Bali, Berlin, Nairobi, New York, Paris… was sich wie eine Tournee-Auflistung liest, ist leider die Anreihung der Orte, die ich besucht habe, nachdem dort ein Terroranschlag stattgefunden hatte. Berlin und Paris haben sicherlich viele von Euch auch nach 2015 bzw. 2016 aufgesucht. Vielleicht wohnt die eine oder der andere ja auch in einem dieser Orte. Gemeinsam mit New York sind diese Plätze nicht unbedingt auf den Tourismus angewiesen. Nairobi selbst ist auch nicht wirklich ein Touristenmagnet und eher wegen der seit Jahrzehnten vergleichsweise hohen Kriminalitätsrate unter Reisenden ohnehin nicht sonderlich beliebt, aber der Ausgangspunkt zu vielen Naturschönheiten Kenias.
Bei Bali sieht die Sache hingegen vollkommen anders aus. Nachdem im Oktober 2002 ein Bombenanschlag im von (Party)-Touristen besonders beliebten Kuta verübt worden war, trauten sich die Massen plötzlich nicht mehr in das „Malle“ der Australier. Als ich im Rahmen meiner Weltreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln im Mai 2003 erstmals nach Bali kam, war die Insel nicht ausgestorben, denn übervölkert war sie auch damals schon. Aber Fremde gab es fast keine. „Come back to Bali – don’t let the terrorists win“ stand auf vielen Schildern geschrieben. Ich hatte 2003 eine gute Zeit auf Bali, fühlte mich sicher und die Menschen waren dankbar, dass ich ein wenig Geld bei ihnen ließ. Ganze Familienexistenzen standen damals auf dem Spiel.
Aktuell wird auf Touristen sehr viel geschimpft. Es kommt zum so genanntem „Overtourism“, z.B. an den Grachten von Amsterdam oder an der Lagune von Venedig. Globale Ferienwohnungsvermietungsplattformen wird vorgeworfen, Mietwohnungen den Einheimischen wegzunehmen. Aber Touristen können auch Zeichen setzen, z.B. in dem sie gerade jetzt ihre nächste Fernreise nach Sri Lanka statt ins mittlerweile wieder recht populäre Bali planen. Sri Lanka machte bis 2009 einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg zwischen hinduistischen Tamilen und buddhistischen Singalesen mit. Die letzten 10 Jahre ging es in Sir Lanka bergauf und Probleme zwischen Christen und Moslems, die jeweils weit unter 10 % der Bevölkerung stellen, gab es nicht. In meinem Buch „Zu Gast – In vielen Ecken dieser Welt“ setze ich das Land mit einer Trauminsel gleich. Dies galt bis zum Ostersonntag. Ich bin mir sicher, dass dies, wie auf Bali auch, in Zukunft auch wieder der Fall ist. Selbst das Auswärtige Amt hat keine Reisewarnung für das Land ausgesprochen. Ich denke, wir müssen einfach akzeptieren, dass wir nirgends auf diesem eigentlich wunderschönen Planeten sicher sind.
Den Menschen in Sri Lanka wäre es auf jeden Fall zu
wünschen, wenn im Herbst, wenn die Hauptsaison wieder beginnt, möglichst wieder
viele Fremde ihre Insel besuchen, eine
gute Zeit dort haben und die Einheimischen durch ihre Präsenz unterstützen.
Lieber spät als nie – so lässt sich vielleicht dieser Reisebericht zu unserem Trip nach Sri Lanka im Februar kurz nach Fastnacht idealerweise starten. Denn schließlich haben es diese Insel und ihre Bewohner verdient, dass ich für Ihr Land ein wenig Werbung mache (wofür ich lediglich einen Kaffee auf der ITB in Berlin im März als Gegenleistung erhalten habe). Ich habe ja mittlerweile schon das eine oder andere Land auf unserem Planeten entdecken dürfen und tatsächlich würde ich wahrscheinlich in jedes der bereisten Länder auch nochmals fahren, soweit das bei Ländern wie Syrien oder Eritrea aktuell überhaupt möglich ist. Aber wenn sich mir eine Möglichkeit bieten würde, Sri Lanka wieder zu besuchen – ich wäre begeistert.
Aber vielleicht ist es auch einfach ein guter Wink des Schicksals gewesen, um dieses Land jahrelang einen Bogen zu machen und bspw. andere buddhistische Länder wie Myanmar oder Thailand zuvor zu besuchen oder auch den großen Nachbarn im Norden – das Incredible India. Schließlich liegt der Schluss nahe, dass Sri Lanka ja irgendwie eine Mischung aus Indien und Thailand sein „muss“. Im positiven Sinne ist diese Annahme auch gar nicht so verkehrt. Nur dass Sri Lanka halt schon sein eigenes Ding dreht. Bei der Ankunft am Flughafen in Colombo deutete noch nicht viel darauf hin, dass es den Umweltschutz vielleicht einen Tick weit ernster nimmt als andere Länder. Aber die Taxifahrt einmal quer durch die Stadt um Mitternacht war bereits ein recht angenehmes Vergnügen: nichts los auf der Straße der Hauptstadt. In Indien wäre so etwas undenkbar. Da ist im urbanen Teil des Subkontinents immer „high life“ und immer jemand wach. Diese Ruhe fanden wir direkt sehr sympathisch, da man dadurch auch bei schlecht isolierten Hotelfenstern tatsächlich die Chance hat, erholsamen Schlaf zu finden statt wegen Dauergehupe nachts wach zu liegen.
Morgens wurden wir schließlich doch durch den Lärm der Stadt irgendwann geweckt, denn Colombo ist tagsüber natürlich alles anderes als ein verschlafenes Kaff. Wir hielten uns endlich mal an den Rat, den man Tropenreisenden ja immer gibt: einen Tag zur Akklimatisierung im Schongang zu verbringen. So ging es nur mal kurz von unserem Boutique-Hotel im südlichen Nobelvorort Mount Lavinia die paar Meter durch die Straßen zum alt ehrwürdigen Mount Lavinia Kolonialhotel und rüber zum Strand. Wir konnten tatsächlich auf den Straßen laufen und wurden nicht zur Seite gehupt. Der Stadtstrand war sauber und alles war ziemlich entspannt – vor allem was das Überqueren der Gleise auf dem Weg zum Strand angeht. Der Zug zuckelt zwar regelmäßig die Küste entlang, hupt aber so laut und fährt so langsam, dass man genug Zeit hat, die Schienen zu queren, denn der baufällige Übergang über die Gleise sah nicht wirklich sehr vertrauensbildend aus. Südlich des Mount Lavinia Hotels hat dieses eine Strandbar mit strohgedeckten Plätzen eingerichtet, um vor der omnipräsenten Sonne zu flüchten und gleichzeitig direkt mal auf „Safari“ zu gehen, da dort kleine Palmhörnchen im Gebälk umherhuschten. Da die Preise relativ modereat waren, gelang hier wunderbar der Einstieg in diese Reise.
