Osteuropa 2007 3. Teil

Guten Tag aus Chisinau!

Mit der Ankunft in Czernowitz traf ich wieder auf alte Bekannte: Kopfsteinpflaster en masse! Anders als L’viv liegt die Stadt nicht in einem Kessel sondern hoch oben auf einem Hügel. Die Ukraine macht es mir einfach nicht einfach – nach einem Radeltag noch zirka 5 Kilometer zum Hotel auf wenigstens dieses Mal diagonal angelegten Pflastersteinen bei 10 Prozent Steigung durchgeschüttelt zu werden ist wahrlich kein Vergnügen.

Aber auch diese Stadt hat es wirklich verdient, besucht zu werden. Wieder eine Großstadt in der Ukraine – die ich mir so total anders vorgestellt hatte. Auch hier ist wieder alles tipp topp sauber und fertig restauriert. Irgendwie hatte ich in diesem Land heruntergekommene triste Städte erwartet, die vielleicht ein paar Straßenzüge mit hübschen Gebäuden aufweisen. Nein – getäuscht und verwundert! Die Universität besteht sogar aus Backsteinen und hanseatischer Architektur mit diesem stufenartigen Dachkonstruktionen wie bspw. in Lübeck. 

Am nächsten Tag ließ ich den Drahtesel mal stehen und machte einen Busausflug. In der Busstation gab es verschiedene Bahnsteige mit den täglich existierenden Verbindungen. Es war wieder alles in kyrillisch aber dafür sehr akkurat verfasst. Und natürlich fuhr der Bus nach dem Fahrplan pünktlich ab. Mit dem arg betagten Vehikel, das so ca. 40 Kilometer pro Stunde zurücklegte, war ich nur etwa doppelt so schnell wie mit dem Rad unterwegs, da auch der Busfahrer bei den vielen Berg- und Talfahrten nicht einfach mal beim hinabrollen Anlauf nehmen konnte. Schließlich war die Strasse zu verformt und der Fahrer wollte keinen Achsenbruch riskieren. So krochen wir mit zum Teil 20 km/h die Strasse nach der Abfahrt wieder hinauf. Die Abgaswolke war rabenschwarz und ich erinnerte mich gern an die Karpaten zurück, in denen ich meine Lungen aufgrund des nicht vorhandenen Schwerverkehrs einer Frischluft-Kur unterziehen konnte. 

„Geiz ist geil“ gilt auch in der Ukraine. Zwar gibt es noch keine Billigflieger, dafür aber Billig-Benzin mit 80 Oktan (in Deutschland mind. 92 Oktan) für unschlagbare 50 Euro-Cent. Dass dieses Zeug nicht gut für den Motor ist, zeigen die vielen stehen gebliebenen Ladas und die vielen arg knatternden Kisten, die jeden Moment zu explodieren scheinen. Beim Radeln bin ich immer froh, wenn diese Kisten nicht direkt neben mir umschalten und ich danach durch die Russwolke wie ein Kumpel aus dem Ruhrpott aussehe.

Mittlerweile kam ich auch in den historischen Einflussbereich der Türken, was ich in Kamyanets-Podilsky, dem Ziel meines Busausflugs bemerken konnte. Die Stadt war erst polnisch, und es entstanden Kirchen. Dann kamen die Türken, ließen die Kirchen stehen unter der Bedingung ein höheres Minarett als den höchsten Kirchturm zu bauen. Als die Türken vertrieben wurden, zeigten sich die Polen pragmatisch und bauten einfach auf das Minarett eine Marienstatue drauf. Das ganze sieht zwar etwas gewöhungsbedürftig aus – aber wenigstens wurde hier mal nicht alles beim Wechsel des Besitzers kurz und klein geschlagen. 

Eigentlich wollte ich noch ein wenig den Ort besichtigen, der auf einem Felsen in dramatisch anmutender Lage über einem Fluss errichtet wurde. Aber leider zog wieder ein großes Gewitter auf und ich verzog mich ins Restaurant. Dann gab es einen stadtweiten Stromausfall der sogar die Ampeln lahm legte. Die Strassen waren von dem Platzregen überflutet und jeder fuhr kreuz und quer durch die braunen Fluten. Dies erinnerte mich ein wenig an einen Platzregen in Dar-es-Salaam, Tansania und irgendwie kam ich mir nicht mehr wie in Europa vor. 

Schließlich wurde das Wetter wieder besser, ich nahm den nächsten Bus zurück nach Czernowitz und am folgenden Sonntag radelte ich endlich mal auf vertrauenswürdiger Berg- und Talstraße in Richtung rumänischer Grenze. Abschließend kann ich über die Ukraine nur staunen. Man bekommt hier ein Leben zwischen Vergangenheit und Zukunft mit. Das Land besteht fast nur aus Kirchen – und das in einem 40 Jahre von Kommunisten beherrschten Land. Auf meinen Streifzügen durch verschiedene Städte wurde ich immer von singenden Chören begleitet, deren Stimmen bis auf die Strasse zu hören waren. Das Land hat mit die schönsten Städte des Kontinents, die von großen Zerstörungen in den Weltkriegen weitgehend verschont wurden und mit ihrer Liebe zu Ostereiern wohl auch das einzige Ostereiermuseum auf Erden. Das Essen ist lecker, vielleicht nichts für große Gourmets, aber sogar als Vegetarier würde man hier nicht verhungern. Die angenehm zurückhaltende Art dieses Völkchen trägt mit dazu bei, dass man sich hier vom Alltag erholen kann. 

