Vietnam 2004

Nachdem mir SARS im letzten Jahr auf meiner größeren Reise einen Strich durch Rechnung machte und ich Vietnam genauso wie Singapur nicht besuchen konnte, habe ich es nun doch noch in diese Ecke der Welt geschafft.

Da ich es mittlerweile ein wenig satt habe, mich als Sardine in einem Bus einmal um unseren Planeten durchzuquetschen bzw. herumzureisen, entschloss ich mich dieses Land genauso wie das Nordkap mit dem Rad zu entdecken. Da mir auf dem Rückflug vom nördlichsten Punkt Kontinentaleuropas das Rad doch arg beschädigt wurde, schraubte ich den Drahtesel vor Reiseantritt auseinander und verpackte ihn in einer Tasche. So geschützt kam das Ding dieses Mal heil und gemeinsam mit mir in Hanoi, der Hauptstadt Vietnams an. Das Wetter ähnelte dem damals in Helsinki, denn es beim Landeanflug sah ich nichts außer Wolken und Nebel. Im Hotel angekommen war ich dann dankbar, an meine Stirnlampe gedacht zu haben, denn erstens nahm ich das fensterlose Zimmer im Erdgeschoss, um das stählerne Ross nicht in den x-ten Stock schleppen zu müssen und zweitens war gerade einmal Stromausfall, so dass ich im Kerzenschein und Licht der Stirnlampe meine Fahrrad wieder zusammenschrauben durfte.

Danach ging es auf eine erste Erkundungstour durch die Stadt. Als erstes lernte ich die einzige Regel, die es auf Vietnams Strassen gibt: Es gibt KEINE Regel! Höchstens ein Kastensystem in dem man als Radfahrer ziemlich weit unten angesiedelt ist. Dadurch läuft das Radeln aber ganz einfach ab: Man muss lediglich am besten am Fahrbahnrand entlang rollen, jederzeit gefasst darauf sein, dass aus der Seitenstrasse ein „Lebewesen“ einer höheren Kaste, sprich Moped oder Auto auftaucht, und garantiert keine Anzeichen macht, dass es schon einmal etwas von rechtmäßiger Vorfahrt gehört hat. Weiterhin muss man immer darauf gefasst sein, dass man links und rechts überholt wird, aber das kann man auch ganz schnell ins Aktive umsteuern und links und rechts überholen, so dass man ein wenig das Geschehen selbst in die Hand nehmen kann. Einbahnstrassen existieren aber nur auf dem Schild, Geisterfahren gehört hierher wie der Stau zu deutschen Autobahnen. Auch hier bahnt sich immer ein Stau an, dem aber gut auf dem Bürgersteig ausgewichen werden kann: als Radler aber auch als Motorradfahrer!

Linksabbiegen ist in Hanoi als Radler etwa so einfach wie in Deutschland günstiges Benzin zu erhalten. Allein schon das Orientieren zur Straßenmitte hin ist fast unmöglich, da man in den Strudel von Mopeds, Pkws, LKWs und Bussen gezogen wird und in die Hauptverkehrsfluss gezogen wird, der meist geradeaus verläuft. Aus diesem Strudel ohne Absteigen hinauszugelangen ist meist eine Mission Impossible. Was ich allerdings für unmöglich gehalten hätte, ist die Tatsache, dass es hier Fahrradwege gibt! Diese werden zwar meist von Fußgängern genutzt, da die Buergersteige mit Waren voll gestellt sind, aber es hat doch jemand an diese Spezies Mensch gedacht, die sich auf zwei Rädern ohne Motor durch die Welt bewegen möchte.

Das sich Fortbewegen funktioniert beim Befolgen der genannten Regel aber wunderbar, so dass es ein Vergnügen war, diese Stadt aus dem Sattel zu erkunden. Die Stadt ist ein kleines Finnland, da zahlreiche Seen das Areal durchziehen. Am Ufer kann man wunderbar dem nur wenige Meter entfernten Straßenchaos entfliehen. Morgens um sechs machen die VietnamesInnen ihre Morgengymnastik um fit in den Tag zu starten.

