Eine Nachricht traf diese Woche mitten in der Pandemie auf ziemliche Schadenfreude in den sozialen Netzwerken: Der Covid-19-Impfstoff des Tübinger Herstellers Curevac kommt laut aktuellen Studien auf lediglich 47% Wirksamkeit. Um mehr oder weniger genau um jene 47% ist der Aktienkurs des Unternehmens, an dem Dietmar Hopp über seine Kapitalgesellschaft Dievini Hopp BioTech Holding knapp 43 Prozent hält, abgestürzt und FUMS, das selbst ernannte Magazin für Fußball & Humor – twitterte „Selbst Hopps Impfstoff schafft keine 50+1“. Dieser Tweet traf auf sehr viel Gegenliebe mit mehr als 1200 Likes und 69 Retweets. Gerade im Vergleich mit anderen FUMS-Tweets war das ein voller Erfolg für den Account. Selbst Tweets zum gestrigen Deutschland-Spiel brachten nur rund gut die Hälfte an Likes. Auch andere Accounts wie „Titanic“ und zahlreiche mehr oder weniger prominente Einzelpersonen schossen beim Curevac-Debakel in Richtung Hopp. Kritik an diesen Tweets? Fehlanzeige.
Das Verhältnis zwischen vielen Fußballfans und dem 81-jährigen Investor und Mäzen der TSG Hoffenheim ist seit Jahren angespannt und fand wohl seinen Tiefpunkt kurz vor der Pandemie beim Spiel der Bayern in Sinsheim im Frühjahr 2020 – allerdings eher wegen des abgekarterten Spiels der Vereinsgranden beider Vereine, wie das ZDF inzwischen recherchierte. Auch Hopps teilweise etwas abgehobene Kommunikation in Bezug auf das Tübinger Unternehmen und seinen Impfstoff hat sicherlich dazu geführt, dass er sich damit keine neuen Freunde gemacht hat. Wie wohltuend ist da beispielsweise im Gegensatz das Auftreten von Uğur Şahin und Özlem Türeci von Biontech.
Die Häme, die Hopp und Curevac entgegenschlägt, war leider zu erwarten. Interessanterweise kommt diese Häme aber aus einer Fußballecke, die sonst bei vielen gesellschaftlichen Themen sofort aufschreit, etwa wenn es um rassistische, frauen- oder schwulenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Äußerungen geht. Das ist auch gut so und lobenswert. Schließlich erreichen die Konten der Fußballkultur-Influencer:innen viele Menschen im Land und tragen dazu bei, dass manche Dinge nicht unkommentiert stehen gelassen werden.
Beim Thema Curevac und Wirksamkeitswitzen ist das allerdings anders. Wenn sich nicht am Curevac-Bashing beteiligt wurde, herrschte auf diversen Twitter-Accounts Schweigen im Walde. Es gab keine Empörung, und die gibt es bei Twitter eigentlich dauernd – gerade letzte Nacht wieder nach den „Sieg!“-Geschrei in vielen Teilen der Republik. Nein, es gab keine wirkliche Empörung, sonst hätte die twitternde Fußballwitzgemeinde längst zurückgerudert, was sie in regelmäßigen Abständen immer mal wieder machen muss, schließlich machen wir alle Fehler. Ich denke nur an den FUMS-#Arbeitsnachweis „Mehr Kongolosen bei den Mainzern als Rheinland-Pfälzer“ vom September 2018, den ich in meinem Blogartikel „Say no to Dummgebabbel“ damals thematisiert hatte. Die Tweets zu Curevac sind immer noch abrufbar. Aber warum ist diese Schadenfreude überhaupt so kritisch zu hinterfragen?