Und an der Grenze gab es keinen Stress. Stempel rein, Pass zu – rüber zu den Rumänen – Pass angucken und in 5 Minuten hatte ich die Grenze passiert, sowie 505 Radelkilometer im größten Land Europas hinter mich gebracht. Das nahezu grenzenlose Europa ist mittlerweile nun auch im tiefen Osten des Kontinents angekommen. Willkommen geheißen wurde ich in Rumänien in jeder Stadt mit Europafahnen an jeder Straßenlaterne. Ganz große Fans des transatlantischen Bündnisses hissten am Ortseingang sogar die NATO-Fahne. In der EU angekommen konnte ich endlich auf einer makellosen Platanen-Allee gen Süden meinem Etappenziel Suceava in der südlichen Bukovina entgegenrollen.

Bukovina heißt soviel wie Buchenland und gehörte auch früher zum Reich der Habsburger. Vorher und nachher gehörte der Süden zu Rumänien, während die Sowjets sich 1940 den Norden um Czernowitz unter den Nagel rissen und dieser nun zur Ukraine zählt. Weltberühmt ist die südliche Bukovina für ihre Kloester, die eher Burgen ähneln, die die damaligen Nonnen und Mönche vor den Türken schützen sollte. Da im 16. Jhdt. einerseits die Bibel nur in lateinischer Sprache erhältlich war und andererseits sowieso die meisten Bewohner Analphabeten waren, wurden die Kloester innen und außen mit Fresken im byzantinischem Stil als eine Art Bibel-Comic verziert. Auf wundersame Weise sind bis heute noch viele Fresken auf den Außenseiten sehr gut erhalten. Die Kloester sehen aus, als wären sie mit riesigen Tatoos verziert worden. In der Zeit der Habsburger durften die Nonnen und Mönche die Kloester nicht mehr nutzen, da sie orthodox und nicht katholisch waren. Die Kommunisten ließen dieses Verbot bestehen, so dass erst wieder seit 1990 die Kloester von Ordensleuten genutzt werden. 

Auf der Fahrt durch das EU-Rumänien des Jahres 2007 kam ich mir vor, wie bei uns vielleicht vor 50 Jahren. Die Nebenstrassen wurden durchweg eigentlich hauptsächlich von Kutschen und Fuhrwerken genutzt. In jedem Dorf gab es einen Zieh- oder Kurbelbrunnen. Lediglich die Verordnung, dass die hölzernen Wägelchen ein Kennzeichen brauchten und die Kutscher eine fluoreszierende Weste, erinnerten mich wieder an die Gegenwart. Allerdings war es bei den Nummernschildern wohl egal, was darauf stand, denn viele waren alte bundesdeutsche Überführungskennzeichen, ungarische Schilder oder selbst gemalte Bleche mit dem Namen des Dorfes und einer Nummer drauf. Das Radeln auf diesen Nebenstrassen war immer sehr beschaulich und sehr erholsam. Allerdings sind rumänische Nebenstrassen manches Mal überhaupt nicht asphaltiert und das Radeln auf einer Staubstrasse ist dann allerdings gar nicht mehr so beschaulich. Da macht das Entlangrollen auf den Fernstrassen des Landes wieder mehr Spaß, vor allem weil es einen äußerst breiten Seitenstreifen gibt – hauptsächlich für die Gespanne der Vierbeiner gedacht. 

Überraschten mich die ukrainischen Städte positiv, taten dies die rumänischen eher im umgekehrten Sinne. Gut, ich war von früheren Reisen durch dieses wirklich schöne Land von Perlen wie Brasov und Sighisoara auch verwöhnt, aber Suceava und später Iasi sind halt hauptsächlich im pragmatisch-nüchternen Nachkriegsbauwahn (wieder)errichtet worden. Die Betonblocks sehen einfach potthässlich aus und die wenigen schönen Kirchen und Gebäude können dies nicht ausgleichen. Allerdings entschädigen die vielen Parks wenigstens etwas für die architektonischen Gräueltaten der Ceaucescu-Ära. 

Allerdings befindet sich Rumänen in der Frühstückkultur-Evolution schon auf einer höheren Entwicklungsstufe als die Ukraine. Ich bekam morgens wenigstens schon einmal im Straßenverkauf Backwaren und Croissants. Gut Kaffee dazu zu fordern, war natürlich überzogen, denn es würde sich dann ja schon die dritte Stufe handeln. Daher aß ich die Teilchen anschließend im Park ehe ich im Hotel am Automaten mir einen Dalmayr-Kaffee hinterzog. Dass ich eine rumänische Großstadt erreiche, merkte ich immer an den Hinweisen für die großen Supermärkte wie METRO, die langsam auch hier die Tante Emma Läden verdrängen. Die Speisekarte wird dafür immer mehr von Pasta und Pizza dominiert. Ob dies daran liegt, dass halb Rumänien bei den Italienern schafft, weiß ich nicht. Denn 99 Prozent der ausländischen Autos stammten in Rumänien aus dem Land des amtierenden Weltmeisters. 

