Die Würfel sind nun endlich gefallen. Nein, es geht diesmal nicht um die Bewertung der rot-weißen Jungs bei ihrem Auftritt in Sinsheim durch diverse Medien, sondern um die Entscheidung, wie sich Christian Heidel im Sommer beruflich orientiert. Seit seine Entscheidung am Sonntag offiziell verkündet wurde, wurden über die Person, die maßgeblichen Anteil an der Entwicklung unseres Vereins in den letzten beiden Jahrzehnten hatte, doch recht krasse Urteile gefällt. In der Tat hatte Christian Heidel noch einen Vertrag bis 2017 und diesen Fakt kann man ihm tatsächlich vorhalten – schließlich war er es, der den vorzeitigen Tuchel-Abgang ziemlich heftig kritisierte. Und seine aufrüttelnde Rede während der Mitgliederversammlung? Erst zwei Tage später kam das Gerücht mit dem Angebot der Königsblauen ans Tageslicht. Dass dieses von Heidel gestreut wurde, ist nicht anzunehmen. Und vielleicht hat damals der Fan Heidel und nicht der Manager Heidel aufgerüttelt. Bevor wir unser Urteil über einen Menschen fällen, den die meisten von uns persönlich gar nicht oder kaum kennen, gebührt es die Fairness, seine Sichtweise einzuholen – auch in Zeiten von Internet und den sozialen Netzwerken. Und das Warten dauerte ja auch nur bis Montag Mittag zur Pressekonferenz.
Auch nach dieser ist es sicherlich vermessen, ein Urteil über Christian Heidel zu fällen. Doch seine Erklärungen sorgen bei mir als Mainz 05-Fan für ein gewisses Gefühl, seine Entscheidung nachvollziehen zu können. Wie oben geschrieben, geht es um seine berufliche Neuorientierung. Wir nahmen immer an, er sei mit der größte Fan seines 1. FSV Mainz 05. Und wird sich da etwas im Sommer bei ihm verändern? Auf Schalke angesprochen, redet er von „Herausforderung“ statt von „Chance“ und davon, dass es gar nicht zunächst um den Verein aus Gelsenkirchen geht, sondern um die Veränderung. Als S04-Fan würde ich hier einen Kackreiz bekommen, denn dieser blau-weiße Traditionsverein scheint für ihn aktuell keine Herzensangelegenheit zu sein. Und das monatelange Herumgeeiere, was allgemein als ziemlich unprofessionell abqualifiziert wurde, ist sicherlich Ausdruck davon, dass ihm die Entscheidung nicht wirklich einfach gefallen ist, auch wenn er bereits seit eineinhalb Jahren über einen Weggang nachdachte, also just in dieser Zeit, als wir ohne Trainer dastanden.
Wäre er damals kühl genug gewesen, hätte er Tuchel folgen können und der Verein wäre womöglich daran zerbrochen. Sein „Missverständnis“ mit Kaspar hat er ausgebügelt und nach dem geglückten Klassenerhalt das Angebot aus Schalke erhalten. Wenn man das mal so aneinander reiht, ist es durchaus schlüssig, sich beruflich neu zu orientieren. Denn um nichts anderes geht es hier. Wenn wir Fans ihn jetzt nicht rucki zucki vom Hof jagen, wird er sicherlich Fan unseres, ja seines Vereins bleiben, sofern er das je war (was man durchaus getrost annehmen kann). Wer kann sich beruflich lebenslang motivieren, unter den gegebenen Bedingungen, Top-Leistungen abzurufen und gleichzeitig fürchten zu müssen, dass die nächste Transfer-Periode vielleicht mal komplett in die Hose geht und man ihn dann womöglich wegen Fehlern dann doch ersetzen will? Und Fehler legen ja jetzt seine Kritiker auch offen. Aber wer ist schon unfehlbar? Und wenn man dann an eben jenem Verein hängt, gerät man vielleicht eher in einen Zwiespalt als jemand, der seinen Vertrag einfach absitzt und dem der Verein völlig Latte ist.
Es wurde auch viel von Emotionen in den letzten zwei Tagen geschrieben und gesprochen. Fußball sei emotional und bei so einer Entscheidung seien auch mal derbere Töne angebracht. Aber was hat Christian Heidel denn uns persönlich weggenommen? Die Naivität zu glauben, dass hier in Mainz die Uhren anders ticken, wenn es ums Geschäft geht? Ich nehme Heidel ab, dass es nicht um die Kohle ging, sondern darum, in seinem Leben tatsächlich nochmal beruflich etwas anderes zu machen. Schließlich ist es sein Leben und was haben wir da mitzuentscheiden? Und ein besonderer Verein sind wir doch schon lange nicht mehr, wenn man mal die rot-weiße Brille abnimmt. Wir sind ein Verein, der nirgends anecken möchte (leider), dessen Fans kaum noch auswärts fahren (sehr schade), der finanziell sehr solide geführt wird (gut so). Aber was macht diesen Verein für Außenstehende da nun besonders? Es liegt doch an uns selbst, unseren Verein für uns zu etwas besonderen zu machen. Für den es sich lohnt, viel, vieles oder alles zu geben. Das kann man doch nicht von einer Einzelperson abhängig machen. Was ich besonders an der aktuellen Situation finde, ist die Tatsache, dass es Zeiten gab, zu denen ein Manuel Friedrich zwecks beruflicher Neuorientierung nach Bremen ging und heute ein Rouven Schröder zwecks beruflicher Neuorientierung von Bremen nach Mainz kommt.
Das zeigt die Veränderung, die unser Verein auch dank Heidel durchgemacht hat. Manche sagen ja jetzt, es ist gut, dass er geht, denn vieles ist in den letzten Jahren eingefahren. Wieviel Heidel davon „anzulasten“ ist? Keine Ahnung, aber wir haben jetzt die Chance, uns nicht mehr hinter dem großen „Don“ verstecken zu müssen und in der Komfortzone, zum Beispiel im Supporters-Bereich der Gegengeraden in vergangenen Zeiten zu schwelgen, sondern endlich mal wieder unsern Hintern hochzubekommen und unseren Verein zu etwas für uns Besonderen zu machen. Ungewissheit wird leider viel zu sehr als Bedrohung, denn als Chance angesehen. Heidel möchte seine „Herausforderung“ nutzen. Lasst uns unsere „Chance“ nutzen! Und statt ihm beruflich alles Schlechte zu wünschen, lasst es uns wie Manuel Friedrich halten: „Für mich gibt es nur Mainz 05 – alles andere ist der Rest der Welt!“.