„Fast“ geht vor „fair“

Update: 25. Juni 2020, 15:25 Uhr – offizielles Statement von Mainz 05 durch Dr. Michael Welling am Ende des Blogbeitrags.

Diese bizarre Bundesliga-Saison 2019/2020 neigt sich dem Ende zu. Was passiert zum Ende jeder Spielzeit? Wahlweise frustrierte oder euphorisierte Fans im TV-Bild? Anzunehmen, diesmal allerdings am Tressen statt am Wellenbrecher! Bierduschen auf dem Platz? Pandemie-bedingt vielleicht diesmal eher nicht! Motto-Shirts aus der Marketingabteilung? Definitiv: wahlweise mit dem Konterfei eines Publikumslieblings, der seine Karriere beenden oder woanders fortsetzen wird – oder einem Spruch, der auf die gerade beendete Saison gemünzt ist.

Wir können uns das bildlich vorstellen, wie die Verantwortlichen jeder Marketingabteilung aller Bundesligisten gemeinsam mit einer Kreativagentur spätestens ab dem 30. Spieltag an einem entsprechenden Konzept tüfteln. Wenn jenes Ereignis eintritt, dann zieht Plan A. Tritt es nicht ein, greift Plan B etc.

Mainz 05-T-Shirts mit Bezug auf Menschenrechte gab es auch in der Vergangenheit – damals waren Fair Fashion und Fast Fashion allerdings den wenigsten Protagonisten bekannt. Das sollte sich mittlerweile geändert haben.

Dieses Jahr ist ja wie schon geschrieben alles ein wenig anders. Dass die Zuschauer im Stadion fehlen, ist nicht nur bei diesem Thema Nebensache. Verkaufsmöglichkeiten gibt es ja auch außerhalb des Stadions genug. Umgekehrt kann das natürlich wunderbar thematisiert werden. Dieser Ball wurde auch von Mainz 05 bereits vor dem Spiel gegen Werder Bremen aufgegriffen. Ansonsten hätten sich die Spieler und Verantwortlichen das diesjährige Motto-Shirt nicht unmittelbar nach dem Abpfiff überstreifen können. Auf diesem sind die Aussagen abgedruckt, dass acht Meistertitel in Folge „langweilig“, elfmal den Klassenerhalt am Stück sichern „Mainzer Weltklasse“ und pandemiebedingt einmal kein gemeinsames Feiern durchzuziehen „schmerzhaft“ sei. Den großen Bayern mal als kleines Mainz mit Humor ans Bein zu pinkeln ist närrische Tradition – klein gegen groß – und daher meiner Meinung nach absolut in Ordnung. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Das soll hier, anders als in den sozialen Netzwerken, aber gar kein Thema sein.

Dass es dieses T-Shirt nicht unmittelbar nach dem Abpfiff online und ab Montag dieser Woche im Fanshop zu erwerben gab, macht die Aktion noch sympathischer. Ich möchte nicht wissen, wieviele T-Shirts in hohen Chargen in eben beschriebenen Brainstormings zwischen Marketing-Leuten und Kreativen entworfen und produziert wurden, um sie, nachdem Plan A nicht eingetreten war, klammheimlich in der Tonne zu entsorgen. Mainz 05 ging hier einen anderen Weg. Der Verkauf startete erst am Dienstagabend dieser Woche über die verschiedenen Vertriebskanäle mit dem Hinweis, dass es sich um eine Vorbestellung handeln und diese spätestens zum 5. Juli 2020 in den Versand gehen würde. Das ist mehr als löblich. Es wird quasi nur die Menge produziert, für die eine Nachfrage besteht. Nachhaltig ist dieses Handeln aber dennoch nicht.

Ob Baumwolle konventionell oder bio angebaut wird, macht für die Menschen vor Ort, z.B, in Indien, einen großen Unterschied. Der Preisunterschied in Deutschland ist jedoch sehr gering.

