Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!
01 Hin und weg:
Fahrten in die Stadt des ersten Deutschen Meisters im Herrenfußball von 1903 entzweien die aktiven Fanszenen der höchsten deutschen Ligen seit Jahren. Eine glückliche Fügung ließ den Kelch bisher an mir vorüber gehen, da ich vor zwei Jahren in Südafrika und letztes Jahr in Sierra Leone zeitgleich zum Auswärtsspiel in Leipzig zu Gast war. Boykottaufrufe gab es seitens der aktiven Mainzer Fanszene ohnehin nie und den Aufruf des Q-Blocks zum diesjährigen Kick, mit dem jeweils ältesten Schal nach Leipzig aufzubrechen, fand ich kreativ,subtil und jede Unterstützung wert.
02 (N)immer nuff
Einer meiner Mainzer Freunde, mit dem ich 1995 von der goldenen Stadt am Rhein bis nach Kapstadt fuhr, wohnt seit Jahren in Leipzig und nach dem dritten innerstädtischen Umzug mittlerweile vor dem Zentralstadion. Die WM-Arena sieht ein wenig aus, als wäre sie direkt aus dem Weltall auf das altehrwürdige „Stadion der Hunderttausend“ gefallen – dem ehemals größten Stadion Deutschlands. Oder anders ausgedrückt, die Arena hat das Zentralstadion plattgemacht. Als Gast musste von der Haustür meines Freundes erstmal ums halbe Stadion herum laufen, dann die Treppen nuff, dann die Treppen wieder runter und über eine Brücke in die Arena rein und dann nochmal runter bis zum Grund des Gästeblocks. Zurück wird das Ganze dann zur Völkerwanderung für Gäste, da diese erstmal wieder nuff müssen, um die Arena zu verlassen, nochmals nuff, um den Stadionwall zu erklimmen und diesen dann runter zum Flussufer krabbeln. Anschließend wurde es ganz absurd, denn nun musste man als Gast nach Norden ausweichen, da der Hinweg ums Stadion vor dem Abpfiff versperrt wurde. Nach 500 Metern Fußmarsch standen an einer Ausfallstraße wenigstens Shuttlebusse bereit, um den Mainzer Mob, der zum Großteil aus Familien bestand, zum Hauptbahnhof zu bringen.
03 Kon-Trolle
Persönlich hatte ich keinerlei Probleme, da in Leipzig klar geregelt war, welche Kameras ins Stadion reindürfen, jene ohne Wechselobjektiv, und welche draußen bleiben müssen, jene mit Wechselobjektiv. Da der Block aber bis kurz vor Anpfiff fast leer blieb, lässt erahnen, dass die Kontrollen nicht für alle so reibungslos abliefen. Pünktlich zum Spielbeginn fanden sich aber alle Fans im Inneren des Stadions ein.
04 Kampf um den Mampf
Brause in allen Variationen gab es natürlich zuhauf. Das erinnerte mich ein wenig an das Coca-Cola-Museum in Atlanta, in dem alle Limonaden des Konzerns zum Probieren angeboten werden. Alkoholreduziertes lokales Ur-Krostritzer gab es allerdings auch. Das mit dem Bier ist im föderalen Deutschland so eine Sache. In manchen Stadien gibt es immer Bier, teilweise Wein(schorle) und Äppler – komischerweise meist dort, wo der ortansässige Verein eine große Tradition besitzt. In manchen Stadien gibt es im Gästeblock nie Alkohol – komischerweise meist dort, wo es mit der Tradition nicht so weit her ist. Die alkoholreduzierte Variante gibt es praktisch nie, außer in Dortmund und in Leipzig. Warum liebe Wolfsburger, Ingolstädter, Hoffenheimer könnt Ihr Euch nicht mal ein Beispiel nehmen und diesen Weg gehen? Der Gerstensaft schmeckte halbwegs nach Bier und um sich wirklich volllaufen zu lassen, müsste man wohl die gesamte Zeit am Bierstand verbringen. „Fußball, Bratwurst, Bier“ ist ein Kulturgut und warum man diesen Dreiklang in einigen Stadien pauschal allen Gästen entziehen muss, erschließt sich mir nicht wirklich. Um so löblicher, dass es die Supporters Mainz geschafft haben, zum morgigen Nachbarschaftsduell die handelnden Personen zu überzeugen, den Alkoholbann fallen zu lassen.
