Fußballfans und Nachhaltigkeit passen dem Klischee nach nicht wirklich zusammen. Und im Profisport samt seinen daran beteiligten Unternehmen fristet das Thema „Corporate Social Responsibility“ kurz CSR immer noch ein Nischendasein. Dass unser Verein vor zehn Jahren Weitsicht bewies und dieses Thema auf seine Agenda gesetzt hat, ohne von außen durch die Gesellschaft, die Politik oder den Verband dazu gezwungen worden zu sein, rechne ich dem Verein sehr hoch an. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere und sich aufraffen, plötzlich das gewohnte Verhalten zu ändern, fällt vielen von uns schwer, wie man beim Stichwort Mund-Nasen-Schutz gerade sehen kann.
Mittlerweile hat wahrscheinlich jeder Nullfünf-affine Mensch schon etwas von der Mission Klimaverteidiger gehört – spätestens in den letzten Wochen, in denen der Verein auf seine „05ER Klimaverteidiger Woche“ in den verschiedensten Medien hinwies. Das Echo in den sozialen Netzwerken entsprach dem bereits oben erwähnten Klischee. Aufgrund der sportlichen Situation blubberten zahlreiche Internetheld*innen davon, dass sich der Verein lieber auf das „Kerngeschäft“ konzentrieren sollte. Zu diesen Leuten ist das Thema Klimawandel noch nicht vorgedrungen. Dass dieses Thema wichtiger als der momentane Tabellenstand oder der gesamte Fußball ist, hat sich in den Köpfen dieser Leute noch nicht festgesetzt.
Ob diese sehr ablehnende aber vollkommen vorhersagbare Haltung der Internettrolle dazu geführt hat, dass der Verein die Form einer Podiumsdiskussion als großen Abschluss gewählt hat, weiß ich nicht. Der vermeintlichen Sache an sich, das Thema Klimaschutz voranzutreiben, hat diese Form sicherlich nicht wirklich geholfen.
Dass es in Zeiten der Pandemie nicht möglich war, so eine Veranstaltung öffentlich durchzuführen, war spätestens klar, als die Stadt Mainz zum Risikogebiet erklärt wurde. Diese Klassifizierung fand erst am letzten Sonntag statt und hatte daher sicherlich keinen Einfluss auf die Art der Veranstaltung.
Allerdings führte sie dazu, dass bei mir der Eindruck aufkam, dass man sich bewusst abschotten wollte, vom pöbelnden Fuß(ball)volk: Voraussetzung jeder Diskussion sind zunächst einmal Menschen mit einer unterschiedlichen Meinung zu einem Thema. Die geladenen Gäste aber bewiesen in den 90 Minuten das genaue Gegenteil. Der Verein beweihräucherte sich selbst mit seiner Weitsicht. Attestiert wurde diese Selbstbeweihräucherung auch noch durch den DFB-Präsidenten. Dass er sich persönlich dem Thema Nachhaltigkeit verschrieben hat, ist sehr löblich. Allerdings bekam ich den Eindruck, dass er da innerhalb seines Verbands auf vollkommen taube Ohren stößt, wenn er bei seinem Amtsantritt fragte, wer zukünftig das Thema CSR mit bearbeiten wollte. Diese Offenheit war sympathisch, zeigte aber deutlich, dass die Kritik am DFB (nicht an Herrn Keller persönlich) durch aktive Fußballfans wohl durchaus gerechtfertigt ist.
