„Im Schatten der Arena“ von Mara Pfeiffer

Krimis und Mainz, das passte bislang so gut zusammen wie Montagsspiele und Faninteressen. Ich denke da nur an den Mainz-Tatort, Folge 1053, der neulich in der ARD lief. Der Regisseur hätte Heike Makatsch durch jede beliebige Stadt rennen lassen können, so einfallslos und banal war das Skript. Der Vorgänger-Tatort aus Mainz, Folge 109, lagert seit seiner Erstausstrahlung 1980 im Archiv des SWR, obwohl in dieser Folge, dem Klischee entsprechend, die Fastnacht eine große Rolle spielte. Fast ganz ohne Fastnacht, aber dafür mit sehr detailverliebter Beschreibung der Mainzer Neustadt, kommt „Im Schatten der Arena“ aus, ein Mainz (05) Krimi, der so nur in der goldenen Stadt am Rhein handeln kann und nicht in Bielefeld oder Bitterfeld.

Ein Werk von Mara in der Masai Mara
Ein Werk von Mara in der Masai Mara

Die Handlung an sich ist recht schnell erzählt: Jo, eine alleinerziehende Journalistin der Lokalzeitung findet sich mit dem vermeintlichen Unfalltod ihres Kollegen nicht ab. Daher versucht sie zu recherchieren, an welchen Themen er vor seinem Unglück dran war, und wer gegebenenfalls ein Motiv hatte, den Sportreporter umzubringen.

Mara gelingt es, Kapitel um Kapitel eine Spannung aufzubauen. Durch die bildhafte Schilderung jeder Handlung aller Figuren an Plätzen, die viele Mainzer*innen sicherlich kennen, konnte ich mich sehr gut in die einzelnen Szenen hineinversetzen. Als positiver Nebeneffekt erhalten die Leser*innen einen kleinen Einblick in den Alltag von Zeitungsredaktionen und in die Ermittlungsarbeit der Polizei. Hört man bei Fernsehkrimis oft, dass die abgedrehten Szenen nicht viel mit der täglichen Arbeit von Kriminalist*innen gemein haben, ist bei diesem Werk anzunehmen, dass die geschilderten Abläufe recht realistisch geschildert werden, schließlich spielt sogar der Mainzer Polizeisprecher mit Klarnamen mit. 

Dem interessierten Fußballfan mögen manche Passagen erklärend bis aufklärerisch vorkommen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass nicht alle Krimi-Leser*innen gleichzeitig versierte Fußballkultur-Expert*innen sind. Das Buch liefert einen gelungenen zeitgeschichtlichen Abriss der letzten Jahre, was Mainz 05 im Speziellen aber auch Fußballdeutschland im Allgemeinen betrifft. Als Leser*in merkt man im Verlauf der Handlung unweigerlich, dass Fußball politisch ist, auch wenn es da einige besorgte, meist männliche, Mitbürger gibt, die diesen Zusammenhang da immer noch nicht sehen wollen.

Mara ist mit ihrem Werk meiner Meinung nach ein großer Wurf gelungen, der es letztlich „verschmerzen“ lässt, dass ihre Hommage an die Mainzer Neustadt zu großen Teilen auf der „falschen“ Rheinseite entstanden ist. Eine Fortsetzung wäre wünschenswert – auch gerne ohne 05-Bezug, denn der Bibelturm, bietet sicherlich immer noch so viel Konfliktpotenzial, so dass die Journalistin Jo schon bald wieder aktiv werden muss. Vielleicht gelingt Mara ja sogar das, was der Drehbuchautor des Tatorts 1980 nicht vollbrachte – einen Fastnachtskrimi zu schreiben, den man sich auch Jahre später nochmals gerne gibt – das ist ihr mit dem Fußballkrimi „Im Schatten der Arena“ meiner Meinung nach auf jeden Fall gelungen.