Eigentlich ist Vietnam ja ein kommunistisches Land, was ich den ganzen Tag über meist am roten Stern erkenne, der viele Plattenbauten a la DDR ziert. Aber auch die riesigen überdimensionierten olivgrünen Schirmmützen der Offiziellen ähnelt an als Sowjetzeiten. Und dann ist da noch der Staatsgründer Ho Chi Minh, der das Land nach dem 2. Weltkrieg gegen die Widerstand der Franzosen in die Unabhängigkeit führte: Gegen seinen Willen wurde auch Ho einbalsamiert und könnte selbst nach seinem Tod vor mehr als 30 Jahren mittlerweile ein stattliches Vielflieger-Konto aufweisen, da er jährlich im September aus dem Mausoleum in Hanoi nach Moskau fliegt um dort genauso wie Lenin für das folgende Jahr präpariert wird um dann Anfang Dezember wieder nach Hanoi zurückzufliegen.

Aber sonst ist vom Kommunismus nicht viel zu spüren, da seit mehr als 10 Jahren Privateigentum legal ist und jede(r) seinen Mini-Business aufgebaut hat. Dementsprechend ist Hanoi voll von kleinen und kleinsten Läden die alles anbieten, was das Shoppingherz höher schlagen lässt. In jeder Gasse der Altstadt, die dank der vielen französischen Kolonialbauten wie eine französische Kleinstadt nach Südostasien versetzt aussieht, gab es früher eine andere Warengattung zu kaufen. Je nach dem was es dort gab, bekam die Strasse ihren Namen. Ein bisschen ist davon auch noch heute geblieben: So gibt es eine Gasse ausschließlich mit vietnamesischen Fußballtrikots und Fahnen oder eine andere Gasse bietet ausschließlich Brillen an. Überall wird Bia Hoi, Fassbier angeboten. Für 3.000 Dong oder 15 Cents gibt es einen Drittelliter süffigen Gerstensaftes, der in rauen Mengen konsumiert natürlich zum Mega-Dong für wenig Dong führen kann.

Da ich aber nicht wegen des Mega-Dong hierher geflogen bin, kehrte ich der Hauptstadt bald den Rücken um das Land zu erstrampeln. Zum ersten Mal in meinem Leben musste ich aus einer tropischen Megametropole hinaus aufs Land finden. Zwei Dinge erleichterten mir diese nicht ganz einfache Aufgabe: Dank der Franzosen fährt die Mehrheit der VietnamesInnen auf der rechten Seite, so wie der bundesdeutsche Ottonormalverbraucher. Zweitens haben die VietnamesInnen bzw. Franzosen vor langer Zeit beschlossen lateinische Schriftzeichen statt chinesischer zu nutzen, so dass ich die sporadisch vorkommenden Verkehrsschilder lesen kann. Aber diese Schilder kommen in der Innenstadt Hanois etwa genauso oft vor, wie Jubelgeschrei von Fans des VfL Wolfsburg – d.h. gar nicht 😉

Aber irgendwann habe ich mit Hilfe der Karte die Hauptausfallsstrasse gefunden und konnte mich mit der Strömung stadtauswärts treiben lassen. Nach 20 Kilometern war dann die Metropole hinter mir und das Land hatte mich für sich. Kam ich mir wegen Baguette, Croissants, Bonjour und Cafekultur in Hanoi schon wie in einem französischen Überseedepartement vor, so wurde es auf der Landstrasse dank der weiß-roten Kilometermarker nicht anders. Alle 100 Meter wusste ich wieweit ich es schon geschafft hatte und irgendwann merkte auch mein Magen, dass wir gemeinsam weit gekommen sind. Auf der Fahrt durch Reisfelder in Richtung Tonkinschen Alpen westlich von Hanoi machte ich an einem Straßenrestaurant halt, dass mir den Eindruck machte, dass mich vielleicht jemand verstehen würde, da es durch die Terrasse und das Strohdach doch sehr touristisch aussah. Weit gefehlt – keiner konnte Englisch oder Französisch. Aber aus der Schublade kramte die Bedienung einen MARCO POLO Führer Vietnam hervor und deutete auf „Ga“ (Huhn) und „MIEN“ (Nudeln) im Sprachführerteil. Ich dachte noch, Glück gehabt aber irgendwie wurde das Essen doch noch zum Spießrutenlauf! Zunächst wurde mir noch ein feuchtes Handtuch (Oshi Bori) gereicht, was prima war, denn ich der Strassendreck klebte mir an den Händen. Dann wurden mir grüne minigurkenähnliche Gemüse gereicht. Dazu wollte meine Bedienung gleich noch ein HEINEKEN Bier aufmachen, was ich im letzten Moment durch den Schrei „COCA COLA, PEPSI!“ verhindern konnte. Alles nur kein Alk während dem Radeln! Dafür bekam ich aber auch alles: Zunächst beides: COKE und rote PEPSI! Dann kam das GA, also das Huhn auch als ALLES! Mit der Schere schnitt die Bedienung dem gekochten und gerupften Huhn das eigentlich nur aus Haut und Knochen bestand den Hals ab, die Füße weg und den Kopf entzwei. Dann kamen die Glasnudeln die mit Pilzen und wohl anscheinend Hühncheninnereien angereichert wurden. Huh zum Glück kam der Reis ungarniert und nun hatte ich die Qual der Wahl. Na ja ich probierte alles und hielt mich mit meinen Stäbchen an den extrem klebrigen Reis und die fettigen Glasnudeln. Das Hühnchen probierte ich ein wenig und entschied es seinem weiteren Schicksal selbst zu überlassen. Das grüne Gemüse war auch genießbar und so wurde wieder einmal ganz schnell zum Vegetarier.

