6 Fakten rund um eine (Mallorca-)Flugreise

Es gibt aktuell sicherlich gute Gründe nicht ins „17. Bundesland der Deutschen“ auf die spanische Mittelmeerinsel zu fliegen. Beispielsweise müssen viele Menschen, die 2020 zu Kurzarbeit gezwungen waren, zum ersten Mal überhaupt eine verpflichtende Einkommenssteuererklärung für das Pandemiejahr 2020 abgeben. In den meisten Fällen erwartet sie eine Steuernachforderung in Höhe von mehreren hundert Euro. Andere Menschen haben seit einem Jahr kaum noch Aufträge und wieder andere häufen seit einem Jahr Überstunden en masse an. Sprich, viele Menschen können sich aus finanziellen oder zeitlichen Gründen aktuell gar keine Urlaubsreise leisten. Oder ganz einfach: Menschen haben Angst, sich und andere anzustecken. Außerdem möchten viele Menschen aus Klimaschutzgründen insbesondere auf Kurz- und Mittelstreckenflüge verzichten und lieber Urlaub in der Heimat machen.

Gerade letztere haben allerdings seit fünf Monaten keine Möglichkeit, mal in einer Ferienwohnung in den bayerischen Alpen oder an Nord- oder Ostsee auszuspannen. Touristische Reisen sind in Deutschland seit Anfang November 2020 verboten – Geschäftsreisen allerdings weiterhin erlaubt. Damit ist Deutschland das einzige Land weltweit, das Inlandstourismus komplett verbietet, wenn dieser nicht aufgrund eines kompletten Shutdowns als Nebeneffekt zum Erliegen gekommen ist.

Bucht und Strand auf Mallorca – Bildquelle: Pixabay

Gleichzeitig macht das Auswärtige Amt einen guten Job. Seit dem 1. Oktober 2020 gibt es Covid-19- bedingte Updates zu den fast 200 Ländern dieser Welt heraus. Wäre das nicht schon Arbeit genug, unterteilt es insbesondere in Europa noch in Provinzen, Regionen etc., um eine möglichst genaue Abbildung der Risiken für Auslandsreisende in Zeiten der Pandemie hinzubekommen. Ob für ein Land oder eine Region eine „Covid-19-bedingte Reisewarnung“ erstellt wird, hängt vom Inzidenzwert ab. Überschreitet er die Zahl der Neuansteckungen von 50 pro 100 000 Einwohner in den letzten 7 Tagen geht es in Richtung Reisewarnung. Es gibt allerdings noch weitere Kriterien, die das Auswärtige Amt nicht nennt und die damit das ganze Verfahren etwas politisieren.

Schließlich hatten die Ballearen-Inseln bereits seit Wochen eine Inzidenz von unter 25 vorzuweisen – galten aber immer noch als Risikogebiet, wie der Rest Spaniens auch. Daher war es ein logischer Schritt, diese Teil-Reisewarnung irgendwann zurückzunehmen, genau wie es die Verantwortlichen bereits seit Oktober für zahlreiche andere Regionen der Welt gemacht haben. Allerdings sind Reisen in die meisten Nicht-Risikogebiete aktuell nicht möglich, weil es entweder keine Flugverbindungen dorthin gibt, deutsche Touristen nicht in diese Länder hineingelassen werden, eine 14-tägige Quarantäne oder ausgedehnte Ausgangssperren die Urlaubsfreude drücken. All dies ist im Falle Mallorcas nicht der Fall. Dass Spanier*innen während der Ostertage nicht dorthin reisen dürfen, Deutsche aber schon, ist einer der vielen bizarren Fakten, die uns seit einem Jahr um die Ohren fliegen.

Es war absehbar, dass trotz der oben genannten Gründe, die womöglich gegen eine Reise nach Mallorca sprechen, es jetzt viele Menschen dorthin zieht. Das wiederum hat einen Sturm der Empörung in den sozialen Netzwerken ausgelöst. Die Urlaubenden seien „unsolidarisch“ waren noch vergleichsweise harmlose Beschimpfungen.

