„Impfung“ – um dieses Wort drehen sich am Jahresanfang 2021 Mitten in der Pandemie viele Diskussionen. Insbesondere für Reisende sind Impfungen seit jeher Routine – so wie es zum Beispiel für Asienbegeisterte Masken schon immer waren oder für die meisten Fernreisenden eine gründliche Handhygiene, zumindest wenn man Durchfallerkrankungen vermeiden wollte. Mit diesen Themen hatte ich mich am Anfang der Pandemie in den beiden Artikeln zu Masken und Händewaschen beschäftigt. Da sich aktuell so viel um das Thema „Impfung“ dreht, möchte ich dieses anhand von fünf Geschichten beleuchten, die ich auf Reisen durch Südamerika, Afrika und Asien erlebt habe.
Impfpflicht in einem EU-Territorium
Verpflichtende Impfungen, wie sie aktuell debattiert werden, gibt es schon seit sehr langer Zeit – zumindest seitdem ich 1992 angefangen habe, außerhalb Europas ohne meine Eltern zu reisen. Ich denke da gar nicht an die bei uns im März 2020 eingeführte Masern-Impfpflicht, die ja nur für Menschen in Gemeinschafts- und Gesundheitseinrichtungen gilt. Bereits seit Jahrzehnten existiert eine Gelbfieber-Impfpflicht für ein EU-Territorium und niemand hat sich bisher darüber aufgeregt. Ohne den entsprechenden Nachweis im gelben Impfausweis, ist eine Einreise nach Französisch-Guayana nicht möglich. Dieses französische Überseedepartement liegt in Südamerika, gehört aber zur „Grande Nation“ und zur EU. Die Flugzeit auf diesem innerfranzösischen Flug ab Paris beträgt mehr als acht Stunden und bei meinem Besuch 2002 wurde tatsächlich geprüft, ob ich die Gelbfieber-Impfung mindestens 10 Tage zuvor habe machen lassen. Ohne Impfung keine Reise in die Hauptstadt Cayenne – so einfach war das, da dieses Territorium nördlich von Brasilien zum Gelbfieber-Infektionsgebiet gehört. Fakt ist auch, dass viele Länder Reisende, die sich unmittelbar vor der Reise in einem Gelbfieber-Infektionsgebiet aufgehalten haben, nur mit entsprechender Impfung ins Land lassen. Ebenfalls Fakt ist, dass es (bisher) nicht die Airlines sind, die solche Impfpflichten aufstellen, sondern die Länder, in die die Airlines die Menschen befördern. Daher ist es natürlich gut, dass das vor dem Abflug geprüft wird.
Wer kann sich schon das Geld für eine Spritze leisten?
Es gibt auch Länder, die führen aufgrund besonderer Ereignisse eine zeitweilige Impfpflicht ein: so geschehen beispielsweise 1998 in Burkina Faso. Dort fand der Afrika-Fußball-Cup statt. Das Land rechnete mit erhöhtem Reiseverkehr aus allen Staaten des Kontinents und führte daher eine Impfpflicht gegen Meningokokken ein. Darüber wusste ich gar nicht Bescheid, bekam die Impfung allerdings vor meiner Abreise nach eingehender Beratung im Impfzentrum Mainz verabreicht. Anders erging es meiner Mitreisenden, die eine Abneigung gegen Spritzen hatte. Sie hatte eine Art Phobie und sich daher vor der Abreise in Deutschland nicht impfen lassen. An der Grenze zwischen Mali und Burkina Faso angekommen, wurde sie vor die Wahl gestellt, wieder nach Mali zurückzukehren oder sich impfen zu lassen. Die Impffläschchen wurden in einer Kühltasche gelagert und die Kühlakkus sollten für die notwendige Kälte sorgen. Geimpft wurde im Lichtschein einer Öllampe, da wir erst abends die Grenze erreichten. Das waren weitaus unangenehmere Voraussetzungen als der Besuch im Impfzentrum in der Mainzer Uniklinik. Der Impfstoff an der Grenze war gratis. Jedoch musste für die Spritze bezahlt werden. Diese 0,20 Euro konnten sich viele Einreisende nicht leisten – so wurden sie vor Meningokokken geschützt, haben sich aber durch die Mehrfachnutzung der Spritze womöglich mit HIV oder anderen Krankheiten angesteckt – vor denen sogar auf großen Werbetafeln direkt an der Grenze gewarnt wurde. Eine wahrlich schlimme Szene, die so beispielhaft für so viele Dramen auf unserer Erde steht, von denen wir aber in der heimeligen Wohnung nichts mitbekommen, weil sie zu unbedeutend für die täglichen Nachrichten sind.
Impfgeschirr als Mittel zur Korruptionsbekämpfung
Eine Impfpflicht lädt korrupte Beamte auch immer zu einem Nebenerwerb ein. So eine Gestalt ist meinen beiden Mainzer Freunden und mir 1995 auf dem Weg von Mainz nach Kapstadt bei der Einreise in ein Land ebenfalls begegnet. Damals war die Cholera-Impfung in vielen Ländern noch Pflicht. Beim Studieren meines Impfausweises sagte der Beamte, die Impfung sei ungültig, da der Stempel meines Mainzer Arztes größer als das davor vorgesehene Stempelfeld sei. Wir müssten die Impfung an Ort und Stelle wiederholen, es gäbe aber nur eine Spritze für alle. Bei der Vorbereitung auf diese Reise wurde uns empfohlen, Spritzen mitzunehmen, da diese in manchen Ländern Mangelware sind. So entgegneten wir dem Beamten, wir hätten überhaupt kein Problem damit, uns nochmals impfen zu lassen, da wir Spritzen dabei hätten. Völlig verdutzt entgegnete er uns nur noch „Go away“ und schon waren wir in das Land eingereist.
Gratis-Impfung auf Polizeibefehl
Ganz anders erging es mir mit Beamten in Malaysia 20003 auf meiner einjährigen Weltreise von Mainz Hauptbahnhof nach Mainz Süd. Ich hatte mich im Dschungel für drei Tage verlaufen und mich mit Hilfe meines Kompasses aus dieser Bredouille selbst befreien können. Da ich im Dickicht bereits am ersten Tag auf einen Österreicher traf, dessen Familie im Dorf auf ihn vergeblich wartete, verständigte diese die Polizei. Die 16 Beamten fanden uns zwar nicht, aber als wir wieder im Dorf ankamen, mussten wir zum Polizeichef. Dieser sah die Schrammen auf unseren Armen und Beinen und meine völlig zerrissene Wanderhose. Schließlich ging es zuvor durch sehr viel dornige Büsche raus aus der Natur zurück in die Zivilisation. Er schickte uns ins Dorfkrankenhaus. Dort erhielten wir eine Auffrischung der Tetanus-Impfung, da aufgrund der vielen Schrammen nicht auszuschließen war, dass der eigentlich noch wirksame Impfschutz eventuell nicht mehr gegeben sei. Die Impfung war für uns kostenlos, da in Malaysia das Gesetz besagt, dass Patienten, die von der Polizei eingewiesen werden, gratis zu behandeln sind.