Die Aufnahme in die EU hat wohl in Rumänien zu einem rapiden Preisanstieg geführt, denn im Vergleich zu meinem letzten Besuch vor vier Jahren, ist dies gar nicht mehr das preisgünstiges Paradies. Die Löhne sind allerdings in diesem Zeitraum sicherlich nicht so explodiert. Da frage ich mich, wie die Einheimischen überhaupt noch überleben können. Zum Vergleich: Ein Lehrer bekommt ca. 80 Euro im Monat – eine 1-Zimmer-Wohnung kostet 105 Euro monatlich, wie mir die Hostel-Besitzerin Monika erklärte. Klar, dass sie lieber mit ihren Englisch-Kenntnissen ein Hostel führt, als ihr Wissen den Kids zu vermitteln. Nur wie das alles auf Dauer funktionieren soll, würde ich gerne mal wissen…

Die bisher längste Etappe der Tour stand mir in Iasi bevor. Eigentlich wollte ich früh losfahren, aber die freundlichen Hotelbesitzer, die einigermaßen Englisch sprachen, fragten mich woher ich kam. „Mainz, near Frankfurt“. „Yeah we know Mainz – football!“ Hm, eigentlich wollte ich auf dieser Tour auch ein wenig den Abstieg verkraften, aber jetzt erzählten mir die Jungs, die übrigens Bayern-Fans sind, dass Mainz ja eigentlich oft gut gespielt hat, aber am Ende doch abgestiegen ist… Dafür ist ihr zweiter Lieblingsclub Dinamo Bukarest Meister geworden. Glückwunsch Dinamo – aber kann ich jetzt bitte meine „Trauer“ verarbeiten und losfahren? „We must drink Palinca!“ Dieses 60-prozentige Zeug auf die Meisterschaft von Dynamo zu trinken, vor einer langen Radtour, ist sicherlich die suboptimale Vorbereitung überhaupt. Aber was soll den freundlichen Fußballfans denn antworten? Runter mit dem Zeug und zum Ausgleich machten sie mir noch einen Rosts-Beef-Sandwich. Auf dem Zimmer leerte ich noch schnell eine Liter Flasche Mineralwasser und los ging’s. 

Rumänische Strassen haben immer eins gemeinsam. Sie zeigen Konstanz. Sind sie erstmal einmal schlecht, dann bleiben sie es auch die nächsten vielen Kilometer. Umgekehrt gilt zwar dasselbe, doch das ist mir natürlich dann egal, wenn ich auf einem aus kleinen Steinchen zusammengehaltenen Asphalt unterwegs bin und mir die Steinchen bei jedem Gegenverkehr bis ins Gesicht fliegen. Wenigstens war die Landschaft wieder sehr beeindruckend. Ich kam mir eher wie im wilden Westen als wie in Europa vor. Überall weideten Pferde und Kühe auf der kargen hochebenenartigen Landschaft auf nahezu Meeresspiegel gelegen. Die Sonne brannte vom Himmel und weichte den Teer auf, so dass dieser an den Reifen zu kleben schien und ich immer schwerer vom Fleck kam. Eigentlich hatte ich vor, nach ca. 70 Kilometer am Grenzposten zur Republik Moldau, eine ausgiebige Essenspause zu machen. Aber es gab nur eine Tankstelle mit Sandwichs. Ich hoffte mit diesem Weisbrotgedöns die notwendigen Kalorien wieder zu bekommen und fuhr zur Grenze. Nach 300 rumänischen Radel-Kilometern war dann Schluss mit diesem trotz der hässlichen Städte sehr schönen Land. Als Eu-Bürger ging es bei den Rumänen wieder in Windeseile durch die Kontrolle und ich fuhr über den Grenzfluss Prut, dessen Quelle ich eine Woche zuvor, bei der Besteigung des höchsten Bergs der Ukraine. Bei einem Vorkontrollposten stoppte ich und wurde sehr höflich begrüßt. Mittels Funkgerät wurde ich bei den Grenzbeamten angemeldet. Ich verstand nur das Wort „Tourist“. 

Als ich die Autoschlange vor dem Kontrollposten sah, machte ich mich auf eine lange Warterei gefasst, doch die Schirmmützen winkten mich gleich nach vorne, nahmen den Pass mit ins Häuschen, stempelten diesen sofort und schon war ich offiziell in die Republik Moldau eingereist. Bis zum 31. Dezember 2006 hätte ich für dieses Land noch ein Visum beantragen müssen. Jetzt hätte ich mit allem gerechnet aber nicht so dermaßen zuvorkommend und nett behandelt zu werden. Die gesamte Autoschlange bestand aus den neuesten Karossen aus München und Stuttgart mit den entsprechenden gestylten Damen und den mit dickem Bauch und Portemonnaie ausgestatteten Herren drinnen. Hm, ich reiste gerade in das dem Pro-Kopf-Einkommen nach ärmste Land Europas ein und ich traf nur auf Jet-Set-Genossen, aus dem wahrscheinlich einzigen demokratischen und gleichzeitig von Kommunisten regierten Lands Europas. Aber wenn der Präsident Voronin heißt, dann wird ein Land einem als 05-Fan natürlich gleich sehr sympathisch!

Osteuropa 2007 2. Teil

Dobre Den,

auch der schönste Aufenthalt muss einmal zu Ende gehen und so kehrte ich L’viv mit meinem Drahtesel den Rücken, um auf Entdeckungstour in der Ukraine genauer gesagt in Galizien zu gehen. Denn dieses riesige Land ist aus vielen verschiedenen Regionen zusammengesetzt und diese haben oftmals soviel gemein wie Bayern und Ostfriesland. Galizien ist eine Region, die mittlerweile zwischen Polen und der Ukraine geteilt ist. Diese Region war bis auf ein Jahr nach dem ersten Weltkrieg nie unabhängig. Seine Blüte hatte Galizien, als es zum Habsburger Reich der Österreicher gehörte, also bis zum 1. Weltkrieg. Aus dieser Zeit ist auch der Grossteil der Bausubstanz in L’viv noch zu bestaunen – und der Palatschinken, die Sachertorte und der Kaffee schmecken auch noch im 21. Jahrhundert extrem gut. Aber wie gesagt, irgendwann musste mal Schluss sein mit dem Genießen, der Völlerei und ich wollte nun endlich das Land mit dem Rad entdecken.

