Die letzte Woche waren Tage der Wahrheit für den 1. FSV Mainz 05. Schließlich zeigte sich anhand der Kommunikation durch die Vereinsführung, welche Prioritäten sie setzt. Besonders anschaulich wurde dies durch das Statement am Dienstag „Testspiel gegen Newcastle findet statt“ dargelegt. In diesem wird klar und deutlich verkündet, dass es um das Sportliche und das Finanzielle geht.
„Ein Testspiel gegen einen englischen Traditionsklub ist für uns zunächst ein sportliches Kräftemessen.“, sagt Präsident Stefan Hofmann. „Der Verein trage aber vor allem auch die Verantwortung, dem Sport eine optimale Vorbereitung zu ermöglichen. Die Partie sei neben der Begegnung gegen Athletic Bilbao die einzige richtige Testmöglichkeit für die Nationalspieler, die erst im Trainingslager in die Vorbereitung einsteigen.“ Und weiter „Aus sportlicher Perspektive können wir auf dieses Testspiel nicht verzichten.“
Es steht und fällt also angeblich alles mit diesem Testspiel. Das ist meiner Meinung nach arg übertrieben, denn wenn Newcastle eine B-Elf auf den Platz bringt oder die „Magpies“ ausgebrannt vom Training am Morgen sind, was in Trainingslagern durchaus im Bereich des Möglichen liegt, dann hat dieses Spiel am Ende auch keinen Einfluss auf eine optimale Saisonvorbereitung. Ich erinnere nur ungern an das Testspiel 2006 gegen Liverpool (*singan* „Tobi Damm ist besser als der Thurk“ *singaus*), das 5:0 gewonnen wurde. Danach folgte in der Hinrunde noch genau ein Sieg und im darauffolgenden Mai der Abstieg. Von daher sind das Phrasen, die es zu publizieren gilt, wenn eigentlich etwas Anderes im Vordergrund steht – das Finanzielle nämlich.
Dieses ist sicherlich nicht nur in Mainz die Priorität im Profifußball. „Eine einseitige Absage durch uns, wie von manchen Fans gefordert, ist nicht denkbar, da diese aufgrund der vertraglichen Verpflichtungen gravierende juristische und wirtschaftliche Folgen für uns haben könnte und wir grundsätzlich zu unseren vertraglichen Vereinbarungen stehen.“, sagt Christian Heidel. Sprich, es würde den Verein viel Geld kosten, das Testspiel abzusagen. Umgekehrt versucht der Verein möglichst viel Geld durch Sponsoring einzunehmen. So wurde ebenfalls letzte Woche der Sponsoring-Vertrag mit dem chinesischen Wettanbieter zum zweiten Mal um ein Jahr verlängert.
Wenn man sich die Finanzen von Mainz 05 anschaut, dann stellt man fest, dass zum abgelaufenen Geschäftsjahr 2020/21 im Vergleich zum Vorjahr das Fremdkapital bei Mainz 05 massiv gesunken ist (-48 Prozent). Sprich die Strategie von Mainz 05 ist, Schulden abzubauen. Das ist sehr löblich und in Rheinland-Pfalz nicht unbedingt Standard unter Profi-Fußballvereinen. Einen anderen Weg haben da übrigens zwei Vereine eingeschlagen, bei denen Mainz 05 bisher immer so ein bisschen um den einen oder anderen Spieler konkurriert hat. Der SC Freiburg hat im gleichen Zeitraum sein Fremdkapital um 58 Prozent erhöht. Und Union Berlin ist schon länger komplett überschuldet und muss hoffen, möglichst viel Kohle in der Europa League zu generieren. Von daher ist es wahrscheinlich Konsens unter den Mitgliedern des Vereins, dass der Weg, diese konservative Finanzstrategie zu gehen, zum Wohle des Vereins ist.
„Die Verantwortlichen haben in der Frage des Umgangs mit dem geplanten Testspiel ein differenziertes Meinungsbild innerhalb des Vereins wahrgenommen. Sie wollen die Diskussionen daher zum Anlass nehmen, im Rahmen eines Treffens mit Fanvertretern die grundsätzliche Haltung des Vereins zu erörtern und dabei auch das gemeinsame Verständnis des Leitbilds zu diskutieren.“
Mit diesen Worten endet das Statement zum Festhalten am Testspiel gegen Newcastle. Interessant ist auch, was in diesem Statement nicht vorkommt. Ein Eingestehen eines etwaigen Fehlers findet man schlicht nicht. Folglich sind die handelnden Personen davon überzeugt, alles richtig gemacht zu haben. Es wird also auch in Zukunft immer das Finanzielle die Priorität haben. Das Sportliche ist die Prio Nummer 2 und danach kommt dann „das Gedöns“, wie zum Beispiel das Leitbild, das die Mitglieder-Versammlung legitimiert hat. Daher wäre es naiv zu glauben, dass der Verein in Zukunft in einer ähnlichen Situation anders agieren würde, wie manche Kommentierende in den sozialen Netzwerken meinten. Die Chuzpe zu haben, ein Mitglieder-Votum einfach mal außen vor zu lassen, ist schon ziemlich starker Tobak. Dann aber gönnerhaft ein Gespräch mit den Fans anbieten, in dem das gemeinsame Verständnis des Leitbilds diskutiert werden soll, ist halt konsequent inkonsequent. Da wäre mir eine Aussage wie „das Leitbild ist Folklore, basta“ einfach lieber, weil es wenigstens ehrlich wäre.