Die anderen Diskutanten hatten selbstverständlich ihre Berechtigung zum Thema Klimaschutz etwas zu sagen. Aber es wurde die Chance verpasst, Menschen einzuladen, die eine kontroverse Meinung zu diesem Thema haben. Das hat mich ein wenig an die Diskussionsrunden auf dem Open Ohr an Pfingsten auf der Zitadelle erinnert. Seitdem Heiner Geißler dort nicht mehr zu Gast war, saßen dort zu oft Menschen mit ähnlichem Meinungsbild zusammen und verhinderten damit einen Disput auf angemessenem Niveau. Darauf in der Festival-Kritik angesprochen entgegnete die „Freie Projektgruppe“ des Open Ohrs, dass sie oft Absagen von Politiker*innen mit anderem Parteibuch als dem der Linken, SPD oder Grünen erhalten. Ob der Verein den Versuch unternommen hat, kritische Geister einzuladen, weiß ich nicht. Aber man hätte auch einfach mal Leute aus dem Verein anfragen können, denen das Thema (noch) nicht so zusagt.
So entstand der einzige Dissens bei der Frage nach den eingesetzten Bechern im Stadion. Die einzige Frau im männerdominierten 7er-Kreis, Dezernentin Katrin Eder, brachte wenigstens den Willen mit, den Verein für seine Einwegbecher-Strategie zu kritisieren – sicherlich wohlwissend, dass es da auch keine wirklich einfache Antwort darauf gibt, ob Mehrwegbecher tatsächlich nachhaltiger sind. Wenn sich aber alle Diskutant*innen bereits vorher einig waren, dass Nullfünf alles toll macht, und alle anderen das nicht toll machen, hätte man sich das auch sparen können – oder wenn schon CSR-Blase und DFB-Präsident, dann hätte man so richtig nachhaken können. Warum zum Beispiel setzt der DFB seine Marktmacht als größter Sportverband der Welt nicht ein, dass die eingesetzten Fußbälle nachhaltig produziert werden oder die Trikots der Nationalmannschaft. Ein kleiner Verein wie Mainz 05 hat da tatsächlich wenig Einfluss drauf, der große DFB aber schon. Oder bleiben wir bei unserem Verein, der ja ab und zu auch fliegen muss oder will: Er redet immer von CO2-Kompensationen und Klimaneutralität. Aber beim Fliegen sind die Non-CO2-Anteile an klimaschädlichen Gasen zwei- bis dreimal so hoch. Werden diese kompensiert? Und wie werden sie kompensiert? Über 20 Jahre hinweg durch Pflanzaktionen oder direkt durch den Kauf von so genanntem „Sustainable Aviation Fuel“, also nachhaltigem Flugbenzin, was zirka 10-mal so teuer ist in der Kompensation? Oder das Kompensationsprojekt in Ruanda! Ist dieses vom Gold Standard oder einer vergleichbaren Organisation zertifiziert, damit man nicht in Gefahr gerät, des Greenwashings bezichtigt zu werden? Herr Keller sprach davon, dass man lieber weniger Fleisch aber dafür hochwertigeres Fleisch essen sollte. Wie verträgt sich dann das 2-Euro-Fleischkäsebrötchen mit so einer Aussage (das übrigens genauso teuer/billig ist, wie die Ditsch-Brezel). Ja, selbst innerhalb dieses geschlossenen Zirkels, hätte die Chance bestanden, kontroverser zu diskutieren. Und das Publikum? Die geladenen Journalisten durften keine Fragen stellen. Und über die eingeblendete E-Mail-Adresse kamen angeblich keine Fragen beim Moderator an.
Und dass man das Gremium femininer hätte besetzen können, kam im Laufe der Veranstaltung dann auch noch raus. Schließlich, so erzählte er es selbst, betraute DFB-Boss Keller eine Frau mit dem Thema CSR beim Sportverband. Und auch bei Mainz 05 ist mit Christina Mayer eine Frau für das Thema CSR zuständig. Dafür hätten dann allerdings zwei Männer die Bühne freimachen müssen. Und das wäre wohl dem Guten zu viel gewesen, denn über soziale Nachhaltigkeit, die Gleichstellung der Geschlechter, Equal Pay im Fußball etc. wurde an diesem Abend leider gar nicht gesprochen. Hat halt nix mit Klimaverteidiger*innen zu tun…