Tollwut – (k)eine Impfung vorhanden
Eine ganz andere Problematik erlebten wir bereits zweimal mit der Tollwut-Impfung. Es gibt Regionen auf der Welt, die tollwutfrei sind, zum Beispiel Singapur. Daher konnten wir dort 2012 keine Tollwut-Impfung auftreiben. Tags zuvor waren wir von einer Katze auf Bali kurz vor Abflug nach Singapur gekratzt worden. Die indonesische Insel gehört zum Verbreitungsgebiet von Tollwut. Bei Tollwut wird immer lieber einmal zu viel als einmal zu wenig geimpft, da diese Krankheit nahezu immer tödlich verläuft, wenn die Krankheit einmal ausgebrochen ist – es gibt kein Medikament dagegen. Daher flogen wir relativ schnell zurück nach Deutschland und holten dort die Auffrischung im Impfzentrum Mainz nach, da auch hier der behandelnde Arzt auf Nummer sicher gehen wollte. Sieben Jahre später eine ähnliche Situation im Oman 2019. Eine kratzende Katze und die Frage, wo wir die Impfung herbekommen sollten, da auch im Oman Tollwut noch grassiert. Im Krankenhaus der nächst größeren Stadt wurde uns ein Impfplan erstellt, da beim Wirkstoff, der im Oman verwendet wird, eine 3-fach Impfung notwendig ist, bei der alle 3-4 Tage geimpft werden soll. So lernten wir die Krankenhäuser des Landes ganz gut kennen – und das alles wieder gratis, da es ein Initiative der omanischen Gesundheitsbehörden gibt, um den Erreger der Tollwut zu bekämpfen. Bei dieser Initiative wird nicht nach Pass oder Herkunft entschieden, ob sie Anwendung findet. Sie gilt für alle Menschen, egal ob Touri oder Omani – schließlich macht auch der Tollwut-Erreger da keine Unterschiede. Übrigens hätte unsere Auslandskrankenversicherung die Impfungen alle übernommen, im Oman genauso wie in Malaysia oder Burkina Faso. Viele gesetzliche Krankenversicherungen übernehmen mittlerweile auch die Kosten für die Impfungen, die man vorab für eine Reise bekommt – inklusive der Kosten für die Impfberatung.
All diese Beispiele zeigen, um welche wichtigen Fragen es beim Impfen tatsächlich geht, sprich oft um Leben oder Tod. Das trifft auf die Tollwut-Impfung auf jeden Fall zu. Es geht auch um gesetzlich vorgeschriebene Solidarität bei der Gelbfieber-Impfung, denn natürlich gibt es Menschen, die diese Impfung tatsächlich nicht vertragen. Diese Menschen sollen durch geimpfte Menschen geschützt werden, um das Virus im Zaum zu halten. Es geht auch immer um die Menge der Viren/Bakterien, die man abbekommt, wie das Beispiel Tetanus in Malaysia zeigt. Es dreht sich auch immer um das Thema Angst, mit dem zum Beispiel der korrupte Beamte Geld erpressen wollte, denn es war schon klar, dass ein überdimensionierter Stempel den Impfschutz nicht beeinflusst und viele Menschen haben tatsächlich eine Phobie vor Spritzen. Und es geht um das Thema Geld, wie das dramatische Beispiel der 0,20 Euro für die Spritzen in Burkina Faso zeigt.
All diese Beispiele verdeutlichen auch, worum es nicht geht: Um das Anzweifeln von wissenschaftlichen Ergebnissen. Diese Ergebnisse sind Voraussetzungen dafür, dass Impfungen überhaupt zugelassen werden. Nein, niemand muss gutgläubig alles „schlucken“ (oder sich eine Spritze setzen lassen), aber Vertrauen in Experten sind Basis für ein Gemeinwohl. Das Internet bietet für jede Meinung einen Beleg. Wichtig sind aber die Fakten, die anhand von seriösen Quellen nachvollzogen werden können. Die meisten Menschen außerhalb Mitteleuropas haben gar nicht die Zeit, sich stundenlang mit irgendwelchen Theorien auseinanderzusetzen, da sie sich im Alltag mit dem Überleben „beschäftigen“ müssen. Und manche dieser Menschen haben sogar an Studien teilgenommen, die Voraussetzung dafür sind, dass Impfungen von Biontech, Moderna und Co. so schnell nach Ausbruch der Pandemie verfügbar waren. Und warum das alles so schnell ging, kann man auf der Seite „Zusammen gegen Corona“ des Bundesministeriums für Gesundheit nachlesen.
Bis den meisten von uns ein Impfangebot gegen Corona unterbreitet wird, haben wir also genügend Zeit, seriöse Quellen zu studieren und uns wieder anmal daran zu erinnern, welche Privilegien wir hier in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern genießen, wenn es um das Thema Impfen geht.
Irgendwann klappte es schließlich mit dem WLAN und wir checkten zunächst die Informationen des Auswärtigen Amts. Dort stand lediglich, dass die Flugverbindungen zwischen Europa und Indien massiv reduziert worden sind. Deutsche und ein paar andere Europäer durften ja seit dem 11. März nicht mehr einreisen, daher war das ein erwartbarer Schritt. Von innerindischen Reisebeschränkungen lasen wir nichts. Dafür aber auf Facebook, dass das Heavy Metal Festival wegen Corona auf unbestimmte Zeit verschoben worden sei. Verschoben war für uns natürlich total doof, denn wir können ja nicht einfach mal für zwei drei Tage von Mainz nach Bangalore düsen, um Stage Diving zu betreiben. Daher fragten wir nach einer Rückzahlung des ausgelegten Betrags an. Dieser betrug mehr als 120 Euro, da wir ein Paket mit Hotelübernachtung gebucht hatten – wären es ein paar Euro gewesen, hätten wir das als Support für die Organisatoren gerne verbuchen lassen.
Bereits Wochen im Voraus mussten wir für das Festival-Hotel unsere persönlichen Daten übermitteln. Daher hatten wir bereits eine E-Mail-Adresse parat und baten Salman, den Gründer des Bangalore Open Air (BOA), um eine Erstattung. Er hatte für unsere Situation Verständnis und fragte, ob wir vor der Rückreise nach Deutschland nochmal in Bangalore vorbeischauen wollten. Trotz der Absage des BOA war eine Rückkehr geplant und so verständigten wir uns auf eine Geldübergabe in einem Club der Stadt, in dem am 20. März das „Wacken Metal Battle“ stattfinden sollte – ein Wettbewerb für indische Heavy Metal Bands, bei dem es um einen Auftritt beim Wacken Open Air 2020 ging. Metal Battle in einem Club mit leckerem India Pale Ale statt dem ersten Open Air in 2020 war zwar nicht ganz so schön, dennoch natürlich eine nette Alternative.
Am Abend des 13. März wurden wir im Hotel plötzlich vom Personal angesprochen. Wann wir am nächsten Tag abreisen wollten, war die Frage. Wir entgegneten um 5.45 Uhr, um den Zug nach Goa um 6.20 Uhr in Hospet zu erreichen. Der Hotelmanager sagte, wir müssten wegen des Virus einen Test machen, den nun jede*r zu machen hätte. Es handelte sich allerdings nicht um einen Corona-Test, sondern ums Fiebermessen – eine vollkommen sinnbefreite Maßnahme. Corona ließ sich auch ohne Symptome übertragen – anders als zum Beispiel SARS 2003. Dieser vollkommen nutzlose Test wäre um 10 Uhr am Samstag möglich und wir könnten ja einfach den Nachmittagszug nehmen. Die Zugfahrt nach Goa dauert 9 Stunden und wir hatten eine Reservierung für den Zug am Morgen. Ohne Reservierung nachmittags die Reise anzutreten, hätte sicherlich in einem überfüllten „Sleeper“ geendet – „Physical Distancing“ wäre somit obsolet gewesen. Wir waren auch gar nicht sicher, ob überhaupt nachmittags eine Direktverbindung bestünde oder wir nicht in Hubli auf halber Strecke hätten umsteigen müssen. Wir entgegneten daher, dass wir um diese Zeit ja schon im Zug säßen – was nicht so wirklich auf Verständnis stoß. Ich fürchtete bereits, dass wir im Hotel festgehalten werden würden und uns die frühmorgendliche Abreise womöglich verwehrt werden würde. Wir boten daher an, diesen Test jetzt am Freitagabend um 18 Uhr zu absolvieren. Corona hin oder her – am Freitagabend hat die indische Bürokratie Feierabend. So einigten wir uns darauf, dass wir mitteilten in welchem Hotel wir in Goa übernachten würden, damit dieser Test dann dort am Samstagabend nachgeholt werden würde. Angeblich wurde unser Hotel in Goa verständigt und alle wahrten ihr Gesicht. Tatsächlich konnten wir am frühen Samstagmorgen das Hotel verlassen, den Zug nehmen und danach hoffen, dass wir bis Goa durchkämen.
