Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!
01 Hin und weg:
Nach über drei Monaten Auswärtsabstinenz ging es am Sonntag auf meiner Lieblingsbahnstrecke endlich wieder den Rhein hinab in Richtung NRW. Die Deutsche Bahn nutzt die Wochenenden gerne zu Bauarbeiten an der Strecke, so dass es natürlich nie langweilig wird. Allerdings war die Umleitung über die falsche Rheinseite im Fahrplan bereits einkalkuliert, so dass es einfach nett war, dieses Mal rechtsrheinisch flussabwärts zu düsen und die ganzen Burgen auf der richtigen Rheinseite bestaunen zu können. Dabei gab es endlich auch wieder etwas richtig Tolles auf die Ohren.
Vor der Pandemie war es für mich bereits ein Ritual, die eine oder andere Podcastfolge der „Hinterhofsänger“ im Zug auf dem Weg zum Auswärtsspiel zu hören. Mittlerweile gibt es in den Folgen immer illustrere Gäste, so auch zur westfälischen Doppelfolge „Dortmund/Bielefeld“ mit Alex Hack, einen Spieler aus dem Kader, der mit einer guten Portion Humor ausgestattet ist. Statt dieser völlig austauschbaren Interviews zehn Sekunden nach Abpfiff am Spielfeldrand, gab uns Alex viele ungefilterte Einblicke ins Team und nahm uns als Zuhörende mit in die Kabine. Die Kurzweiligkeit der Folge lag aber auch an den guten Fragen und der Nähe, die die Podcast-Hosts Felicitas und Jan, aufgebaut haben. So ließ sich ziemlich entspannt an einem „gestörten Bahnübergang“ (Original-Bahnansage) vorbeizuckeln, mit ein paar Minuten Verspätung in Köln eintrudeln und die Regionalbahn nach Rheydt erreichen.
02 (N)immer nuff:
Rheydt, wieso Rheydt? Die Stadt liegt südlich von Mönchengladbach relativ nah am Borussia-Park. Wie bei uns in Mainz gibt es sowohl von Rheydt als auch vom Gladbacher Hauptbahnhof Shuttle-Busse zum Stadion. Aus Vor-Pandemie-Zeiten wusste ich, dass die Dinger insbesondere nach Spielschluss komplett überfüllt waren. Darauf hatte ich aus nachvollziehbaren Gründen nicht sonderlich große Lust und kam auf die Idee, die „Elversberg-Strategie“ auf dieser Fahrt anzuwenden. Zu unserem Pokalauftritt im Saarland in dieser Saison nahm ich mein Klapprad mit, da Elversberg keinen Bahnanschluss hat und ich vom Neunkirchener Hauptbahnhof aus zum Stadion geradelt bin. Da es problemlos möglich ist, das zusammengeklappte Rad mit in den ICE zu nehmen, starte ich in Rheydt Hauptbahnhof die kurze Radtour zum Borussia Park. Der Weg zum 6 Kilometer entfernten Stadion war ausgeschildert und nach drei Stunden Sitzen und Podcasts hören war, es eine nette Abwechslung, mal eine halbe Stunde in die Pedale zu treten.
03 Kon-Trolle
Warum die Tickets im Vorverkauf personalisiert werden mussten, weiß ich nicht. Kontrolliert wurde das genauso wenig wie 3G, das vorher noch explizit angekündigt wurde. Die Realität sah schließlich so aus, wie vor etwas über zwei Jahren, als ich in Gladbach mein bisher letztes Auswärtsspiel mit einer kreativen Kurve in einem Gästeblock erleben durfte. Die Auswärtsfahrten in der zweiten Jahreshälfte 2021 waren so etwas wie ein Substitutionsprogramm für Auswärtssüchtige. Sie halfen nach der langen Zeit der Geisterspiele mit der Gesamtsituation besser umzugehen, waren aber weit von dem entfernt, was ich unter einer netten Auswärtsfahrt verstehe. Umso schöner, dass wir in Gladbach erstmals die Möglichkeit hatten, praktisch unter normalen Bedingungen die Mannschaft zu pushen.
04 Kampf um den Mampf
Ich kann mich noch an Gladbach-Fahrten erinnern, bei denen es Pfandbecher gab. Leider geht der Verein da aktuell den umgekehrten Weg von Mainz 05, das ja endlich wieder Pfandbecher im Stadion am Europakreisel eingeführt hat. In Gladbach gab es die Einwegbecher und sehr wenige Müllbehälter, um diese zu entsorgen. Wie es nach einem Spiel in einem vollen Gästeblock aussehen mag, möchte ich mir gar nicht vorstellen. Vielleicht ist dieses Agieren aber auch einfach ehrlich. Dieses in die Irre führende Storytelling von kompostierbaren Bechern wird erst gar nicht versucht rüber zu bringen. Der gesamte Müll wird ungetrennt am Ende einfach verbrannt. Fertig aus. Das ist zwar nicht nachhaltig aber in Deutschland leider ja oft immer noch Standard. Wenn der Müll dann wenigstens nicht nach Süd-Ost-Asien exportiert wird, wie bisher leider üblich, sondern bei uns „entsorgt“ wird, dann laden wir unsere Probleme wenigstens nicht auf ärmere Länder ab, die unserem Abfall gegen Entgelt eine neue Heimat bieten.
Wenigstens konnte die Pandemie der Bierauswahl nichts anhaben. Es gab weiterhin die Wahl zwischen Pils aus Bitburg und Altbier der regionalen Brauerei Bolten. Die günstigsten Speisen (Pommes und Brezeln) waren vegetarisch und mit 2,50 € für die Fritten auch recht preiswert. Wahrscheinlich hatte Gladbach während der Pandemie statt Klopapier bereits Speiseöl gebunkert, um jetzt so günstig die frittierten Kartoffeln anbieten zu können. Leider waren aber die Ketchup- und Mayo-Selbstbedienungsanlangen abgebaut und man bekam die Saucen in der Plastik-Kleinstverpackung gereicht.
05 Käfighaltung
Dass nicht mehr als geschätzte 450 Nasen die recht kurze Distanz an einem Sonntagnachmittag auf sich nahmen und erstmals nach zwei Jahren die rot-weißen Jungs unterstützen, finde ich wirklich schade. Der Stehblock war groß genug, um Abstand zu halten, falls man das wollte. Wer Maske im Block tragen wollte, wurde nicht dumm angeguckt. Unten im Getümmel wurde meiner Meinung nach die Mannschaft gut unterstützt und ich konnte wirklich zum ersten Mal nach über zwei Jahren mal wieder für 90 Minuten abschalten von Pandemie und schrecklicher Kriegstreiberei. Gerade in der zweiten Halbzeit sprang der Funke von der Mannschaft auf den Block über und wieder zurück. Es war eigentlich fast wie früher – nur früher hätten wir uns vielleicht in der Nachspielzeit noch ein Tor gefangen. So wurde nachkicks von denjenigen die Bock hatten, der ruckzuck geleerte Borussia-Park noch mit Fangesängen beschallt – wie schon bei der Hinfahrt beim Podcast-Hören wahrlich eine Wohltat für die Ohren.
Fazit: Der Jahrgang 2021/2022 knüpft an alte Zeiten an, was wirklich gut getan hat.
Rot-weiße Grüße,
Christoph – Meenzer on Tour