Nachkicks können Bier-Sommerliers in Leipzig noch eine echte lokale Spezialität entdecken: Die Gose. Sie stammt ursprünglich aus dem Harz und wurde nach dem Flüsslein Gose benannt. Sie wird unter Zusatz von Milchsäure, Koriander und Salz gebraut und ist beispielsweise im Bayerischen Bahnhof Leipzigs zu genießen. Oder wäre Euch das Lebkuchenbier lieber gewesen?
Und für Katzenfreunde gibt es den Katzentempel Leipzig. Sechs Katzen aus dem Tierschutz haben hier eine neue Heimat gefunden. Wenn wir Gäste zu nervig werden, können sie sich auf vier Pfoten in den „Cat Restroom“ zurückziehen – einer Katzenklappe sei Dank. Natürlich zahlen wir für die Speisen und Getränke ein wenig mehr, schließlich müssen die Katzen ja versorgt werden. Auch auf Fleisch und Alkohol muss hier verzichtet werden – aber angetrunken durch den Katzentempel zu fallen kann sicherlich schlimmere Konsequenzen nach sich führen, als einen zuviel im Gästeblock gekippt zu haben – von daher ist hier diese Abstinenz vollkommen nachvollziehbar.
05 Käfighaltung
Die WM-Arena besitzt nur Sitzplätze. Ob das der Grund ist, dass es für den Gästeblock keine ermäßigten Plätze gab? Sprich, selbst ein Säugling hätte 16 € für einen Platz bezahlt. Auf der Heimseite gibt es hingegen Ermäßigungen für Kinder und Co. Die Bayern-Fans haben sich zurecht darüber beschwert, dass sie beim Spiel in Athen statt 15 € (wie im Heimbereich) 35 € im Gästebereich zahlen mussten (und von der UEFA Recht bekamen, da AEK jetzt wenigsten 10 € pro Fan zurückzahlen muss). Aber auch die kleinen Ungerechtigkeiten im Ligaalltag sollten mal thematisiert werden. Und wenn das umgekehrt auch bei uns so ist, dass es im Gästesitzbereich keine ermäßigten Tickets für Kinder und Babys gibt, sollte das Thema vielleicht auch mal angegangen werden.
Eine vierköpfige Familie zahlt schließlich 64 € für das Spiel, wobei die Kids vielleicht so klein sind, dass sie vom Spiel selbst gar nichts mitbekommen können. Gerade in Leipzig und Mainz setzt man gerne auf Familienfreundlichkeit, da sollte dieses Thema entsprechend gewürdigt werden.
Die Sicht vom Block aufs Geschehen wurde nur durch das obligatorische Fangnetz geschmälert. Nirgends in der Liga kommt man den Spielern wohl so nahe wie hier in Leipzig. Das war nachkicks auch wirklich eine gute Sache, denn so konnten die Nullfünfer Jungs bei dieser bitteren Kälte im Stadion mittels Capo richtig heiß gemacht werden auf das Spiel gegen die Diva vom Main.
Fazit: Der Jahrgang 2018/2019 ähnelt einem Federweißer: sehr jung, manche würden sagen traditionsfrei, süß und klebrig und was den Alkohol angeht eine gewisse Wundertüte. Ein solch austauschbares Konstrukt hat die wunderbare Stadt eigentlich nicht verdient, aber so lange es auf der (Spielplan)Karte steht, macht man das Beste draus und genießt zusätzlich eine tolle Zeit außerhalb des Stadionwalls – zum Wohl!