In der indischen Bahn lief alles seinen gewohnten Gang. Nichts ließ erahnen, dass womöglich der Zug an der Grenze zu Goa gestoppt werden würde. Wir kamen fast pünktlich am Bahnhof in Vasco da Gama am Indischen Ozean an und ließen erstmal die Massen an Fahrgästen sich dicht gedrängt über den Bahnsteig und die Brücke über diesen ergießen. Hier funktionierte „Physical Distancing“, wie im reservierten „2 Tier“ Abteil wieder gut – allerdings waren wir die einzigen, die dieses betrieben. Trotz Corona hatten wir es geschafft, die Zielregion unserer Reise zu erreichen. Im Hotel angekommen, sagten wir nichts zu dem angekündigten Test. Schließlich machte uns eine News aus Deutschland schon genug Sorgen. Angeblich sollten Deutsche, die nach dem 15. Februar 2020 in Indien eingereist waren, für 14 Tage in Quarantäne. Wir waren am 7. März eingereist und heute war der 14. März 2020. Sprich hätte diese Meldung gestimmt und wären wir von den Behörden aufgegriffen worden, wären wir womöglich noch für mindestens 7 Tage irgendwo in Quarantäne gelandet. Quarantäne in Indien kann vieles bedeuten. Es gab allerdings noch kein Nobelhotel, das unter Quarantäne stand, so dass die Chance hoch gewesen wäre, in irgendeinem Rattenloch mehr oder weniger eingesperrt zu werden. Rein theoretisch wäre es für die Behören ein Leichtes gewesen uns zu orten, da in jedem Hotel unsere Personalien inklusive Passkopie und Kopie des Visums plus Einreisestempel erhoben worden waren. Niemand sprach uns am Abend auf den angeblich so wichtigen Test an und wir konnten eine erste geruhsame Nacht in Goa verbringen.
Am nächsten Morgen stand plötzlich die Polizei im Hotel. Sie sperrten aber nur den Pool und das Fitnessstudio wegen Corona ab. Auf den Seiten des Auswärtigen Amts zu Indien fanden wir die angesprochene Quarantäne-Verpflichtung nicht. Da wir uns vor der Abreise in Mainz in die Krisenvorsorgeliste „Elefand“ eingetragen hatten, erhielten wir die aktuellen Änderungen der Sicherheitshinweise für Indien auch per E-Mail mit der netten Begrüßung „Liebe Landsleute“ zugeschickt. Es wurde auf die Reduzierung des Flugverkehrs zwischen Indien und Deutschland hingewiesen, da die größte deutsche Airline ihre Flüge mittlerweile tatsächlich eingestellt hatte. In unserem ersten Domizil in Goa blieben wir wie vorgesehen nur eine Nacht und fuhren nach dem Frühstück ein paar Kilometer weiter nach Norden an den Hippiestrand nach Arambol. Im dortigen Hotel war der Pool offen und Gewichte hätten wir dort auch weiterhin stemmen können. Die kommenden fünf Nächte bis Freitag, 21. März 2020 hatten wir bereits vorab bezahlt, da in Goa die Saison bis Mitte März geht und die besten Hotels oft Wochen vorher ausgebucht sind.
Auf Facebook erhielten wir dann die nächste Stornierung: das Wacken Metal Battle in Bangalore wurde gestrichen, da es in der Stadt den ersten offiziellen Corona-Fall gab und als Reaktion alle Pubs und Clubs bis auf weiteres geschlossen wurden. Wir kontaktieren Salman und fragten, wie wir das nun mit dem Geld machen sollten. Paypal hatte er nicht, eine Gutschrift des Betrags auf unser Kreditkartenkonto ging angeblich auch nicht. Doch wozu hat man Freunde? Salman versprach, einen Freund in Goa zu finden, dem er über eine lokale mobile Bezahlvariante das Geld schicken würde und der Freund uns dann das Geld in bar in die Hand drücken könnne.
Wir genossen die Tage am Strand von Arambol sehr. Trotz Corona konnten wir uns den Hintern jeden Tag mit Klopapier abwischen, uns die Hände desinfizieren, denn beides Klopapier und Desinfektionsmittel gab es hier wie Sand am Meer – und Nudeln gab es auch nicht zum Essen. Aber im Ernst, einsame Strandspaziergänge, das Füttern von Hunden und Katzen und das Genießen von leckerem indischen Essen vereinnahmte uns komplett. Corona war zwar anwesend, aber nicht dauerpräsent, da wir vereinbarten, nur im Hotel auf dem Zimmer den WLAN zu nutzen und beim Essen und unterwegs darauf zu verzichten.
So langsam mussten wir aber auch an unsere Rückreise denken, schließlich sollte ich am 24. März wieder arbeiten. Der ursprüngliche Plan, am 23. März von Bangalore direkt nach Frankfurt zurückzufliegen, ging nicht mehr auf, da fast alle europäischen Airlines ihre Flüge ab Bangalore bereits gestrichen hatten. Auch von Mumbai konnte man leicht erkennen, dass es von dort kaum noch Flüge nach Europa gab. Mit Hilfe von Metasearchern wie skyscanner.com ist es aber ein Leichtes, nach Flügen zu schauen, die noch buchbar sind.
Gleichzeitig hatten wir in den Medien gelesen, dass das Auswärtige Amt bereits Rückholaktionen startete, um gestrandete Urlauber bspw. aus Ägypten herauszuholen. Dennoch war es natürlich unser Ziel, selbstständig unsere Rückreise zu planen und durchzuführen. Die Botschaft in Delhi mahnte am 18. März wieder alle Reisenden an, unverzüglich Flüge vorzuverlegen und zu versuchen, die Rückreise selbst organisiert anzutreten. Zu diesem Zeitpunkt waren sogar Flüge von Goa via Doha oder Muscat nach Frankfurt für ca. 500 € zu haben. Wer zu diesem Zeitpunkt noch nicht verstanden hatte, was da gerade passiert, dem kann man nicht wirklich helfen, zumal das Auswärtige Amt zum ersten Mal überhaut eine weltweite Reisewarnung ausgesprochen hatte. „Reiswarnung, Sicherheitshinweis, etc. – was bedeutet das“ – hierzu habe ich vor 11 Monaten nach den Terroranschlägen in Sir Lanka einen eigenen Blogartikel verfasst. Wir hatten zwei Tage vorher unseren innerindischen Flug vom Freitag, den 20. März auf den nächsten Tag verlegt, da ja das „Wacken Metal Battle“ ausfiel und wir nun vorhatten, am 22. März von Bangalore via London nach Frankfurt zu fliegen – die einzig mögliche Variante nonstop nach Europa von dort zu gelangen. So wären wir am Samstagabend am Flughafen in Bangalore angekommen, hätten kein Problem mit den indischen Behörden bekommen, da wir dann tatsächlich 14 Tage in „Quarantäne“ verbracht hätten (in Indien halt), bevor wir wieder auf Beamte an einem Flughafen gestoßen wären. Wir hatten einen Plan A und dachten über Plan B nach.
Schließlich stellte sich für uns die Frage, was passiert, wenn der UK-Guru von Hampi doch noch Recht behalten sollte, und es zu Beeinträchtigungen im Reiseverkehr Indiens kommen sollte – entweder, dass es ein Flugverbot ab/nach Indien oder ein innerindisches Reiseverbot gäbe. Daher war unser Plan B, nach Ablauf der „Quarantäne“ am Samstag gegebenenfalls in die Hauptstadt Delhi zu gelangen. Dort gab es Hotels direkt am Flughafen, die deutsche Botschaft und noch viele Flüge in die weite Welt. Außerdem wäre sicherlich der erste Flug im Rahmen des Rückholprogramms durch das Auswärtige Amt aus Delhi gestartet – es ist die Hauptstadt des Landes und das Verwaltungszentrum. Es war einfach die logische Wahl für uns gewesen. Hier in Goa gab es zwei internationale Flüge, die nicht mal täglich nach Doha und Muscat verkehrten, eine zweistündige Taxifahrt zum Flughafen und ein Honorarkonsulat, das uns nicht wirklich weiterhelfen konnte (dafür aber das Generalkonsulat in Mumbai, das allerdings 500 km entfernt war). Im Falle einer Ausgangssperre wären wir hier ziemlich blockiert gewesen. So schön Arambol und der Bundesstaat Goa waren, so isoliert wären wir im Falle einer Ausgangssperre gewesen.