Q wie quasi mitendrin in der Sommerpause

Die Sommerpause ist so lang wie nie in diesem Jahr. Und dann schon am 33. Spieltag den Ligaverbleib fix gemacht…gähn – das war nicht immer so bei Mainz 05. Man denke nur an 1997, Stichwort WOB bzw. Volkspark oder an 2002 bei Eisern Union oder an 2003 bei der doppelten Eintracht… Und genau da drum ging es gestern mitten in dieser ellenlangen Sommerpause. Gespickt mit Anekdoten erinnerten zwei Helden von 2004 an die Jubiläums-Saison, die genau vor 15 Jahren ihren Anfang nahm, mit dem bekannten Ende beim Spiel gegen die dritte Eintracht im Bunde, die aus Trier.

Bierbank statt Stehplatz - Sommerpause halt.
Bierbank statt Stehplatz – Sommerpause halt.


„Wo genau hab‘ ich was verpasst?“ – diese Entschuldigung gilt diesmal so gar nicht, nachdem sogar der Verein mit einer Push-Mitteilung am Freitag alle Nutzer der 05-App auf das Q-Block-Sommerfest hingewiesen hat. Zum ersten Mal luden die Fans des FSV zu einem selbst organisierten Sommerfest im Stadion am Europakreisel ein – nicht die in der Szene Aktiven, sondern alle, die Bock auf Nullfünf haben. So richtig Bock machte alleine schon das Ambiente hinter der Rheinhessentribüne mit Kleinfeld zum Kicken, Hüpfburg für die Kids, Speis‘ und Trank zu fairen Preisen und einer Ausstellung von Motto-Shirts, Stickern und Schals der aktiven Fans des FSV. Dazu wurden die mittlerweile immer weniger grauen Ecken und Felder des Stadions mit Bannern geschmückt und die Streetart, die mittlerweile viele Teile des Stadion so einzigartig macht, kam spätestens gegen 19.05 Uhr beim Licht der untergehenden Sonne so richtig zur Geltung.

Leider heute keine selbstverständlichen Aussagen.
Leider heute keine selbstverständlichen Aussagen.

Davor durften aber auch schon alle Zuhörer strahlen, als die Ex-Spieler Sandro, Tamás, Moderator und Ex-Capo Ludo und Matthias vom Fanprojekt, damals als Ultra mitten im Geschehen dabei, im Rahmen einer Podiumsdiskussion die Jubiläums-Saison 2003/2004 Revue passieren ließen. Natürlich wurden im Laufe des Gesprächs auch solche „Unworte“ wie „Fürth“ und „Bielefeld“ thematisiert, aber am interessantesten war zu erfahren, wie die Jungs nach dem damaligen 0:0 in Regensburg über die Sache „Aufstieg“ dachten. Allgemeiner Tenor in der Mannschaft war, dass Mainz 05 nun endlich mal dran sei mit dem Aufsteigen, nach dem zweimaligen unglücklichen Scheitern 2002 und 2003, was es so in Fußballdeutschland voher und nachher in seiner Dramatik nie gab. Und deshalb war man sich so sicher, Trier zu bezwingen, Conor Casey mit einem Erstligavertrag auszustatten und endlich eine Woche am Theater feiern zu können…

Speis' und Trank zu fairen Preisen durften auch nicht fehlen.
Speis‘ und Trank zu fairen Preisen durften auch nicht fehlen.

Überhaupt Tamás Bódog: Für mich ja eigentlich der NiNo 2, was normalerweise Redseligkeit betrifft. Aber er befand sich für seine Begriffe fast schon im Monolog-Modus und es war einfach herrlich, den vier Jungs zuzuhören. Gleichzeitig nutze Sandro, wie neulich in der Länderspielpause, die Gunst der Stunde, alle einzuschwören:

Als Dankeschön erhielten Sandro und Tamás Q-Block-Fanutensilien überreicht.
Als Dankeschön erhielten Sandro und Tamás Q-Block-Fanutensilien überreicht.

