Sua s’dei…
Poipet gilt unter westlichen Touristen sicherlich nicht als der Ort, warum man die Strapazen auf sich nimmt, um nach Kambodscha zu reisen. Poipet macht es allerdings den Touristen auch extra schwer, einen positiven ersten Eindruck von diesem Land zu erhalten.
Als eiserne Regel in Globetrotter-Kreisen gilt, dass keine angebotene Fahrtoption gratis ist, von daher hätte es auch mich verwundert, dass direkt hinter der Grenze ein Bus nur auf uns gewartet hat, der uns gratis zur Busstation bringen sollte. Im ersten Kapitel hatte ich bereits beschrieben, wie der Lonely Planet seine Leser auf diesen Grenzübertritt vorbereitet und auch dieses Detail war bereits ausführlich erklärt worden, so dass wir diesen Bus ruhigen Gewissens nehmen konnten, nachdem uns versichert wurde, dass er zum „International Tourist Terminal“ (ITT) fuhr, das direkt in der Stadt lag und nicht zum 8 km entfernten mitten im Nichts liegenden Poipet Tourist Passenger International Terminal (PTPIT) – einen perfekten Ort zum Abzocken von ahnungslosen Reisenden. Irgendwie erinnerte mich das Monthy Python’s „Das Lebendes Brian“ genauer gesagt an die „Volksfront von Judäa“ bzw. die „Judäische Volksfront“.
Den simpelsten Weg, einfach ein Taxi von der Grenze aus zu nehmen, blieb uns versperrt, denn in Poipet herrscht ein Kartell, das es Taxifahrern nicht erlaubt, Touristen dort aufzunehmen. Von daher war die Fahrt zur ITT unumgänglich, wollten wir relativ schnell, problemlos weiterreisen. Mir war dies alles von meinem ersten Grenzübertritt 2005 her unbekannt, denn schließlich reiste ich damals mit dem Drahtesel ein – vielleicht wäre das auch dieses Mal die richtige Methode gewesen, diesem Kartell zu entgehen.
Sei’s drum, der große Bus fuhr für uns zwei ein paar hundert Meter ins Landesinnere zur ITT, die relativ sauber und ausgestorben wirkte, da natürlich kambodschanische Reisende, irgendwo ein- und aussteigen, nur nicht an der für Touristen gebauten Busstation, in der die Fahrpreise wohl 3-mal so hoch sind, wie für normal sterbliche Khmer. Es gab genau drei Verkaufsschalter, wobei nur einer besetzt war und an allen drei Schaltern, standen die Fahrpreise und -ziele aufgelistet. Natürlich unterschieden sich die Preise überhaupt nicht – das ist ja der Sinn eines Kartells. Angeblich wechseln die Betreiber der Busstation täglich, so dass jeder Clan alle drei Tage abzocken darf. Die Fahrt im Bus nach Siem Reap sollte 9 US$ kosten für ca. 150 km. Zum Vergleich: eine Fahrt von Siem Reap nach Phnom Penh kostet im Luxusbus 7 US$ bei einer Wegstrecke von 300 km.
Sicherlich lacht der Leser jetzt, denn es geht hier tatsächlich nur um Cent-Beträge, um die man hier gebracht wird. Diese Einstellung konnten wir uns auch leisten, nur für Langzeitreisende, die mit ihrem Budget haushalten müssen, ist dies natürlich eine recht unangenehme Situation. Wir waren sogar so dekadent und nutzen die Dienste eines Taxis, das geteilt durch vier Personen 12 US$ pro Reisenden kosten sollte. Also würde das Taxi 48 US$ kosten, wenn man es komplett alleine mietet. Da der Japaner bereits verschollen war, der Frankfurter wohl nur mal kurz in Kambodscha vorbeischaute, um wieder in seine neue Heimat Thailand zu gelangen, nahmen wir das Taxi alleine für 40 US$. Und es ging sofort auf Tour in Richtung Siem Reap.