Ein letztes Mal quälte ich mich den Kessel von L’viv auf dem unebenen Kopfsteinpflaster empor und war verwundert, dass ich gleich auf die richtige Ausfallstrasse gelangt war. Mittlerweile bin ich des kyrillisch Lesens einigermaßen mächtig und die Beschilderung außerhalb von L’viv ist auch tatsächlich äußerst akkurat. Das ist eine interessante Begebenheit in diesem Land, denn es pendelt permanent zwischen 1. und 3. Welt hin und her: 

Die Strassen ändern ihr Gesicht etwa sooft wie dies eines Mainz 05 Fans während einem Spiel. Mal ist alles perfekt und ein paar Minuten später befindet man sich wieder in der totalen Depression. Die Straßen sind oft ein Flickenteppich sondergleichen, der eher an eine mit Aufnähern überzogene Fan-Kutte erinnert, als an ein Transportweg, der die Beförderung von Waren und Personen einwandfrei garantieren soll. Manche Hinweise muss man auch erst mal richtig interpretieren, wie bspw. Zweige, die aus einer riesigen Pfütze rausragen. Dies bedeutet: Achtung hier fehlt der Kanaldeckel… Zum Glück hatte ich diese bizarren Warnhinweise bereits einmal im trockenen Straßenzustand vorher gesehen. Meine liebste Freundin auf der Strasse war die Spurrille. Dies befindet sich meist ca. 30 Zentimeter vom Randstreifen Richtung Fahrbahnmitte und ragt in gewellter Form bis zu 20 Zentimeter in die Höhe. Auf diesem Abschnitt kann ich dann relativ beruhigt Rad fahren, da diese Rillen von den Autofahrern immer gemieden werden. Rechts des Randstreifen franst die Strasse wie ein von Mäusen angeknabberter Keks aus, so dass ich dort unmöglich fahren kann. Manchmal weiche ich allerdings auf den Schotter noch etwas weiter rechts aus, weil der Teerzustand am Straßenrand noch schlechter für das Weiterrollen wäre als der unbefestigte Untergrund. Von daher träume ich meist von den herrlichen Straßenzuständen in Südostasien. 

Ich glaube, dass die sog. 2. Welt sich tatsächlich dadurch zeigt, dass sie viele Teile der ersten bereits adaptiert hat, aber oftmals dies mit Dingen oder Gewohnheiten der sog. 3. Welt kombiniert wird: Der Geldwechsel, früher in Osteuropa durch Zwangsumtausch ein Horror, geschieht hier ganz einfach an Geldautomaten, die es etwa so häufig hier gibt, wie bei uns Zigarettenautomaten. Auf die Cash-Maschinen wird sogar auf Verkehrsschildern (Bankomat aber in Kyrillisch) hingewiesen. Außerdem gibt es überall Geldwechselstellen, so dass die monetäre Versorgung mit der lokalen Währung Hryvnia tatsächlich theoretisch prima ist. Aber viele Geldautomaten sind kaputt, einige akzeptieren die Karte einfach nicht und manche haben nicht genug Geld im Automat… 

Oder das Geschäftemachen. Es gibt den besten Lavazza-Kaffee, die leckersten Torten etc. aber nicht zum Frühstück außerhalb des Hotels, denn morgens ist die Ukraine noch am schlafen. Die Cafes machen erst um 10.00 Uhr auf. Eine Frühstückskultur existiert nicht. Das macht den Start in den Tag in diesem Land zum Horror, wenn ich mir Brot, Käse und Wasser vom Vortag als Frühstück im Zimmer hineinziehen muss, um genügend Kalorien fürs Radeln zu sammeln, da mein Hotel keine Lust hat Frühstück anzubieten. Das Wort „Service“ ist hier eine chamäleonartige Definition: Manches Personal lebt noch zu Zeiten von Hammer und Sichel und ist Meister im Übersehen, Dösen und Nichtbeachten. Aber viele Ukrainer sind sehr um mein Wohlbefinden bemüht. Das ging bei Vitaly, Bed and Breakfast Besitzer, Fremdenführer und fließend Deutsch sprechender Kosmopolit soweit, dass er mir einen riesigen Rabatt aufs Übernachten gab, da er es einfach schön fand, dass ich sein Land erradele. 

Das Übernachten in den gewöhnlichen Hotels ist wieder eine andere Geschichte. Hostels gibt es nur in ein paar Städten und Hotels sind nur ab ca. 30 Euro die Nacht zu ergattern. Den Hotel-Standard gerade mit Südostasien zu vergleichen, wäre der reinste Horror. Die Aufgänge und Bauten protzen nur so von Grandeur, aber die Zimmer sind mit Rausch-TV und oft ohne WC ausgestattet. Aber alles ist wenigstens sauber und darauf kommt es mir ja am meisten an. Oftmals habe ich den Eindruck, dass es an einem Ort immer noch nur ein Hotel gibt, das dann etwa soviel Gäste empfangen kann, wie unser Bruchwegstadion. Der Typ Homo Sapiens Turisticus wurde wohl in der Sowjetunion ebenfalls zwangskollektiviert – alle Touris in die eine Bettenburg alias Hotel-Kolchose. Und dann gibt es dort noch die besondere Jobbeschaffung. Eingecheckt wird an der Rezeption. Dort erhalte ich dann einen Zettel mit dem Stockwerk drauf. Die nicht gerade vertrauenserweckenden Aufzüge lasse ich links liegen und hechele mit dem Gepäck die pompösen Treppen hinauf. In meinem Stockwerk angekommen sitzt dann im günstigsten Fall eine Babuschka und händigt mir gegen Vorlage des Zettels den Schlüssel aus. Willkommen in der Sowjet-Bürokratie!!!

