Spätlese Bochum Saison 2022/2023

Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!

01 Hin und weg:

Endlich wieder Bochum! Nachdem die beiden Auswärtsspiele beim VfL in der letzten Saison wegen der Pandemie zu Spielen ohne Gästefans führten, also nicht zu Geisterspielen wohlgemerkt, ging es jetzt endlich wieder an die Castroper Straße. Grund genug, einfach mal ein ganzes Wochenende in Bochum und Umgebung zu verbringen. Das Ruhrgebiet ist schließlich wirklich ein wunderbares Wanderrevier. Das glaubt man natürlich nicht, wenn man irgendwelche Klischees im Kopf hat. Aber gerade der Süden des Potts mit der Ruhr und den zahlreichen Stauseen ist wirklich eine Reise wert. 

Flusslandschaft und Hügelkette im Hintergrund
Wandermöglichkeit 1: Die Ruhr bei Witten

Freitags ging es rüber nach Witten und dort durch den Stadtwald hoch zu einem netten Aussichtpunkt über der Ruhr. Am Spieltag selbst wurde Bochums Süden entdeckt. Sowohl der Kemnader See als auch der Chinesische Garten der Ruhr-Uni sind wirklich wunderbare Ausflugsziele vor den Toren der Stadt – das 9-Euro-Ticket macht es möglich. Wer die Touren nachwandern möchte, schaut einfach mal auf dem Meenzer-on-Tour-Account von Komoot vorbei. Dort sind mittlerweile einige der Touren, die ich im Rahmen der Auswärtsfahrten mache, hinterlegt.  

02 (N)immer nuff:

Was im Ruhrgebiet ebenfalls zu empfehlen ist, ist das Essen – insbesondere das Fleischlose. So gibt es unweit des Bochumer Hauptbahnhof mit dem „Zum Kleinen Esel“ einen veganen Mexikaner mit großen Portionen. Tortilla Chips mit Guacamole und Salsa für drei Euro ebbes ist schon sehr fair.

Bambus-Hölzer und Bohlenwege
Wandermöglichkeit 2: Der Botanische Garten in Bochum und der Kemnader See

Da das Ruhrstadion, anders als die Neubauten der Liga im Herzen der Stadt Bochum liegt, war es auch ein Katzensprung, um vom „Zum Kleinen Esel“ dorthin zu Fuß zu gelangen.  

03 Kon-Trolle

Glücklicherweise stellt Mainz 05 rechtzeitig vor dem Spieltag Informationen für Auswärtsfahrende bereit. So wusste man vorher, dass es in Bochum nicht möglich war, Rucksäcke am Eingang abzugeben. Allerdings frage ich mich jedes Mal, was einen Verein reitet, so ein Grundbedürfnis von Auswärtsfahrenden zu ignorieren. Wenn man nicht mit dem Fanbus oder dem  Auto unterwegs ist, hat man normalerweise mehr Utensilien dabei, als eine kleine Tasche im Format kleiner als DIN A4.

Tortilla Chips mit Salsa und Guacamale sowie vegane Quesadillas und Chili sin Carne
Tortilla Chips mit Salsa und Guacamole oder vegane Quesadillas mit Chili sin Carne im „Zum Kleinen Esel“ von Bochum

Daher  sollte es tatsächlich eine Verpflichtung geben in der Männer-Bundesliga entsprechende Möglichkeiten bereit zu stellen. Schließlich ist das ja das „Premiumprodukt“ des deutschen Männerfußballs und nicht ein Kreisliga-Kick mit vielen Ehrenamtlern. Diese Investition in die Faninfrastruktur ist einfach ein Muss. Der Hinweis von Mainz 05 etwaige Taschen in den Schließfächern des Bochumer Hauptbahnhofs zu deponieren war nett gemeint, aber diese waren nach meinen Infos bereits lange vor dem Anpfiff belegt. Dass für manche Auswärtsfahrende eine pragmatische Lösung vor Ort gefunden wurde, ist vorallem den Nullünf-Mitarbeitenden zu verdanken – eine tragfähige, dauerhafte Lösung ist das allerdings überhaupt nicht. Auch hier war Aue letzte Woche viel pragmatischer. Sie räumten einfach einen Kleinbus aus und funktionierten ihn zur Taschen-Deponie um. So geht das lieber VfL (und lieber Effzeh)!

