Namaste,
ist die traditionelle Begrüßungsformel in Indien und Nepal und in den folgenden Zeilen schildere ich Euch den ersten Teil der Erlebnisse unserer jüngsten Reise auf den Subkontinent.
Angefangen hatte die Tour wieder einmal in Delhi. Während es bei unserer Ankunft 2008 gerade Bombenanschläge gab und wir 2011 vom top modernen Terminal 3 fast umgeworfen wurden und die Berliner Flughafen-Planer vielleicht mal hier vorbeischauen sollten, überraschte uns dieses Mal die Preispolitik der Nobelhotels der Metropolregion Delhi. Für 23 Euro buchten wir im Internet eine Übernachtung mit gigantischem Frühstücksbuffet in einem Fünf-Sterne-Haus südlich des Flughafens in der so genannten „Bildungs- und Komforthauptstadt“ Gurgaon. Diesen Titel trägt dieser „Vorort“, der bereits fast 900.000 Einwohner zählt, sicherlich zurecht, denn hier grenzt ein Luxushotel an das andere.
Natürlich kann man jetzt eine Debatte starten, dass es ja wohl dekadent sei, in diesem armen Land in solch einem Haus unterzukommen. Nur dieser extreme Gegensatz zwischen bitterer Armut auf der einen (Straßen-)Seite und protzigem Luxus direkt nebenan besteht im Indien der 2010er Jahre permanent. Außerdem erhoffe ich mir vom Übernachten in diesen Herbergen, dass es den Angestellten der globalen Hotelketten, doch ein wenig besser geht, als dem Personal in einen 30-Cent-Hotel im Herzen der Hauptstadt. Alleine die Zahl der Angestellten in einem dieser Hotels übertrifft sicherlich die meisten mittelständischen Betriebe daheim in Deutschland. Ich nehme an, dass dadurch wiederum sehr viele Familien ein einigermaßen Auskommen haben.
Aber eigentlich waren wir ja nicht hier, um im Luxus zu schwelgen, sondern irgendwann einmal in Nepal anzukommen. Da Anfang Oktober die Festival-Zeit in dieser Weltregion beginnt und viele Nepalesen mittlerweile außerhalb ihres Landes ihr Glück suchen, schossen die Preise für Flüge nach Kathmandu, Nepals Hauptstadt, dermaßen in die Höhe, so dass wir uns entschieden, mal wieder das Reisen an sich in den Vordergrund des Urlaubs zu stellen. Schließlich lief das Unterwegs sein in der letzten Zeit oftmals recht unspektakulär ab, da uns bereits am Flughafen ein Mietwagen erwartete, wir den Zündschlüssel (sofern es überhaupt noch einen gab) umdrehten und davon brausten. Daher flogen wir stattdessen am nächsten Tag mit einer Propellermaschine von Delhi 700 km nach Süd-Osten in die Metropole Gorakhpur. Wie Ihr kennt Gorakhpur nicht? Nun ja, der Eigenwerbung des Hotel Ganges zu Folge würden wir tatsächlich in einer Metropole übernachten. Aber auch wir kannten diese Stadt im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh zunächst nur vom Flugplan der indischen Jet Airways. Mit 670.000 Einwohnern ist sie allerdings so groß wie Frankfurt am Main. Uns fiel in der brummenden ATR72 nur auf, dass außer uns nur eine Australierin nicht indisch-nepalesischer Herkunft war. Dabei liegt Gorakhpur nur ca. 100 km südlich der nepalesischen Grenze und der Flugpreis dorthin war fast zwei Drittel niedriger als der nach Kathmandu. Gab es da womöglich einen Haken an der Sache?