Am nächsten Morgen staunten wir nicht schlecht, als unser Taxifahrer mit einem Hybridwagen uns abholte. Während wir in Deutschland mit dem Dieselskandal beschäftigt sind, fährt man in Sri Lanka schon längt umweltfreundlicher. Und im Verlauf der Reise haben wir immer wieder japanische oder koreanische Hybridmodelle entdeckt. Die Fahrweise der Einheimischen würde ich kurz und knapp als sehr zivilisiert beschreiben und falls wir mal wieder auf dieser Insel vielleicht im Norden unterwegs sind, wäre es durchaus eine Überlegung wert, einen Mietwagen zu nehmen. Anders als auf Bali, wo das Autofahren schon eine Herausforderung sein kann, gibt es hier Ampeln und gerast wird glücklicherweise auch nicht. Trotzdem bietet eine Fahrt mit Fahrer natürlich viele Vorteile, so z.B. dass dieser einfach auf halben Weg abbiegt und mit uns einen buddhistischen Tempel besichtigt. Taxifahrern kommen auf unseren Reisen immer auf solche „spontanen“ Ideen. Als wir z.B. durch Nepal fuhren, machten wir einen Abstecher zu einer Zementfabrik – der Sinn dieses Besuchs hat sich mir nie erschlossen, aber sei’s drum.
Tempel mit Einheimischen zu besuchen ist für mich immer ein Glücksfall, denn diese wissen, wie man sich an religiösen Orten richtig verhält und so kann man da schon mal nicht ins Fettnäpfchen treten. Umgekehrt bekommt man aber auch viel mehr mit, da er uns manche Bräuche erklärt und uns in Bereiche mitgenommen hat, die wir aufgrund der vielen meditierenden Menschen sicherlich gar nicht erst alleine betreten hätten. Zum Schluss durften wir dann noch Tee probieren, der an alle Pilgerinnen und Pilger ausgeschenkt wurde – Geld wollte von uns für dieses Erlebnis auch niemand. Selbst die Bezahlung für die Blüten, die wir als Opfergaben erstanden, übernahm unser Fahrer. Er wollte partout kein Geld dafür annehmen. Ein weiterer Pluspunkt eines guten Fahrers ist seine kulinarische Kenntnis. Da wir nach dem Tempelbesuch so langsam Hunger hatten, schlugen wir ihm vor, dass wir Mittagessen gehen sollten (und ihn natürlich einluden). So hielten wir an einem typischen kleinen Rasthaus an der Bergstraße nach Haputale an. Sämtliche Speisen wurden als Buffet angeboten. Es gab viele Variationen an Gemüse, Reis und Papadam Chips. Fleisch hätte es extra gegeben und so war das dann ziemlich praktisch, dass diejenigen die Fleisch wollten, etwas mehr zahlten als die Vegetarier. Und Nachschlag war im Preis inbegriffen. Wir waren von der Küche sehr angetan, was natürlich unsere Lust, hierher zu fahren gleich nochmal steigerte.
Erstes Ziel unserer Reise durch den Süden Sri Lankas war das Bergdorf Haputale. Dieses liegt auf einem Grat inmitten von Teeplantagen, wo im 19. Jahrhundert ein gewisser Sir Thomas Lipton auf die Idee kam, Tee anzubauen. Von einem kleinen Gipfel in den Bergen überwachte er sein Imperium. Die kurze Bergwanderung von der Teefabrik hinaus durch die grünen Teeplantagen und den Wolkenteppich zum so genannten „Lipton’s Seat“, wo heute ihm zu Ehren eine Bronzefigur steht, war ein prima Einstieg in die kommenden Tage – schließlich wollten wir eine 3-Tagestour zu Fuß durch diese Kulturlandschaft unternehmen. Treffpunkt am nächsten Morgen mit Rian, unserem Guide, war der Mini-Bahnhof von Haputale. Zunächst führte der Weg oberhalb der Bahngleise durch den wenigen Wald, der oberhalb der Teeplantagen noch existierte. Später neigte sich der Pfad bergab bis auf die Gleise und die Wanderung wurde nun die nächsten Kilometer auf den Schwellen fortgesetzt. Zum Glück hupte auch hier der Zug lange bevor er uns genau an einem Tunnel passierte. Zwischen Gleisen und Felswand war genügend Platz, den Zuckelzug abzuwarten, um dann geschwind durch den Tunnel zu laufen. Das Laufen zwischen den Schienen war gar nicht so einfach, da meine Schrittlänge mit dem Abstand der Schwellen nicht sonderlich harmonierte und ich immer wieder Trippelschritte machen musste oder gleich aufgab und neben dem Gleisbett lief.
Die Aussicht auf die umgebenden Berge, die ein wenig Mittelgebirgscharakter hatten, war aufgrund der Teeplantagen und der entsprechend freien Sicht grandios. Zudem spielte das Wetter auch mit. Morgens sah das alles noch ganz anders aus. Haputale lag in den Wolken auf knapp 2.000 Metern und es war richtig kalt. In einem Nachbarort gab es tatsächlich Bodenfrost, denn nachts war es sternenklar. Später passierten wir zerfallene Häuser, da ein Erdrutsch nach tagelangem Regen ein paar Wochen zuvor abging. Das Problem der Abholzung sahen wir ja bereits im Dezember in Sierra Leone und jetzt wieder in Sri Lanka. Wo kein Wald mehr existiert, hat die Erde keinen Halt mehr und es besteht dann insbesondere nach heftigem Regen immer die Gefahr von Schlammlawinen. Wir hatten Glück, die Regenzeit war bereits vorbei und es ging weiter trockenen Fußes durch die Teeplantagen, wo wir an einer Sammelstation auf die Teepflückerinnen trafen. Pflücker gab es keine, da diese in der Teefabrik arbeiten, wohin gegen das Pflücken Frauenarbeit ist. Eine Teepflückerin muss täglich 18 kg Tee pflücken – 6 Tage die Woche. Der Sonntag ist frei, genauso wie der Tag, der dem Vollmond folgt, da dann nachts immer religöse Feste gefeiert werden. Wer dennoch am Vollmond-Tag arbeitet erhält 100% Zuschlag, da sich die Nachfrage nach Tee weltweit auf hohem Niveau befindet. Die Pflückerinnen fangen am frühen Morgen mit dem Pflücken an, haben dann eine Frühstückspause und später eine Mittagspause. Ihre Säcke werden an der Sammelstation gewogen und dann geht es wieder zurück in die Plantage.