Das Internet ist auch so eine Sache. Mal DSL, mal Modem aus der Generation 0.0 analog, so dass das Schreiben hier auch manches Mal zum Abenteuer wird, da die Computer kurz vor dem Abstürzen sind – aber Flachbildschirm und Funkmaus, das muss schon sein. Tja und eben gerade ist die Internetverbindung total unterbrochen und alles bisher geschriebenen mal wieder verschwunden. „This is Ukraine“ sagt mein Nachbar im Internetcafe und was soll ich da noch antworten…

Und dass es in diesem Land extrem Reiche gibt, die zum Teil mit der S-Klasse aus der Meisterstadt oder monströsen US-Hummer-Vehikeln durch die Gegend düsen und extrem Arme, die mit Kutschen über Land zuckeln, ist uns ja bereits zur Genüge bekannt. Man bedenke nur, dass wir uns in Deutschland über Schalke 04 (zu Recht) aufregen, da die jetzt das Geld von der russischen Gazprom in den Hintern geblasen bekommen – aber hier bekommt der Club Schachtjor (deutsch Kumpel) Donetsk einfach mal vom reichsten Mann der Ukraine ein Stadion für 200 Mio. US-Dollar hingestellt – um dem Rivalen Dynamo Kiew Paroli zu bieten. Ha, aber Schachtjor hat zum Glück gerade das Pokalfinale gegen Kiew verloren. Hihi diese Werksvereine kriegen es zum Glück auch hier nicht auf die Reihe, wie bei uns der VfL Golfsburg und die Pillendreher aus Leverkusen. 

Das Radeln über die Landstrasse von L’viv nach Ivano-Frankivsk war relativ anstrengend, da die Ukraine nicht flach sondern sehr hügelig ist. Damit war aber auch die Landschaft sehr schön anzusehen. Es ging an Wiesen und Wäldern, kleinen mäandernden Bächen und an Viechern aller Art entlang nach Süden. Irgendwann musste ich dann mal Mittagessen. In einem kleinen Ort kam ich in die Kneipe mit null Ukrainisch Kenntnissen. Aber irgendwie einigten die Bedienung und ich uns auf einen Eintopf. In meinem Reiseführer fand ich dann auch das Wort für Schweinefleisch, das ich in dem Eintopf wieder finden wollte. Es wurden mir noch ein paar kulinarische Vokabeln an den Kopf geworden und ich antwortete der Einfachheit halber mit „da da da“ heißt „ja, ja, ja“. Nach und nach kamen dann ein deftiger Eintopf, Schweinegeschnetzeltes und Kartoffelbrei auf den Tisch. Ich hatte einfach alles bestellt und platzte fast nachdem ich alles aufgegessen hatte. Sind die Hotelpreise gesalzen ist das Essen extrem günstig und somit war dieses „All U can order and eat“ auf ukrainisch finanziell verkraftbar. 

Unterwegs auf der Strasse läuft das Leben wie in Südostasien ab. Überall gibt es kleine Tante Emma Läden, die IMMER auf haben. Dort kann ich Kekse, leckere Schokolade, Säfte und Wasser kaufen. Die Ukraine hat eine unübersichtliche Auswahl an leckerem Sprudel. Das Brot ist entweder ein Laib Weizen oder Roggen und ähnlich gut wie in Deutschland tja und das Bier ist mit 0,30 Euro sehr kundenfreundlich preislich platziert. Überall ist dieser Stoff zu bekommen. Bspw. am Kiosk als Wegbier, was gerade die amerikanischen Peace Corps Volunteers, die hier überall 2 Jahre Sozialdienst leisten, in Verzückung versetzt, da es in den USA undenkbar wäre. Und es wird überall von allen konsumiert. Die ukrainische Fahne besteht aus den Farben Hellblau und Goldgelb die für das fruchtbare Getreide, das hier wächst und den blauen Himmel stehen sollen. Ich würde eher sagen sie stehen für Gerstensaft und den Gemütszustand mancher ukrainischen Bewohner. Die oft nassen Boeden der Kneipen sind auch weniger einer übereifrigen Reinemachefrau zu verdanken als vielmehr den Suffnasen, die permanent schwankend wankend ihr Wodkagläschen verschütten. Die Torkelnden finde ich nahezu ausschließlich in der Kneipe wo sie relativ friedlich ab und zu das Geschirr zerdeppern aber anscheinend werden sie in solchem Zustand nicht mehr auf die Strasse gelassen, denn dort ist mir noch niemand entgegen gefallen. Eigentlich gibt es dabei doch leckere Speisen, um eine Grundlage zu schaffen. Varenyky sind mein absoluter Energiespender. Dies sind so eine Art Maultaschen mit Hüttenkäse gefüllt und werden mit Sauerrahm serviert. Oder Reibekuchen mit Fleisch gefüllt und mit Sauerrahm serviert. Oder Banosch: Das ist so eine Art Polenta als kleine Pyramiden mit…Sauerrahm serviert oder Borscht. Das ist DIE Speise in der Ukraine. Nein, sagt man hier, Borscht ist ukrainisch, nicht polnisch, nicht russisch! Diese Rote-Beete-Suppe wird mit was serviert? Logisch mit Sauerrahm und ist sehr sehr lecker. Es gibt wohl über 300 Rezepte die Suppe zusammenzustellen aber immer mit… Und für Karnivoren gibt es leckere, zarte Hähnchenbrust sowie Schaschlik mit was serviert? Ihr könnt es Euch ja denken…

Auf der Fahrt nach Ivano-Frankivsk bin ich dann auch der globalisierten Krönung begegnet. Denn in einem Kiosk wurde ich von den Damen gleich mal auf einen Kaffee eingeladen. Dieser stammt von Jacobs. Das Produkt heißt hier allerdings Monarch und die Leute kippen das Pulver direkt ins Glas hinein. Das Resultat schmeckt dann wie ein türkischer Mokka und weder diesen noch die Krönung hätte ich irgendwie in der ukrainischen Pampa erwartet. Nachdem ich bereits über acht Stunden am Radeln war, zog dann das mittlerweile täglich einsetzende Gewitter auf und ich bin der Sowjetzeit mal wieder dankbar gewesen. Alle paar Kilometer existieren Bushaltestellen mit einem schönen Dach zum Unterstellen. So wartete ich den Platzregen mit ein paar radelenden Zeitgenossen in der Haltestelle in trockenem Zustand ab, während die Jungs aus ihrem Handy „Offspring“ dudeln ließen, was natürlich exakt meinem Musikgeschmack entsprach. 