Nach der Landung auf dem Militärflughafen, wurden wir zunächst von einer Horde Affen begrüßt. Nun gut, Militärs standen auch Gewehr bei Fuß, aber auf den Mauern der Baracke saß tatsächlich eine Herde beim Essen von Früchten der daneben gedeihenden Bäume. Check-in, Gepäckausgabe, Warteraum – alle Einrichtungen eines Flughafens konzentrierten sich auf das klitzekleine Gebäude, das etwa so groß wie unser Hotelzimmer in Gurgaon war. Dahinter standen bereits die Taxi- und Rikscha-Fahrer und warteten auf die ankommenden Passagiere. Wir stellten uns genauso wie die Australierin die Frage, ob wir an diesem Spätnachmittag noch zur Grenze reisen sollten oder doch lieber eine Nacht in Gorakhpur verbringen sollten. Sie entschied sich für Ersteres wir hingegen tuckerten mit dem dreirädrigen Tuk-Tuk gen Innenstadt. Und da war es auf einmal wieder, das Gefühl ‚on tour‘ zu sein: Einem Autoscooter ähnlich navigierte der Fahrer uns zwischen Kühen, Fahrrädern, Mofas und dauer-hupenden Autos durch den fast zum Erliegen kommenden Verkehr. Der Fahrpreis war vorher vereinbart worden, aber unser Fahrer hatte eigentlich gar keine Ahnung wo das Hotel lag – so kam es natürlich, wie in Indien üblich, noch zu Nachverhandlungen, denen mittels eines kleinen Trinkgelds ein wenig entsprochen wurde, nachdem unserer Fahrer sich durchfragend uns zum Hotel brachte. Mittlerweile schaut man ja öfter mal bei Hotels vorher bei Tripadvisor nach, um einen Eindruck von einem Laden zu erhalten. Uns verwunderte vorher bereits, dass sich zu Gorakhpur kaum Einträge fanden und auf den meisten Hotelseiten die Stadt gar nicht abrufbar war. Umgekehrt erledigt der Lonely Planet diesen Ort auch in wenigen Zeilen, so dass wir ohne Reservierung in der Stadt aufkreuzten, mit dem sicheren Gefühl, ja notfalls ein anderes Hotel vor Ort finden zu können, falls das angestrebte voll war oder sich zum Übernachten nicht „eignete“. Der Internetauftritt (!) unseres Hotel Ganges weckte in uns die Erwartung, dass es sich um eine einigermaßen gediegene Unterkunft hielt, was man in Indien mittlerweile auch tatsächlich erwarten kann – aber nicht in Gorakhpur. Ein Alternativ-Hotel? Wir sahen ein paar Kilometer vorher aus dem Tuk-Tuk noch ein weiteres Haus, das einigermaßen nach Hotel mit einem Minimum-Standard aussah, hatten aber bei dem Lärm und Gestank nicht wirklich Lust, nochmals durch dieses Labyrinth an Gassen und Stink-Straßen zu fahren. Also rein ins „Ganges“, das mit den Bildern im Internet ja tatsächlich eine entfernte Ähnlichkeit besaß, aber halt auch nicht wirklich. Schon das Einchecken war ein Akt größter Bürokratie. In diese Zeichenblock-großen Gästebücher musste sich zunächst nur eine Person eintragen – allerdings mit doppeltem Durchschlag in einem separatem Buch. Es wurde auch nur ein Pass gescannt (!), doch dieser Prozess dauerte schon 10 Minuten, dann wurde entschieden, dass auch die Daten der Mitreisenden erhoben werden müssten – nochmals 10 Minuten. Gut, wir hatten Zeit und nach der Inspektion der Zimmer entschieden wir uns für einen Raum mit Fenster zum Hinterhof, denn in den Zimmern zur Straße hinaus, verstand man aufgrund des Hupkonzert draußen sein eigenes Wort nicht mehr. Kaum lagen die Rucksäcke im Zimmer fiel der Strom aus und der Lärmpegel erreichte neue Werte, der einsetzenden Generatoren sei Dank.