Viele Pflückerinnen sind Tamilen, die vor vielen Generationen von den Engländern zum Teepflücken aus Indien nach Sri Lanka gebracht wurden. Diese indischen Tamilen haben mit den einheimischen Tamilen oft nicht viel gemein, außer der gemeinsamen Hindu-Religion. Die Singhalesen, die zahlenmäßig größte Bevölkerungsgruppe, ist buddhistischen Glaubens. Leider gab es in Sri Lanka in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg zwischen Tamilen und Singhalesen, wovon allerdings der Süden Sri Lankas weitgehend verschont blieb, so dass Touristen in dieser Region seit Jahrzehnten anzutreffen sind – allerdings praktisch niemand auf den alten Trampelpfaden in den Bergen. Dieses Bild änderte sich erst, als wir am nächsten Tag die Horton Plains besuchten, ein Weltnaturerbe der UNESCO. Dort trafen wir dann wieder auf die globalisierte Welt des Tourismus. Hauptbesucher waren Chinesen, für die es ja ein relativer Katzensprung vom Reich der Mitte nach Sri Lanka ist. Aber das tolle an den Horton Plains ist die Sauberkeit dieser Hochebene. Das liegt ganz eindeutig an den Maßnahmen, die hier die Parkverwaltung getroffen hat. Wie an einem Flughafen wurden die BesucherInnen kontrolliert: Nicht nach Waffen, sondern nach Plastik!
Plastikflaschen waren zwar ok, aber die Banderole und sämtlich Tüten wurden konfisziert. Die Folge: es lag wirklich kein Müll in der Gegend herum und es war herrlich, zumindest immer mal wieder ein paar Minuten Ruhe zu haben, bevor der nächste Trupp an Touristengruppen lärmend sich seinen Weg nach World’s End, einen Aussichtsfelsen mit grandiosem Ausblick auf die Bergwelt Sri Lankas bot. Der Rundweg über das Hochplateau war wirklich beeindruckend. Auf dem ersten Teil des Weges ging es durch Wald, in dem wir immer wieder auf neue Vogelarten trafen. Nachdem es am Felsabhang von Aussichtspunkt zu Aussichtspunkt ging, führte der Weg über Sumpflandschaften an Wasserfällen wieder zurück zum Ausgangspunkt, wo bereits Sambar-Hirsche auf die Ausflügler warteten bzw. auf die Essensreste, die es womöglich gab. Allerdings wussten zumindest die Einheimischen an diesem Nachmittag, das sri lankische Curries vielleicht nicht die beste Mahlzeit für diese Tiere waren. So chillten die Tiere lieber im Gras und wir nahmen ein Tuk-Tuk, um in unser Bergdorf zur Übernachtung zurückzudüsen. In die Berghütte hatte es noch ein paar wenige andere Wanderer verschlagen, aber das war kein Vergleich zu den Horden in den Horton Plains.
Abends kamen wir mit Rian, unserem Guide, ins Gespräch, da er perfekt Englisch sprach. Wir waren seine letzte Tour, da er einige Tage später nach Dubai fliegen würde, um bei Pizza Hut anzufangen. Seine Eltern waren schon um die sechzig und eine Rentenversicherung gibt es in Sri Lanka nicht. Arbeiten konnten die Eltern aber auch nicht mehr richtig, da sie krank waren. Und seine Geschwister befanden sich noch in der Schul- bzw. Uniausbildung. Das Einkommen als Guide war für die Familie leider nicht ausreichend bzw. nicht regelmäßig, da Touristen meist nur in der Hauptreisezeit in unserem Winter kommen. Bei Pizza Hut in Dubai ist das ganze Jahr „Saison“, so dass Rian keine andere Wahl hatte, um die Familie durchzubringen. Anders als in vielen anderen asiatischen Ländern hatte Rian ein großes Fachwissen, was Fauna und Flora anging. Das machte die Sache noch trauriger, denn Touristen weiter seine Heimat zu zeigen, wäre eine so viel sinnvollere Aufgabe, als Touristen in Dubai Pizzen an den Tisch zu bringen. In diesen Momenten wird mir immer wieder bewusst, was für ein Glück wir im Geburtslotto hatten. Auch wenn wir in Deutschland unsere täglichen Probleme haben – so fremdbestimmt wie bei Rian ist unsere Situation wohl in den seltensten Fällen.
Am letzten Wandertag kamen wir an einem Plumpsklo vorbei. Auf diesem war ein großes „Fairtrade“ Symbol aufgemalt. Das Fairtrade-Label steht für eine bessere Entlohnung der Einheimischen. Dafür zahlen wir in Deutschland bei vielen Produkten wie Bananen, Kaffee, Schokolade, Wein oder Tee ein paar Cent mehr. Dass auch die Arbeitsbedingungen, die bei uns als selbstverständlich angesehen werden, besser sind, als bei herkömmlichen Plantagen, war mir neu. Auf konventionellen Plantagen gehört es nach Rückfrage bei Rian noch nicht einmal zum Standard, eine Toilette für die Teepflückerinnen bereit zu stellen. Nach einem Besuch zweier weiterer Wasserfälle endete unsere Wandertour an der Bergstraße nach Haputale. Mit dem Bus, der alle paar Minuten kam, ging es wieder zurück zum Ausgangspunkt und wir mussten von Rian Abschied nehmen. Es bleibt zu hoffen, dass er in wenigen Jahren nach Sri Lanka zurückkommmen und sein eigenes Wanderunternehmen in den Bergen Sri Lankas starten kann. Zuzutrauen wäre es ihm auf jeden Fall. Diese Wanderung kann ich jedem empfehlen, der gerne per Pedes fremde Regionen kennen lernen möchte – auch abseits der platt getrampelten Touristenpfade.