04 Kampf um den Mampf

Die Verpflegung außerhalb des Stadions hatte ich ja bereits angesprochen. Daher konnte ich es verschmerzen, dass die obligatorische Brezel astronomische 3,50 Euro kostete und damit genauso viel kostete wie die günstigste Wurstalternative. Dieser Wucherpreis für eine Brezel toppt sogar die drei Euro, die Aue dafür aufruft, die allerdings wenigstens für drei Euro keine Fleischspeise anbieten. Dazu demnächst noch etwas mehr Hintergrundinfos im Rahmen eines eigenen Blogbeitrags, was die Preisdifferenzierung bei Speisen mit Nachhaltigkeit zu tun hat.

Flutlichtmast und Aufschrift "Ruhrstadion"
Endlich wieder Ruhrstadion

Zu Trinken gab es unter anderem leichtes oder alkoholfreies Fiege vom Fass. Diese Leichtbiere sind fürs Stadion meiner Meinung nach bei sommerlichen Temperaturen schon voll ok. Sie schmecken eigentlich ganz gut und die Chance komplett ausgeknockt zu werden, sinkt doch erheblich.

05 Käfighaltung

Nach 13 Jahren konnte ich endlich den vierten Besuch im Ruhrstadion verbuchen. Die bisherige makellose Bilanz hielt auch im Jahr 2022. Vielleicht das grandioseste Auswärtsspiel ever, war das legendäre 6:2 für Nullünf im April 2005. Nach Spielschluss war der Klassenerhalt eingetütet. Den Comic kennen wohl mittlerweile alle Nullfünfer*innen, den Mainz 05 dankenswerterweise letzte Woche auch nochmal im Rahmen eines Vorberichts thematisiert hat. Im Januar 2007 der nächste Besuch, den Erstligaspieler Rose veredelte. Den Abstieg konnten die drei Punkte zwar nicht verhindert werden, aber die grandiose Aufholjagd im Jahr 2007 startete eben in diesem Stadion. Zweieinhalb Jahre später ebneten die ersten beiden Bundesliga-Tore eines gewissen André Schürrle den dritten mitgemachten Dreier bevor es nun den Doppler von Karim Onisiwo zu bestaunen gab.  

Jubelnde Fans im Stadion nach dem ein Tor gefallen ist.
Eskalation im Gästeblock nach dem Doppelpack von Karim Onisiwo

Fazit: Der Jahrgang 2022/2023 zeigt, dass es durchaus Serien gibt, die man sich noch länger geben kann.

Rot-weiße Grüße,

Christoph – Meenzer on Tour

Spätlese Aue Saison 2022/2023

Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!

01 Hin und weg:

Zugegeben, ich habe mich zunächst über die Terminierung dieses Pokalspiels aufgeregt, da Aue nunmal von der Lage her gefühlt das Vladiwostok der Proficlubs im deutschen Männerfußball ist. Um 21.08 Uhr fährt die letzte Bahn nach Zwickau und um 18.00 Uhr sollte der Anpfiff sein. Da Mainz 05 und Pokalwettbewerbe nicht gerade ziemlich beste Freunde sind, müssen wir natürlich immer mit Elfmeterschießen rechnen. Dadurch wäre es unmöglich gewesen, die letzte Bahn in Richtung Fernverkehrsanschluss zu bekommen. Erst vor ein paar Tagen ist schließlich auch mir aufgefallen, dass zeitgleich das Finale der Frauen-EM in London stattfinden sollte. Eine blödere Terminierung gibt es wohl wirklich nicht. Es bleibt zu hoffen, dass dies das letzte Mal war, dass der DFB zeitgleich Spiele seiner eigenen Wettbewerbe mit denen von Teams terminiert, die an anderen Wettbewerben teilnehmen. Dass der DFB auf Bahnfahrpläne und damit auf eine klimafreundliche Anreise Rücksicht nimmt, bleibt wohl eine Utopie.