Wassermelonen füllten dann meinen zum Bersten vollen Magen, denn von dem Mahl hätte wohl die halbe Meenzer 05er Mannschaft satt werden können. Dann ging es leider im Platzregen weiter und ich machte zum ersten Mal Bekanntschaft mit einigen Regenarten, wie es Forrest Gump im gleichnamigen Film beim Stichwort VIETNAM erzählt: Sprühregen, Platzregen, Dauerregen, Landregen und auch noch Regenschauer!

Jetzt bin ich im Trockenen und hoffe, dass diese Mail ihre Empfänger erreicht – denn der gestrige Entwurf ist irgendwie gelöscht worden, so dass ich alles noch einmal schreiben durfte!

Ich wünsche Euch einen schönen ersten Advent und viel Spaß beimGlühweintrinken und Bayern gegen Mainz gucken!

Singapur 2004

Nachdem mir SARS im letzten Jahr einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte und ich die Welthauptstadt des guten Futterns nur vom Boot aus auf meinem Weg von Indonesien nach Malaysia angucken durfte, habe ich es jetzt endlich doch noch geschafft in die Löwenstadt oder auf malaiisch Singapur zu gelangen. Singapur ist eine Stadt, ein Land, ein Fluss und eine Insel. Aber das war es auch schon mit der Einfallslosigkeit der Menschen die hier leben, denn der Rest ist ziemlich spannend, angenehm und irgendwie nicht ganz von dieser Welt.

Normalerweise läuft doch eine Einreise am Flughafen so ab: Die Tür hinter der Gepäckausgabe geht auf und schon stürzen sich Piranha-mäßig die Taxifahrer auf den Jet Lag-geplagten Reisenden um ihn möglichst genial über das Ohr zu hauen. Bakschisch, Tip, Money, Pen oder sonst was habe ich hier noch gar nicht gehört. Vielmehr holen die meisten Hotels ihre Passagiere am Airport ab und mein kleines Gepäckstück, ausnahmsweise kein Rucksack, wird Bakschischfrei in den Bus gehievt und dann sogar in die Hotellobby geschleppt, ohne dass das Gepäck geleert wurde oder gar verschwunden wäre.

Aber natürlich ist Singapur auch deshalb anders, weil hier viel verboten ist. Kaugummis sind vom Import ausgeschlossen und absolut tabu. Es gibt hier sicherlich alles zu kaufen…aber keine Airwaves, Wrigley Spear Mint oder Double mint. Da Singapur zu Dreivierteln von Chinesen bevölkert wird und diese gerne auf die Strasse spucken, da das angeblich der inneren Reinigung dient, kostet diese Angewohnheit 500 Sin$ oder ca. 250 €. So wird zwar nicht innerlich gereinigt, die Strassen jedoch sind immer gereinigt, da ja auch das urinieren lediglich gegen 500 Sin$ zu haben ist. Rauchen in der Öffentlichkeit kostet genauso viel. Für den gleichen Preis ist „Rot über die Ampel gehen“ oder „die Strasse in der Nähe einer Ampel überqueren“ zu haben. Ebenfalls in der Verbotspalette ist „Hunde halten“ und „Tiere füttern“ – aber das wird wohl nicht so hart verfolgt, ansonsten wäre meine Schwester schon längst fürs Taubenfüttern im Knast gelandet. Dafür verfolgen den Bürger permanent Videokameras bis vor die Toilettenbox, wo übrigens das „Vergessen“ des Abspülens mit ebenfalls 500 Sin$ zu Buche schlägt. Kurz und gut…“Singapore is a fine city“, wie die Einwohner manches Mal etwas zynisch sagen, denn auch die Demokratie ist eher unfein und eher nicht westlichem Standard angenähert, wenn ich Gerüchten Glauben schenken darf, dass politische Versammlungen in der Strasse mit 2000 Sin$ bestraft werden.