Salman meldete sich am 18. März auch noch. Wir könnten am nächsten Tag ins 10 km entfernte Siloim fahren und seine Freundin Bonnie treffen. Er würde ihr das Geld virtuell schicken, wir sie mit dem Taxi abholen, zum Geldautomat fahren und die Kohle bar erhalten. Dies klappte am 19. März tatsächlich – WhatsApp-Kommunikation sei Dank. Incredible India! Am gleichen Tag wurde der Pool im Hotel geschlossen. Es dauerte „nur“ 6 Tage von Sonntag bis Donnerstag bis die Verordnung 18 km Luftlinie nach Norden vorgedrungen war…
Am Morgen des Freitags, 21. März 2020 erhielt ich eine E-Mail, dass unser innerindischer Flug am Samstagabend von Goa nach Bangalore gestrichen sei. Das versetzte mich in eine sehr positive Grundstimmung. Schließlich hing dieser Flug wie Ballast an unseren Beinen. Viele Airlines sprachen zwar von kulanten Maßnahmen was Umbuchungen anging – allerdings nur auf der gleichen Strecke. Wir hätten eigentlich längst Plan B aktiviert, sprich nach Delhi umgebucht, aber eine Gratis-Änderung des Routings ließ die Airline nicht zu. Es gab auch keine Möglichkeit, den Wert des Flugs in einen Gutschein umzutauschen. Und so einfach zweimal 85 Euro sausen lassen, war natürlich nicht wirklich grandios – zumal wir ja eigentlich am Sonntag von Bangalore nach London problemlos hätten fliegen können. Ferner wurden wir direkt auf den nächsten Goa-Bangalore-Flug umgebucht. Daher ging die Tendenz dahin, eine Nacht von Freitag auf Samstag in Goa zu verlängern und den umgebuchten Flug zu akzeptieren.
Ich sprach den Hotel-Manager an und der sagte, das mit der Verlängerung sei natürlich kein Problem. Ich erzählte ihm vom gestrichenen innerindischen Flug und er entgegnete mir lapidar, dass es ab Sonntag sowieso keine internationalen Flüge mehr geben würde. Das hätte die indische Regierung so verfügt. Von dieser Nachricht überwältigt, mussten wir erstmal diese Aussage versuchen zu verifizieren, denn wir dachten gleich an den UK-Guru und sein Gerücht, dass die Bundesstaaten ihre Grenzen innerhalb des Landes dicht gemacht hätten. Tatsächlich fand ich einen Zeitungsartikel, der gerade mal ein paar Minuten alt war, der diese für Sonntag angekündigte Sperrung bestätigte. Nun musste alles ganz schnell gehen. Wir suchten den nächsten passenden Flug von Goa nach Delhi über skyscanner.com raus. Allzu knapp durften wir nicht kalkulieren. Wir waren zwar nur 42 Kilometer vom Flughafen entfernt – dafür mussten wir aber zwei Stunden Taxifahrt einrechnen. Außerdem war es angebracht, das zu erwartende Chaos am Flughafen einzuplanen – zwei Stunden sollten dafür passen. Außerdem gibt es in Indien sehr gute und „gute“ Airlines. Wir hatten keine Lust, auf „gute“ Airlines. Es war 9.15 Uhr – der nächste erreichbare Flug mit einer sehr guten Airline sollte um 14.30 Uhr gehen. Das war zu schaffen. Packen in ein paar Minuten, den Flug buchen und auch schon den Flug Delhi – Paris, der abends gehen sollte und für uns noch verfügbar war.
Tatsächlich sind wir um 10.30 Uhr losgefahren. Der Fahrer fing auf einmal an zu Husten. „Physical Distancing“ im Taxi war nicht möglich. In Indien rannten jeden Tag mehr Menschen mit Mundschutz durch die Gegend. Gefühlt aber nur diejnigen, die nicht husteten. Fast zwei Stunden die Luft anzuhalten geht natürlich nicht wirklich. Augen zu (statt Mund zu) und durch. Am Flughafen angekommen, hatte ich mir in der Hektik nur eines von beiden Tickets als PDF aufs Handy gespeichert. Also kam nur einer von uns in den Flughafen hinein. Indien ist eines der Länder, das auch in normalen Zeiten seine Flughäfen absperrt, damit Unbefugte (Terroisten) erst gar nicht ins Terminal gelangen, um Schaden anzurichten. Zum Glück hatte ich mit unserem indischen Telefon bereits im Taxi online eingecheckt. So konnte ich schnell im Flughafen beide Bordkarten am Automaten ausdrucken und wieder raus rennen, um zu beweisen, dass wir beide ein Ticket nach Delhi hatten. Wir durften sofort in den Flughafen hinein.
Dann standen wir vor einer ewigen Schlange schwitzender Menschen. Ich pirschte mich an der Schlange vorbei und checkte, wohin diese überhaupt führte…zu einer „guten“ Airline. Weiter hinten im Terminal befanden sich die Check-in-Schalter unserer sehr guten Airline…keine Schlange. Wir konnten sofort unser Gepäck abgeben. „Physical Distancing“ hat diesmal funktioniert. Weiter zur Sicherheitskontrolle…
Hier wurde zwischen Weiblein und Männlein getrennt. Die Männerschlange war ziemlich lang und es war dort Usus, erstmal sein Handgepäck aufs Band zu legen und sich dann in die Schlange zu stellen. Zum ersten Mal hatte ich etwas Sorge um den Dienstlaptop, den ich mitschleppte – schließlich war ich bereits vor unserer Abreise auf die Idee gekommen, dass womöglich der Flugverkehr eingestellt werden würde und ich dann aus dem Hotel, wo auch immer, hätte arbeiten können.
Zwei Meter Abstand in der Schlange war natürlich wieder mal ein Träumchen – zwei Zentimeter waren die Realität. Aber wenigstens habe ich hinter der Kontrolle meinen Laptop wieder bekommen. Noch eine Stunde bis zum Abflug. Wir nahmen auf einem der vielen leeren Sitze in der Abflughalle des Flughafens in Goa Platz. Ein paar Sekunden später setzte sich sofort ein Herr neben uns. Arrg…. „Physical Distancing“ funktioniert so nicht wirklich. Also „Reise nach Jerusalem“ gespielt und umgezogen – diesmal auf einen Platz am Ende einer Sitzreihe – so hatte wenigstens einer von uns „Physical Distancing“ durchziehen können. Beim Blick aufs Handy ist mir dieses fast aus der Hand gefallen. Der Flug Paris – Delhi wurde inzwischen gestrichen. Plan A nach Bangalore hatten wir aufgeben, da Plan B nach Delhi zu reisen, besser erschien. Jetzt war die Maschine, die uns von Delhi nach Paris bringen sollte, ab Paris gestrichen worden…
Am Freitagmorgen hatte das Auswärtige Amt seine Sicherheitshinweise bezüglich eines Flugstopps für den kommenden Sonntag nicht aktualisiert. Wir hatten also immer noch daran geglaubt, dass es sich vielleicht um Fake News gehandelt hatte. Doch so „fake“ war das wohl alles nicht. Denn plötzlich hatte uns das Auswärtige Amt per E-Mail eingeladen, uns auf ihrer eigens neu kreierten Rückholprogramm-Seite „Rueckholprogramm.de“ zu registrieren. Die Registrierung nahmen wir noch im Taxi auf der Fahrt zum Flughafen vor und jetzt wo der Flug von Paris nach Delhi gestrichen war…
Während des zweistündigen Flugs nach Delhi spielten wir alle Varianten durch, die es noch gab. Das Problem: Flüge von Delhi nach Deutschland auf einer Umsteigeverbindung mit zwei unterschiedlichen Airlines bargen die Gefahr, am Transitflughafen zu stranden. Die Emirate hatten bis Freitag noch gar keine Einreisebeschränkungen erlassen – es war aber nur eine Frage von Stunden, bis diese kommen sollte. Wir waren da sehr misstrauisch. In Dubai zu stranden wäre wesentlich kostspieliger gewesen, als in Delhi zu verharren. Gleichzeitig waren tatsächlich am Freitag die Preise für Flüge via Dubai nach Deutschland dermaßen teuer geworden, dass das den finanziellen Spielraum von fast jedem Reisenden überstieg. Es gab noch eine Variante via Kiew in der Ukraine, doch die Ukraine ließ keine Deutschen mehr ins Land. Dadurch dass der Flug von Kiew nach Frankfurt mit einer anderen Airline als der Flug von Delhi nach Kiew stattfand, war die Gefahr groß, dass unser Gepäck in Kiew landen und wir damit in der Falle sitzen würden.
