„Früher war alles besser!“ – dieser althergebrachte Spruch sollte ja eigentlich irgendwann einmal in der Mottenkiste für immer verpackt worden sein. Stattdessen geistert er gerade wieder einmal rund um die Kaltluftschneise am Stadion am Europakreisel herum.
Schließlich hat es der Verein zu Beginn der Saison auf Initiative der Fanvertreter (Fanabteilung, Ultraszene, Fanprojekt und Supporters) untersagt, dass sich in gewissen Bereichen hinter der Rheinhessentribüne Fans in Klamotten der Gastmannschaft vor- und nachkicks aufhalten dürfen – wohlwissend, dass es genügend Bereiche rund um das Stadion gibt, in denen es sehr wohl möglich ist, gemeinsam mit Fans der Gastmannschaft vor und nach dem Spiel über Gott und die Welt zu babbeln und das eine oder andere Getränk zu sich zu nehmen.
Eigentlich könnte man meinen, dass diese Maßnahme bei allen Fans des FSV auf Zustimmung trifft. Es gibt nun sowohl Bereiche, in denen man nur mit 05-Klamotten oder neutral gekleidet Zutritt hat, und es gibt weiterhin Bereiche, in denen es keine „Kleiderordnung“ gibt. Aber nein, natürlich müssen nun auch hier wieder Gegenstimmen auftauchen, die diesen Kompromiss, der keinesfalls eine Schwarz-Weiß-Malerei darstellt, kritisieren. Die Gastfreundschaft von Mainz 05 würde mit Füßen getreten. Es wird an die Tage am Bruchweg vor dem Caipi erinnert und so weiter und so fort.
Wenn man genauer hinhört wird klar, dass da mit Argumenten gearbeitet wird, die vielleicht vor zwanzig Jahren tatsächlich galten. Damals war Mainz 05 Everybody‘s Darling. Man fand es süß, dass der selbsternannte Karnevalsverein 2004 mal in die Bundesliga einzog. Mit der Zeit ist aus diesem vermeintlichen „One Hit Wonder“ allerdings ein etablierter Bundesligist geworden. Die Folge: Bei den traditionellsten Traditionsvereinen stellte sich etwas Frust ein. Die putzigen Bonbonwerfenden nehmen einem traditionellen Traditionsverein auf die Dauer einen Platz im Oberhaus weg – was für eine Frechheit. Sympathisch findet der Großteil der Liga Nullfünf schon lange nicht mehr.
Man bekommt auch den Eindruck, dass diejenigen, die sich jetzt vehement gegen diese Maßnahme der Fantrennung wehren, nicht gerade häufig nuff gehen, geschweige denn mal in den letzten Jahren auswärts gefahren sind. Natürlich befinden wir uns nicht mehr im Alten Testament, in dem der Claim Aug‘ um Aug‘, Zahn um Zahn en vogue war, aber ein bisschen Lebensrealität aus der Welt außerhalb der Schorle-Blase darf dann schon auch ein bisschen Einzug halten, in den Bundesligastandort Mainz.
Wer regelmäßig auswärts fährt, weiß, dass man mit Gastklamotten oft einem Spießroutenlauf ausgesetzt ist – auch oder gerade, wenn man nicht in großer Gruppe irgendwo aufläuft. Seit Jahren darf man in der Arena in Fröttmaning nicht mehr in 05-Klamotten in den Kneipenbereich im Bauch des Schlauchboots. Oft wird man als Gastfans an Zäunen entlang um das halbe Stadion gelotst, um zum Gastbereich zu kommen. Willkommenskultur? Gibt es nicht. Aber die sucht man auch nicht mehr wirklich, wenn man häufig zwischen Bremen und München unterwegs ist. Und wenn man irgendwo unbedingt rein möchte? Dann ist man halt entsprechend vorbereitet, steckt den Schal vorher ein oder zieht etwas über das Trikot. Man muss in solchen Situationen nicht permanent zeigen, mit welcher Kommanditgesellschaft auf Aktien, welchem Konstrukt oder welchem Verein man es hält.
Natürlich ist es auch in einigen anderen Städten möglich, in Gastklamotten noch irgendwo in Stadionnähe gemeinsam in den Biergarten zu gehen oder an einer Bude etwas zu trinken. Wo und wie das möglich ist, wissen die Heimfans sicherlich und werden es ihren Freund*innen, die es mit der Gastmannschaft halten, entsprechend mitteilen. So sollte das auch bei uns möglich sein. Wer öfters zum Stadion am Europakreisel tigert und nicht nur einmal im Jahr, wenn die Freund*innen der Gastmannschaft dabei sind, wird es leicht haben, vor der Haupttribüne oder am Gästeblock einen Platz zum Quatschen und Trinken zu finden – und kann die Mottenkiste getrost verschlossen lassen.