Punkt 1: In Mainz funktioniert immer nur alles über das Kollektiv. Das war letzte Saison nach Hoffenheim an Fastnacht am Bobbes. Die Länderspielpause kam zur richtigen Zeit und, so ist es mittlerweile Tradition und Sitte in der goldenen Stadt am Rhein, es wurde wieder gemeinsam die Situation gerettet – sprich der Klassenerhalt gesichert…und das in Liga 1, was Mitte/Ende der Neunziger noch in Liga 2 unerkannte Emotionen hervor ruf. Und da wären wir bereits bei Punkt 2: Es gibt nur 18 Vereine in der Republik, die erste Liga spielen dürfen. In der nächsten Saison ist das weder in Hamburg noch in Köln der Fall, aber der FSV aus Mainz am Rhein ist zum 9.-mal in Folge mit dabei! Vielen ist leider nicht bewusst, wo wir herkommen. Erstligafußball ist in Mainz immer noch etwas außergewöhnliches und nicht der Standard! Das müssen wir uns alle immer mal wieder vor Augen halten.


Die grauen Wände hinter der Rheinhessen-Tribüne sind mittlerweile eine Minderheit.
Die grauen Wände hinter der Rheinhessen-Tribüne sind mittlerweile eine Minderheit.

Nichtsdestotrotz verändern sich die Rahmenbedingungen. Sandro und Tamás erzählten von eingen Nonstop-Reisen vom Auswärtsspiel direkt ins Europalace in Kastel. So etwas ist heute eigentlich undenkbar. Aber eigentlich undenkbar ist auch, dass der Trainer eines Erstligisten im Jahr 2018 bei einer Fanveranstaltung wie anno dazumal der Kloppo im Café am Ballplatz stundenlang am Tresen steht und mit den Leuten babbelt. Aber hier an diesem Nachmittag war nicht nur er, sondern auch Mitglieder des Vorstands, des Aufsichtsrats und der Direktion präsent und ansprechbar. Und wer bei diesen Leuten mal was loswerden wollte – die Situation war nie so günstig wie gestern Nachmittag. Die immer beschworene Fannähe hat sich gestern tatsächlich gezeigt und ist nicht einfach ein abgelutschter Marketing-Gag. Hier ziehen wirklich alle an einem Strang, der Verein mit Fanabteilung und Fanbeauftragten aber auch wir Fans. Sandro brennt auf die neue Saison und hat die, die gestern dabei waren, sicherlich gleich mal alle mitgenommen. Wie schon die Veranstaltung „Samstags halb vier, Fußball, Bratwurst, Bier“ wurde mit viel Liebe und Leidenschaft ein toller Rahmen für wunderbare Begegnungen gelegt, in der man sich mal mit vielen Leuten austauschen konnte. Ein großes Dankeschön an den Q-Block für diese gelungene Veranstaltung. Wiederholung in der nächsten Sommerpause sehr erwünscht! Und alle, die dieses Mal nicht dabei waren…es lohnt sich, Mainz 05 von mitten drin zu erleben…in der ellenlangen Sommerpause!

Schwarz-Rot-Grübeln

Es gibt Texte, die schreibe ich fast täglich um, bevor ich sie Euch zu Lesen gebe. Einerseits versuche ich dabei korrekt zu recherchieren und Dinge auch mal sacken zu lassen, wie damals, als der Don mit uns nicht mehr wollte. Gleichzeitig passiert in diesen schnelllebigen Zeiten so dermaßen viel, so dass ich manchmal gar nicht mehr mit dem Umschreiben und Aktualisieren hinterherkomme. Auch möchte ich nicht den Anschein erwecken, als würde ich Gedanken anderer kopieren und verwerfe daher dann auch wieder die eine oder andere Textpassage. Und wenn es um ein Thema wie Nationalmannschaft und Deutschland geht, ist es ein weitaus schwierigerer Ritt auf der Rasierklinge als über unseren geliebten FSV zu schreiben.

Angefangen hatte alles am Samstag Abend nach dem Spiel gegen die Schweden. Denn so euphorisiert wie viele andere Menschen war ich nach dem 2:1 überhaupt nicht. „So ist Fußball“ – mehr ist mir zunächst nach dem Tor von Toni Kroos nicht eingefallen. Aber ich freute mich für ihn, denn im Mannschaftssport Fußball finde ich es immer schlecht, wenn ein individueller Fehler so bestraft wird, wie sein Schnitzer zum 0:1. Das ging mir bei Loris neulich ähnlich. Und das Tor von Marco Reus habe ich dem Pechvogel vergangener Turniere sehr gegönnt. Aber ein komplettes Ausrasten, wie bspw. 2009 in Fürth, konnte ich an mir letzten Samstag nicht feststellen. Was ist da in meinem Verhältnis zur Nationalmannschaft irgendwann abhanden gekommen und wie sieht das jetzt nach dem Vorrundenaus aus?