Der Vorteil von Uniformen ist der, dass man von ihr auf den Arbeitgeber schließen kann. Ich sah in der Ankunftshalle eine Dame mit blauer Uniform und sprach sie an, ob sie für die Airline arbeiten würde, mit der wir heute eigentlich nach Paris fliegen wollten. Sie bejahte es und auf meine Frage, ob denn der Flug von Delhi nach Paris heute Nacht tatsächlich gestrichen sei, war sie vollkommen überrascht und sagte, nein, der Flug würde planmäßig starten. Ich hatte einfach den Fehler gemacht und angenommen, wenn der Flug von Paris nach Delhi gestrichen sei, dass auch der Rückflug nicht durchgeführt werden würde. Da Indien allerdings schon vor dem 22. März möglichst keine Menschen mehr ins Land lassen wollte, wurde der Flug nach Delhi tatsächlich für Passagiere gestrichen und die Maschine als „Evakuierungsflug“ leer hierher geschickt. Gleiches wäre übrigens auch beim Flug ab Bangalore der Fall gewesen – nur wäre dieser Flug erst am Sonntag Morgen geflogen, womöglich zu spät, da ja ab dem 22. März keine internationalen Flüge durchgeführt werden durften.
Es fiel uns ein riesen Stein vom Herzen und tatsächlich schafften wir es nach Paris – und auch noch pünktlich. Der Flughafen Charles de Gaulle war morgens um 6 Uhr wie ausgestorben, obwohl zu dieser Zeit normalerweise Flugzeuge aus der ganzen Welt ankommen. Um 7.25 Uhr ging unser Flug nach Frankfurt. Nach der Landung auf dem Rhein-Main-Flughafen, musste unser Flugzeug auf einer Außenposition parken, obwohl so viele Flüge gestrichen waren. Die 50 Passagiere wurden in zwei Busse gestopft. Wer jetzt noch über das vermeintlich nicht mögliche „Physical Distancing“ in Indien lächelt oder sich beschwert, solle sich das hier mal auf der Zunge vergehen lassen. Am hessischen Tor zur Welt bekommt es der Flughafen nicht hin, mehr Busse einzusetzen, damit die Passagiere nicht dicht gedrängt wie in der Legebatterie zum Terminal gefahren werden müssen – obwohl wir aus einem Coronoa-Hochrisikogebiet wie Frankreich kommen. Gleichzeitig wurden Flugzeuge von Deutschlands größter Fluggesellschaft am Terminal 2 geparkt – obwohl diese normalerweise in Terminal 1 beheimatet ist. Die Fahrt zurück nach Mainz hingegen war angenehm. Die S-Bahn pünktlich und leer und „Physical Distancing“ problemlos möglich.
Zurück in Mainz wollten wir uns vom Rückholprogramm des Auswärtigen Ams abmelden. Doch das ging leider nicht. Stattdessen werde ich nun täglich von Delhi aus angerufen. Bisher habe ich jeden Anruf leider verpasst. Es ist aber ein verdammt gutes Gefühl zu wissen, dass Dich die deutsche Botschaft nicht im Stich lässt und Dich versucht nach Hause zu holen, Dir Hotellinks schickt und Dich virtuell wunderbar betreut. An dieser Stelle auch nochmals ein großes Dankeschön an das Auswärtige Amt und seine diplomatischen Vertretungen. Seit vergangenen Mittwoch erklärt der Deutsche Botschafter in Indien per täglicher Videobotschaft genau, was wir Landsleute machen sollen, was gerade in Indien passiert und wann der erste Flieger gehen soll. Er ist für Mittwoch Abend den 25. März geplant…ab Delhi mit 500 Leuten an Bord eines Airbus A380! Plan B hätte auch als Plan B2 funktioniert. Glück gehabt!
Nachtrag: Der internationale Luftverkehr ab/nach Indien wurde tatsächlich am 22. März eingestellt. Es wurde für den 22. März eine freiwillige Ausgangssperre landesweit verhängt. Seit dem 23. März ist es praktisch unmöglich, zwischen zwei Bundesstaaten per Zug oder Taxi zu reisen – der UK-Guru hatte mit etwas Zeitverzögerung doch noch Recht behalten. Der innerindische Luftverkehr wurde am Ende des 24. März gestoppt. Die Deutsche Botschaft hat ihren Landsleuten ein „Laisser Passer“ Dokument (Passierscheine) ausgestellt, das rein theoretisch die Möglichkeit bietet, noch nach Delhi zu gelangen. Ob dies tatsächlich noch funktioniert, darf bezweifelt werden.
Fazit: Das Reisen ist mit Hilfe des Internet tatsächlich leichter geworden – vielleicht zu leicht. Es bleibt wichtig, jede Reise, aber insbesondere Reisen außerhalb Europas gut zu planen. Das fängt bei der Gesundheitsvorsorge an (Impfungen, Reiseapotheke), geht über das Lesen von Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amts hin bis zur Information über das Tagesgeschehen in den lokalen Medien und auf den Seiten der Behörden vor Ort und durch Kontakt mit den Einheimischen. Oftmals sprechen viele Backpacker ja davon, dass sie Reisende und keine Touristen seien. Wenn man auf der einen Seite Touristen mit Pauschaltouristen gleichsetzt, die durch einen Tour Guide alles organisiert bekommen, und man selbst andererseits als Individualtourist sich als Reisender sieht, dann sollte man auch in solchen Krisenzeiten, möglichst alles selbst organisieren und sich nicht per WhatsApp beim Stern beschweren, dass niemand einem direkt unter die Arme greift oder sich darauf verlassen, dass einem die Deutsche Botschaft am Ende den Hintern rettet. Denn ansonsten wirkt dieses sich von Touristen unterscheiden wollen leider nur selbstverliebt und vollkommen abgehoben.
Liest Du eigentlich (noch) Reiseberichte? Der Trend von vergangenen Reisen zu berichten war Anfang der 2000er Jahre entstanden, als es plötzlich möglich war, per E-Mail über den Kreis von Freunden und Familie hinaus vom Abenteuer in der Welt zu berichten. Kaum einer derjenigen, die damals Reiseberichte schrieben, hatte im Sinn, damit ein wenig Geld geschweige denn seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Damals war es schlicht unmöglich, „Reichweite“ zu erzielen – es gab die Multiplikatoren Facebook, Twitter, Instagram und Co. noch gar nicht. Trotzdem hatte auch ich meinen Spaß, ab 2001 meine Erlebnisse zunächst per E-Mail an Freunde und Bekannte zu versenden.