Am folgenden Tag fuhren wir nach Udawalawe, in das Dorf, das direkt neben dem gleichnamigen Nationalpark liegt. Dieser ist berühmt für seine Elefanten und für eine immense Vielfalt an fliegenden Zeitgenossen. Dieser Park gehört zu den „Must sees“ von fast jedem Reisenden, der sich im Süden Sri Lankas aufhält – und das zurecht. Dadurch gibt es eine große Vielfalt an Unterkunftsmöglichkeiten zu sehr fairen Preisen auch zur Hauptsaison. Viele Reisende geben sich nur einen Ausflug in den Nationalpark, zum einen weil die Gebühren mittlerweile vergleichsweise hoch sind (ca. 20 € p.P.), was natürlich nichts im Vergleich zu Nationalparksgebühren in Ostafrika ist. Zum anderen basteln viele Reisende ein sehr ambitioniertes Programm vor der Abreise auf die Insel zusammen, so dass die Reise eher ein Abhaken an Sehenswürdigkeiten als eine Erholungsmöglichkeit darstellt. Diesen Fehler habe ich auch knapp zehn Jahre lang bis zu meiner Weltreise 2002/2003 gemacht. Dort kam ich nach sieben Monaten Reise in Australien endlich auf den Trichter, dass weniger meist mehr ist. Ich nahm ein Lineal auf einer Weltkarte, zog einen Strich von Sydney nach Mainz und versuchte fortan in den letzten fünf Monaten der Reise möglichst keine großen Umwege mehr zu machen und einem Ort möglichst lange zu bleiben, mindestens aber drei Nächte.
Wir ignorierten die Kosten für den Eintritt nach Udawalawe und wir hatten auch keine Lust auf die frühmorgendliche Exkursion. So buchten wir lieber eine 3- und eine 4-Stunden-Tour jeweils für den Nachmittag. Da wir über unser Guesthouse an beiden Nachmittagen den selben Fahrer zugeteilt bekamen, wusste dieser natürlich, welche Tiere wir bereits gesehen haben und welche Route wir am Vortag nahmen. So sahen wir neben zahlreichen Elefantenherden, viele kunterbunte Vögel, Axis-Hirsche, Nashornvögel, Krokodile, Affen und Wasserbüffel teilweise aus nächster Nähe. Dadurch, dass wir immer einen Tick früher als die anderen Touristen dank unseres Fahrers unterwegs waren, hatten wir an beiden Nachmittagen fast immer das Gefühl, uns alleine im Park zu bewegen. Erst kurz vor Sonnenuntergang vor dem Parkausgang erkannten wir, wieviele Autos auf Safari waren. Man kann diese Art von Tourismus natürlich schlecht finden, da es nicht sehr nachhaltig ist, mit dem stinkenden Safari-Jeep in die Natur aufzubrechen. Aber diese Möglichkeit, Menschen die Schönheit der Natur näherzubringen darf meiner Meinung nach nicht unterschätzt werden. Die Leute lernen auch durch die Fahrer, dass es sich lohnt, Plastikflaschen bspw. nicht aus dem Auto zu schmeißen – ein Umstand, der in vielen Teilen der Welt noch das natürlichste der Welt darstellt. Gerade Plastikflaschen sind die reinste Umweltverschmutzung. Leider ist das Trinkwasser in vielen Ländern der Welt für unseren Magen ungekocht unverträglich. Daher hat man die Wahl, das Wasser trotzdem zu trinken und damit Gefahr zu laufen, sich Tropenkrankheiten einzufangen oder das Wasser abzukochen bzw. zu filtern oder die bequemste und umweltunfreundlichste Möglichkeit zu wählen und Plastikflaschen im Supermarkt zu kaufen. Auch wir waren keine Umweltengel, versuchten aber wenigstens möglichst große Flaschen zu kaufen (z.B. 5 Liter oder 10 Liter). Konterkariert wurde diese Strategie dann wieder durch 0,5 Liter Flaschen, die im Guesthouse gratis angeboten wurden (die wir meistens dann stehen ließen).
Ein weiteres Argument sich für einen Besuch von Udawalawe zu entscheiden, ist das Elephant Transit Home. Eine Aufzuchtstation von Waisenkindern mit Rüssel. Die kleinen werden viermal am Tag mit Milch bzw. mit Milchpulver angerührtem Wasser versorgt und man kann gegen einen kleinen Obolus diesem Spektakel beiwohnen. Dass man dafür allerdings fast so lange anstehen muss, wie die eigentliche Fütterung dauert, ist der überbordenden Bürokratie zu verdanken. Jede Eintrittskarte wurde handgeschrieben und entsprechend buchhalterisch vermerkt. Wahrscheinlich eine Möglichkeit, Korruption einzudämmen – eine andere Antwort fällt mir nicht ein.
Der letzte Stopp der Reise durch Sri Lanka brachte uns nach Tangalle an die Südküste und in eine richtige Traumregion. Unsere Unterkunft bestand aus mehrern kleinen Häuschen, von deren Balkon man tlw. einen Blick auf die Mangrovenwäldchen werfen konnte. Außerdem konnten wir frühmorgens und abends auch wieder exotische Vögel beobachten und in der Hängematte während der Mittagshitze Siesta halten und dem Rauschen des Meeres zuhören. Endlose Strandspaziergänge nach Osten oder ein kleiner Walk nach Westen in die Stadt machten die Lage unserer Unterkunft wirklich einzigartig, wie eigentlich der gesamte Urlaub auf dieser Insel. Denn trotz des Massentourismus auf der Insel sind die Menschen immer noch freundlich und geben einem das wunderbare Gefühl, willkommen zu sein – und das nicht nur wegen des Geldes, was wir auf ihre Insel bringen. Denn an vielen Plätzen dieser Welt komme ich mir als Tourist mittlerweile wirklich ein wenig wie ein Sparschwein vor, das man möglichst komplett schlachtet. Neben der Freundlichkeit der Menschen ist das Preis/Leistungsverhältnis auf der Insel an vielen Flecken sehr sehr gut. Bewusst abgezockt wird man überhaupt nicht und auch das Gefühl, dass man abends am Strand oder tagsüber in den Teeplantagen einfach mal spazieren kann, ohne gleich ausgeraubt zu werden, ist nicht zu unterschätzen. Daher können wir diese Insel Euch wirklich nur an Herz legen.