Zweiradfahrer sind mit seit dieser Begegnung eigentlich kaum noch aufgefallen. Es gibt hier keine Mofas und eigentlich auch keine Proleten die wie bei uns auf den Käffern damit herumgurken. Überhaupt habe ich hier noch keine ätzenden Typen ausmachen können. Die meisten Menschen beachten mich nicht weiter. Manche Bierrunde am Straßenrand grölt irgendetwas mir hinterher, was sich aber nicht aggressiv anhört. Manche zücken ihr Photohandy und machen ein paar Schnappschüsse aber sonst radele ich meist ungestört über das Land. 

Nach 140 Kilometern erreichte ich Ivano-Frankivsk und ich fragte mich, wie man seine Stadt einfach mal so nach einem der zwei Volkshelden der Ukraine benennen kann. Ivano Franko schrieb in seinen Büchern bis zu seinem Tod 1916 über die Missstände in der Ukraine und landete dadurch zeitweise im Knast. Um die Ukrainer zu besänftigen, die seit dem Ende des 2. Weltkriegs in der Sowjetzeit für eine unabhängige Ukraine zu kämpfen, schleimten die Sowjets sich 1962 ein und benannten Stanislaviv einfach um. Es ist wohl die einzige Stadt in der ehemaligen Sowjetunion, deren Umbenennung auch heute noch besteht. Wenn unser Mohamed Zidan in der Winterpause dann von Hamburg wieder zu uns wechselt, weil er den Hub Stevens nicht so wie den Kloppo herzen darf, könnten wir uns das ja auch mal überlegen. Dann müssten wenigstens bei uns die Nummernschilder nicht ausgetauscht werden. 

Die Stadt hat mich in ihrem Aussehen wie L’viv überrascht, denn das Zentrum war ebenfalls mit seinen Häusern aus der Habsburgerzeit sehr attraktiv. Nur der gigantische Flachbildschirm auf dem Marktplatz auf dem Freddie Mercury „The show must go on!“ sang, dieser passte in dieses österreichische Flair nicht ganz so hinein. Nach einer kurzen Stadtbesichtigung fuhr ich weiter nach Süden in das Karpaten-Gebirge hinein. Immer öfter begegnete ich Pferdefuhrwerken und die Kühe erinnerten mich an ihre Artgenossen in Indien. Schließlich blockierten sie seelenruhig die Strassen und grasten überall herum: im Vorgarten, im Wald, am Fahrbahnrand. Werden in anderen Ländern Hunde Gassi geführt, übernimmt hier die Kuh dieses Ritual. Die Alten nehmen den Vierbeiner oft an die Leine und wandern mit ihm durch Pampa. Hunde streunen hingegen im gepflegten Zustand immer quer durch die übrigens sehr sauberen Innenstädte. 

Im Gewitterregen erreichte ich dann mein nächstes Etappenziel – einen Wintersportort mit Skisprungschanze. Dass man hier im Winter Ski fahren kann, war mir vor dieser Reise auch nicht bewusst, aber als ich am nächsten Tag bei der Besteigung des höchsten Berg der Ukraine Schneewechten sah, war ich doch davon überzeugt, dass dies wohl möglich ist. Zum Ausgangspunkt meiner Wanderung musste ich ein Taxi nehmen. Anders als in allen anderen Ländern dieser Welt, musste ich auf ein Taxi warten. Taxifahrer haben hier den angenehmen Verhaltenskodex Touris nicht permanent anzulabern, ob sie denn nicht ein Taxi bräuchten. Nachdem ich eine halbe Stunde im Dorf gewartet hatte, sprang ich in die Strasse und hielt den alten klapperigen Golf an. Der Fahrpreis war fair und fest – allerdings nicht das Boxenkabel. Dieses musste erst vor der Fahrt noch mal richtig mit den Lautsprechern verbunden werden, so dass mir beim Start fast die Ohren mit „Evanescence“ davonflogen. Danach gab es auf der halbstündigen Fahrt ukrainischen Rap zu hören. Heruntergelassene Bahnschranken sind hier nur zum Slalom üben im Sommer da und ruckzuck war ich am Fuße der Hoverla angelangt. 

Mit zwei Ukrainern die ich auf der Strecke traf, liefen wir die knapp 1.000 Höhenmeter diesen Hügel hoch, der aber doch immerhin 2.060 Meter über dem Meer trohnt. Gesehen haben wir anfangs nichts, da wir total in den Wolken und im Platzregen marschierten. Irgendwann hatte Petrus ein Einsehen und es bot sich dann doch noch ein schöner Blick auf die Hügelkette der ukrainischen Karpaten. Beim Abstieg musste ich unwillkürlich an Malaysia denken, denn der Weg verlief sich wieder im Unterholz. Meine ukrainischen Gefährten wollten querfeldein gehen, doch ich ging mit ihnen wieder hinauf und fand schließlich den eigentlich gut markierten Weg wieder. Hier wäre es mir eindeutig zu ungemütlich gewesen, mal wieder zwei Nächte unfreiwillig am Bergbach zu nächtigen. Die Jungs revanchierten sich mit der Mitnahme in ihrer Skoda-Limousine zurück ins Kaff und ersparten mir 20 Kilometer Rückmarsch. 