Um wirklich nachhaltig produzierte T-Shirts herzustellen, ist nicht nur der gerade genannte ökonomische Aspekt zu betrachten. Es geht auch um ökologische und soziale Dinge. Diese Punkte wurden leider nicht beachtet. Beim Anbau von Bio-Baumwolle wird u.a. auf den Einsatz von Pestiziden und Herbiziden zur Bekämpfung von Schädlingen und „Unkraut“ verzichtet. Wir alle machen uns Gedanken ums Insektensterben. Da sind Baumwollplantagen, die mit Insektiziden bearbeitet werden, der falsche Ansatz. Um die Böden vor dem Auslaugen zu schützen, werden Biobaumwollfelder in Form einer Mischkultur betrieben. Alternativ wird die so genannte 3-Felder-Wirtschaft genutzt. Ziel des Bio-Baumwollanbaus ist es auch immer, dass die Kleinbauern möglichst autonom arbeiten. Im konventionellen Anbau sind diese durch den Kauf von Dünger, gentechnisch verändertem Saatgut und den genannten Chemie-Keulen von Dritten abhängig. Dieser soziale Aspekt ist der dritte Baustein, wenn es um nachhaltiges Wirtschaften geht. Denn mit der Ernte der Baumwolle durch unabhängige Kleinbauern ist es ja nicht getan. Diese muss verarbeitet und das T-Shirt genäht werden. Labels wie der „Global Organic Textile Standard“ „Faitrade“ oder der „Blaue Engel“ sorgen dafür, dass entsprechende Ware zertifiziert und für uns Verbraucher eindeutig als ein Produkt identifiziert wird, das unter Bedingungen hergestellt wurde, die sich deutlich von dem „Standard“ unterscheiden, die bei der konventionellen Produktion von T-Shirts angewendet wird.

Bei fairem Handel wird auf die Wahrung von Menschen- und Arbeitsrechten geachtet. Es geht um das Recht, Gewerkschaften zu gründen, Arbeitssicherheit, Vermeidung von Diskriminierung, humane Arbeitszeiten und existenzsichernde Löhne (und nicht nur Mindestlöhne, wie beim staatlichen Label „Der grüne Knopf“). Kinderarbeit ist natürlich auch ein No Go. Für dieses Handeln wurde der Begriff „Fair Fashion“ etabliert.

Aus gutem Grund hat sich Mainz 05 entschlossen, mittlerweile viele Produkte im Fanshop anzubieten, die „Fair Fashion“-Kriterien entsprechen. Das ist mehr als vorbildlich. Umso weniger verständlich finde ich es allerdings, dass bei der Produktion des Saisonabschluss-T-Shirts genau auf solche Kriterien kein Wert gelegt wurde. Statt auf „Fair Fashion“ wurde bei diesem T-Shirt auf „Fast Fashion“ gesetzt. Die Gunst der Stunde, sprich der Nichtabstieg, sollte dazu genutzt werden, dass die Fans aus einem Impuls heraus das T-Shirt kaufen. Dabei muss das T-Shirt möglichst günstig sein, damit die Hemmschwelle zum Konsum recht niedrig liegt. Ein fair gehandeltes Shirt aus Bio-Baumwolle wäre sicherlich nicht für 10 Euro in den Verkauf gegangen. Aber hat es ein Verein wie Mainz 05 tatsächlich nötig, alles „mitzunehmen“ was geht? „Fast Fashion“ first, „Fair Fashion“ second. Ist das Leben der Bäuerinnen und Bauern, der Näherinnen und Näher nur etwas mehr wert, wenn es in den Rahmen eines Marketingplans passt?

#Whomademyclothes – mit diesem Hashtag fordern immer mehr Menschen Informationen zu den Bedingungen, unter denen die eigene Kleidung z.B. in Bangladesch hergestellt wurde.

Schließlich befindet sich auf dem Shirt auch noch das Hashtag #BLACKLIVESMATTER (BLM). „Schwarze Leben zählen“ steht also auf dem Shirt. Ohne dieses Hashtag der internationalen Bewegung, die sich gegen Gewalt gegen Schwarze Menschen einsetzt, wären die oben geschriebenen Absätze ein hehres Ziel gewesen. Dem muss sich ein Verein natürlich nicht verschreiben. Wenn der Verein allerdings auf seiner Seite in der Rubrik „Engagement“ das Kapitel „Mainz 05 hilft e.V.“ führt, in dem vom „karitativen Verein des Fußball-Bundesligisten“ die Rede ist, dann sollte es schon eine Rolle spielen, unter welchen Bedingungen ein Shirt produziert wurde – gerade wenn man Menschenrechte thematisiert. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Schwarze Leben zählen –  richtig so. Aber zählt das Leben bzw. die Bedingungen derjenigen, die das Shirt produziert haben, nicht genausoviel? 

Damit ist aber immer noch nicht geklärt, was die Aussage BLM auf dem Shirt zu suchen hat. Sie hat weder etwas mit der Meisterschaft der Bayern, noch mit dem Klassenerhalt oder dem nicht möglichen Feiern mit den Fans zu tun. Wieso steht es trotzdem auf dem Shirt? Entweder, um dem Zeitgeist und somit den „Fast Fashion“-Kriterien zu entsprechen. Das Hashtag gilt gerade als trendig, obwohl es die Bewegung bereits seit 2013 gibt. Ich kann mich nicht erinnern, dass es BLM schon einmal in der Vergangenheit auf ein Shirt von Mainz 05 geschafft hat. Oder es wird auf einen Teil der Spieler von Mainz 05 Bezug genommen. Da wäre dann allerdings eine sehr ungeschickte Brücke zur Hautfarbe geschlagen worden. Welche Hautfarbe Spieler von Mainz 05 haben, ist wahrscheinlich nahezu allen Fans und Mitgliedern egal. In dieser Saison haben den Klassenerhalt wieder mehr als 20 am Ball begabte Jungs hinbekommen – fertig (und gut so).

