Skandinavien 2004 letzter Teil

Goddag,  

oder hallo aus  71°10’21“N oder dem angeblich nördlichsten Punkt Europas – oder noch ehrlicher Guten Morgen aus Mainz! Nach 40stündiger Odyssee vom Nordkap – mit dem Widerøe Bus wegen geschlossenem Flughafen nach Hammerfest –  mit einer Propellerkiste nach Tromsø und dreimal „Stehen bleiben“ und Fahrrad-Fetzen nach – Oslo in den Flughafenwald zum Zelten – und mit „There’s no better way to fly“-Lufhansa nach Frankfurt bin ich wieder auf dem 50. Breitengrad gelandet und reif für die Insel.  

Wie harmonisch hatte dagegen diese Woche für mich in Sapmi, dem Land der Sami am finnischen Inari-See angefangen. Außer ein paar Mücken, die ich mit dem alles bezeichnenden finnischen „Hyttys“ Spray Marke „OFF!“ sehr schnell loswurde, hatte ich dort oben einen angenehmen Ruhetag und endlich mal wieder die Gelegenheit zum Schreiben vom Teil 2.  

Die anschließende Fahrt in Richtung Nordwesten zur norwegischen Grenze brachte eine Neuerung mit: Wind! Da ich bisher praktisch nur durch Wald fuhr, gab es keinen Gegen- oder Rückenwind, der meine Geschwindigkeit irgendwie beeinflusste. Nun auf der Hochlandfläche von Sapmi (Lappland) hatte ich zum 1. Mal mit Gegenwind und Böen zu kämpfen. Gerade Seitenwindböen sind nicht gerade die angenehmsten Naturphänomene, da ich durch sie oft zur Straßenmitte „geweht“ wurde. Wie angenehm war es dann in Finnland zu radeln, wo sich die Autofahrer im Großen und Ganzen sehr rücksichtsvoll Radlern gegenüber verhalten: Man wird als Verkehrsteilnehmer wahrgenommen…und respektiert. Daher wird im großen Sicherheitsabstand überholt und ich wurde nie geschnitten.  

Die Fahrt über die Hochlandebene erweiterte mit einem Mal auch meinen Horizont, der in den letzten 13 Tagen lediglich 3 Meter nach links und rechts bis an den Straßen- bzw. Waldrand reichte. Statt Wald gab’s jetzt Sümpfe und Moore, die das Landschaftsbild bis an den kilometerweit entfernten Horizont prägten. Nun wurde der finnische Name für Finnland „Suomi“ endlich einmal Wahrheit, denn es bedeutet nichts anderes als Sumpf. Finnland selbst kommt wohl vom lateinischen „Fenia“, und bedeutet ebenfalls Sumpf.  

Nach 13 meist wunderschönen und oft sonnigen Radel-Tagen hatte ich den 1.720 km langen „Sumpf“ durchquert und mit Norwegen wieder festen Boden unter den Füßen. Kaum im Land der Fjorde und Berge angekommen, ging es auch schon steil bergan auf eine karge Hochfläche. In kleinen Senken wuchsen die letzten Kiefern und Birken. Da es ca. 25° C im Schatten waren, die Sonne mittlerweile 24 Stunden am Tag schien, kam ich mir mehr wie am Mittelmeer vor, als in der Polarregion. Diese warmen Temperaturen sind im Landesinneren von Nordnorwegen im Sommer durchaus normal – allerdings wird’s im Winter auch normalerweise bis ca. – 45°C  kalt. Durch die klare Luft waren schon die Fjorde umgebenden kahlen Berge des Eismeeres, das noch fast 100 km entfernt war, zu sehen. Je weiter ich nach Norden fuhr, desto weniger verkrüppelte Bäumchen säumten den Weg.  

Neben Fjorden ist Norwegen sicherlich für Lachs bekannt und Lakselv (norwegisch Lachsfluss), der erste Ort nach 74 km des Radelns vom Grenzort Karasjok zum Eismeer machte seinem Namen gleich alle Ehre. Auf dem Dorffest räucherten die Fischer den frisch gefangenen Lachs direkt auf der Gasse und für 3,50 € gab es eine Riesenportion Filet auf den Teller. Endlich mal keine Pasta zum Futtern und mein kulinarisches Desaster, was ich wegen dem etwas arg hohen Preisniveau in Norwegen befürchtet hatte, wurde abgewendet.  

Bisher war diese Radtour problemlos verlaufen, doch kurz vor meinem Ziel, wurde ich vor ein besonderes Problem gestellt: Da Norweger straßenbautechnisch sicherlich die fortschrittlichsten Zeitgenossen auf unserem Planeten sind, bauen sie in diesem bergigen, mit Fjorden durchzogenen Land, Brücken, steile Straßen und leider auch Tunnels en masse. Ein paar hundert Meter durch einen stinkenden Tunnel zu radeln ist sicherlich o.k., aber wie sieht es mit einem fast 7 km langen Tunnel aus, der 212 Meter unter der Meeresoberfläche verläuft und extrem eng ist? Offiziell war die Durchfahrt durch den sog. Nordkapptunnellen für Radler verboten – doch das heißt in Norwegen nicht sonderlich viel. Da ich niemanden getroffen hatte, der dieses stinkende Abenteuer per Velo durchgestanden hatte, musste ich eine Alternative finden. Diese bestand letzten Endes darin, eine kleine Nebenstraße für ca. 100 km zu nehmen, und dann mit dem Postschiff auf die Nordkappinsel Magerøya zu fahren.

Dumm nur, dass das Schiff nur einmal täglich fährt, und dies morgens um 9:45 und mir diese Alternative erst am Abend zuvor um 19:00 einfiel. Da ich irgendwann einmal wieder nach Hause musste, blieb mir nicht viel anderes übrig, als nach 128 gefahrenen Kilometern noch schnell abends die 100 km zum Fährhafen zurückzulegen.  