Zusammengeklapptes Klapprad im Gepäckfach des ICEs.
Perfektes Einparken im ICE

Mit dem Weserfunk-Podcast auf den Ohren, der die CSR-Managerin von Werder Bremen zu Gast hatte, und den Trainingslager-Podcast-Folgen der Hinterhofsänger, ging es von Mainz um kurz nach 8 Uhr am Sonntagmorgen mit dem Klapprad im ICE in Richtung Sachsen. Vor einem Jahr feierte diese Kombi Zug/Klapprad beim Pokalspiel in Elversberg Premiere, da es dort keinen Bahnanschluss gibt und ich vom Bahnhof Neunkirchen zum Stadion fuhr. Diesmal nahm ich den Drahtesel mit, da das einzige Hotel in Aue bereits eine Stunde nach der Terminierung ausgebucht war und ich somit im benachbarten Bad Schlema übernachten musste. Zwischen den beiden Orten verkehrt stündlich die Bahn, die, bekanntermaßen aber auch nach 21:08 Uhr nicht mehr fährt. Daher nutze ich für die fünf Kilometer zwischen Hotel und Stadion wieder das Rad.

Bewaldeter Hügel mit vier Flutlichtmasten und einem Neubaugebiet und einer Straßenbrücke.
Blick auf das Erzgebirgsstadion von Bad Schlema aus

Alle Züge waren pünktlich, so dass ich genügend Zeit hatte, noch den nächsten Blogpost vorzubereiten, denn die Sommerpause bei Mainz 05 hatte es ja doch in sich…Stichwort Leitbild, Saudi-Arabien und die Trophäe schlecht hin, die  „Klimaneutralität“.

02 (N)immer nuff:

Die kurze Radtour von Bad Schlema zum Erzgebirgsstadion hatte es tatsächlich in sich. Zunächst ging es einen Hügel in Richtung Aue hoch, weiter durch den Wald mit nettem Blick auf die Flutlichtmasten des Erzgebirgsstadion und auf das Ringer-Leistungszentrum „Lothar Lässig“ (heißt wirklich so) am Straßenrand. Danach ging es im Schuss steil bergab in die Auer Innenstadt und dann wieder steil nach oben hinauf zum Stadion. Nach den sechs Stunden im Zug war das allerdings eine willkommene Abwechslung.

Klapprad vor einem Stadion.
Ankunft im Schacht

03 Kon-Trolle

Die Security hatte kein Problem damit, das Klapprad an den Zaun anzuschließen. Die folgende Sicherheitskontrolle war ebenso easy absolviert und niemand störte sich daran, dass ich meine Fahrradbeleuchtung mit hineinnehmen wollte – in Mainz ist das ja immer ein Drama. Als ob jemand seine 50 bis 100 Euro teure Beleuchtung auf den Platz schmeißen würde… Allerdings durfte ich eben diesem Grund auch schon mal ein iPad-Mini auf Schalke abgeben. Da lob ich mir den Auer Realismus wirklich.

04 Kampf um den Mampf

Gab es sie noch oder gibt es sie nicht mehr? Das ist bei jedem Gastspiel in Aue die Frage, die sich Auswärtsfahrende jedes Mal aufs Neue stellen. Ja, es gab die „Nudelpfanne“ oder den „Nudeltopf“, der mittlerweile aber schlicht nur noch „Nudeln mit Wurstgulasch“ heißt. An meine erste Nudelpfanne in Aue 2008 habe ich kaum noch Erinnerung.  War sie vegetarisch oder mit Fleisch versetzt? Keine Ahnung. Mittlerweile versuche ich, auf Fleisch zu verzichten und landete erstmal bei einer Riesenbrezel für drei Euro. Da ich seit der Abfahrt in Mainz nichts gegessen hatte, sättigte die Brezel mehr so weniger. Also entschied ich mich für die „vegetarische“ Variante, die aus Nudeln und Gouda-Käse bestand. Da die Ketchup-Töpfe zur Selbstbedienung herumstanden, garnierte ich den Nudeltopf mit Ketchup. Das Ergebnis war nicht wirklich prickelnd, aber im Vergleich zu den Brötchen, die es letztes Jahr als fleischlose Alternative in Elversberg gab, war das ja schon fast das Paradies.  