Wir können uns alle glücklich schätzen, dass es so viele Forschende im letzten Jahr gab, die sich daran gemacht haben, einen Covid-19-Impfstoff zu entwickeln. Dass bereits Ende 2020 vier Impfstoffe aus der westlichen Welt, plus Impfstoffe aus Russland und China zur Verfügung standen, die mehr oder weniger weltweit zugelassen wurden, grenzt an ein medizinisches Wunder. Ob man nun ein paar Wochen früher oder später geimpft wird, spielt für den Einzelnen eine große Rolle und führt zu Frust und Ängsten. Das ist nachvollziehbar. Wenn man keine Aussicht auf eine Impfung hat, überkommt einen das Gefühl der Ohnmacht. Und nicht wenige Menschen, auch in Deutschland, beschlich dieses Gefühl im Verlauf der Pandemie – vielleicht just in den Momenten, in denen wieder ein Bild von einem Impfpass oder einem Pflaster auf Twitter hochgeladen wurde. Wie sieht es aber bei Menschen aus, die in Ländern leben, bei denen es auf absehbare Zeit keine Möglichkeit auf eine Impfung gibt? Und die das auch mitbekommen, dass bei uns immer mehr Menschen geimpft werden?
Und da sind wir bei Curevac angelangt. Der Impfstoff spielte für die aktuelle Impfkampagne in Deutschland längst keine Rolle mehr, da sich seine Zulassung immer wieder verzögerte. Curevac wollte einen perfekten mRNA-Impfstoff entwickeln, der zum Beispiel bei Kühlschranktemperaturen gelagert werden kann. Nicht jedes Land hat die logistischen Möglichkeiten, eine Kühlkette mit Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt aufzubauen, wie es für die anderen mRNA-Impfstoffe notwendig ist. Daher wäre der Impfstoff aus Tübingen ein Hoffnungsschimmer für diese Länder gewesen, um eine Impfkampagne zu starten. Dass diese auch uns zu Gute gekommen wäre, da dadurch das Risiko weiterer Mutationen reduziert worden wäre, wäre ein weiterer Punkt gewesen, diese „Vorlage“ im Kalauer-Wettbewerb nicht zu versenken.
Stattdessen überbietet sich das Netz mit Gehässigkeiten gegenüber Hopp und dem Unternehmen. Es ist anzunehmen, dass Hopp, anders als vielleicht in Hoffenheim, sich bei Curevac aus dem operativen Geschehen heraushält, sprich nicht aktiv an der Forschung beteiligt ist. Damit trifft der Spott und die Häme wegen der geringen Wirksamkeit weniger Hopp selbst als die Mitarbeitenden, die sich die letzten Monate den Hintern aufgerissen haben, um einen Impfstoff zu entwicklen. Wie das bei den Mitarbeitenden ankommt, kann sich jeder Mensch mit ein paar Krümeln Empathie sicherlich vorstellen.
Ferner führen die ach so witzig gemeinten Kommentare dazu, dass Leute, die mit Fußball an sich und mit Fans noch viel weniger am Hut haben, sich über das niveaulose Verhalten der Fans wieder echauffieren können – befeuert durch die Gralshüter der moralisch einwandfreien Fußballkultur. Dass die Witze letztlich auf Kosten von Millionen von Menschen gemacht werden, die jetzt weiter vergeblich auf eine Impfung warten, und viele Fans das auch noch lustig finden, ist an sich schon traurig. Aber da wird wieder ein Bild vom plumpen Fan manifestiert, das mit der Wirklichkeit wenig gemein hat. Schließlich sind es die Faninitiativen, die Veränderungen im Fußball angestoßen haben, und sich für die Beibehaltung der 50+1-Regel einsetzen. Dazu engagieren sich zahlreiche Kurven seit Jahren sozial und ehrenamtlich in ihrer Region. Diese Auftritte von Fans werden nicht wirklich gesehen, der Zuspruch zu solchen plumpen Tweets allerdings schon.
Das alles im Pride Month Juni abzulassen ist die Ironie des Schicksals, da man sich selbst natürlich zu den Guten zählt und gegen Diskriminierung, Rassismus aufsteht, wie heute bei der Debatte um die Kapitänsbinde in Regenbogenfarben. Die Solidarität mit Menschen in ärmeren Ländern reicht halt oft nur bis zum nächsten Witz. Pandemie hin oder her.