Es ist anzunehmen, dass es den Macher*innen des Leitbilds darum ging, eine Art „Grundgesetz“ für den Verein zu entwickeln. Es ging um den „Mainzer Weg“ und darum, was Mainz 05 ausmacht. Denn in der Außenwahrnehmung der überregionalen Medien steht Mainz 05 für nichts – selbst wenn es ein Bo Svensson mit seiner Mannschaft hinbekommt, so eine sensationelle Rückrunde wie in der ersten Hälfte des Jahres 2021 zu spielen. Mainz 05 findet außerhalb Rheinhessens einfach nicht statt. Ich finde das nicht weiter schlimm und auch das ist wahrscheinlich Konsens bei den meisten Mitgliedern.
Es stellt sich allerdings jetzt heraus, dass dieses Leitbild für die Profi-Abteilung keine Relevanz hat. Dieses hat bei der Auswahl des Testspielgegners keine Rolle gespielt und es wird auch in Zukunft keine Rolle spielen. Das „differenzierte Meinungsbild“, was der Verein anspricht, meint, dass es dem Großteil der Mitglieder ziemlich egal ist, wem Newcastle gehört. Die wenigsten wussten das sicherlich vor der Bekanntgabe des Testspielgegners. Noch weitaus weniger Mitglieder wissen wahrscheinlich, dass laut Amnesty International Saudi-Arabien an einem Tag im März 2022 81 Menschen hat hinrichten lassen und dass Amputierungen Teil des Rechtswesens sind.
Man kann so als Verein agieren – keine Frage. Selbst mit diesem Hintergrundwissen werden wahrscheinlich aktuell die meisten Mitglieder der Meinung sein, dass das halt so ist im Profi-Fußball. Schließlich hat auch der Abschluss des Sponsoring-Vertrags mit dem chinesischen Wettanbieters 2020 nicht wirklich viele Mitglieder bestürzt.
„Die Reaktion von einigen Fans haben wir in dieser Form so nicht erwartet.“, so Stefan Hofmann im Statement zum Testspiel gegen Newcastle. Natürlich kann man das nicht erwarten, weil der Großteil der aktuellen Mainz 05-Mitglieder hochzufrieden ist. Seitdem der Don zurück ist, läuft es sportlich wieder rund. Und das ist ja Prio Nummer 2 (nach dem Finanziellen). Die Vereinsführung meint, so lange finanziell und sportlich alles rund läuft – ist alles paletti. Wofür Mainz 05 eigentlich steht – also so als Verein außerhalb des Finanziellen und des Sportlichen, hat für die Verantwortlichen keine Top-2-Priorität und fällt wohl ebenfalls in die Kategorie „Gedöns“. Dass es die Macher*innen des Leitbilds wahrscheinlich sind, die, wenn die Top-2-Prioritäten mal nicht so gut umgesetzt werden wie aktuell, dem Verein die Teue halten, hat man entweder bei der Vereinsführung nicht im Blick oder man legt keinen Wert darauf.
Vielmehr gilt es, das Stadion mit Zuschauer*innen zu füllen, die einzig und allein „nuff gehen“, weil es sportlich rund läuft. Dass es aktuell ein paar Kilometer den Nebenfluss hinauf, sportlich noch „ein wenig“ besser läuft und dass es in unserem Bundesland wieder zwei DFL-Mitglieder gibt und bei einem sportlichen Abwärtstrend von Mainz 05 die oben genannte Zielgruppe recht schnell ins Waldstadion oder zum Betze abwandert, ist den Verantwortlichen sicherlich bewusst.
Mantra-artig wird daher sicherlich in den nächsten Monaten jede Veränderung damit begründet werden, dass die Top-2-Prio (Finanzen, Sport) gefährdet seien. Egal ob es um eine Ausgliederung der Profiabteilung gehen wird, irgendwann um einen Investor und falls 50+1 kippt auch darum. Mit diesem Totschlag-Argument werden die Mitglieder „mitgenommen“, um den sportlichen und finanziellen Erfolg nicht zu gefährden und die Zielgruppe der Erfolgshungrigen nicht zu vergrämen.