Die 150 km Reise, die vor kurzem noch bis zu 12 Stunden dauerte, da angeblich diverse Gruppen ein Interesse hatten, die Fahrt nach Siem Reap überland möglichst unangenehm zu gestalten, damit eine als Monopolist auftretende Airline, die zwischen Bangkok und Siem Reap fliegt, weiterhin hohe Flugpreise erzielen kann (ca. 150 US $ einfache Strecke), war nun sehr angenehm. Auf der frisch geteerten Straße kamen wir innerhalb von 2 ½ Stunden vor den Stadttoren an. Unser Taxifahrer fragte uns gar nicht, wohin er uns bringen sollte, obwohl vereinbart war, dass wir direkt vor unserem Hotel abgeliefert werden sollten. Plötzlich bog er rechts in einen Innenhof ab und wir wurden vom Taxi auf ein Tuk-Tuk umgeladen. Das Kartell zeigte sich hier ein letztes Mal, denn nun wurden wir nach unserer Hoteladresse gefragt und ob wir bereits gebucht hätten. Beides bejahten wir, was zwar nicht stimmte, doch hier wird halt auf beiden Seiten mit harten Bandagen „gekämpft“. Neben uns und dem Tuk-Tuk-Fahrer war eine weitere Person an Bord. Da wurde uns schnell bewusst, dass das Kartell sicherlich noch mal ein paar Dollar Kommission beim Hotel einstecken wollte. Und natürlich wurden wir nicht zu unserem vereinbarten Hotel gebracht, sondern zu einem Etablissement, das auch Kommissionen zahlt. Dummerweise können wir lesen und sagten, die sei nicht unser Hotel. Der Kommissionsnehmer und der Kommissionsgeber des Hotels versuchten uns mit niedrigen Preisen zu überzeugen, doch wir beharrten darauf, eine Reservierung im anderen Hotel zu haben. Irgendwann hatten alle ein Einsehen und wir wurden tatsächlich zu unserem Hotel gebracht, nicht ohne zu versuchen, für den Folgetag einen Deal zum Besuch der Tempel von Angkor Wat abzuschließen. Freundlich lehnten wir dieses „verlockende Angebot“ ab und waren froh, dass es in unserem Hotel noch Zimmer gab.
Siem Reap, die Stadt ca. 8 km südlich der berühmten Tempelanlagen von Angkor Wat gelegen, hatte sich innerhalb der letzten 5 Jahre an manchen Stellen stark verändert. Es gab plötzlich eine Shopping-Mall mit Supermarkt und die Touristenmeile erinnerte nun stark an die „Khao-San-Road“, die Backpackerstraße in Bangkok. Der Verkehr in der Stadt war vielleicht wegen der absoluten Hochsaison schon fast ebenfalls mit Bangkok vergleichbar, aber trotzdem war Siem Reap noch ein angenehmer Ort zum Rasten – den vielen kulinarischen Optionen und dem hohen Standard seiner Guesthouses sei Dank.
Die Tempel von Angkor Wat besuchten wir wie ich 2005 wieder mit dem Rad. Dies ist sicherlich die schönste und umweltfreundlichste Art und Weise, diese Bauwerke mitten im Dschungel zu entdecken. Nur leider kommen auf diesen Gedanken fast nur westliche Reisende. Koreaner und Chinesen zieht es gruppenweise dorthin. Nun kann man streiten was ätzender ist, von einem Bus die Abgase einmalig einzuatmen oder von einer Kette von Tuk-Tuks, mit jeweils zwei asiatischen Touristen besetzt, überholt zu werden. Glücklicherweise fanden wir Mittel und Wege dem Gedränge recht häufig aus dem Weg zu radeln, in dem wir Tempel besuchten, die zu bestimmten Tageszeiten überlaufen waren, z.B. zum Sonnenauf- bzw. –untergang und während des Rest des Tages fast ausgestorben waren. In diesen Momenten zeigte sich, warum Angkor Wat auch 2011 noch ein wunderbares Reiseziel ist: die Atmosphäre ist das ein und alles! Wenn man mit hunderten von Touristen auf einem Tempel sitzt und die unzähligen Digitalkameras einen Elektrosmog der besonderen Art entwickeln, ein babylonisches Sprachgewirr herrscht und dazwischen noch Kinder versuchen Postkarten, Armreifen oder sonst einen Krimskrams loszuwerden versuchen, dann macht Angkor Wat keinen Spaß. Aber wenn man mit einer Handvoll Besuchern oder sogar alleine einen Tempel aufsucht, dann hört man plötzlich nur noch Vogelgezwitscher und kann in guter Indianer Jones Manier die Bauwerke aus dem 11. und 12. Jahrhundert n. Chr. entdecken. Dies ist uns relativ oft gelungen, zumal die Tempel von Angkor Wat sich über eine Größe erstrecken, die praktisch dem gesamten Rhein-Main-Gebiet entspricht.