Wie beim Virus selbst gilt es, das Bauchgefühl auszuschalten und sich anhand von Fakten seine Meinung zu bilden:

1. Stellungnahme des Robert-Koch-Instituts zum Thema Reisen

„Hierbei ist es wesentlich zu betonen: erhöhte Mobilität (berufliche oder private Reisetätigkeit) bedeutet erweitertes Risiko; jedoch ist dieses Risiko nicht primär an den Ort der Reise oder ein spezifisches Gebiet gebunden, sondern hängt wesentlich von dem Verhalten des Einzelnen in einem Gebiet mit Virusübertragungen ab.“

Robert-Koch-Institut vom 23. Oktober 2020

Sprich nicht das Reisen an sich ist gefährlich, sondern das Verhalten der Menschen. Das gilt allerdings grundsätzlich, ansonsten hätten wir in Deutschland nicht täglich tausende von Neuinfektionen.

2. Epidemiologisches Bulletin des Robert-Koch-Instituts

„Dies kann zum einen darauf zurückzuführen sein, dass es auf Reisen in häufige Urlaubsländer zu weniger intensiven Kontakten mit der einheimischen Bevölkerung kam, und damit zu einem geringen Ansteckungsrisiko im Verhältnis zu den Inzidenzen des Reiselandes, z.B. im Gegensatz zu Personen, die zu Familienbesuchen in ihre Herkunftsländer reisten“.

Robert-Koch-Institut vom 25. Februar 2021

Sprich Urlaubsreisende, die in Ferienwohnungen oder Hotels mit Hygienekonzept übernachten, stecken sich seltener an als Menschen, die ihre Verwandten in der Heimat besuchen und dort womöglich im selben Haus übernachten. Und womöglich stecken sich Menschen, die über Ostern verreisen, auch weniger an, als bei der privaten Feier beim Nachbarn oder im Familienkreis.

3. Verpflichtender Corona-Test vor dem Abflug nach Mallorca

Die Zeiten, in denen wir mit ein paar Klicks einen Kurztrip gebucht haben und kurze Zeit später bereits im Flieger saßen sind erstmal vorbei. Um nach Mallorca einreisen zu dürfen, ist ein negativer Corona-PCR-Test notwendig, der innerhalb der letzten 72 Stunden vor der Ankunft in Mallorca durchgeführt wurde. Selbstredend werden Selbsttests aus dem Supermarkt oder Schnelltests, bei denen das Ergebnis innerhalb von 15 Minuten vorliegt, nicht akzeptiert. Der PCR-Test gilt aktuell als das zuverlässigste Mittel, Infizierte zu entdecken.

4. AHA-Regeln am Flughafen und im Flugzeug

Am Flughafen selbst gelten natürlich Abstands- und Hygieneregeln. Das Tragen einer chirurgischen Maske oder einer FFP2-Makse ohne Ventil ist seit Februar 2021 Pflicht. Alltagsmasken werden seither nicht mehr akzeptiert. Diese Pflicht gilt sowohl an den deutschen Flughäfen als auch an Bord von deutschen Flugzeugen, wie auch z.B. in französischen Flugzeugen/Flughäfen. Bei den anderen Airlines und den meisten Flughäfen weltweit gilt zumindest die Pflicht, Alltagsmasken zu tragen.

5. Die HEPA-Filter im Flugzeug

„Doch Flugzeuge sind keine Infektionsherde. Die Luft in einem Flugzeug ist so rein wie in einem Operationssaal.“