Gerade beim Fußball soll doch die Hautfarbe vollkommen egal sein. Sie bedeutet in der Kommunikation aber immer ein Ritt auf der Rasierklinge. Wie ich schon in meinem Blog „Aufräumen im eigenen Kopf“ schrieb, ist es quasi unmöglich, nicht in rassistische Denkmuster zu verfallen, wenn man von Rassismus selbst nie betroffen war. Erst neulich hat sich ein Mensch an der Hautfarbe einiger Spieler gestört und seine Mitgliedschaft bei Mainz 05 gekündigt. Der Verein hat diese Kündigung begrüßt und seine Antwort auf die Kündigung veröffentlicht. Das fand bundesweit fast durchweg eine positive Resonanz. Ein paar Tage später stellte der Verein einen Cartoon online, in dem Schwarze Menschen in einem Ruderboot zu sehen waren. Dem Verein wurde in den sozialen Netzwerken sofort Rassismus unterstellt. Dass man mit den rudernden Mainz 05-Spielern aus dem Cartoon Flüchtlinge im Mittelmeer assoziieren kann, liegt auf der Hand. Zum Glück hat der Verein den Cartoon sehr schnell wieder offline gestellt.

Was den Verein letztlich dazu gebracht hat, den Hashtag abzudrucken, bleibt sein Geheimnis. Bei der Beschreibung des T-Shirts im Online-Shop wurde darauf nicht eingegangen. Auch im Statement zum Klassenerhalt vom Mittwoch wird kein Bezug auf das Hashtag genommen. Es hat fast den Anschein, dieses wird gegenwärtig wie ein Claim analog zu „Unser Traum lebt“ verwendet. Wortpiratin Mara hat dem Verein in ihrem Blogbeitrag für die AZ, den Ratschlag erteilt, er möge sich bei solchen Themen sensibilisieren, u.a. durch eine hohe Diversität bei den Mitarbeiter*innen. Vielleicht hätten diese tatsächlich entsprechende Bedenken geäußert und dazu geraten, auf das Hashtag zu verzichten und das Shirt lieber „fair“ als „fast“ zu produzieren. Auf ein paar Tage mehr beim Versand und eine geringere Absatzmenge aufgrund eines höheren Preises wäre es da sicherlich nicht angekommen – auf ein lebenswerteres Leben in Indien oder Bangladesch aber schon, das mit der Verwendung von fair gehandelten Shirts aus Biobaumwolle ermöglicht worden wäre. Und ein passendes Hashtag hätte ebenfalls abgedruckt werden können: #Whomademyclothes  

Offizielles Statement von Mainz 05 durch Dr. Michael Welling:

„Lieber Christoph, Danke für den spannenden Blogbeitrag und die Sensibilisierung für das wichtige Thema. Wie Du weißt, ist es uns wichtig, dass wir bei unseren Merchandising-Artikeln eine hohe Sensibilität an den Tag legen. Nicht immer gelingt uns dies. In diesem konkreten Fall ist es aber glücklicherweise so, dass die T-Shirts aus 100% Bio-Baumwolle sind, Ökotex 100, Fairwear und ein Vegan Zertifikat haben. Wir haben das aber nicht transportiert, weil wir nicht sicher sein konnten, dass es in der Kürze der Zeit überhaupt gelingt. Und: Wir können bei solchen Aktions-T-Shirts Stand heute auch nicht garantieren, dass es zukünftig immer gelingt. Auch deshalb haben wir das nicht in den Fokus gerückt.
Bitte begleite uns weiter kritisch, lege den Finger in die Wunde und transportiere das nach außen. Vielleicht sollten wir uns zukünftig direkter austauschen, damit Du die Hintergründe kennst. Komme jederzeit auf uns mit Fragen zu.“

Quellen:

Bio-Baumwollle vs. Nicht-Bio: Das sind die Unterschiede“ – watson

Grüner Knopf: Was taugt das erste staatliche Siegel für nachhaltige Kleidung? – Utopia.de

Fair Trade Kleidung bei Mode und Textilien“ – GREEN SHIRTS

Fast Fashion – Fakten, Ursachen, Folgen & Lösungen“ – CareElite

Wortpiratin: Auch im Fußball gilt: „Check mal Deine Privilegien“!“ – Allgemeine Zeitung Mainz

Bilder: Pixabay, privat