Auswärtsspiel in Baku 2009
Auswärtsspiel in Baku 2009

Der Versuch einer Bestandsaufnahme

Mein Verhältnis zur Nationalmannschaft ist seit meiner ersten bewusst erlebten WM 1982 sehr ambivalent. Bei näherer Betrachtung hing es auch immer stark von meiner Beziehung zu Mainz 05 ab. Die erste WM 1982 in Spanien lief ja ähnlich mäßig an, wie die in Russland. Niederlage gegen Algerien, Sieg gegen Chile und das Skandalspiel von Gijon gegen Österreich. Spätestens aber seit dem epischen 8:7 n. E. in dem steilen Stadion von Sevilla gegen Frankreich, in dem wir 23 Jahre später ein 0:0 bejubeln durften, ehe der Sevilla FC einfach das Licht ausknipste, war ich erstmals richtig angefixt. Nach dem verlorenen Finale 1982 gegen Italien (das Fürth der Nationalmannschaft – ebendieses lernte ich erst später kennen) lag ich damals als Bub arg verschnupft im Bett und war völlig am Ende. Da bedeutete mir die Amateur-Meisterschaft von Mainz 05 im gleichen Sommer gar nichts (mehr). An 1986 habe ich vielleicht wegen der vielen Abendspiele kaum Erinnerungen.

Rollis der Sektion Gerstensaft in Helsinki 2008
Rollis der Sektion Gerstensaft in Helsinki 2008

Nach der WM in Mexiko passierte in meinem Fan-Dasein Ende der 80er etwas vollkommen verrücktes: Mein Verein Mainz 05 stieg von der Oberliga Südwest in die 2. Liga auf und ich verschlang plötzlich jeden Artikel in der damaligen jungen Mainzer Rheinzeitung, die 1987 startete. Nationalmannschaft und 05 kamen sich noch nicht ins Gehege – alles war gut. Am besten war es 1990 als ich mit Freunden in einem Mainzer Vorort den Weltmeistertitel feierte – Autochorsos gab es damals aber glaube ich noch nicht – zumindest nicht in dem mittlerweile gekannten Ausmaß. Auch die Fahne wurde eher verpönt geschwungen. Am nächsten Tag erschien die Mainzer Rheinzeitung allerdings in Schwarz-Rot-Gold mit dem Titel „Deutschland ist Weltmeister“ und Bilder zeigten Menschen auf Bussen am Schillerplatz stehen. Alles in allem war das ein Feiern, was man nach heutigen Maßstäben als „mit angezogener Handbremse“ charakterisieren würde – ganz im Gegensatz zu der Aussage von Franz Beckenbauer am Finalabend Deutschland wäre nach der Wiedervereinigung auf Jahre unschlagbar. Genau dieser arrogante Satz zieht sich auch ein wenig wie ein roter Faden seither durch Chronik der Nationalmannschaft. Diese Mentalität wird ja auch von vielen Anhängern der Nationalmannschaft geteilt, zumindest bis zum vergangenen Mittwoch. Und das ist vielleicht auch einer der Gründe, warum gerade auch in Deutschland viele Fußballfans mit der Nationalmannschaft und der in den nächsten 24 Jahren eingeheimsten Erfolge nicht viel anfangen können bzw. sogar eine große Abneigung gegen diese entwickelt haben. 

