Mittlerweile bin ich ein paar Tage im größten Land Europas mit dem Rad unterwegs und bin von diesem unbekannten Platz auf Erden wirklich fasziniert. Angefangen hatte mal wieder alles mit der Landung in einem mir fremden Land. Schon der Touchdown mit der Embraer 175 von LOT Polish Airlines ließ vermuten, dass Teer in der Ukraine eher ein rares Gut ist, denn ich wurde wie ein Caipi richtig durchgeschüttelt. Dann hielt der Flieger mitten in der Pampa – wo war eigentlich das Terminal? Dieses fand sich dann mit dem Bus recht schnell – erinnerte aber in seinem Aussehen von außen eher einer Oper, mit dem Kuppelgewölbe und den antiken Säulenarkaden. Von innen hatte dieses Gebäude anno dazumal eher den Anschein ein Wartesaal eines Kuhkaff-Bahnhofs zu sein. Dort auf den Bänken verteilte dann die Frau Offizieren, in Stöckelschuh und Militär-Mini-Rock-Uniform die Einreisekärtchen. Die Einreise verläuft für uns EU-Bürger seit 2005 visafrei, was einen Visa-Muffel wie mich erst dazu verleitet hat, hierher zu düsen. Nach dem ich meinen Einreisestempel bekommen hatte, wartete ich mit dem Dutzend Mitreisender auf das Gepäck. Wo war eigentlich das Gepäckband.
Hm, da der ganze Airport vielleicht so groß war wie ein 16-Meter-Raum im Stadion, gab es dazu natürlich gar kein Platz. Eine Klappe ging auf und dann wurde die Koffer durch diese in das Gebäude gereicht. Mit zwei Packtaschen und Velo quetsche ich mich dann zum Ausgang. Doch halt, hatte ich eine Bescheinigung über Krankenversicherung dabei, wurde ich gefragt. Natürlich nicht – also musste ich 5 Euro zahlen, und werde dafür aber hier nun im Krankheitsfall kostenlos medizinisch versorgt.
Auf dem Vorplatz setzte ich mein Velo dann zusammen und es hatte den Anschein, dass nichts kaputt gegangen war. So radelte ich Richtung Innenstadt los und musste sofort feststellen, dass es erstens kaum Hinweisschilder gibt und wenn, dann sind diese in Kyrillisch verfasst. Die Strasse mutierte mit dem Erreichen der Außenbezirke von L’viv (russisch Lwow, deutsch Lemberg) zum Schlimmsten was ich in meinem Leben als Strasse habe definieren dürfen. Da wäre zunächst das Kopfsteinpflaster zu nennen, was an sich bereits nicht gerade zum Dahingleiten führt, aber wenn die Quader unterschiedlich hoch, die Fugen breiter als der Reifen sind und dann noch kleine Sanddünen das Ganze garnieren, ist an einfaches daher radeln schon nicht mehr zu denken. Dummerweise liegt L’viv auch noch in einem Kessel, so dass das bergab bzw. bergauf fahren wirklich zur Qual wird. Dazu kommt noch die Tatsache, dass Verwerfungen, Bodenwellen und omnipräsente Straßenbahnschienen, sowie in Fahrtrichtung angelegte Kanaldeckelspalten das ganze Unternehme zu einer äußert delikaten Angelegenheit machen. Wenn es dann noch einen Gewitterplatzregen gibt und man die Untiefen der Pfützen nicht mehr schätzen kann, dann bin ich in der Hölle der Radler angekommen.
Außerdem haben mich die Parkgewohnheiten der Einwohner bis zu meiner Abfahrt immer wieder irritiert. Da man wegen der Straßenbahn nicht am Rand sein Vehikel abstellen kann, lässt man es einfach in der Fahrbahnmitte stehen. Den immer sich auf der Hut befindenden Radler macht solcher stehender Verkehr natürlich nervös, denn wer rechnet schon damit, dass das Auto nicht im nächsten Moment davon braust und eventuell mir in die Quere kommt.
Die scheinbar nur noch aus Spachtel bestehenden Straßenbahnen tun ihr übriges, nicht oder nur kaum vorwärts zu kommen. Diese elektrischen Dinosaurier sehen besonders eigenartig aus, da auf Ihnen nur für High-Tech-Produkte geworben wird: Digi-Cams, Intel inside (aber nicht in der Bahn) und fesche NIKE Klamotten. Man könnte meinen die Retro-Welle hätte dieses Land erreicht – doch hier ist vieles noch immer so, wie es lange Zeit gewesen ist.