Trotz dieser Law and Order Mentalität sehe ich kaum Polizisten auf der Strasse und in einigen Vierteln habe ich es doch tatsachlich straffrei geschafft quer über die Gasse zu laufen, ohne dafür blechen zu müssen. Laufen muss man eigentlich kaum, denn die Taxis schalten den Meter ohne murren ein und sind relativ günstig, genauso wie die MRT (Mass Rapid Transportation), die jeden Tag 2 Millionen der 4 Millionen Bewohner Singapurs nutzen. Dementsprechend gequetscht ist dann natürlich der Reisende in den Zügen der MRT, aber anders als in vielen anderen Metropolen unserer Welt, wird dies nicht zum Anlass genommen, den langen Touri bis auf die Unterhose zu beklauen. Ich frage mich nur wie Singapurer in unsere reale Welt mit Taschendieben und Taxifahrern fahren können ohne traumatisiert wieder in ihren Stadtstaat zurückzukehren. 

Aber wenigstens kennen die Bürger Singapurs sich mit den kulinarischen Gegebenheiten des Rests der Welt sehr gut aus. Hier gibt es tatsächlich alles zum Futtern und da gerade Oktober ist, gibt es natürlich Paulaner und Schweinshaxe. Ich stehe zwar mehr auf die traditionellen Mahlzeiten wie Congee zum Frühstück. Das ist Reis-Porridge mit Hühnchen und Frühlingszwiebeln. Dazu Soja-Quark und Zuckerrohrsaft und fertig ist das Morgenessen. Der lokale Renner „Fish Head“ ist mir glücklicherweise noch nicht zwischen die Stäbchen gekommen, dafür aber Seegras Sushi und das frische TIGER Bier, das bei feuchtheißen Temperaturen um die 32 Grad Celsius auch von den meisten Einheimischen gerne in rauen Mengen konsumiert wird. Aber ein indisches Toshai, thailändisches Pad Thai, kambodschanisches Steamboat, britisches Oxtail Stew, mexikanische Nachos, australisches Känguru oder türkischer Kebab ist hier ebenfalls zu Konsumzwecken zu erhalten, denn Singapur ist Essen und Shopping! Die meisten Schilder lauten auf „Food Centre“ oder „More Shops“ mit Pfeil zum nächsten Konsumtempel, die meist über ein halbes Dutzend Stockwerke alles erdenkliche auf Lager haben, was die Menschenhand oder die Maschine je gefertigt hat.

Aber dem Konsumrausch kann man eigentlich recht schnell entkommen und stattdessen im Orchideengarten Aloe Vera Tee oder bei Pelikanen, Marabus und Flamingos Chrysanthemen-Tee konsumieren. Schließlich hat Singapur einen Grossteil der Tier- und Pflanzenwelt in ihrem Zwergstaat der Arche Noah ähnlich aufgenommen. So kann der Neugierige nachts durch den z. T. noch tatsächlich natürlich gewachsenen Dschungel stapfen und Hyänen, Löwen, Tiger, Elefanten, Giraffen, Ottern beim Futtern zugucken, ehe man selbst wieder in den klimatisierten Food Centre stapft und bei der mannigfaltigen Auswahl an Essen die Qual der Wahl hat. Aber auch die gefiederten Freunde sind natürlich hier vertreten. Damit die Vögel, die ursprünglich im Urwald lebten hier die gleichen Lebensbedingungen finden, wurde kurzer Hand ein Wasserfall von 30 m Höhe gebaut, um das Mikroklima für die Vögel genehm zu machen. Anders als im Mai 2003, wo ich mich knapp 300 km weiter nördlich im Dschungel für 3 Tage  verlaufen hatte, machte mir Singapur das Verirren unmöglich und ich habe problemlos wieder den Weg raus aus dem Kunsturwald gefunden und sogar noch ein Internetcafe gefunden, um Euch alle einmal wieder zu grüßen.