Hoteltipps (alles selber bezahlt):
Colombo – Anarva Mount Lavinia: neues, modernes Hotel im Nobelvorort Mount Lavinia
Haputale – Leisure Mount View Holiday Inn, wenn möglich beste Zimmerkatgorie buchen, tolle Ausblicke, gutes Abendbüffet (vegetarisch)
Udawalawe – Silent Bungalow, sehr preiswert, bietet Touren zum nahen Park an, gutes Abendbüffet (vegetarisch)
Tangalle – Cinnabar Resort, tolle Lage direkt am Strand, 15 Minuten zu Fuß über den Strand in die Stadt, nach Osten hin weite Strandspaziergänge möglich, Chalets teilweise mit Balkon auf die Mangroven
Die Gefahr, dass Fremde davon Wind bekommen, dass hier zwei Touris alleine ausharren und man diese vergewaltigen oder direkt abschlachten könnte, bevor man sich ihrer Barreserven bemächtigte, schätzten wir als nicht sehr hoch ein – auszuschließen war es aber auch nicht wirklich. Ich hatte irgendwie eher das ungute Gefühl, dass die Leute vielleicht bis in die Puppen feiern und uns schlicht vergessen würden. Ich war mir nicht im Klaren darüber, warum ich so misstrauisch war – aber vielleicht wird man das mit der Zeit, wenn man Jahr ein Jahr aus stetig schlimmere Nachrichten zur Kenntnis nimmt und mit der Zeit einfach nur noch den „Worst Case“ als plausibelste Möglichkeit annimmt.
Nachdem wir uns im Visitors Centers gegenseitig genug verrückt gemacht hatten, entschlossen wir uns trotzdem so zu tun, als wäre alles normal und wir legten uns schlafen, während wir in der tollsten Natur, die ätzende Zivilisation in Form von nervender Musik mitbekamen. Vor Jahren auf meiner Weltreise lernte ich auf der Zugfahrt von Malaysia nach Thailand einen sehr weit gereisten Niederländer kennen. Wir quatschten damals einen Großteil der Fahrt natürlich übers Reisen. Peter meinte damals, man bräuchte einfach immer einen Plan B. So überlegte ich mir in den folgenden Stunden meinen Plan B, falls wir die Nacht überleben sollten und uns am Morgen niemand Kaffee servieren würde. Essen hatten wir praktisch keines mehr. Es gab auch nichts wie Früchte oder Gemüse, was man hätte verzehren können. Wasser gab es ungefiltert aus dem Fluss, das für die Klos und die Dusche genutzt wurde. Vielleicht gab es an der Feuerstelle ein Feuerzeug, so dass wir Wasser hätten abkochen können. Strom gab es dank der Solarzellen, sodass das iPhone mit dem Navi drauf, das über Satellit funktioniert, einwandfrei zu gebrauchen gewesen wäre. Wir hätten es somit höchstwahrscheinlich zur anderen Seite der Insel durch den Dschungel geschafft. Dort war zwar kein Dorf, aber der Fluss war so tief nicht, so dass wir womöglich hätten durch stiefeln können. Zwei Dinge, die ich in der Nacht noch nicht wusste, hätten meinen Plan B im Nachhinein als ziemlich dämlich entlarvt: Es gab Krokodile im Fluss und es gab einen Fußweg vom Visitors Center nicht nur zur ca. 200 m entfernten Anlegestelle der Boote sondern auch einen Fußweg nach Norden, der zu einer Bucht führt, die sich direkt gegenüber der Anlegestelle des anderen Dorfes befand. So hätten wir problemlos auf uns aufmerksam machen können – weil diese auch gleichzeitig als „Waschmaschine“ und „Bad“ des Dorfes fungierte und während des Tages sich eigentlich immer jemand dort aufhielt, um im Fluss Wäsche zu waschen oder sich zu reinigen.
Irgendwann fiel ich in einen Halbschlaf und bemerkte später, dass die Party wohl zu Ende war, da keine Musik mehr zu meinen Ohren durchdrang. Oropax hatte ich lieber nicht in die Ohren gesteckt – man möchte ja seine „Angreifer“ dann doch noch möglichst früh bemerken – eine dämliche Vorstellung zwar, aber in dieser Situation war mit Rationalität in etwa so viel anzufangen, wie bei einem 05-Spiel im Gästeblock. Als ich plötzlich Stimmen hörte, war mir relativ sicher, dass es die Dorfbewohner waren und nicht irgendwelche Räuber und Vergewaltiger. In dieser Nacht näherte sich tatsächlich niemand mehr unserem Zelt und ich schlief irgendwann erschöpft ein.
Am nächsten Tag stand pünktlich um sieben nicht nur der Kaffee auf dem Tisch, sondern auch unser Guide zum Waldspaziergang nebem dem Tisch. Er stank bestialisch nach Alkohol und vielleicht war das der Grund, warum wir an diesem Morgen weniger Affen entdeckten als am Morgen zuvor. Trotzdem genossen wir unser Leben, freuten uns, dass dieses genauso wie diese Reise weiterging und konnten es dann doch recht gut verkraften, nicht so viele Primaten vor die Linse zu bekommen. Am späten Vormittag fragten wir nach, ob und wann, wie irgendwie tags zuvor vereinbart, das Dorf zu besuchen sei. Plötzlich war ein Boot und der Bootsjunge da und auch der Dorfspaziergang funktionierte schließlich einwandfrei. Die Leute bauten allerlei Obst und Gemüse an und fischten im Fluss, um ihren Hunger zu stillen. Wie die fünf anderen Tiwai umgebenden Dörfer profitierte auch Kambama von unserem Aufenthalt. Tiwai Island ist eine Kooperative, zu der sich die Dörfer rund um die Insel zusammenschlossen, um Ökotourismus aufzubauen. Von den Einnahmen wurden Infrastrukturprojekte gefördert und die Menschen lernten, dass es sich finanziell am Ende mehr lohnt, die Affen zu schützen, statt zu fangen, um sie zu essen oder zu verkaufen.
Nachdem es spätnachmittags nochmals auf Bootsfahrt in den Sonnenuntergang ging, kamen tatsächlich, wie drei Tage vorher angekündigt, unsere beiden Helfer vom ersten Tag aus Mapuma, dem anderen Dorf. Und mit dem letzten Licht des Tages bekamen wir dann sogar noch Zuwachs an Touristen. Eine Italienerin, die 8 Jahre in Sierra Leone Entwicklungshilfe leistete, schaute mir ihrem Sierra-leonischen Freund vorbei. Sie war erst mal überrascht, überhaupt Weiße zu treffen. Sie fragte uns, was wir in Sierra Leone machten. Wir entgegneten ihr „Urlaub“. Sie meinte, ja klar, aber was uns letztlich tatsächlich hierher trieb, sprich für welche Firma oder welches Projekt wir arbeiten würden. Als wir entgegneten, wir seien wirklich stinknormale Touris, konnte sie es kaum glauben. Die dritte Nacht auf Tiwai Island schlief ich beruhigt ein, schließlich waren wir nicht alleine. Nachts wachte ich plötzlich doch panisch auf, da mein Kopf juckte. Ich dachte an Flöhe oder an die beiden Agamen, Eidechsen-ähnliche Reptilien, die im Zelt mit uns lebten, war aber zu müde, um den wahren Grund herauszufinden. Am nächsten Morgen merkte ich, dass Ameisen ihre Straße über meinen Kopf umgeleitet hatten – daher also dieses Kratzen und Jucken auf der Kopfhaut.