Als die ersten Webseiten entstanden und die sozialen Netzwerke plötzlich da waren und damit auch die Möglichkeit viral (!) zu gehen, entstanden ab 2008 die ersten Reiseblogs. Der Beruf des Reisebloggers etablierte sich, die Inhalte professionalisierten sich und die Reiseberichte der „Amateure“ verschwanden von der Bildfläche. Auch ich verfasste ab 2008 kaum noch Reiseberichte und widmete mich mehr der Fotografie auf Auswärtsspielen von Mainz 05 und der Publikation der Bilder auf meiner neu eingerichteten Webseite „Meenzer on Tour“.
Während viele Reiseberichte darauf abzielten, zu zeigen, was für ein Abenteuer man gerade absolviert hatte, bieten viele Blogs seither die Möglichkeit zum „Nachmachen“ an. Die Leser*innen sollen Lust bekommen, selbst auf Reisen zu gehen. Und viele Menschen tun dies auch – was meiner Meinung nach eine prima Sache ist. Der Horizont wird erweitert, die Einheimischen profitieren vom vor Ort ausgegebenen Geld und vielleicht lernt man seinen deutschen Reisepass und den Alltag in Deutschland im Ausland erst richtig Wert zu schätzen. Das Reisen funktioniert dank des Internets wunderbar, wenn alles reibungslos läuft. Vorbei die Zeiten, als ich mit Hilfe eines Kurzwellenempfängers die Deutsche Welle suchen musste, um Nachrichten zu empfangen. Vorbei die Zeiten, Reisen mit Hilfe von Reiseführern, die bereits Jahre zuvor geschrieben wurden, vorzubereiten. Vorbei die Zeiten, meinen Eltern mit Hilfe eines 20-Dollar- Telegramms mitzuteilen, dass „allesgut“ (ein Wort und daher billiger) sei. Wie gesagt, das Reisen funktionierte auf einmal dank des Internets kinderleicht, so dass es plötzlich für jede und jeden möglich war, in den entferntesten Winkel der Welt aufzubrechen. Recherche? Reisevorbereitung? Plan B? Worst Case Scenarios? Geschenkt! Ergooglen lässt sich ja immer alles. Und wenn nicht? Dann sind wir im Jahr 2020 beim Reisen zu Zeiten von Corona angekommen und bei unserer aktuellen Reise durch Indien im März 2020.
Noch in Indien am Freitagabend lasen wir einen Stern-Artikel mit dem Titel „Die wollen hier keine Deutsche mehr – in Indien gestrandete Deutsche bitten verzweifelt um Hilfe“. Dort wurde berichtet, dass eine Gruppe von Deutschen, die wie wir in Goa vorher verweilten, nun in Mumbai festsaß. Die Gruppe startete via WhatsApp an den Stern einen virtuellen Rundumschlag gegen die deutsche Botschaft in Delhi, das Konsulat in Mumbai, die Inder an sich und die Airlines – weil ihnen die deutschen Beamten vor Ort angeblich nicht halfen, die Inder wegen des Virus Aversionen gegen Deutsche hätten und sie nicht mehr beherbergten und die Airlines sie nur abzocken wollten. Die Fehler und Verfehlungen wurden nur bei anderen gesucht. Eigenes Handeln kommt in dem Artikel gar nicht vor. Vielleicht ist es daher doch an der Zeit, mal wieder einen Reisebericht zu verfassen – über die Notwendigkeit auch in Zeiten des Internets eine gewisse Verantwortung für sich selbst zu übernehmen – egal ob in Indien oder zu Hause.
Am 6. März, einem Freitag, starteten wir vom Frankfurter Flughafen aus unsere Reise durch Indien. Zu diesem Zeitpunkt hätte eigentlich die touristische Messe schlechthin, die Internationale Tourismusbörse in Berlin, stattfinden sollen. Sie wurde genau eine Woche vorher, am 28. Februar, abgesagt – fünf Tage bevor sie am 4. März starten sollte. Solche kurzfristigen Änderungen sollten sich wie ein roter Faden auch durch unsere Reise ziehen. Wir hatten bereits Tage vor dem Start unserer Reise Befürchtungen, dass uns das Virus einen Strich durch Rechnung machen würde und wir die Indien-Reise nicht werden antreten können. Schließlich verleitet zunächst zögerliches Handeln bei uns Menschen oft dazu, in Panik übertriebene Maßnahmen einzuführen.
Bei der Abfahrt mit der S-Bahn in Mainz schien noch alles wie immer zu laufen. Die Bahn war gut gefüllt, halbwegs pünktlich, doch als wir am Flughafen ankamen war die Abflughalle bereits ziemlich leer. Die Sicherheits- und Passkontrolle absolvierten wir fast alleine. Dahinter wurden wir im Duty Free-Bereich erstmal auf andere Gedanken gebracht: „Happy Holi“. Traditionell stammt Holi aus Indien und findet in der ersten Vollmondnacht im Pahlguna Monat des Hindukalenders Ende Februar bis Ende März statt. In diesem Jahr war dies der 9./10. März. Im Duty Free Shop war alles auf Indien getrimmt – mit bunten Elefanten und Hindi-Schriftzügen, die über einen Discount zu Holi informierten. Außer uns machten auch ein paar Inder*innen Selfies vor dem bunten Elefanten. Andere Fluggäste gab es nicht im Duty Free Bereich. Beim Einsteigen ins Flugzeug wurden wir penibel auf unser Visum kontrolliert. Es handelt sich zwar um ein elektronisches Visum – aber einen Ausdruck, zumindest im Handy, sollte man genau aus diesen Gründen immer vorweisen können. Wir waren allerdings fast die einzigen Leute mit einem Visum – die große Mehrzahl der Menschen stammten aus Indien oder Nordamerika mit indischen Wurzeln, die gar keine Einreiseerlaubnis brauchten.
Als die Maschine abhob, waren wir froh, es geschafft zu haben – trotz der sich anbahnenden Corona-Krise noch nach Indien zu starten. Und plötzlich fiel uns auf, dass der Jumbo höchstens halb besetzt war. Dass mit halbleeren Maschinen nicht dauerhaft geflogen werden kann, war uns auch klar und wir rechneten schon damit, dass es bald Flugstreichungen geben würde. In den nächsten zehn Stunden konnten wir uns dann schon einmal ausmalen, wie wohl die Einreise nach Indien verlaufen würde. Schließlich gab es in Deutschland bereits mehrere hundert Corona-Fälle, in Indien aber genau drei. Allerdings wurden wir vor der Abreise mehrmals gefragt, ob es nicht leichtsinnig sei, gerade jetzt nach Indien zu reisen. Natürlich stimmten die gerade erwähnten Zahlen nicht. Natürlich war das Virus längt schon in Indien angekommen. Aber das Land ist ein vielfaches größer als Deutschland und die Region, in die wir reisen wollten, galt zum damaligen Zeitpunkt sogar noch als Corona-frei. Rein theoretisch machten wir folglich das einzig vernünftige. Wir schützten uns vor dem Virus, indem wir Deutschland verließen. Diesen Satz äußerten wir so natürlich nicht wirklich, aber wir Deutsche haben immer so einen Hang zu glauben, dass es bei uns am sichersten sei und andere Länder von uns lernen könnten. Das ist sicherlich manchmal der Fall, doch eine Beratungsresistenz ist im Fall von Deutschland sicherlich unangebracht. Es gibt auch andere Länder, die etwas auf dem Kasten haben.