Ich persönlich habe an dem Leitbild nicht mitgearbeitet, finde es aber gut herausgearbeitet. Allerdings passt dieses Leitbild einfach nicht zum Handeln der Vereinsführung. Wenn man ehrlich ist, sollte dieses Leitbild in der nächsten Mitglieder-Versammlung eingemottet werden. Schließlich kann es nicht für den Verein gelten mit Ausnahme der Profiabteilung. Das wäre halt konsequente Inkonsequenz.
Das ist allerdings der Status Quo. Und diese Strategie der konsequenten Inkonsequenz fährt der Verein schon ziemlich lang. Wenn es die Top-2 nicht tangiert, dann zeigt man sich solidarisch mit Schwächeren der Gesellschaft in Deutschland, nicht aber mit denen in Saudi-Arabien. Man entsendet gerne Mitarbeiter*innen auf Fridays for Future Demos, fliegt aber mit dem Flugzeug innerdeutsch – wahrscheinlich ohne Kompensation der klimarelvanten Emissionen. Man lädt die Caritas, die sich auch um Spielsüchtige kümmert, ins Stadion ein, schließt aber ein Sponsoring mit einem chinesischen Wettanbieter ab und so weiter und so fort.
Man kann das alles machen, so als Verein, also Partnerschaften mit Unternehmen aus Ländern mit einem anderen Wertesystem abschließen, innerdeutsch fliegen und Glückspielsponsoring – aber dann sollte sich der Verein andererseits nicht mit Feigenblättern schmücken. Denn ganz ehrlich, lieber steht mein Verein Mainz 05 für nix als für ein inkonsequentes Handeln. Dass die Verantwortlichen eines Vereins das unbequeme Votum einer Mitglieder-Versammlung auch umsetzen können, zeigt das Beispiel FC St. Pauli. Dort wurde 2016 beschlossen, dass das Merchandising fair und nachhaltig produziert werden soll. Daraufhin hat der Verein letztlich seine eigene Marke kreiert. Seit 2021 bietet er eine fair produzierte Teamsportkollektion an, die aus recyceltem Materialien besteht. Das ist Konsequenz.
Soweit sind wir bei Mainz 05 (noch) nicht. Ich bezweifele, dass eine Mehrheit der aktuellen Mitglieder bereit ist, finanzielle und sportliche Einbußen in Kauf zu nehmen, um das Leitbild auch in der Profiabteilung durchzusetzen. Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Alles hinschmeißen und dem Verein und dem Profifußball die kalte Schulter zeigen? Das kann jede*r von uns nur persönlich entscheiden. Ich fühle mich immer noch im Verein und im Stadion wohl. Das liegt hauptsächlich an den tollen Menschen, die ich dort kennen gelernt habe. Wohler wäre es mir aber, wenn mein Verein einfach so ehrlich wäre, und solche genannten Feigenblatt-Aktionen, die spätestens jetzt einfach nur noch peinlich sind, in Zukunft unterlassen wird.
Schließlich gibt es genügend Menschen, die sich ehrlich für eine Sache engagieren und in Kauf nehmen, dafür auf Annehmlichkeiten zu verzichten. Dafür muss man aber aus der Komfortzone raus. Man kann sich für Menschenrechte einsetzen und verzichtet dann halt auf den vermeintlich idealen Testspielgegner. Man kann Organisationen wie die Caritas unterstützen, dann verzichtet man aber auf das Geld mancher Sponsoren. Man kann zu Fridays for Future Demos gehen, nimmt aber innerdeutsch den Bus, der ja eh zum Spielort fährt und kompensiert die Flugreisen, die sich nicht vermeiden lassen. Es gibt mittlerweile viele Menschen, die auf vieles verzichten. Sich aber dann, wenn es passt, sich mit diesen zu solidarisieren ist für mich einfach ein No Go und auch eine Art von „Sportwashing“. Es gibt sicherlich auch so genügend Themenfelder, für die sich Mainz 05 auch in Zukunft einsetzen kann, bei denen man nicht in die Bredouille gerät, wenn man sie vernünftig beackert. Damit das nicht passiert, gibt es im Verein eine CSR-Abteilung und auch eine Fanabteilung, die hoffentlich beide intern nicht unter „Gedöns“ laufen. In beiden Abteilungen gibt es kompetente Menschen, die sicherlich auf Wunsch mit Rat den verantwortlichen Personen zur Seite stehen, damit der Verein nicht weiter Eigentore fabriziert.
Und vielleicht wird in ein paar Jahren die Erkenntnis einkehren, dass so ein Leitbild gar keine so schlechte Idee ist – weil es von der Mehrheit der Mitglieder entschieden eingefordert und nicht nur abgenickt wird und weil es vielleicht doch für Mainz 05 und seine Menschen im Verein steht. Dann kann es auch gerne wieder ausgepackt und von allen gelebt werden.
Anmerkung: In einer vorhergehenden Version wurde das Wort „Mitglied“ irrtümlicherweise gegendert. Danke für den Hinweis auf Facebook.