Ketchup- und Senftopf hinter einem Plastikteller mit Nudeln und Gouda-Käse.
Die vegetarische Version der Nudelpfanne

05 Käfighaltung

Allerdings hatte der DFB ja diese erste Pokalrunde dem Klimaschutz gewidmet. Dazu wurde auch ein Wettbewerb ausgelobt, dass der Amateurverein, der die meisten vegetarischen Gerichte verkauft, eine Belohnung vom DFB erhält. Aue hatte da wohl keinen Bock drauf und servierte tatsächlich nur die Brezel. Die Wurstnudeln wurden auch noch schön im Einweg-Plastiktopf serviert. Wenigstens waren die Löffel schon aus Holz. Nun wäre es natürlich wenig nachhaltig, Restbestände an Plastik-Einweg wegzuschmeißen. Und die vegetarische Nudelvariante hätte wahrscheinlich auch kaum jemand gewünscht. Daher war das alles irgendwie nachvollziehbar.

Aber pünktlich um 18 Uhr zeigte der Verein sehr deutlich, was er vom Klimaschutz hält. Alle Spiele in dieser ersten Pokalrunde wurden eine Minute später angepfiffen, damit diese Minute für einen Appel für den Klimaschutz genutzt werden sollte. Der Stadionsprecher las wahrscheinlich den vom DFB entworfenen Text vor, nur verstanden hat man nichts. Das lag nicht am lokalen Dialekt sondern vielmehr erklang das Steigerlied über die Stadionlautsprecher in ohrenbetäubender Lautstärke. Ein eindeutigeres Statement, wie man bei Erzgebirge Aue zum Thema Klimawandel steht, kann man eigentlich nicht zeigen. Gleichzeitig brennen 100 Kilometer weiter in der Sächsischen Schweiz die Wälder…

Jubelnde Menschen, Fahnen, Doppelhalter in einem Fußballstadion.
Blick aus dem Gästeblock auf den Platz

Dass Fans die Aktion wie in Dresden auspfeifen – geschenkt. Schließlich steht der Verband wegen zahlreicher Dinge in der Kritik. Dass aber ein Mitglied des DFB, die Aktion des eigenen Verbands torpediert, hat schon eine ganz andere Qualität. Anzunehmen, dass sich der Verein bei einem Teil der Fan anbiedern wollte, statt der Linie des DFBs zu folgen. Wahrscheinlich hat man bei den Veilchen mehr Angst vor einigen Stadiongänger*innen als davor aufgrund des menschengemachten Klimawandels zu vertrocknen. Der DFB ist ja bei Vergehen von Fans recht schnell dabei mit Strafen und Sanktionen aller Art. Es bleibt spannend, ob diese Aktion des Vereins ein Nachspiel haben wird. Wenn nicht, ist das nächste Pfeifkonzert sicherlich nur eine Frage der Zeit. Und nun ja, die Quittung gab es dann von den Klimaverteidigern aus der goldenen Stadt am Rhein, die am Ende recht souverän gegen die Lila-Laune-Klimaaktionsverweigerer gewonnen haben.

Fazit: Der Jahrgang 2022/2023 zeigt, dass das Klima beim Thema Klimawandel ziemlich aufgeheizt ist.

Rot-weiße Grüße,

Christoph – Meenzer on Tour

Mission klimaneutrale Bequemlichkeit

Das Bundesliga-Team des 1. FSV Mainz 05 gastiert aktuell in Grassau südlich des bayerischen Chiemsees, um sich auf die neue Saison vorzubereiten. Als am Dienstag letzter Woche Mainz 05 via Twitter bekannt gab, dass der Teambus bereits Grassau erreichte und das Team am Mittwoch nachkommen würde, löste das bei manchen Leuten Irritationen aus, da damit klar war, dass das Team nicht mit dem Bus anreisen würde.

Vom Wolfgang Frank-Campus zum Team-Hotel sind 521 Kilometer zurückzulegen. Mit dem Auto lässt sich die Strecke in zirka 5 Stunden bewältigen. In derselben Zeit lässt es sich vom Mainzer Hauptbahnhof zum Bahnhof Rosenheim mit dem Zug fahren. Mit dem Bus wäre man sicher eine Stunde länger unterwegs, müsste aber nicht in Mannheim und München umsteigen.