Das anschließende Spazieren auf der Straße gelang und irgendwie fühlte ich mich in diesem Dreck, Gestank und Chaos wie zu Hause. In Gorakhpur gab es definitiv nichts zu sehen, aber das Leben auf der Straße in Indien ist sowieso schon eine Inszenierung an sich, so dass man einfach bei jedem Schritt schon genug damit zu tun hat, nicht in Kuhmist oder in die Gosse zu stapfen, so dass sich die Lust auf Sightseeing sowieso erledigt hatte. Das anschließende Abendessen zeigte dann wieder, warum die Liebe zu Indien durch den Magen geht, denn die Curries und Joghurts, die aufgetragen wurden, waren extrem lecker, obgleich die Menge unseren Hunger übersteigerte, da schließlich aufgrund fehlender Kommunikation oder gewolltem Missverständnis noch Speisen aufgetragen wurden, die wir gar nicht bestellt hatten. Irgendwann am Abend ließ der Lärm dann doch ein wenig nach und wir konnten einen einigermaßen erholten Schlaf finden.
Am nächsten Tag stand eine relativ lange Reise von ca. 350 km inklusive Grenzübertritt an. Eigentlich wollten wir von unserem Hotel aus direkt mit dem Taxi zur Grenze fahren, aber es gab gar keine Taxis in der Gegend – nur Fahrrad-Rikschas. Daher mussten wir uns zunächst zum Bahnhof radeln lassen und es entstand natürlich das nächste gewollte (?) Missverständnis. 50 und 15 hören sich im Englischen nahezu gleich an und ein Rikscha-Fahrer, der garantiert kein Englisch und höchsten Hindi spricht oder doch eher eine der rund 20 verschiedenen Landessprachen, weiß natürlich nicht um diese sprachliche Ähnlichkeit. Uns war es auch ziemlich egal, ob wir nun 80 oder nur 20 Euro-Cent bezahlen sollten, aber ein Passant mischte sich plötzlich ein und machte den Rikscha-Fahrer zur Schnecke, er dürfe höchstens 30 Rupien verlangen. Dies war mal wieder „Incredible India“ – dass sich wildfremde Menschen, in Verhandlungen über Pfennig-Beträge einmischen, damit der Tourist ja nicht übers Ohr gehauen wird. Wir wollten eh nur weg aus Gorakhpur und waren froh, dass wir mit unserem Pack nicht nicht bis zum Bahnhof laufen mussten. Am Ende steckte ich dem Fahrer dann 40 Rupien zu und alle waren wieder glücklich.
Am Bahnhof war dann schnell ein Taxi gefunden, das uns in rund zwei Stunden die 100 km zur Grenze brachte. Oder fast zur Grenze, denn die letzten hundert Meter zum Schlagbaum verstellten LKW und wuselnde Menschen die Straße komplett. Die Ausreise aus Indien, unsere erste zu Land überhaupt, gestaltete sich einfach und unkompliziert. Natürlich musste wieder ein Papier ausgefüllt werden, aber das ist in diesem Teil der Erde ja vollkommen normal und fällt eigentlich gar nicht mehr auf. Einreisen im „Schengen-Stil“ wird es außerhalb von Europa wohl auf absehbare Zeit weltweit kaum geben. Dann ging es zu Fuß auch schon rüber zu den Nepalesen, die anders als die Inder bereits so unbürokratisch waren, von Deutschen kein Visum vorab zu verlangen, sondern sich in der Lage sehen, ein Visum bei der Ankunft auszustellen. Im Büro der Einreisebehörde gab es eine „Menü-Übersicht“ an der Wand, einem McDonalds nicht unähnlich. Je nachdem wie lange man bleiben möchte, also 15, 30 oder 90 Tage, mussten unterschiedliche Beträge plus Passphoto ausgehändigt werden. Interessantestes Angebot waren die aufgelisteten Forderungen für das Überziehen des Visums: Geldbetrag pauschal, plus Betrag pro Tag plus Kopie des Visums plus Passphoto!