Singapur ist zwar irgendwie etwas künstlich, aber es macht schon Spaß von Viertel zu Viertel zu laufen und dabei in völlig verschiedene Kulturkreise einzutauchen. In Little India habe ich gleich einmal wieder meine Dosis Bolywood erhalten und Mango Lassi (kein Bang Lassi) trinken dürfen, ehe es im Malaien Viertel goldene Moscheekuppeln zu bestaunen gab und schließlich bei den alles dominierende Chinesen im vegetarischen Restaurant Kreationen zu verspeisen, die alle sehr bizarr aussahen aber doch wohl vegetarisch waren, so Gott will (!)

Leider ist eine kulinarische Speise auf die ich zur Zeit stehe unter anderem auch die Halstablette, da hier die Klimaanlagen selbst sonntags zu Höchstleistungen getrieben werden, wohingegen die meisten Rolltreppen am Sonntag ruhen dürfen. So bin ich dauerheiser und das obwohl ich schon seit 10 Tagen auf keinem FSV Mainz 05 Spiel mehr gewesen bin oder auch nur einmal hier Helau geschrieen zu haben. In diesem Sinne freue ich mich mit Euch auf das nächste Spiel gegen Werder Bremen sofern meine Stimme nicht irgendwo zwischen Singapur und Mainz endgültig verloren geht.

Skandinavien 2004 letzter Teil

Goddag,  

oder hallo aus  71°10’21“N oder dem angeblich nördlichsten Punkt Europas – oder noch ehrlicher Guten Morgen aus Mainz! Nach 40stündiger Odyssee vom Nordkap – mit dem Widerøe Bus wegen geschlossenem Flughafen nach Hammerfest –  mit einer Propellerkiste nach Tromsø und dreimal „Stehen bleiben“ und Fahrrad-Fetzen nach – Oslo in den Flughafenwald zum Zelten – und mit „There’s no better way to fly“-Lufhansa nach Frankfurt bin ich wieder auf dem 50. Breitengrad gelandet und reif für die Insel.  

Wie harmonisch hatte dagegen diese Woche für mich in Sapmi, dem Land der Sami am finnischen Inari-See angefangen. Außer ein paar Mücken, die ich mit dem alles bezeichnenden finnischen „Hyttys“ Spray Marke „OFF!“ sehr schnell loswurde, hatte ich dort oben einen angenehmen Ruhetag und endlich mal wieder die Gelegenheit zum Schreiben vom Teil 2.  

Die anschließende Fahrt in Richtung Nordwesten zur norwegischen Grenze brachte eine Neuerung mit: Wind! Da ich bisher praktisch nur durch Wald fuhr, gab es keinen Gegen- oder Rückenwind, der meine Geschwindigkeit irgendwie beeinflusste. Nun auf der Hochlandfläche von Sapmi (Lappland) hatte ich zum 1. Mal mit Gegenwind und Böen zu kämpfen. Gerade Seitenwindböen sind nicht gerade die angenehmsten Naturphänomene, da ich durch sie oft zur Straßenmitte „geweht“ wurde. Wie angenehm war es dann in Finnland zu radeln, wo sich die Autofahrer im Großen und Ganzen sehr rücksichtsvoll Radlern gegenüber verhalten: Man wird als Verkehrsteilnehmer wahrgenommen…und respektiert. Daher wird im großen Sicherheitsabstand überholt und ich wurde nie geschnitten.  

Die Fahrt über die Hochlandebene erweiterte mit einem Mal auch meinen Horizont, der in den letzten 13 Tagen lediglich 3 Meter nach links und rechts bis an den Straßen- bzw. Waldrand reichte. Statt Wald gab’s jetzt Sümpfe und Moore, die das Landschaftsbild bis an den kilometerweit entfernten Horizont prägten. Nun wurde der finnische Name für Finnland „Suomi“ endlich einmal Wahrheit, denn es bedeutet nichts anderes als Sumpf. Finnland selbst kommt wohl vom lateinischen „Fenia“, und bedeutet ebenfalls Sumpf.  