Aber gibt es was schöneres als freitags nachts um Mitternacht bei Sonnenschein eine kurvenreiche kleine Straße von Fjord zu Fjord entlang zu radeln auf der kein einziges Auto fährt? 5 km vor dem Kaff – es gab auf den 100 km sonst keines – stellte ich mein Zelt neben der Straße auf, denn es störte ja eh niemanden, dank des Jedermansrechts in Skandinavien. Dies besagt, dass jeder auf öffentlichem Land sich zu jeder Zeit aufhalten darf – dies schließt das Zelten glücklicherweise ein. Mit 228 km in den Beinen und einem aus Finnland importierten Dosenbier im Kopf schlummerte ich sofort ein.  

Die Fahrt mit dem Postschiff, das zwischen Bergen im Südwesten Norwegens und Kirkenes an der Grenze zu Russland im Nordosten des Landes pendelt war äußerst angenehm. Das Rad wurde im Frachtraum deponiert und ich hielt mich im Café am Kaffee fest, während die Felskulisse der Eismeerküste an mir vorüber zog. Nach 2 Stunden Fahrt war ich in Honningsvåg, dem Hauptort der Nordkappinsel angekommen. Nach weiteren 34 km extrem bergiger Straße hatte ich dann das Ziel meiner Reise erreicht: Vom Nordkappfelsen aus blickte ich bei strahlendem Sonnenschein auf das ruhig daliegende Eismeer hinaus. Ich hatte jetzt den nördlichsten mit dem Rad anfahrbaren Punkt Europas erreicht – aber Europa endet nicht am Nordkap, wenn man Spitzbergen, das 1.200 km weiter nördlich liegt, zum Kontinent der griechischen Fußballhelden zählt. 2.016 km lagen seit meiner Abfahrt vor exakt 2 Wochen hinter mir und ich dachte mir, das ganze war ja eigentlich bis auf den einen Regentag in Mittelfinnland ganz easy…doch man soll ja nie den Tag vor dem Abend loben!  

Eigentlich wollte ich vom Nordkap aus via Tromsø und Oslo nach Frankfurt fliegen. Per Zufall erfuhr ich, dass das Radar am Flughafen Nordkap kaputt sei und dies seit einer Woche. Das Ersatzteil kommt aus Oslo – irgendwann und bis dahin bleibt der Flughafen geschlossen. Nun setzte die Fluggesellschaft Widerøe, die hier oben mit kleinen Propellerkisten (Dash 8) herumschwirrt, zweimal täglich einen Bus ins dreieinhalb Stunden entfernte Hammerfest ein, wie ich im Internet herausbekam, denn der Flughafen war bis auf ein verirrtes japanisches Ehepaar ausgestorben. Ich wollte ja eigentlich erst am Folgetag fliegen, aber ruckzuck fuhr ich zum Campingplatz, packte meine Sachen  und fuhr zum Flughafen zurück. Irgendwann kam ein Angestellter in Jeans und T-Shirt und meinte der Bus käme gleich. Gesagt getan, der Bus kam und statt zu fliegen rollten wir los. Weit kamen wir nicht, da es so heiß war und Rentiere schlaue Viecher sind. Um sich vor der Sonne zu schützen, lungerten Dutzende Tiere am Tunneleingang herum und blockierten diesen. Auf Hupen reagieren diese Wesen nur mit vollkommener Ignoranz, so dass der Busfahrer aussteigen musste und wie von der Tarantel gestochen laut brüllend in die Herde rannte. Aha…so sah wohl einmal ein Wikingerüberfall aus!!! Na ja, das Gebrülle und Herumlaufen verfehlte seine Wirkung schließlich nicht und weiter ging’s zum Flughafen Hammerfest, wo wir direkt ohne jegliche Sicherheitskontrolle ins Flugzeug nach Tromsø verfrachtet wurden.

Nach einer nicht geplanten Übernachtung im hübschen Tromsø sollte es dann am nächsten Morgen weitergehen, doch nichts ging, da die nächsten drei Maschinen alle voll waren. Nach jedem vollen Flug, auf dem ich nicht mitkam, musste ich erneut einchecken und meine Gepäcketiketts wurden jedes Mal gewechselt, so dass ich die gesamte Belegschaft (mit Schichtwechsel) von Scandinavian Airlines in Tromsø  kennen lernte. Beim vierten Versuch (siehe Mainz 05) klappte mein „Aufstieg“ in die Boeing 737 von Braathens Airlines und ich kam schließlich statt am Mittag halt am Abend in Oslo an. Dumm nur, dass mein Rad diesen Flug nicht so heil überstanden hat. Das gesamte Hinterrad ist völlig verzogen, so als wäre eine ganze Meute Wikinger mit ihren Booten drübergerudert, und ich konnte das Rad nicht mehr bewegen. Shit happens… denn auch der letzt Flug nach Frankfurt war schon weg.  

Also das Rad in die Gepäckaufbewahrung und ich in die Büsche vom Oslo Airport. Denn der Flughafen ist 50 km von der norwegischen Hauptstadt entfernt und in Norwegen herrscht ja das Jedermannsrecht und Wald gibt’s am Oslo Airport genug. Mit meinen Radtaschen beladen, schlug ich mich hinter dem Frachtgebäude in die Büsche und verbrachte ein mehr oder weniger ruhige Nacht neben der Start- und Landebahn, denn leider herrscht hier kein Nachtflugverbot.  

Der Lufthansa sei Dank bin ich nun wieder heil und munter in Meenz am Rhein angekommen und freue mich von Euch zu hören.