Einfach mal so nach Sierra Leone zu fahren – das macht wohl wirklich fast niemand. Und so ist es wenig verwunderlich, dass wir in Tiwai dann so eine emotionale Achterbahnfahrt mitgemacht haben. Sicherlich hat den Dorfbewohnern niemand wirklich mal erklärt, was Touristen neben Essen und Trinken wirklich wollen, sprich, eigentlich immer Bescheid wissen, wann es was gibt, also, dass es dann und dann Mittag- oder Abendessen gibt, um soundsoviel Uhr die Dorfbesichtigung stattfindet etc. Und dass Touris nicht alleine gelassen werden möchten – auch nicht 6 Stunden für die Hälfte der Nacht, weil Dorffest ist. Das ganze kann man den Leuten gar nicht vorwerfen, und vielleicht stellten wir uns auch ein wenig memmenhaft an, aber wir waren trotz der herrlichen Natur wirklich froh, am nächsten Morgen zu Fuß wieder 5 km durch den Dschungel zur anderen Inselseite zu wandern und der Insel den Rücken zu kehren. Mit den Einbäumen ging es ruck zuck über den Fluss und wir hofften darauf, dass Saidhu schon am Ufer mit seinem Nissan stand. Es war erst viertel vor neun und wir hatten neun Uhr ausgemacht – von daher hielt sich unsere Enttäuschung in Grenzen als kein Saidhu vom Ufer her winkte und die Zivilisation in Form des Nissan direkt am Ufer parkte. Wir marschierten mit den Jungs ins paar Hundert Meter entfernte Dorf und hier fing schon wieder das Kopfkino an.
Die Leute von Tiwai Island wollten Saidhu eigentlich noch anrufen, uns im anderen Dorf abzuholen, da die Strecke wesentlich kürzer sei. Aber angeblich hatte ihn niemand erreicht. Wir hatten allerdings die Befürchtung, es hätte ihn doch jemand erreicht und nun würde er vergeblich in Kambama auf uns warten. In Mapuma, unserem Dorf, wurden wir inzwischen von einer großen Schar an Kindern neugierig begutachtet. Der Dorfälteste kam, stellte sich vor und wir erhielten zur Begrüßung zwei Kokosnüsse in die Hand gedrückt. Die Bewohner bemerkten die aufkommende Verzweiflung in unseren Gesichtern, wo Saidhu wohl blieb, und man fragte nach seiner Telefonnummer. Ich gab sie den freundlichen Helfern, meinte aber, man hätte hier doch eh keinen Empfang. Aber es gab genau an einer Stelle tatsächlich ein paar Streifen auf dem Handydisplay. Diese „Telefonzelle“ war tatsächlich mit Stöcken markiert, nur Saidhu nahm nicht ab – was mich wiederum wenig verwunderte, da er bestenfalls unterwegs war und keinen Empfang hatte. Um zwanzig nach neun probierten wir die Nummer der Autovermietung in Freetown, die angeblich 24 Stunden am Tag erreichbar war – ich hörte das Freizeichen, aber auch hier nahm niemand ab – es war schließlich Sonntag Morgen, kurz vor halb zehn in Sierra Leone.
Plan B! Sollten wir ja immer griffbereit haben. Und somit fragte ich, wie man denn ins 47 km gelegene Kenema käme, dem Beginn der Teerstraße. „Mit dem Motorradtaxi“ war die Antwort. An diese habe ich noch sehr schlechte Erinnerungen, da ich 1999 mit diesem einen Unfall in Benin hatte. Der Fahrer freute sich damals so dermaßen, einen Touri zu einem wohl dermaßen guten Preis die paar Kilometer zu fahren, dass er weder nach links noch noch rechts blickte, die Kreuzung einfach überquerte und uns ein von rechts kommendes Auto streifte, so dass wir fast drauf gegangen wären. Mein Wadenbeinbruch wurde erst rund drei Wochen später in Deutschland diagnostiziert – nachdem ich auf der Meenzer Fassenacht und dem dazugehörigen „Finther Zug der Lebensfreude“ ein Krachen im Bein vernahm. Der Arzt, den ich dann am Aschermittwoch konsultierte, meinte, der Knochen sei in der Zwischenzeit wieder zusammengewachsen und beim Fastnacht feiern nochmals gebrochen. Meine Begeisterung für Motorradtaxis hielt sich also an diesem Sonntag Morgen in Sierre Leone deutlich in Grenzen.
Während ich gerade in die Preisverhandlungen einsteigen wollte, hörte ich ein Motorengeräusch und ein paar Sekunden später bog der weiße Nissan mit Saidhu hinterm Steuer um die Ecke. Die pure Erleichterung fiel mir wohl wirklich aus dem Gesicht heraus. Das beste an der Situation war die Tatsache, dass wir uns für die Gastfreundschaft der Bewohner Mapumas revanchieren konnten, indem wir einen unserer Begleiter von der Insel bis kurz vor Freetown und eine Frau zum Markt nach Kenema mit ihren Gemüsekörben mitnehmen konnten. So hatten die Dorfbewohner tatsächlich noch etwas davon, dass Touris mit dröhnenden Riesenautos in ihr Dorf kommen. Für das Telefonieren wollte ich natürlich auch den Telefonisten entschädigen, dieser fragte nur verständnislos zurück, wieso das denn? Hm, weil ich in einer anderen Welt gelernt habe, dass man helfenden Leuten ihre Auslagen ersetzt, wenn man dazu finanziell in der Lage ist. Ich fragte geistesgegenwärtig, ob man vielleicht das Geld der Dorfgemeinschaft spenden könnte, was dann tatsächlich wohlwollend entgegen genommen wurde. Soviel Altruismus von Menschen, die selbst nicht viel haben und dann noch Touris aus der Klemme helfen möchten – ich war überwältigt.