Nach 13 meist wunderschönen und oft sonnigen Radel-Tagen hatte ich den 1.720 km langen „Sumpf“ durchquert und mit Norwegen wieder festen Boden unter den Füßen. Kaum im Land der Fjorde und Berge angekommen, ging es auch schon steil bergan auf eine karge Hochfläche. In kleinen Senken wuchsen die letzten Kiefern und Birken. Da es ca. 25° C im Schatten waren, die Sonne mittlerweile 24 Stunden am Tag schien, kam ich mir mehr wie am Mittelmeer vor, als in der Polarregion. Diese warmen Temperaturen sind im Landesinneren von Nordnorwegen im Sommer durchaus normal – allerdings wird’s im Winter auch normalerweise bis ca. – 45°C  kalt. Durch die klare Luft waren schon die Fjorde umgebenden kahlen Berge des Eismeeres, das noch fast 100 km entfernt war, zu sehen. Je weiter ich nach Norden fuhr, desto weniger verkrüppelte Bäumchen säumten den Weg.  

Neben Fjorden ist Norwegen sicherlich für Lachs bekannt und Lakselv (norwegisch Lachsfluss), der erste Ort nach 74 km des Radelns vom Grenzort Karasjok zum Eismeer machte seinem Namen gleich alle Ehre. Auf dem Dorffest räucherten die Fischer den frisch gefangenen Lachs direkt auf der Gasse und für 3,50 € gab es eine Riesenportion Filet auf den Teller. Endlich mal keine Pasta zum Futtern und mein kulinarisches Desaster, was ich wegen dem etwas arg hohen Preisniveau in Norwegen befürchtet hatte, wurde abgewendet.  

Bisher war diese Radtour problemlos verlaufen, doch kurz vor meinem Ziel, wurde ich vor ein besonderes Problem gestellt: Da Norweger straßenbautechnisch sicherlich die fortschrittlichsten Zeitgenossen auf unserem Planeten sind, bauen sie in diesem bergigen, mit Fjorden durchzogenen Land, Brücken, steile Straßen und leider auch Tunnels en masse. Ein paar hundert Meter durch einen stinkenden Tunnel zu radeln ist sicherlich o.k., aber wie sieht es mit einem fast 7 km langen Tunnel aus, der 212 Meter unter der Meeresoberfläche verläuft und extrem eng ist? Offiziell war die Durchfahrt durch den sog. Nordkapptunnellen für Radler verboten – doch das heißt in Norwegen nicht sonderlich viel. Da ich niemanden getroffen hatte, der dieses stinkende Abenteuer per Velo durchgestanden hatte, musste ich eine Alternative finden. Diese bestand letzten Endes darin, eine kleine Nebenstraße für ca. 100 km zu nehmen, und dann mit dem Postschiff auf die Nordkappinsel Magerøya zu fahren.

Dumm nur, dass das Schiff nur einmal täglich fährt, und dies morgens um 9:45 und mir diese Alternative erst am Abend zuvor um 19:00 einfiel. Da ich irgendwann einmal wieder nach Hause musste, blieb mir nicht viel anderes übrig, als nach 128 gefahrenen Kilometern noch schnell abends die 100 km zum Fährhafen zurückzulegen.  

Aber gibt es was schöneres als freitags nachts um Mitternacht bei Sonnenschein eine kurvenreiche kleine Straße von Fjord zu Fjord entlang zu radeln auf der kein einziges Auto fährt? 5 km vor dem Kaff – es gab auf den 100 km sonst keines – stellte ich mein Zelt neben der Straße auf, denn es störte ja eh niemanden, dank des Jedermansrechts in Skandinavien. Dies besagt, dass jeder auf öffentlichem Land sich zu jeder Zeit aufhalten darf – dies schließt das Zelten glücklicherweise ein. Mit 228 km in den Beinen und einem aus Finnland importierten Dosenbier im Kopf schlummerte ich sofort ein.  