Am folgenden Tag rollte ich dann über zwei Pässe durch die Berge weiter nach Osten. Dieses Gebiet wird auch als Wald-Karpaten bezeichnet und stellt einerseits den Mittelpunkt Europas dar und andererseits eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete des Kontinents. Mich erinnerte das Ganze vor allem an das Münstertal im Schwarzwald. Allerdings rennen da die Mädels sicherlich nicht in so aufreizenden Klamotten durch die Gegend. In jedem Dorf waren die Kinder und Jugendlichen in trachtenähnlichen Uniformen an diesem Tag gekleidet. Allerdings gehen Röcke bei Trachten und Schuluniformen normalerweise doch deutlich über das Knie hinaus. Ich kam mir vor, als ob ich 110 Kilometer lang durch ein frühes Brittney Spears Video gefahren wäre mit diesen etwas zu beinbetonten Miniröckchen. Später erfuhr ich, dass der 31. Mai der letzte Schultag im Schuljahr ist und daher die Kids so rausgeputzt waren. Hm andere Länder andere Sitten…

Die Strassen in den Karpaten sind sicherlich mit die schlechtesten auf unserem Kontinent. Zum Teil fehlt auch mal die Hälfte der Strasse oder sie ist mit Kies bedeckt. Beim Ruckeln auf den letzten drei bis vierhundert Kilometern muss dann eine Schraube sich gelockert haben. Auf jeden Fall gab es plötzlich einen Knall und ich merkte, dass etwas in die Hinterradspeichen kam und das Rad blockierte. Irgendwie konnte ich den Drahtesel noch lenken und stoppen. Dann merkte ich dass die eine Hinterradtasche abgeflogen ist. Aber ich hatte dieses Mal wirklich riesiges Glück: Die betroffene Speiche war nur etwa lädiert. Ich zog sie fest und damit war dieser Radteil wieder repariert. Um die Schraube zu ersetzen, nahm ich eine halbwegs überflüssig vom Hinterradreflektor, da meine Taschen auch Reflektoren hatten und so war die Tasche in fünf Minuten wieder auf dem ebenfalls verbeulten Gepäckträger wieder angebracht und ich konnte weiterrollen.

Mittlerweile bin ich in Czernowitz (Cernivci) am Ostrand der Karpaten eingetroffen. Dies ist das Tor zu einer neuen Region Europas: der Bukovina.

Osteuropa 2007

Mittlerweile bin ich ein paar Tage im größten Land Europas mit dem Rad unterwegs und bin von diesem unbekannten Platz auf Erden wirklich fasziniert. Angefangen hatte mal wieder alles mit der Landung in einem mir fremden Land. Schon der Touchdown mit der Embraer 175 von LOT Polish Airlines ließ vermuten, dass Teer in der Ukraine eher ein rares Gut ist, denn ich wurde wie ein Caipi richtig durchgeschüttelt. Dann hielt der Flieger mitten in der Pampa – wo war eigentlich das Terminal? Dieses fand sich dann mit dem Bus recht schnell – erinnerte aber in seinem Aussehen von außen eher einer Oper, mit dem Kuppelgewölbe und den antiken Säulenarkaden. Von innen hatte dieses Gebäude anno dazumal eher den Anschein ein Wartesaal eines Kuhkaff-Bahnhofs zu sein. Dort auf den Bänken verteilte dann die Frau Offizieren, in Stöckelschuh und Militär-Mini-Rock-Uniform die Einreisekärtchen. Die Einreise verläuft für uns EU-Bürger seit 2005 visafrei, was einen Visa-Muffel wie mich erst dazu verleitet hat, hierher zu düsen. Nach dem ich meinen Einreisestempel bekommen hatte, wartete ich mit dem Dutzend Mitreisender auf das Gepäck. Wo war eigentlich das Gepäckband. 

Hm, da der ganze Airport vielleicht so groß war wie ein 16-Meter-Raum im Stadion, gab es dazu natürlich gar kein Platz. Eine Klappe ging auf und dann wurde die Koffer durch diese in das Gebäude gereicht. Mit zwei Packtaschen und Velo quetsche ich mich dann zum Ausgang. Doch halt, hatte ich eine Bescheinigung über Krankenversicherung dabei, wurde ich gefragt. Natürlich nicht – also musste ich 5 Euro zahlen, und werde dafür aber hier nun im Krankheitsfall kostenlos medizinisch versorgt. 

Auf dem Vorplatz setzte ich mein Velo dann zusammen und es hatte den Anschein, dass nichts kaputt gegangen war. So radelte ich Richtung Innenstadt los und musste sofort feststellen, dass es erstens kaum Hinweisschilder gibt und wenn, dann sind diese in Kyrillisch verfasst. Die Strasse mutierte mit dem Erreichen der Außenbezirke von L’viv (russisch Lwow, deutsch Lemberg) zum Schlimmsten was ich in meinem Leben als Strasse habe definieren dürfen. Da wäre zunächst das Kopfsteinpflaster zu nennen, was an sich bereits nicht gerade zum Dahingleiten führt, aber wenn die Quader unterschiedlich hoch, die Fugen breiter als der Reifen sind und dann noch kleine Sanddünen das Ganze garnieren, ist an einfaches daher radeln schon nicht mehr zu denken. Dummerweise liegt L’viv auch noch in einem Kessel, so dass das bergab bzw. bergauf fahren wirklich zur Qual wird. Dazu kommt noch die Tatsache, dass Verwerfungen, Bodenwellen und omnipräsente Straßenbahnschienen, sowie in Fahrtrichtung angelegte Kanaldeckelspalten das ganze Unternehme zu einer äußert delikaten Angelegenheit machen. Wenn es dann noch einen Gewitterplatzregen gibt und man die Untiefen der Pfützen nicht mehr schätzen kann, dann bin ich in der Hölle der Radler angekommen. 