Das Schöne an Siem Reap ist die Tatsache, dass man neben Tempeln auch andere lohnenswerte Ausflüge unternehmen kann, so zum Beispiel nach Kompong Pluk, das Stelzendorf im Tonlé Sap, dem See Kambodschas schlechthin. Der Pegel des Sees steigt und fällt mit Regen- und Trockenzeit, da dieses Gewässer mit dem berühmten Mekong-Fluss verbunden ist. Führt der Mekong Hochwasser vergrößert sich die Wasserfläche des Tonlé Sap um das 10-fache und der Pegel steigt um mehrere Meter an. Daher haben die Fischer der Dörfer am Seeufer ihre Häuser auf bis zu sieben Meter hohe Stelzen gebaut. Vor 5 Jahren war dieser Ausflug noch völlig unorganisiert zu machen. Mit einem kleinen Boot sind wir damals die Seestraßen entlang gefahren. Heute stehen dazu große Langboote zur Verfügung, die für 20 Leute Platz bieten, aber zum Teil nur mit ein oder zwei Touristen belegt sind. Da bekommt man als Reisender schon ein schlechtes Gewissen, dass man die Umwelt mit so einem riesigen Kahn belastet. Umgekehrt würde das Sammeln von Touristen und das Platzieren dieser auf ein Boot die Umwelt deutlich entlasten und gleichzeitig viele der Dorfbewohner arbeitslos machen. Dies ist das Grundproblem, das sich in Siem Reap aber auch in anderen touristischen Zentren dieser Welt stellt: will man nachhaltigen Tourismus entwickeln, müssen die Einheimischen auch davon profitieren. Daher kann man auch bis heute mit dem Tuk-Tuk oder dem Moped Angkor Wat besuchen – eine Umstellung auf Elektrofahrzeuge bedeutet Investitionen, die die Einheimischen nicht stemmen können. Der Bau eines neuen entfernten Flughafens soll eventuell einen Ausgleich für die Tuk-Tuk-Fahrer darstellen, wenn man tatsächlich irgendwann vielleicht nur noch mit Rad und E-Auto die Tempel besuchen darf – denn irgendwann wird ansonsten Angkor Wat am Abgas- und Stauproblem zu Grunde gehen.
Ein unterstützenswertes Projekt wird bereits heute am Tonlé Sap durchgeführt. Nur wenige Kilometer von Siem Reap entfernt befindet sich das Prek Toal Bird Sanctuary, das größte Brutgebiet Südostasiens. Dieses war akut durch die Abholzung und Eierjagd der Einheimischen bedroht, bis ein Ökotourismus-Projekt gestartet wurde. Statt die Bäume abzuholzen und die Eier der Brutvögel zu klauen, erhalten die Einheimischen jetzt ein festes Einkommen und sind als Ranger tätig. Schließlich wissen sie am besten, wo sich die Brutplätze befinden, haben sie diese ja jahrzehntelang bereits aufgesucht. Das Geld stammt zum Großteil von uns Touristen, die morgens um halb sechs vor Sonnenaufgang mit einem Boot über den Tonlé Sap in Richtung Vogelreservat unterwegs sind. Durch ein Wirrwarr an Kanälen gelangten wir bis auf ca. 300 Meter an die Brutplätze – nah genug um mit einem großen Fernrohr von einem Aussichtplatz in einer Baumkrone die Vögel zu beobachten und entfernt genug, um die Gefiederten nicht beim Brüten zu stören. In Kambodscha gibt es mittlerweile unzählige Ökotourismusprojekte, die immer nach demselben Motto ablaufen: für die Einheimischen muss sich der Lebensstandard durch die Durchführung des Projekts verbessern, ansonsten hat das Projekt keine Chance. Genau deshalb wird bei diesen Projekten genau darauf geachtet und von daher versprechen diese Projekte auch den gewünschten Erfolg.