Kaum aus dem Büro der Grenzbeamten hinausgetreten, wurden wir schon von zahlreichen Schleppern begrüßt. Diese genießen ja allgemein unter Reisenden meist einen miesen Ruf, doch ich finde diese Buben (Frauen üben diesen Job nie aus) eigentlich immer ziemlich praktisch, auch wenn ich weiß, dass ich gegebenenfalls eine kleine Provision bei der Inanspruchnahme einer Dienstleistung mitbezahlen muss. Aber diese Leute müssen ja auch von etwas leben und wer kann mir in Sonauli an der indisch-nepalesischen Grenze eigentlich sonst im Handumdrehen einen Geldautomaten zeigen und ein „Reisebüro“, das in Windeseile einen Wagen für die Weiterfahrt organisiert? Geldautomaten sind für mich die große Erleichterung beim Reisen der letzten Jahre. Endlich keine Reiseschecks und Unmengen Bargeld durch die Gegend schleppen! Der Fahrpreis für den Wagen war auch ruck zuck ausgehandelt, denn der Benzinpreis war in Nepal höher als in Indien und Nepalesen scheinen nicht unbedingt darauf zu stehen, anfangs astronomische Unsummen für diverse Dienstleistungen abzurufen – das machte die Menschen hier gleich sehr sympathisch.
Die 250 km auf relativ guten Straßen verliefen recht unspektakulär, bis auf den wirklich bemerkenswerten Besuch einer Zementfabrik irgendwo im Terai, der nepalesischen Tiefebene. Denn jedes Mal, wenn man einen Wagen irgendwo in der Welt organisiert, macht der Fahrer immer irgendwie noch zusätzlich sein Ding. So auch dieses Mal, wo wir eine halbe Stunde an der Zementfabrik warten mussten, da unser Fahrer irgendetwas regeln musste. Das nervte zwar gewaltig, aber seit der Ankunft in Gorakhpur, „funktioniere“ ich in einer Art „Gelassen“-Modus und mich bringt dann nichts mehr so schnell aus der Fassung. Schließlich befand ich mich im Urlaub und da gehört in Nepal der Besuch einer Zementfabrik definitiv dazu…
Am Spätnachmittag erreichten wir dann Sauraha, ein Dorf am Chitwan-Nationalpark gelegen, der mich mit seinem Artenreichtum stark an Afrika erinnerte. Da wir mit Rucksäcken im gewählten Hotel zu Fuß ankamen, entgegnete man uns, es gäbe nur recht teure Zimmer. Gut das Wort „teuer“ ist dann doch Definitionssache, denn 20 US$ für ein großes gepflegtes Zimmer mit Klimaanlage und großem Bad, Terrasse und Blick auf die Reisfelder des Dorfes plus Gartenanlage, fällt bei mir zumindest nicht unter den Begriff „teuer“. Es war aber irgendwie schön zu sehen, dass ich mit meinen 40 Jahren und dem Rucksack immer noch für einen Pfennig fuchsenden Backpacker gehalten werde. Da fühlt man sich doch gleich ein paar Jahrzehnte jünger!
Während die Unterkunft perfekt war und ich auch, dem Wifi sei Dank, den späten Ausgleich von Mainz 05 gegen Hoffenheim mitbekam, spielte das Wetter nicht so richtig mit. Es nieselte und von der eigentlich jetzt vorherrschenden Trockenzeit war nichts zu sehen. Aber das Wetter spielt ja eh seit Jahren weltweit verrückt und Regen im Dschungel zu haben war jetzt auch nicht so schlimm. Am nächsten Tag gingen wir mit Führer auf Entdeckung im Nationalpark und es war schon beeindruckend so viele Reptilien (Krokodile), Vögel (alles mögliche) und Säugetiere (Nashörner, Affen) auf unserer Safari im Boot und zu Fuß zu entdecken. Das morgendliche Elefanten-Baden und der Besuch der Elefanten-Aufzuchtstation waren weitere Highlights unseres Ausflugs ins tropische Nepal, das mit unserem Bild dieses Himalaya-Anrainers so gar nicht zusammenpasst.