Die Fahrt zurück auf die Freetown-Halbinsel verlief dann wieder vollkommen ereignislos, was in Sierra Leone auch einfach mal schön sein kann. Bemerkenswert fand ich allerdings die riesigen Plakate am Straßenrand, die auf mich wirkten, als würde das ganze Land gerade versuchen, sämtliche Missstände und Probleme anzugehen: Während bereits vor den Einreiseschaltern am Flughafen auf den Kampf gegen Korruption hingewiesen wurde, las ich im Abstand weniger Kilometer, dass man Ebola-Opfer nicht ausgrenzen sollte – während die Schilder, Ebola-Fälle umgehend per SMS zu melden, langsam verrotteten. Es wurde für HIV-Tests geworben und darauf hingewiesen, dass eine HIV-freie Geburt von Kindern möglich sei – eines der ganz großen Probleme Afrikas. Schließlich sind in manchen Ländern ein Viertel der Bevölkerung HIV positiv. Glücklicherweise gehen die Neuansteckungen zurück und solche Plakate lassen wenigstens ein Stück weit positiv in die Zukunft blicken. Auch der Gewalt gegen Frau wird plakativ ein großes „NO“ entgegen gestellt. Was mich ebenfalls beeindruckt hat, waren die bunten Plakate des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP), die mir mit den „Substainable Development Goals“ bis 2030 ins Auge gesprungen sind: Neben Umweltaspekten, geht es hier um die Gleichstellung von Frau und Mann und eine Reduzierung von Ungleichheiten. Es wäre zu wünschen, wenn sich Teile dieser Ziele tatsächlich in den nächsten Jahren realisieren lassen würden – nicht nur in Sierra Leone, sondern auch bei uns zu Hause.
Statt zurück in die Hauptstadt zu düsen, ging es ins Schimpansen-Reservat Tacugama, um, wie anfangs berichtet, „Somebody“, unser Schimpansen-Kind zu besuchen. Tacugama wurde bereits 1995 gegründet, um die Schimpansen Sierra Leones vor der Ausrottung zu schützen. Das Gesetz in Sierra Leone verbietet es, Schimpansen zu fangen, um diese entweder als Haustier zu halten, diese als „Bushmeat“ zu essen oder zu verkaufen. Damit dieses Gesetz auch Wirkung entfaltet, erhalten die konfiszierten Schimpansen in Tacugama ein neues Zuhause. Mittelfristig sollen diese wieder auf ein Leben in Freiheit vorbereitet werden, was bisher allerdings noch nicht gelang. Durch Schulungen versucht man die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass es einen Mehrwert bringt, Schimpansen zu schützen, damit Touris wie wir kommen und Geld im Land lassen – mehr Geld, als man mit dem Verkauf von Schimpansen machen kann. Nach der verheerenden Schlammlawine, die die Umgebung Tacugamas im August letzten Jahres heimsuchte und mehr als 400 Leute unter sich begrub, kümmerte sich Tacugama zunächst um die Waisenkinder und beginnt nun mit der Aufforstung des Gebiets. Schließlich handelte es sich nicht ausschließlich um eine Naturkatastrophe. Vielmehr war dieses Unglück durch die illegale Rodung von Wald auch menschengemacht.
Nach den Nächten von Tiwai im Zelt genossen wir es, in einer kleinen Rundhütte in den Bergen der Freetown-Halbinsel zu chillen und nur ab und zu die Geräusche der Schimpansen zu vernehmen. Nachts „schimpfte“ es dann plötzlich aus dem Geäst. Ein Galago, auch als Buschbaby bekannter, Feuchtnasenaffe fand es wohl wenig erbauend, dass wir in seinem Revier den Geräuschen der tropischen Nacht lauschten. Mit den Stirnlampen erkannten wir das nachtaktive Tier an seinen riesigen Ohren und großen runden Augen. Lustigerweise konnten wir in Tacugama vor den Toren der Hauptstadt Freetown nun endlich die Nachtruhe genießen, die wir in Tiwai teilweise vermisst hatten.
Zurück in die Hauptstadt Freetown ging es mit Mamadu und seinem etwas betagten Nissan Sunny, den uns die Leute Tacugamas organisierten. Mamadu schmunzelte, als er von unseren Erlebnissen in Tiwai hörte. Er wäre mit seiner Klappermühle schon mehrmals in Tiwai gewesen. Was sich für mich zunächst ein bisschen nach Geprahle anhörte, interessierte mich dann doch zunehmend, denn schließlich war unsere Reise durch Sierra Leone noch nicht zu Ende und gute Fahrer, die sich auskennen und mit ihrem Wagen, der halt nicht der Monster 4WD ist, auch keine Mondpreise verlangen, findet man in Sierra Leone auch nicht alle Tage. Und schließlich ging es ja erstmal wieder um meine Lieblingsbeschäftigung, dem Geld holen. Und da machte sich Mamadu gleich mal sehr beliebt, da er Tanken musste und die Tanke einen Geldautomaten besaß. Karte rein und lassen wir die Lotterie beginnen! Es kamen tatsächlich 30 Scheine raus, die für ca. eineinhalb Mal auswärts Essen reichen sollten…
Zum nächsten kleinen Abenteuer, zum Glamping auf den Banana Islands holte uns Mamadu wieder pünktlich ab. Auf der Fahrt zum Anleger in Kent hatte ich schon wieder Bammel, dass erneut etwas unvorhergesehenes passiert, da Mamadu plötzlich anhielt, ausstieg und in einem Haus außerhalb von Freetown verschwand. Mit einer Kanne Wasser kam er wieder, öffnete die Motorhaube und goss Wasser in den Kühlwasserbehälter. Später entschuldigte er sich, dass er vergessen hatte, die morgendliche Ration an Wasser nachzufüllen, ach so – kann man ja mal vergessen, in einem Land ohne TÜV und Abgassonderuntersuchung. Problemlos kamen wir am Anleger an und fuhren wenig später mit dem Boot auf die Banana Islands. Dort wurden wir von Makelé empfangen. Die junge Sierra Leonerin managt das „Bafa Resort“ wenn Sam der libanesische Eigentümer in Freetown verweilt, was er die meiste Zeit tat. Makelé hat ein Stipendium an einer Fernuniversität erhalten. Trotzdem muss sie 100 US$ im Monat selbst aufbringen – was nur 20% der gesamten monatlichen Gebühren beträgt. Wenn man dies mit den Studiengebühren in Deutschland vergleicht, sind die Preise hier in Afrika für die Ausblildung fast astronomisch.