Die Fahrt mit dem Postschiff, das zwischen Bergen im Südwesten Norwegens und Kirkenes an der Grenze zu Russland im Nordosten des Landes pendelt war äußerst angenehm. Das Rad wurde im Frachtraum deponiert und ich hielt mich im Café am Kaffee fest, während die Felskulisse der Eismeerküste an mir vorüber zog. Nach 2 Stunden Fahrt war ich in Honningsvåg, dem Hauptort der Nordkappinsel angekommen. Nach weiteren 34 km extrem bergiger Straße hatte ich dann das Ziel meiner Reise erreicht: Vom Nordkappfelsen aus blickte ich bei strahlendem Sonnenschein auf das ruhig daliegende Eismeer hinaus. Ich hatte jetzt den nördlichsten mit dem Rad anfahrbaren Punkt Europas erreicht – aber Europa endet nicht am Nordkap, wenn man Spitzbergen, das 1.200 km weiter nördlich liegt, zum Kontinent der griechischen Fußballhelden zählt. 2.016 km lagen seit meiner Abfahrt vor exakt 2 Wochen hinter mir und ich dachte mir, das ganze war ja eigentlich bis auf den einen Regentag in Mittelfinnland ganz easy…doch man soll ja nie den Tag vor dem Abend loben!  

Eigentlich wollte ich vom Nordkap aus via Tromsø und Oslo nach Frankfurt fliegen. Per Zufall erfuhr ich, dass das Radar am Flughafen Nordkap kaputt sei und dies seit einer Woche. Das Ersatzteil kommt aus Oslo – irgendwann und bis dahin bleibt der Flughafen geschlossen. Nun setzte die Fluggesellschaft Widerøe, die hier oben mit kleinen Propellerkisten (Dash 8) herumschwirrt, zweimal täglich einen Bus ins dreieinhalb Stunden entfernte Hammerfest ein, wie ich im Internet herausbekam, denn der Flughafen war bis auf ein verirrtes japanisches Ehepaar ausgestorben. Ich wollte ja eigentlich erst am Folgetag fliegen, aber ruckzuck fuhr ich zum Campingplatz, packte meine Sachen  und fuhr zum Flughafen zurück. Irgendwann kam ein Angestellter in Jeans und T-Shirt und meinte der Bus käme gleich. Gesagt getan, der Bus kam und statt zu fliegen rollten wir los. Weit kamen wir nicht, da es so heiß war und Rentiere schlaue Viecher sind. Um sich vor der Sonne zu schützen, lungerten Dutzende Tiere am Tunneleingang herum und blockierten diesen. Auf Hupen reagieren diese Wesen nur mit vollkommener Ignoranz, so dass der Busfahrer aussteigen musste und wie von der Tarantel gestochen laut brüllend in die Herde rannte. Aha…so sah wohl einmal ein Wikingerüberfall aus!!! Na ja, das Gebrülle und Herumlaufen verfehlte seine Wirkung schließlich nicht und weiter ging’s zum Flughafen Hammerfest, wo wir direkt ohne jegliche Sicherheitskontrolle ins Flugzeug nach Tromsø verfrachtet wurden.

Nach einer nicht geplanten Übernachtung im hübschen Tromsø sollte es dann am nächsten Morgen weitergehen, doch nichts ging, da die nächsten drei Maschinen alle voll waren. Nach jedem vollen Flug, auf dem ich nicht mitkam, musste ich erneut einchecken und meine Gepäcketiketts wurden jedes Mal gewechselt, so dass ich die gesamte Belegschaft (mit Schichtwechsel) von Scandinavian Airlines in Tromsø  kennen lernte. Beim vierten Versuch (siehe Mainz 05) klappte mein „Aufstieg“ in die Boeing 737 von Braathens Airlines und ich kam schließlich statt am Mittag halt am Abend in Oslo an. Dumm nur, dass mein Rad diesen Flug nicht so heil überstanden hat. Das gesamte Hinterrad ist völlig verzogen, so als wäre eine ganze Meute Wikinger mit ihren Booten drübergerudert, und ich konnte das Rad nicht mehr bewegen. Shit happens… denn auch der letzt Flug nach Frankfurt war schon weg.  

Also das Rad in die Gepäckaufbewahrung und ich in die Büsche vom Oslo Airport. Denn der Flughafen ist 50 km von der norwegischen Hauptstadt entfernt und in Norwegen herrscht ja das Jedermannsrecht und Wald gibt’s am Oslo Airport genug. Mit meinen Radtaschen beladen, schlug ich mich hinter dem Frachtgebäude in die Büsche und verbrachte ein mehr oder weniger ruhige Nacht neben der Start- und Landebahn, denn leider herrscht hier kein Nachtflugverbot.  

Der Lufthansa sei Dank bin ich nun wieder heil und munter in Meenz am Rhein angekommen und freue mich von Euch zu hören.