Zielort unseres Flugs war die Hauptstadt des indischen Bundesstaats Karnataka: Die IT-Metropole Bangalore. Dort mitten in der Nacht angekommen, wurden wir gleich mal ins kalte Wasser geschmissen: Kaum die Flugzeugbrücke verlassen, gab es das erste Chaos. Schon damals am 7. März standen wir voll auf „Physical Distancing“. Wir hatten eigentlich keine große Lust, mit hunderten von anderen Reisenden in einer Schlange zu stehen. Abstände in einer Schlange in Indien lassen sich zudem nie in Metern sondern eher in Zentimetern angeben. Doch es gab gar keine Schlange, sondern ein großes Gewusel. Es musste zur im Flugzeug bereits erhaltenen Einreisekarte noch eine „Corona“-Karte in zweifacher Ausführung ausgefüllt werden: Passdaten, E-Mail-Adresse, Handynummer und Angaben über den Aufenthalt in anderen Ländern innerhalb der letzten 14 Tage. Die Leute füllten die Karten auf dem Teppichboden, auf dem Rücken der Vorderleute oder auf dem Hartschalenkoffer aus. Danach ging es ums Vordrängen, um endlich einreisen zu können. Am ersten Check-Point wurde geprüft, ob die „Corona“-Karte komplett ausgefüllt war. Um dorthin zu gelangen, war massiver Ellbogeneinsatz nötig, denn das indische Schlangestehen hat eher etwas von Wrestling als von Vorfahrt gewähren. Danach mussten wir einen Beamten des Gesundheitsamts passieren, der mit einer Art Wärmebild-Pistole bewaffnet war. Hätten wir Fieber gehabt, wären wir bereits hier aussortiert worden. Cool bleiben war jetzt die Devise – im wahrsten Sinne des Wortes. Mit einem Wink wurden wir vorbeigelassen und durften den ersten Durchschlag der Corona-Karte abgeben.
Danach ging es zur Einreise, die dann recht unspektakulär erfolgte – allerdings an einem separaten Schalter für Leute mit E-Visum. Natürlich hatten wir uns erst in der falschen Schlange eingereiht, aber wir waren einfach schon mal glücklich, um zwei Uhr nachts Lokalzeit einen großen Schritt Richtung Einreise absolviert zu haben. Die zweite „Corona“-Karte mit der Einreisekarte abgegeben, Bild gemacht, Fingerabdrücke gemacht, bereit gestelltes Desinfektionsmittel danach genutzt und den Einreisestempel in den Pass gedrückt bekommen. Das Gepäck war auch schon da und am Zoll interessierte sich niemand wirklich für uns. Welcome to Incredible India! Und damit ging es an die wichtigen Dinge nach der Ankunft in einem fremden Land: Geld, SIM, Transport.
Es gab genau zwei Geldautomaten in der internationalen
Ankunftshalle. Und beide akzeptierten weder Visa noch MasterCard. Daher hieß es
Geld tauschen. Dafür musste der Pass mit den 100 Euro ausgehändigt werden. Es
wurde eine Kopie vom Visum, vom Einreisestempel und den personenbezogenen Daten
gemacht. Das machte Angestellter Nummer 1. Angestellter Nummer 2 untersuchte
die beiden 50 Euro-Scheine auf ihr Aussehen. Eingefärbte Geldscheine oder
Banknoten mit Rissen werden in Indien oft zurückgewiesen. Unsere druckfrischen
Noten passierten den Test und ich durfte in einem Formular meinen Namen,
E-Mail-Adresse, Adresse etc. eintragen. Zwischendurch wurde noch der Kunde vor
mir fertig bedient – alles so zwischendrin. Meine Euro-Scheine sah ich
zwischendurch auch nicht mehr. Aber es hatte alles seine Ordnung. So nach zirka
15 Minuten hatte ich dann meine Rupien in Empfang nehmen können.
Das mit der SIM-Karte, sprich dem Kauf einer lokalen Karte
fürs Telefon, verschoben wir auf den nächsten Tag, es war schließlich bereits
drei Uhr morgens. Schnell ein vorausbezahltes Taxi am Schalter neben dem
Geldwechselbüro organisiert und schon fuhren wir mit dem Taxi ins
Flughafenhotel. Am nächsten Morgen ging es nach einem ersten leckeren indischen
Frühstück die 40 km in die Innenstadt von Bangalore. In der Metro gab es erste
Hinweise zu Corona, die mit „Don’t panic, be aware“ zusammengefasst wurden. Wir
empfanden diesen pragmatischen Umgang mit der anstehenden Pandemie als angenehm
gelassen. Klopapier und Hamsterkäufe gab es in Indien nicht. Einerseits da sich
Inder meist mit der linken Hand den Hintern abputzen und Supermärkte
andererseits in Indien noch ein Novum sind.
Bangalore ist die am westlichsten geprägteste Stadt Indiens. Daher gibt es hier dann doch bereits Shopping Malls mit kleinen Supermärkten, die zum Glück Katzen- und Hundefutter für uns bereithielten – unterstützen wir doch gerne auf unseren Reisen die Vierbeiner, die kein Zuhause haben. Tierheime gibt es in vielen Ländern überhaupt nicht und Kastrationsprogramme leider auch nicht. Aber den Tieren den Vorwurf zu machen, sich zu vermehren, wie beispielsweise bei uns den Stadttauben, ist halt wieder mal eine Bequemlichkeitsdenke von vielen von uns. Egal ob Taube, Hund oder Katze – es waren Menschen, die diese gezüchtet haben und daher haben wir meiner Meinung nach gegenüber diesen Kreaturen auch eine gewisse Verantwortung.
In den Shopping Malls gab es leider keine SIM-Karten zu kaufen. Aber in Indien gibt es immer jemanden, der etwas organisieren kann. So erzählte ich dem Hotelpersonal von meiner Not und eine Stunde später hatte ich meine SIM-Karte – natürlich zu einem Aufpreis, aber diesen Service habe ich natürlich gerne bezahlt. Es gibt sicherlich angenehmere Dinge, als in einer 10-Millionen-Metropole durch die Straßen zu irren und eine SIM-Karte zu suchen. Außerdem stand auch noch das Problem der Geldbesorgung auf dem Tagesplan. Beim Ableger einer französischen Großbank funktionierte dann die Kreditkarte und wir erhielten 10 000 Rupien (ca. 120 Euro). Bangalore zeichnet sich weniger durch Sehenswürdigkeiten wie das Rote Fort oder die Mausoleen in Delhi oder die tolle Lage auf einer Landzunge wie Mumbai aus. Bangalore besticht eher durch seine Gärten und Parks aber vorallem durch seine Pubs. Bier in Indien abseits der großen Hotels zu bekommen ist oft unmöglich. An vielen heiligen Orten gibt es sogar ein Alkohol- und Fleischverbot – und in Indien sind sehr sehr viele Plätze heilig. Anders hier in Bangalore – dort gibt es mittlerweile mehr als 50 Mikrobrauereien und Biergärten! Und ein Heavy Metal Festival, das mit dem berühmten Pendant in Wacken kooperiert! Daher wollten wir in 14 Tagen hier unsere Reise beenden und am Bangalore Open Air 2020 teilnehmen.
Am nächsten Tag wollten wir unsere Barreserven weiter füllen. Leider haben wir an einem anderen Bankautomaten als am Tag zuvor die Kohle besorgen wollen und wieder funktionierte das Abheben nicht. Angeblich sei die Kreditkarte gesperrt oder kaputt. Solche Horrormeldungen habe ich schon öfters auf Reisen gelesen und ich machte mich erstmal nicht verrückt. Als ich dann fünfzehn Minuten später am Geldautomaten vom Vortag auch kein Geld bekam wurde ich dann doch etwas unruhiger. Meine Kreditkarte hatte ein Limit von 300 Euro pro Tag. Da ich vorher bereits versucht hatte, 300 Euro abzuheben und das nicht klappte, versuchte ich mich damit zu beruhigen, dass dieser Betrag wohl erstmal geblockt wurde und irgendwann nach vielleicht einer Stunde wieder freigegeben wird, wenn die Abhebung tatsächlich nicht funktionierte. Das war auch diesmal so. Eine Stunde später hatte ich am gleichen Automaten endlich genug Geld für die nächsten Tage in der Hand – denn Geldautomaten in Indiens Provinz mögen deutsche Kreditkarten oft nicht so gerne.