Außerdem haben mich die Parkgewohnheiten der Einwohner bis zu meiner Abfahrt immer wieder irritiert. Da man wegen der Straßenbahn nicht am Rand sein Vehikel abstellen kann, lässt man es einfach in der Fahrbahnmitte stehen. Den immer sich auf der Hut befindenden Radler macht solcher stehender Verkehr natürlich nervös, denn wer rechnet schon damit, dass das Auto nicht im nächsten Moment davon braust und eventuell mir in die Quere kommt. 

Die scheinbar nur noch aus Spachtel bestehenden Straßenbahnen tun ihr übriges, nicht oder nur kaum vorwärts zu kommen. Diese elektrischen Dinosaurier sehen besonders eigenartig aus, da auf Ihnen nur für High-Tech-Produkte geworben wird: Digi-Cams, Intel inside (aber nicht in der Bahn) und fesche NIKE Klamotten. Man könnte meinen die Retro-Welle hätte dieses Land erreicht – doch hier ist vieles noch immer so, wie es lange Zeit gewesen ist. 

Lange Zeit war auch ich nicht mehr im Sattel und aufgrund der genannten kontraproduktiven Radler-Infrastruktur fühlte ich mich auf den Strassen von L’viv zum ersten Mal als Radler tatsächlich überfordert: Bangkok, Marseille, Ha Noi waren alles Städte, die sich recht einfach durchradeln ließen – vor allem im vergleich mit dieser west-ukrainischen Stadt. Bei der Hotelsuche stellte ich plötzlich fest, dass meine Pedale eierte – so wie vor einem halben Jahr in Laos. Aber dieses Mal war es nicht die Pedale, denn die laotische hatte ich schon im Januar gegen eine neue japanische Hightech getauscht – nein es war aus mir unerklärlichen Gründen die Kurbel, denn das Gewinde war völlig abgerieben. Wie passiert so etwas? Keine Ahnung, wirklich nicht. Nur nach 11 km Radeln so eine Panne und das in der Ukraine ist mehr als dämlich. 

Ich hatte bereits mein Hostel vergeblich eine Stunde lang gesucht und nahm erstmal das nächst beste Hotel – ein renovierter schöner Kasten aus der Sowjetzeit mit pompösen Treppenaufgang und drei Meter hohen Decken. Eine nette Sache ist hier im Tiefen Osten Europas der Job des Türstehers, der anscheinend 24 Stunden am Tag sich am Hoteleingang um alles kümmert. Der Rentner ließ gegen kleines Bakschisch meinen kaputten Drahtesel in einem Nebenraum verschwinden, besorgte mir eine gute Karte der Stadt und zeigte mir, wo mein gesuchtes Hostel sich befand. Reiseführer über die Ukraine haben gerade eine Halbwertszeit von einem Fußballspiel, denn die meisten darin aufgelisteten Hotels sind zu – und die Hostels noch nicht drin. 

Ich buchte im Hostel meine folgenden Nächte und das ukrainische, englisch sprechende Hotelpersonal nannte mir eine Adresse eines Radladens. Diesen suchte ich mit einem Taxi und dem Rad im Kofferraum (gegen gutes Bakschisch) am nächsten Morgen auf. Der Laden hätte auch in Deutschland als gut ausgestattet gegolten und nach zwei Stunden hatte ich eine neue Kurbel und die Radreise ging nun doch nicht nach den legendären 11 km zu Ende. Eigentlich hätte ich mir nun die schöne Stadt angeguckt, doch im Hostel trifft man ja immer interessante Leute und so endeten wir in einem Biergarten im Herzen der wunderschönen, japanerfreien Altstadt. Das Leute beobachten ist natürlich immer lustig und die Ukrainerinnen mit ihren High-Heels übers Kopfsteinpflaster daher stolzieren zu sehen war auf jeden Fall es war fürs Auge. Die Stadt ist eigentlich ein einziger Cat Walk für knappe Röcke, figurbetonte Blusen und 16:9-formatige Sonnenbrillen.

Abends führte uns unser Weg in die Clubs der Stadt, um mal zu schauen, wie die Kids hier rocken gehen. Nun ja es war eigentlich alles sehr gediegen und entspannt. Die Vortänzerinnen auf den Tischen erinnerten mich mit ihren Fetzenkostümen an die wohl zurzeit bekannteste Tochter der Stadt: Ruslana, die 2004 den Grand Prix gewann – ihr erinnert Euch? 

Am nächsten Tag hatte ich dann endlich die Muse, die Stadt – natürlich zu Fuß – zu entdecken. Anders als viele so genannte Städte mit toller Altstadt, existiert in L’viv nicht ein klitzekleiner renoviertes Quartier, das von hässlichen Gebäuden umgeben ist. Nein, die ganze Stadt ist ein Juwel mit alter Bausubstanz, hübschen italienisch anmutenden Innenhöfen und reich verzierten Fassaden. Stalin und die Plattenbau-Connection zogen ihren Baustil außerhalb des Kessels hoch und tatsächlich ist praktisch kein hässlicher Betonklotz in dieses Paradies gesetzt worden. So sah wohl auch mal Prag aus, bevor es von uns Touris nach der Wende erstürmt wurde…