Am Mittwoch war dann klar, wie die Mannschaft in den Chiemgau gelangen würde. „Mainz 05 International“ war angesagt. Zunächst fuhr man mit einem Bus zum Flughafen Frankfurt. Von dort ging es mit dem Flieger nach Österreich, genauer gesagt nach Salzburg. Dort wurde das Team dann mit dem bereits vor Ort befindlichen Bus nach Grassau zurück nach Deutschland befördert.

Selbstverständlich steht es dem Verein frei zu entscheiden, wie man von A nach B gelangt. Im Netz wurde die Entscheidung das Flugzeug zu nehmen allerdings durchaus kontrovers diskutiert. Das Hauptargument derjenigen, die Verständnis für den Flug aufgebracht haben, war die Regeneration der Spieler.

Im September 2020 flog „Die Mannschaft“ während der Nations League von Stuttgart nach Basel. Damals ging es um eine Busfahrt von dreieinhalb Stunden. Die Zahl der zumeist negativen Reaktionen im Netz waren damals natürlich deutlich höher und die Stuttgarter Zeitung hat im Nachgang den Sportmediziner Andreas Hoffmann zu dem Thema Regeneration befragt. Er ist Betreuer der Volleyball-Bundesligamannschaft der Damen des Allianz MTV Stuttgart. Hoffmann sagt:

„Der Einfluss ist relativ gering. Wenn man am Tag zuvor allerdings viel trainiert und zum Beispiel viele Sprints absolviert hat, ist die Muskulatur leicht übersäuert. Da ist langes Sitzen sicherlich eine unangenehme Situation. Die Beine sind angewinkelt und die Muskulatur wird schlechter durchblutet. Deshalb ist langes Sitzen keine optimale Weise der Regeneration, die gerade beim Profi-Sport enorm wichtig ist. Es kommt nämlich oft darauf an, wer in den letzten zehn Minuten eines Spiels ausgeruhter ist und die bessere Ausdauer hat. Generell kann man sagen, dass der Einfluss geringer ist, je länger die Pause zwischen Spielen ist.“

Bei der Nationalelf ging es damals darum, zwischen zwei Pflichtspielen innerhalb weniger Tage das Flugzeug zu nutzen. Das letzte Pflichtspiel der Nullfünfer fand im Mai statt. Das nächste findet Ende Juli statt. Aber selbst zwischen den Testspielen in diesem Juli liegen mehrere Tage, so dass das Argument nicht wirklich stichhaltig ist.

In dem Interview sagt Hoffmann weiter, zum Thema Regeneration „Ich denke, das war die einzig sinnvolle Ausrede, die man finden konnte.“ Er vermutete bei der Nationalmannschaft, dass die Logistik der entscheidende Faktor war. Sprich, es war anzunehmen, dass der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle gespielt hat.

Wenn man nun davon ausgeht, dass es zirka sieben Stunden dauert, um von Mainz mit dem Bus nach Grassau zu fahren und es vielleicht ein wenig kürzer wäre, würde man die Bahn nehmen, wie sieht es dann mit dem Flugzeug aus?

Bekanntlich wurde mit dem Bus zum Flughafen angereist. Dafür muss man zirka 35 Minuten veranschlagen. Aktuell empfehlen die meisten Airlines etwa 3 Stunden vor dem Abflug am Flughafen anzukommen. Der Flug dauert inklusive Rollen auf der Start- und Landebahn 1:10 Stunde. Angenommen, die Jungs sind nur mit Handgepäck geflogen (weil ihr Gepäck bereits mit dem Bus vorgefahren ist) braucht man ca. eine Stunde vom Aussteigen aus dem Flugzeug bis ins Teamhotel mit dem Bus. Insgesamt kommt man also auf 5:45 Stunden. Grob gesagt, gewinnt man damit eine Stunde im Vergleich zur reinen Busfahrt. Im Vergleich zur Zugfahrt spart man wahrscheinlich gar keine Zeit ein, muss aber nicht umsteigen.

Der Grund, warum das Flugzeug genommen wurde, liegt also weder in sportmedizinischer Natur begründet noch im Zeitmanagement.

