Julee…
…kann auf Ladakhisch vieles heissen, z. B. „Hallo“ und so gruesse ich Euch heute aus dem indischen Himalaya. Nach drei Jahren Abstinenz vom Subkontinent der krassen Gegensaetze war die Sucht nach „Bahrat“, wie die Inder ihr Land nennen, nun doch so gross, dass es uns jetzt wieder mal gen Chaos pur zog.
Der Spiegel titelte letzte Woche „Ploetzlich und erwartet“ zur Euro Krise und so koennte man auch einen Aufenthalt in Indien betiteln. Das fing schon im Flieger nach Delhi an, da die Economy Class relativ voll, die Premium Economy aber leer war: Ploetzlich und erwartet liess sich nach dem Essen eine Inderin ohne zu fragen in den bequemeren Sesseln nieder und war erst nach Intervention der Crew wieder dazu zu bewegen, sich in die Holzklasse zu begeben.
Nach der Ankunft standen alle Passagiere gemeinsam in der Schlange vor den Einreisebeamten. Ploetzlich und erwartet fasste eine Hand den Wartenden vor uns von hinten an, doch mal weiter zu ruecken, obwohl eine gelbe Linie genau festlegte, bis wohin sich die Schlange bewegen durfte. Und ploetzlich und erwartet war auch meine Begegnung mit dem Wischmob in der Flughafentoillette von Delhi Airport, die blitzblank war. Schliesslich wartete der Wischmann direkt vor der Tuer und sobald jemand aus der Toillette trat, war seine Zeit mit dem Mob gekommen. So sass ich auf der Toillette und neben mir wurde gewischt und auch unter der Abtrennung hindurch bis zu meinen Schuhen. Ploetzlich und erwartet eben…
Dass sich Indien gerade in einer aeusserst interessanten Phase befindet, zeigte sich bei unserem eintaegigen Zwischenstopp in Delhi. Extreme Armut der fuenften Welt trifft hier direkt auf den Luxus der ersten Welt. Alleine schon die Taxifahrt mit einem verbeulten Gefaehrt, das sicherlich wesentlich aelter als ich selbst war, vorbei an Papphuetten in die Satelitenstadt Gurgaon auf einer Autobahn mit Mautstelle zeigte innerhalb von ein paar Minuten diesen Gegensatz. Auch die Fahrt mit der Fahrrad- oder Autorikschah zur hypermodernen Metro war irgendwie bizarr.
In der U-Bahn fand sich dann auch ein extrem bizarrer Strafenkatalog: Spucken 200 Rupien Strafe (65 Rupien = 1 EUR). Das Schwarzfahren war extrem billig mit 50 Rupien plus maximaler Fahrpreis von 30 Rupien – aber das Schwarzfahren war dank moderner Passierschleusen auch gar nicht moeglich. Guenstig war auch die Strafe fuer das Fahren auf dem Dach mit 50 Rupien! Welche Strafe einem Touri eher erwarten koennte, ist das unerlaubte Fahren im „Women Car“ mit 250 Rupien. Regt man sich dann vor einem Offiziellen mit Schimpfworten auf, wuerde dies die Top-Strafe von 500 Rupien kosten. Uebrigens koennte man auch die 50 Rupien Schwarzfahr-Strafe alternativ im Gefaengnis absitzen. Allerdings bekam ich nicht raus, wie lange man dafuer einsitzen muesste.
Nach einem Tag Metrofahren ohne Strafe aufgebrummt zu bekommen, ging fuer uns die Reise weiter. Zur sehr unchristlichen (und sicherlich auch sehr unhinduistischen) Zeit um 6.30 Uhr morgen (3.00 Uhr MESZ) nahmen wir den Spaetflieger (der andere hob um 5.45 Uhr ab) nach Leh. Der Grund warum die Flieger so frueh morgens unterwegs sind, liegt am Wetter unseres Zielorts. Leh liegt im Indus-Tal zwischen zwei Gebirgsketten im indischen Himalaya im Grenzgebiet zu Tibet und Pakistan. Da das Wetter tendenziell morgens am stabilsten ist und die Piloten nach Sichtflug direkt zwischen den Felsen den Flieger auf den Boden setzen, hatten wir keine Alternative, denn ueberland in ca. 4 bis 5 Tagen auf 3.600 Meter hinauf mit einem indischen Bus zu aechzen war fuer uns keine Alternative…
So nahmen wir den einstuendigen „Aufzug“ hinauf aus der unertraeglichen Hitze Delhis in die nicht weniger heisse Himalaya Provinz Ladakh. In Leh angekommen trafen uns drei Faktoren: Die Hitze folgte uns hierher, die Sonne strahlte im wahrsten Sinne des Wortes und das Hochbeamen von 0 auf 3.600 Meter fuehlte sich sehr rauschartig an. So hiess es fuer uns erstmal ausruhen und sich wirklich mal aklimatisieren – dank der Hoehe kamen wir aber auch erst gar nicht auf den Gedanken am ersten Tag viele Schritte zu gehen. Vielmehr mussten wir uns auf die Atmung konzentrieren, denn man bekam permanent das Gefuehl, nicht genug Luft zu bekommen, was insbesondere beim Einschlafen ein sehr existenziell bedrohendes Gefuehl sein kann. Nach ein paar Tagen war dieses Atemproblem dann vorbei und ich konnte sogar anfangen mal ein paar Bilder zu machen oder Notizen aufzuschreiben oder sogar endlich die herrliche Landschaft um Leh herum zu entdecken.
Die Stadt befindet sich inmitten einer Oase aus Gruen. Ringsrum liegen Gebirgsketten, nur vom Industal durchzogen. Die Berge sind alle vegetationslos und wuestenbraun. Die hoechsten Gipfel sind schneebedeckt und das Blau des Himmels erscheint schon manches Mal fast schwarz. Innerhalb von der Oase Leh kann man wunderbar an den von Lehmziegelmauern abgegrenzten Feldern auf kleinen Pfaden entlang laufen und so dem indischen Verkehrschaos entgehen. Denn obwohl die Ladakhis aussehen wie Tibeter mit ihrer braunroten Haut und den asiatischen Gesichtszuegen ist Leh vom Verkehr her sehr indisch. D.h. es wird dauergehupt, der Linksverkehr ist optional und die Kuehe omnipraesent. Die Hoehe schien auch die Tiere zu besonderen Hoechsleistungen anzutreiben, denn diese blockierten ploetzlich die gesamte Fahrbahn und liessen sich beim Paaren auch durch den dauerhupenden Inder nicht stoeren.
Ladakh gehoert kulturell eigentlich eher zum benachbarten Tibet als zum indischen Subkontinent. Die politischen Spiele des letzten Jahrhunderts sorgten dafuer, dass diese Region zwischen Pakistan, Tibet (China) und Indien aufgeteilt wurde. Dadurch ist das Essen in Leh ein Traum, denn die indische Kueche mit ihren leckeren Curries wird hier durch ladakhische Gerstensuppen und tibetische Koestlichkeiten wie Momos (Teigtaschen) und den Buttertee ergaenzt. Dieser gibt einem genug Kraft z.B. zwischen zwei Stromausfaellen mal in die Tasten zu hauen und Euch ein wenig von dieser Region zu berichten. In diesem Sinne sage ich jetzt mal „Julee“ denn „Julee“ heisst im Ladakhischen auch so viel wie „Auf Wiedersehen“!