Der Hauptgrund, eine lokale SIM-Karte zu erwerben, lag an
unserem Hauptfortbewegungsmittel auf dieser Reise, dem Zug. Mussten wir auf
früheren Indien-Reisen Tage einkalkulieren, eine Fahrkarte zu erstehen, war es
Anfang 2020 plötzlich relativ einfach diese Wochen im Voraus online zu kaufen –
nach ein paar für Indien typischen Bürokratiehürden, die es zu überwinden galt
– für Inhaber*innen ausländischer Kreditkarten. Allerdings war an die
Online-Bezahlung der Tickets die Verpflichtung gekoppelt, sich die Fahrkarte ab
3 Tagen vor der Abfahrt per SMS zuschicken zu lassen. Indien und ausländische
Handynummern – das passt einfach nicht. Wer schon mal an einem indischen
Flughafen versucht hat, das Gratis-WLAN-Angebot zu nutzen, weiß wovon ich
spreche. Es muss immer eine Handynummer eingegeben werden, an die ein Code
verschickt wird. Der Code kommt grundsätzlich bei +49-Nummern nie an. Und
gleiches erwartete ich mit der SMS der indischen Bahn.
Mit der lokalen SIM hat das alles problemlos funktioniert und wir starteten am 9. März unsere Reise mit der indischen Bahn. Als wir im Januar die Fahrkarten kauften, war uns Corona zwar schon ein Begriff und ich fragte mich bereits damals, ob das noch was wird mit unserer Indien-Reise, zumal ich ein Deja-vu hatte. 2002/03 reiste ich innerhalb eines Jahres von Mainz Hbf. nach Mainz Süd – halt anders herum, sprich vom Mainzer Hauptbahnhof über Amerika und Asien statt durch den Tunnel, der die beiden Bahnhöfe miteinander verbindet. Im April 2003 sah ich mich in Indonesien plötzlich mit SARS konfrontiert. Diese Lungenkrankheit verfolgte mich dann bis in die Türkei im Juli 2003 via Malaysia, Burma, Bangladesch, Indien, die Emirate und den Iran. Auch zu SARS-Zeiten fuhr ich mit der indischen Bahn und ein „Physical Distancing“ war in der „Sleeper-Klasse“ damals gar nicht möglich. Allerdings reiste der Virus damals auch nicht so wirklich um die Welt, so dass ich eigentlich nur bei den Grenzkontrollen durch Fieber messen und „Fit-for-Travel“-Kartenausfüllen konfrontiert war. Ferner war es leichter SARS-Infizierte zu identifizieren, da diese erst ansteckend waren, wenn die Symptome wie Fieber und Husten offensichtlich waren.
Da ich auf überfüllte Abteile 17 Jahre später nicht mehr
wirklich Wert legte, hatten wir uns für ein „2 Tier“-Abteil entschieden: einen
Liegewagen mit vier Betten auf der rechten Seite des Gangs des Abteils und zwei
Betten links längs des Gangs. Damit war es durchaus möglich, auf Abstand zu
anderen Fahrgästen zu gehen. Die Reise nach Hospet verlief relativ ereignisarm.
In unserem Viererabteil kamen wir mit unserem indischen Abteilnachbarn ins
Gespräch. Das Schöne an Indien ist die Tatsache, dass viele Leute besser als
ich Englisch sprechen. Dazu sind viele Inder*innen sehr gebildet und
aufgeschlossen. So wird wie in unserem Fall eine Zugfahrt zu einem
interkulturellen Austausch über Gott und die Welt. Unser Gegenüber war Rentner
und fuhr für vier Wochen in einen heiligen Ort in der Mitte Indiens, um einem
Ashram ein wenig herunterzufahren. Dass wenige Wochen später die halbe Welt ein
Ashram werden würde, hatten wir am 9. März noch nicht wirklich erwartet.
Über Google Maps konnten wir den Zug in Echtzeit verfolgen. Aus einer Verspätung von einer Stunde wurde bei der Indischen Bahn schon mal eine pünktliche Abfahrt ein paar Stationen später, da die Bahn hier mit Puffern arbeitet. Leider gibt es in der indischen Bahn keine Speisewagen, so dass das von Händlern und der Bahn angebotene leckere Essen leider in Einwegverpackungen am Platz daherkommt.
Fast pünktlich trafen wir nach einer Tagesfahrt in Hospet
ein und ließen es uns die nächsten fünf Nächte in der Nähe von Hampi in der
Mitte Indiens gut gehen. In der ersten Nacht in Hampi war nun auch offiziell
Holi – wir bekamen davon wenig mit, da dieses Festival hauptsächlich im Norden
gefeiert wird. Ich hatte wegen Corona allerdings schon ein wenig die
Befürchtung, dass „Physical Distancing“ zu Holi in Indien wohl nicht
durchzusetzen sei – denn zu Holi schmieren sich alle mit bunten Farben das
Gesicht ein. Auch ich wurde am 10. März eingefärbt – aber die Angst, sich mit
Corona zu infizieren, war zu diesem Zeitpunkt bei mir eigentlich immer noch
nicht da – Indien hatte immer noch nur ein paar Dutzend Fälle – offiziell!
Dennoch starteten die indischen Behörden nun ihren
Aktionismus. Am 11. März 2020 wurde verkündet, dass alle Visa von Deutschen für
ungültig erklärt würden, sofern man noch nicht eingereist sei. Damit
bewahrheitete sich vier Tage nach unserer Einreise das, was wir bereits eine Woche
zuvor befürchteten: dass wir nun nicht mehr ins Land hätten reisen können. Das
Visum von Deutschen, die bereits eingereist waren, blieb allerdings gültig, so
dass wir zunächst nichts zu befürchten hatten.
Die Tage in der bizarren Felsen- und Tempelwelt Hampis waren anstrengend und traumhaft zugleich – so wie es in Indien eigentlich immer ist. Anstrengend, weil es schlicht zu heiß war. 35° C um 10 Uhr morgens sind einfach zu viel. Traumhaft, weil dieser Landstrich einfach wunderschön ist. Wir konnten am Flussufer von Tempelruine zu Tempelruine spazieren, auf Felsen klettern, den Tempelaffen beim Futtern zuschauen und das leckere indische Essen genießen. Beim Hinaufklettern auf einen Tempelberg machte uns die Unmöglichkeit des „Physical Distancing“ mal wieder zu schaffen. Privatsphäre gibt es in Indien nicht. Das Recht am eigenen Bild auch nicht. Und so mussten wir beim Hinaufklettern auf einen Tempelberg mehrmals ungefragt für Selfies mit Inder*innen posieren. Natürlich hätten wir das abschlagen können – aber wir sind hier die Gäste. Das ist in Indien halt normal und es hätte ziemlich rüde gewirkt, wären wir wild gestikulierend der Masse entflohen. Wer so etwas nicht mag, der sollte nicht nach Indien fahren.
Reisende in Indien sind oftmals so bizarr, wie Inder*innen. So laufen viele Fremde in den lokalen Klamotten durch die Gegend, färben sich die Haare mit Henna und geben den Guru. Trotzdem sind diese Menschen oft angenehme Zeitgenossen und Traveller Talk mit diesen ist meist sehr lustig. Was allerdings der UK-Guru mit seinem wunderbaren britischen Englisch so berichtete, gefiel uns gar nicht. Angeblich würden Reisende aus Hampi, das ebenfalls im Bundesstaat Karnataka lag, an der Weiterfahrt in den Bundesstaat Goa gehindert – wegen Corona. Bisher machte das Virus uns keinen Strich durch die Rechnung, doch wenn wir nun aus der staubigen Hitze Hampis nicht ans Meer fahren durften, wäre das natürlich ziemlich ätztend gewesen. Daher machten wir uns nach dem Gespräch gleich auf die Suche nach funktionierendem WLAN – das leider in Indien nicht immer so wirklich vorhanden ist. Auch das mobile Internet mittels lokaler SIM gab hier in der indischen Einöde nur „Edge“ her.