Mainz 05 war mal Pionier. 2010 wurde man (wahrscheinlich auch wegen eines Sponsors aus dem Energiesektor) klimaneutral. Damals haben sich die wenigsten von uns mit dem Thema Klimaneutralität beschäftigt. Daher war damals diese Mission Klimaverteidiger ein wirklich löbliches Projekt, für das der Verein sicherlich bundesweit viel zu wenig Lorbeeren erhalten hat.

In den letzten 12 Jahren hat sich in Sachen Klima einiges verändert – gerade auch im Luftverkehr. Eine Airline hat 2019 beispielsweise die Botschaft „Fly Responsibly“ ausgesendet. Neben dem verantwortungsbewussten Fliegen, rief die Airline dazu auf, Alternativen zum Fliegen zu nutzen, also auch mal auf das Fliegen zu verzichten.

Denn natürlich ist der Flugverkehr grundsätzlich in unserer Welt unverzichtbar. Wenn wir nur daran denken, dass zum Beginn der Pandemie Masken aus China schnell nach Europa geliefert werden mussten. In einer globalisierten Welt leben Familien mittlerweile zerstreut auf vielen Erdteilen. Forschende müssen sich persönlich treffen, da nicht alles über Video-Schalte funktioniert. Fremde Länder zu bereisen, baut Vorurteile ab, Verständnis füreinander auf und so weiter und so fort.

Es geht also nicht darum, gar nicht mehr zu fliegen. Es sollte aber im Jahre 2022 darum gehen, das Flugzeug dann zu nutzen, wenn es Sinn macht – möchte man ein Vorbild sein. Und Mainz 05 trommelt, was das Thema Umwelt angeht, ziemlich viel und für seine Verhältnisse ziemlich laut.

Vielleicht sind diese Woche die Emotionen auch so hoch gekocht, weil der Verein mit seiner Klimaneutralität permanent wirbt. Und vielleicht haben wir dabei ein falsches Verständnis, was es mit Klimaneutralität auf sich hat. Dass der Verein formal als klimaneutral gilt, steht außer Frage. Auf seiner Webseite schreibt der Verein selbst, dass es aktuell „bislang gesetzlich keine Vorgaben“ gibt. Der Verein orientiert sich am so genannten Greenhouse Gas Protocol. Demnach werden CO2-Emissionen in drei Bereiche, so genannte Scopes, unterteilt:

  • Scope 1: direkte Emissionen durch eigene Autos und Gebäude inklusive Stadion
  • Scope 2: Zugekaufte Energie
  • Scope 3: vor- und nachgelagerte Emissionen die durch den Erwerb von Produkten, Dienstleistungen. Die An- und Abreise von Fans zu den Spielen gehört ebenfalls dazu.

Dadurch ergibt sich ein Wert an CO2-Emissionen. Damit Mainz 05 als klimaneutral gilt, müssen diese Emissionen ausgeglichen werden. Dafür kauft Mainz 05 Zertifikate eines Klimaschutzprojekts in Ruanda. Wie bereits geschrieben, ist es auf jeden Fall löblich, das CO2 zu kompensieren. Allerdings wird auf der Vereinsseite nicht geschrieben, wie lange es im Rahmen dieses Klimaschutzprojekts dauert, bis das CO2 eingespart wird.

Solche Ausgleichsprojekte stehen oft in der Kritik, gerade weil es an Transparenz fehlt. Daher empfiehlt das Umweltbundesamt, möglichst in Projekte zu investieren, die vom Goldstandard zertifiziert sind: „Achten Sie bei Kompensationsanbietern auf diese Zertifizierung. Die Gold-Standard-Foundation ist eine Non-Profit Zertifizierungsorganisation, die in der Schweiz registriert ist. Berechtigt zur Zertifizierung durch „The Gold Standard“ sind nur Projekte, die nachweislich zur Reduktion von Treibhausgasen führen und gleichzeitig gut für die lokale Umwelt und soziale Belange der Bevölkerung sind.“

Auf der Mainz 05-Seite steht nicht, wie das Projekt in Ruanda zertifziert ist. Im Umkehrschluss bedeutet es nicht, dass das Projekt in Ruanda schlecht ist. Es ist aber vielen Menschen nicht bewusst, dass es teilweise 10 Jahre dauert, bis die Menge an ausgestoßenem CO2 mit Hilfe solcher Projekte kompensiert ist. Daher wäre es wünschenswert, wenn das auf der Vereinsseite angegeben würde.