Bei mir waren in den 1990ern die Claims weiter perfekt abgesteckt. 05 spielte immer in der 2. Liga, die Nationalmannschaft flog zweimal im Viertelfinale raus, aber ich schaute 1994 auch um 3 Uhr nachts irgendwelche belanglosen Vorrundenspiele ohne deutsche Beteiligung, denn WM war bei meinen Freunden und mir Kult genauso wie Stefan Raab mit „Börti Vogts“. 1998 blieb ich nach der Niederlage gegen Kroatien im Turnier verhaftet, da meine französischen Kolleginnen und Kollegen meines französischen Arbeitgebers ihr „Sommermärchen“ bei ihrer Heim-WM weiter feierten und ich mitbekam, wie ungezwungen man sich für die Mannschaft seines Heimatlandes freuen kann. Das stand im krassen Gegensatz zum Verhalten einzelner Deutscher, die in Lens beim WM-Vorrundenspiel gegen Jugoslawien genau vor 20 Jahren einen französischen Polizisten halb tot schlugen. Irgendwie war ich da immer ein wenig irritiert, wie das viele andere Nationen hinbekommen, so unbeschwert zu feiern, z.B. später auch meine spanischen Kolleginnen. Vier Jahre später, Mainz war gerade bei Eisern Union am Aufstieg gescheitert, traute man der Nationalmannschaft gar nichts zu und sie schaffte es bis ins Endspiel. Es gab eine kleine Euphorie-Welle: „Es gibt nur ein Rudi Völler“ aber das war immer noch nichts im Vergleich zur Heim-WM 2006. Im Dezember 2002 bekam ich in Honduras in einer Kneipe mit lauter Olli-Kahn-Postern von wildfremden Honduranern ein Bier nach dem anderen ausgegeben, wegen dem hervorragenden Abschneiden der Mannschaft in Japan und Südkorea und weil ich Deutscher war…

Für die Heim-WM war ich als ehrenamtlicher Fanbetreuer der französisch- und spanischsprachigen Besucher im Einsatz. Mainz 05 machte zwischenzeitlich seinen Traum wahr und spielte endlich Bundesliga, bekam WM-Karten zugeteilt und reichte diese an uns 05-Fans weiter – eine Aktion, die ich auch heute noch sehr sehr groß finde. So besuchte ich auch ein paar WM-Spiele, die sich von 05-Spielen aber total unterschieden. Ich „konsumierte“ England-Paraguy in Frankfurt bzw. Australien-Italien in Lautern. Aber eine Stimmung wie bei 05-Spielen zu der Zeit kam bei diesen WM-Spielen selbst bei den Engländern nicht auf. Meine Prio setzte ich 2006 ohnehin darauf, mitzuhelfen, dass die WM im eigenen Land wirklich dem Motto, unter Freunden Gast zu sein, gerecht wurde. Als Volunteer war ich in Frankfurt und Leipzig im Einsatz und werde diese unbeschwerte Zeit, als die Welt wirklich zu Gast bei Freunden war, in positiver Erinnerung behalten.

Die Euphorie-Welle Nationalmannschaft packte mich erst im September2006 als Manu Friedrich als erster 05er zum Team der Nationalmannschaft stoß. Und so klappte es zwischenzeitlich ganz gut mit mir, 05 und der Nationalmannschaft. Denn durch die UEFA-Cup-Fahrten 2005 nach Armenien, Island und Spanien angefixt, hatte ich plötzlich große Lust, Fußball im Ausland zu gucken. Gleichzeitig nahm ich an, dass der Internationale Fußballsportverein eine einmalige Sache gewesen sein sollte, da die Jungs mit Kloppo 2007 den Gang ins Unterhaus antreten mussten. So flog ich im Oktober 2007 erstmals für ein Spiel der Nationalmannschaft ins Ausland nach Irland. Reisen u.a. nach Liechtenstein, Finnland, Aserbaidschan und Russland (mit René Adler im Tor) folgten, aber so langsam begann ich mit der Nationalmannschaft ein wenig zu fremdeln, zumindest was den Auswärtsmob angeht. Denn ein Teil des Publikums, das damals auf den Quali-Spielen unterwegs war, war mit unseren Auswärtsfahrern nicht zu vergleichen. Bei der Hymne wurde von manchen nicht unbedingt die 3. Strophe gesungen und gerade damals in Baku wurden die Gastgeber extrem rassistisch dauerbeleidigt. Ich habe mich selten so fremdgeschämt wie im August 2009 in der Hauptstadt von Aserbaidschan. 05 stieg im gleichen Sommer wieder auf und plötzlich fremdelte ich auch ein wenig mit dem Team der Nationalmannschaft als solches. Kann man die Jungs auf dem Rasen unterstützen, wenn sie im Liga-Alltag eigentlich immer alle gegen Mainz spielen? Diese Einstellung änderte sich im November 2010 wieder, da mit Lewis Holtby und Schü wieder zwei 05er zum Kader der Nationalmannschaft gehörten. Da Schü einen sauberen Abgang von Mainz hinlegte und bis 2014 ja auch immer wieder nominiert wurde, er den entscheidenden Pass gab und mit Deutschland 2014 Weltmeister wurde, freute ich mich für ihn und das Team wirklich – aber das war nicht mit dem zu vergleichen, wie z.B. das Freuen über den Klassenerhalt letztes Jahr gegen die SGE oder neulich in Dortmund.