Lange Zeit war auch ich nicht mehr im Sattel und aufgrund der genannten kontraproduktiven Radler-Infrastruktur fühlte ich mich auf den Strassen von L’viv zum ersten Mal als Radler tatsächlich überfordert: Bangkok, Marseille, Ha Noi waren alles Städte, die sich recht einfach durchradeln ließen – vor allem im vergleich mit dieser west-ukrainischen Stadt. Bei der Hotelsuche stellte ich plötzlich fest, dass meine Pedale eierte – so wie vor einem halben Jahr in Laos. Aber dieses Mal war es nicht die Pedale, denn die laotische hatte ich schon im Januar gegen eine neue japanische Hightech getauscht – nein es war aus mir unerklärlichen Gründen die Kurbel, denn das Gewinde war völlig abgerieben. Wie passiert so etwas? Keine Ahnung, wirklich nicht. Nur nach 11 km Radeln so eine Panne und das in der Ukraine ist mehr als dämlich.
Ich hatte bereits mein Hostel vergeblich eine Stunde lang gesucht und nahm erstmal das nächst beste Hotel – ein renovierter schöner Kasten aus der Sowjetzeit mit pompösen Treppenaufgang und drei Meter hohen Decken. Eine nette Sache ist hier im Tiefen Osten Europas der Job des Türstehers, der anscheinend 24 Stunden am Tag sich am Hoteleingang um alles kümmert. Der Rentner ließ gegen kleines Bakschisch meinen kaputten Drahtesel in einem Nebenraum verschwinden, besorgte mir eine gute Karte der Stadt und zeigte mir, wo mein gesuchtes Hostel sich befand. Reiseführer über die Ukraine haben gerade eine Halbwertszeit von einem Fußballspiel, denn die meisten darin aufgelisteten Hotels sind zu – und die Hostels noch nicht drin.
Ich buchte im Hostel meine folgenden Nächte und das ukrainische, englisch sprechende Hotelpersonal nannte mir eine Adresse eines Radladens. Diesen suchte ich mit einem Taxi und dem Rad im Kofferraum (gegen gutes Bakschisch) am nächsten Morgen auf. Der Laden hätte auch in Deutschland als gut ausgestattet gegolten und nach zwei Stunden hatte ich eine neue Kurbel und die Radreise ging nun doch nicht nach den legendären 11 km zu Ende. Eigentlich hätte ich mir nun die schöne Stadt angeguckt, doch im Hostel trifft man ja immer interessante Leute und so endeten wir in einem Biergarten im Herzen der wunderschönen, japanerfreien Altstadt. Das Leute beobachten ist natürlich immer lustig und die Ukrainerinnen mit ihren High-Heels übers Kopfsteinpflaster daher stolzieren zu sehen war auf jeden Fall es war fürs Auge. Die Stadt ist eigentlich ein einziger Cat Walk für knappe Röcke, figurbetonte Blusen und 16:9-formatige Sonnenbrillen.
Abends führte uns unser Weg in die Clubs der Stadt, um mal zu schauen, wie die Kids hier rocken gehen. Nun ja es war eigentlich alles sehr gediegen und entspannt. Die Vortänzerinnen auf den Tischen erinnerten mich mit ihren Fetzenkostümen an die wohl zurzeit bekannteste Tochter der Stadt: Ruslana, die 2004 den Grand Prix gewann – ihr erinnert Euch?
Am nächsten Tag hatte ich dann endlich die Muse, die Stadt – natürlich zu Fuß – zu entdecken. Anders als viele so genannte Städte mit toller Altstadt, existiert in L’viv nicht ein klitzekleiner renoviertes Quartier, das von hässlichen Gebäuden umgeben ist. Nein, die ganze Stadt ist ein Juwel mit alter Bausubstanz, hübschen italienisch anmutenden Innenhöfen und reich verzierten Fassaden. Stalin und die Plattenbau-Connection zogen ihren Baustil außerhalb des Kessels hoch und tatsächlich ist praktisch kein hässlicher Betonklotz in dieses Paradies gesetzt worden. So sah wohl auch mal Prag aus, bevor es von uns Touris nach der Wende erstürmt wurde…