also eine Kurzschlusshandlung vornimmt und eine direkt Reise storniert, sobald im geplanten Reiseland etwas passiert ist, ist es vielleicht doch eher empfehlenswert, die Seite des Auswärtigen Amts regelmäßig zu konsultieren und vielleicht auch noch ein paar Tage/Wochen abzuwarten, bevor man seine Reisepläne gegebenenfalls ändert.