Als Managerin ist sie für den Laden komplett verantwortlich und Chefin über ein Dutzend Insulaner, die hier im Resort arbeiten. Vor dem Ebola-Ausbruch gab es hier sogar eine Tourismus-Schule auf der Insel und das Vermittelte wurde an den vielen Kleinigkeiten sichtbar, wie Stoff-Servieten, Tischdecken und -unterlagen, Solarlampen für die Gäste, die jeden Morgen zum Aufladen abgeholt wurden, einer French Coffee Press statt Nescafé u.v.m. Für Makelé war die praktische Anwendung dessen, was sie im Fernstudium lernte, optimal, konnte sie doch an der Rezeption stundenweise ihrem Studium nachgehen, wenn wir Touris „ruhig“ gestellt waren mit Essen, Hängematte, Kayak etc. Dank des schnellen, mobilen Internets auf einer Insel, auf der es keine Wege, keine Karren, geschweige denn Autos gab, keinen Laden oder sonst irgendwelche Infrastruktur, war sie in der Lage ihren Start ins Berufsleben selbst in die Hand zu nehmen. In manchen Regionen Deutschlands, wo es bis heute keinen Handyempfang gibt, wäre eine solche Geschichte kaum möglich, denn wie war das nochmal mit dem schnellen Internet bei uns auf dem Land?
Das Glamping war wirklich herrlich. In großen Rundzelten, die ich noch aus meiner Kindheit von Ferienlagern im Hunsrück kannte, übernachteten wir dekadenderweise tatsächlich zu zweit, wo wir als Kinder damals zu fünft plus Gruppenleiter pennten. Das war tatsächlich schon glamourös. Auch hier überraschte Sierra Leone uns mal wieder, denn wir konnten wirklich mal richtig Urlaub machen und hatten keine Befürchtung, dass es nichts zu Essen gab oder wir alleine zurückgelassen werden. Zu schnell sind die Tage auf diesem wunderbaren Eiland zu Ende gegangen. Auf der Rückfahrt zum Festland entdeckten wir tatsächlich unseren Fahrer vom Boot aus. Und Mamadu winkte schon vom Anleger entgegen. Auf der Rückfahrt gerieten wir in einen Stau. Im März finden in Sierra Leone Wahlen statt und tatsächlich haben hier die Menschen eine Wahl. Es gibt mehrere Kandidaten, man findet Wahlplakate, die nicht überkritzelt oder zerstört werden und natürlich Kundgebungen, die dann doch ein wenig anders als bei uns ablaufen. Es erinnerte mich eher an einen kleinen Fastnachtsumzug, was sich da vor Mamadus Wagen abspielte. Dieses Mal gab es meine klischeehaft erwartete Trommel-Musik, die aus überdimensionierten Boxen auf einem Pick-Up stammten. Dahinter tanzte das Wahlvolk. Man stelle sich das mal bei uns vor. Die SPD oder die CDU fährt über die Ludwigsstraße in Mainz und alle Wähler tanzen hinterher zu Losungen wie „Bürgerversicherung“ oder „Maut für alle“ – Tanz auf der Lu mal anders!
Das Schöne, wenn man mit Leuten wie Saidhu, Makelé oder Mamadu längere Zeit verbringt, ist die Tatsache, dass aufgrund der Amtssprache Englisch wir mit allen dreien ins Gespräch kamen. Während mir in der Vergangenheit Einheimische oft davon erzählten, dass sie langfristig nach Europa wollten, war das in Sierra Leone nie ein Thema. Auf meine naive Frage hin, weil er mit Ausländern ja bereits einige Touren auch nach Tiwai unternommen hatte, ob er schon mal in Liberia oder Guinea war, erzählte mir Mamadu, dass er sogar in Gambia und Senegal war – zum Arbeiten. Im Bürgerkrieg verlor er seine Eltern und war der Älteste von vier Geschwistern. Also war es an ihm, die Familie durchzubringen. Die größte Migration in Afrika findet nicht nach Marokko oder Libyen zur Flucht über das Mittelmeer statt, sondern innerhalb von Afrika. Anscheinend gibt es da einen Welleneffekt. Leute aus Sierra Leone zieht es in etwas wohlhabendere Länder wie Senegal und Senegalesen wollen nach Europa – und bauen hier die Straßen auf der Freetown-Halbinsel (während die Chinesen die großen Überlandstraßen herrichten). Auf meine Frage, warum er wieder nach Sierra Leone zurückkehrte, entgegnete Mamadu entwaffnend, weil es zu Hause doch am Schönsten sei und er seine Geschwister jeden Tag sehen kann. Und es war schön, relativ viel Geld für die Fahrten mit Mamadu auszugeben, mit der Hoffnung, dass möglichst viel davon bei ihm bleibt, denn das Auto gehört seinem Chef. Ein eigenes Auto kann sich Mamadu nicht leisten.
Ein letztes Mal fuhren wir mit ihm zu den wirklich wunderschönen Stränden, die die Hauptstadt Freetown umgeben. Am Lakka Beach konnte man erahnen, dass hier mal der Werbespruch „Die Karibik Westafrikas“ stimmte – vor dem Bürgerkrieg in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. Die ehemaligen großen Hotelkomplexe sind überwuchert von Pflanzen. Aber es gibt bereits wieder kleine Gästehäuser, in denen auch Weiße tatsächlich wohnten. Hier lässt sich tatsächlich das Backpacker-Leben leben, das es auch mal vor 30 oder 40 Jahren in Thailand, Goa oder Bali gab. Diese Regionen sind ja heute mit Bettenburgen durchzogen, die Familie Müller-Meier-Schmidt bucht ihren All-inclusive-Urlaub dort, bei dem die Einheimischen praktisch kaum einen Cent erhalten und von einem „Lonely Planet“ kann da wahrlich nicht mehr die Rede sein. Es bleibt zu hoffen, dass Sierra Leone seinen Weg der stabilen Demokratie weitergeht, von Katastrophen verschont bleibt, damit das Auswärtige Amt weiterhin keinen Reisehinweis geben muss, außer vielleicht dem, dass sich eine Reise hierhin wirklich lohnt, möchte man mal abseits der austrampelten Touristenpfade unterwegs sein und mit seinem Geld, direkt Leuten vor Ort helfen, so dass man mit dafür sorgt, dass diese ihr Auskommen haben, vom Tourismus leben können und gerne in ihrer Heimat ihre Zukunft gestalten können.