Auswärtsmob in Vaduz 2008
Auswärtsmob in Vaduz 2008

Die Frage, ob mich die WM vielleicht nicht mehr so interessierte, weil sie seit 2006 plötzlich eigentlich immer die interessierte, die sonst keinen Fußball schauen, stellte ich mir eigentlich nie. Mit denselben Freunden, mit denen ich schon 1994 mir die Nacht um die Ohren schlug, ließ sich 2010 und 2014 gut grillen und zwischen den Spielen ein Kigges veranstalten. Das „Schland“-Gegröhle nervte zwar, aber war im Grunde harmlos. Und wenn 05er herumgröhlen nervt das sicherlich auch Leute, die nichts mit Fußball anfangen. Nach der WM 2014 war mir die „Mannschaft“ wie sie plötzlich hieß, aber irgendwie egal. Die Wochenenden, die Bundeliga-frei waren, nutzte ich nun, um mal vom König Fußball loszukommen und plante vielmehr Reisen in entfernte Länder oder „zur Not“ das nächste 05-Auswärtsspiel. Auch der DFB tat sein übriges: die vorgefertigten Choreos des Cola-Fanclubs-Nationalmannschaft und die Eventisierung jedes Fußballspiels hatten bei mir den Bogen überspannt. Schnappatmung statt atemlos! 

Seit 2015 ist Deutschland mehr und mehr in der Flüchtlingsfrage gespalten und die schwarz-rot-goldene Fahne wird von Leuten benutzt, die die Farben, für die diese Fahne seit 1848 steht, sprich, wie es die Seite des Bundestages schreibt, für „nationale Einheit und bürgerliche Freiheit“ für ihre eigene Zwecke missbrauchen, um zu spalten und diese Freiheiten einzuschränken. Gleichzeitig spielen in der Nationalmannschaft mittlerweile Menschen mit einer anderen Hautfarbe, die manche Politiker nicht als Nachbarn neben sich wünschen und die mittlerweile auch daran zweifeln, ob sie deswegen der Nationalmannschaft die Daumen überhaupt noch drücken sollen. Und die jetzt ebendiesen Spielern die Schuld fürs Scheitern geben. Lange galt es ja unter vielen aktiven Fußballfans quasi als hip, jede Niederlage der Mannschaft zu bejubeln und sich mit dem Gegner zu freuen. Auch die schwarz-rot-goldene Farbe stand unter Generalverdacht. Sie steht aber wie bereits geschrieben genau für die Einheit und Vielfalt unseres Landes. Wenn ich mir daher vor Augen halte, wer in den vergangenen Wochen darüber schwadroniert hat, der Nationalmannschaft vielleicht nicht mehr die Daumen zu drücken, weil dort nicht nur Leute mit weißer Hautfarbe mitspielen, und wer die Farben Schwarz-Rot-Gold für Spaltung und Hass einsetzt, dann denke ich wirklich, dass es an der Zeit ist, das eigene Verhalten zu überdenken. Es bleibt auf jeden Fall zu hoffen, dass in Zukunft viele Fahnen schwenkende Menschen wissen, wofür diese drei Farben Schwarz, Rot und Gold stehen und wofür sicherlich nicht. Leider geht es heute nicht mehr um den Luxus, sich fremd zu schämen, sondern Stellung zu beziehen für die Vielfalt und die Freiheiten, die unser Land ausmachen – ob mit oder ohne Weltmeistertitel.