Da ist die Luftverkehrsbranche bereits einen Schritt weiter und bietet die Möglichkeit, so genanntes Sustainable Aviation Fuel (SAF), also nachhaltiges Kerosin zu kaufen. Dieses reduziert den CO2-Ausstoß direkt beim Fliegen um mindestens 75% und nicht erst 10 Jahre später. So etwas kostet allerdings Geld. Während auf dem Portal Compensaid die Kompensation über gewöhnliche Projekte schon für 1,34 € auf der Strecke Frankfurt – Salzburg zu haben ist (bei 10 Jahren Dauer der Kompensation) kostet es 42,88 €, wenn der Flug mit SAF durchgeführt wird.

Screenshot der CO2-Kompensation für den Flug Frankfurt-Salzburg über 10 Jahre
Screenshot der CO2-Kompensation für den Flug Frankfurt-Salzburg über 10 Jahre

Anzunehmen, dass die Kosten für das Projekt in Ruanda vergleichbar sind, mit den Kosten der 10-jährigen Kompensation. Möchte man direkt relativ klimaneutral sein, kostet das ein Vielfaches dessen, wie das oben genannte Preisbeispiel zeigt. Daher sei nochmals daran erinnert, was die eine Airline 2019 geschrieben hat: Fly Responsibly

Das deckt sich letztlich auch mit den Ansprüchen, die Mainz 05 auf seiner eigenen Seite formuliert: „Mittels des neu berechneten Fußabdrucks werden wir nun wie auch in der Vergangenheit Verbesserungspotenziale identifizieren, um Emissionen zu verringern oder im besten Fall zu vermeiden. Hier möchten wir in den kommenden Jahren noch gezielter Emittenten analysieren, um langfristig Verminderungsziele zu formulieren und Maßnahmen einzuleiten.“

Mainz 05 sollte also analysieren, wo Emissionen einzusparen sind. Steht im nächsten Jahr die Reise nach Grassau an, ist es ein Leichtes, die Emissionen zu senken. Statt zu fliegen, sollte der Bus oder die Bahn genommen werden. Und wenn das ganze Material nicht in den Bus passt, liegt es auf der Hand, einen Transporter zu mieten. Flüge über 10 Jahre zu kompensieren und damit einfach auf die Klimaneutralität zu verweisen passt nicht zur Mission Klimaverteidiger. Denn das Vermeiden oder wenigstens das Reduzieren sollte immer an erster Stelle stehen. Nur das, was sich nicht vermeiden lässt, sollte kompensiert werden. Diese These stelle nicht ich auf, sondern ist ja so auf der Mainz 05-Homepage nachzulesen, wie das Zitat oben zeigt.

Möchte man diesen selbst gesteckten Zielen genügen, sollte es also kar sein, wie man sich im nächsten Jahr entscheidet.  Es sei denn, das nächste Trainingslager findet wieder in den USA statt. Wie es dann mit der Regeneration auf einem Acht-Stunden-Flug aussieht, müsste allerdings noch geklärt werden.

Und aus welchem Grund ist der Verein jetzt genau nach Grassau geflogen?

Er selbst schreibt dazu nichts. Anzunehmen, dass es die Bequemlichkeit war. Und zwar die Bequemlichkeit, es so zu machen, wie man es immer schon gemacht hat. Dabei sollte man als Fußballsportverein wissen, dass man es dem Gegner leichtmacht, wenn man ausrechenbar ist und seine Strategie nicht ändert. Das gilt auch für die Klimaverteidiger von Mainz 05. Vom Pioniergeist 2010 ist leider 2022 nicht mehr viel übriggeblieben. Ähnlich wie beim Leitbild orientieren sich die handelnden Personen nicht an den Ambitionen, die sich der Verein selbst auf die rotweißen Farben geschrieben hat. Eigener Anspruch und die gelebte Wirklichkeit klaffen wieder einmal komplett auseinander.

Quellen:
FSV Mainz 05 – Klimaneutralität

Compensaid – fly CO2-neutral

Nationalelf fliegt von Stuttgart nach Basel – Das sagt ein Sportmediziner – Stuttgarter Zeitung

The Gold Standard | Umweltbundesamt