Nach einer Woche Aufenthalt in Siem Reap fuhren wir dann weiter in Richtung Hauptstadt Phnom Penh. Wie schon in Argentinien im Frühjahr hatten wir auch hier wieder ein Panne. Doch dieses Mal mussten wir nicht in La Pampa 9 Stunden ohne viel Essen und Trinken ausharren. Vielmehr wurden wir während der 45 Minuten Sonderpause wegen eines gerissenen Keilriemens, von mitfahrenden Passagieren zu einem All-U-Can-Eat von Wassermelonen am Straßenrand eingeladen. Dies war nur der Höhepunkt an Freundlichkeiten, die uns von den Khmer in ihrem Land entgegen gebracht wurde. Bis auf die mafiösen Machenschaften auf der Fahrt nach Siem Reap wurden wir von nahezu allen Einheimischen freundlich und immer mit einem Lachen auf den Lippen empfangen. Siem Reap kennt den Massentourismus nun schon seit praktisch 100 Jahren und die These, dass die Einheimischen nach ein paar Jahren des Tourismus immer unfreundlicher werden, kann man in Kambodscha glücklicherweise getrost vergessen. Natürlich bekamen wir auch wieder alle Arten von Dienstleistungen angeboten von Postkarten über Tuk-Tuk-Fahrten zu Massagen oder Cold Drinks aber einmal freundlich abgelehnt war das für die Anbieter auch in Ordnung. Hartnäckiges Anpreisen ihrer Angebote, wie in anderen Touristengegenden durchaus üblich, gibt es in Kambodscha nicht.
Nachdem der Keilriemen ausgetauscht war, kamen wir nach sechs Stunden Fahrt in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh an. Übersetzt heißt die Stadt „Penh Berg“, aber der „Berg“ ist nur ein Hügel, auf dem ein buddhistischer Tempel steht. Wie auch in Siem Reap ließ es sich hier wunderbar schlemmen. Das Frühstück konnte man mit einer leckeren Nudelsuppe und üppigen Grünzeug sowie Rindfleischstückchen für Nicht-Vegetarier beginnen. Dazu ein starker Kaffee, der wie in Laos und Vietnam etwas anders geröstet wird als bei uns und entsprechend ganz anders schmeckt und ja es gibt auch hier, den Franzosen sei Dank, leckeres frisches Baguette und warme Croissants. Sowohl für Vegetarier als auch für Fleischesser gibt es über den Tag verteilt die leckersten Speisen an Straßenständen, in den Food Courts der Kaufhäuser oder einfach im eleganten Restaurant zu sehr moderaten Preisen für unsere Verhältnisse.
Etwas ganz besonderes war auch das Sylvester-Dinner in einer hippen Location in Siem Reap, das Nest Angkor. Das eigentliche Khmer-Neujahrsfest findet im April statt, aber natürlich wurde auch in Kambodscha das neue Jahr standesgemäß gegrüßt. Das 6-Gänge-Essen bot einen kulinarischen Hochgenuss, doch das eigentlich erstaunlichste bot dann doch die Weinkarte. Neben erlesenen Tropfen aus Australien, Südafrika, Chile und Frankreich gab es auch einen deutschen Wein zu kosten: Riesling vom Weingut Gunderloch aus Nackenheim, Rheinhessen. So war unsere Heimat plötzlich mitten in Kambodscha wieder ganz nah am Tisch…allerdings entschieden wir uns für den nächst gelegenen Wein, der geographisch entsprechend aus Australien stammte.
Nach ein paar Tagen des Schlemmens via Phnom Penh und Singapur sind wir nun wieder in Deutschland angekommen, das uns mit relativ angenehmen Temperaturen und Sonne überraschte. Ich wünsche Euch für 2011 ein Jahr mit vielen spannenden (Reise)Erlebnissen und bester Gesundheit!