Deutsche Apother-Zeitung vom 14. September 2003

Dieses Zitat stammt von keiner Fluggesellschaft oder von Airbus bzw. Boeing. Es hat die Deutsche Apotheker-Zeitung im Jahr 2003 verfasst, als damals SARS auftrat. Der Vergleich mit dem Operationssaal ist vielleicht etwas unpassend, da sich in einem OP-Saal sicherlich nicht 100 oder mehr Menschen befinden, aber die Chance, sich in einer Passagierkabine anzustecken, in der permanent darauf geachtet wird, dass außer beim Essen und Trinken die Maske korrekt aufgesetzt bleibt, ist sicherlich gering. In den wenigen Fällen, in denen eine Übertragung nachgewiesen wurde, z.B. bei einem 14-Stunden-Flug von Dubai nach Auckland in Neuseeland, kam später heraus, dass beim Tankstopp in Kuala Lumpur die Klimaanlage (und damit das Filtersystem) ausgeschaltet war und es keine Maskenpflicht gab. Der Flug nach Mallorca dauert 2 Stunden, so lange wie eine Bahnfahrt von Mainz nach Köln in einem IC, bei dem keine HEPA-Filter im Einsatz sind.

6. Die Corona-Regeln auf Mallorca

Die Balearen-Insel hat allgemeine Regeln aufgestellt, die einiges zulassen, nur keine hemmungslosen Saufgelage. Restaurants schließen um 17 Uhr, im Hotelzimmer dürfen nur Personen aus demselben Haushalt übernachten, an Stränden dürfen sich Personen aus maximal zwei Haushalte zusammen aufhalten. An einem Restaurant-Tisch dürfen maximal vier Personen aus zwei Haushalten zusammensitzen. Der Verkauf alkoholischer Getränke an Kiosken und in Supermärkten ist zwischen 21.30 Uhr und 8.00 Uhr verboten, ebenso wie Happy Hours, Flatrate-Saufen und ähnliche „Angebote“. Ab 22.00 Uhr existiert eine Ausgangssperre.

Laut „Mallorcamagazin“ wurde mittlerweile auf der Insel bei einem Test die brasilianische P.1-Variante entdeckt. Daraufhin erhielt der Shitstorm, den Mallorca-Reisende aktuell erleben, eine zweite Welle. Dass es aktuell aber möglich ist, von Brasilien nach Deutschland zu fliegen, haben wahrscheinlich die wenigsten Kritkger*innen auf dem Schirm. So lange Einreisen aus Brasilien möglich sind, so lange braucht die Mutante P.1 den Umweg über Mallorca gar nicht zu nehmen. Schließlich reicht ein negativer PCR-Test vor dem Abflug aus Brasilien aus, um die Reise nach Deutschland anzutreten. Ob die Quarantäneverpflichtung eingehalten wird, hängt vom Gesundheitsamt vor Ort ab. Darauf haben aber Mallorca-Reisende keinen Einfluss. Außerdem ist die Mutante P.1 längst in Deutschland angekommen ohne einen Zwischenstopp in Mallorca eingelegt zu haben.

Es ist meiner Meinung nicht gut für Demokratie und Gesellschaft, Menschen für etwas zu kritisieren, was explizit erlaubt ist. Natürlich gibt es kein Recht auf Urlaubsreisen. Diese werden allerdings seit einem Jahr ziemlich reglementiert, was durchaus seinen Sinn haben kann. Wer eine Reise nach Mallorca bucht, hält sich allerdings per se an geltendes Recht und die anzuwendenden Regeln, unterstützt im besten Fall mit dem Geld Branchen, denen es aktuell gar nicht gut geht und Menschen in Mallorca, die anders als wir in Deutschland auf keine so ausgebaute staatliche Unterstützung bauen können.

Wer jetzt fordert, dass Mallorca-Reisende nach ihrer Rückkehr in Quarantäne müssen, obwohl die Region kein Risikogebiet ist, gefährdet die bisherige Glaubwürdigkeit des Auswärtigen Amts, das mit dem Bundesgesundheitsministerium und dem Innenministerium die Länder und Regionen in Risikogebiete einteilt. Warum dann keine Quarantäne bei Einreise aus Malaysia oder den Bahamas, die auch keine Risikogebiete mehr sind? Es bleibt abzuwarten, ob Mallorca am Freitag wieder auf der Liste der Risikogebiete landet, damit die Quarantäneforderungen befriedigt werden. Ob diese dann juristisch haltbar bleiben sei dahingestellt, da es bereits Urteile gibt, die eine Quarantäneverpflichtung für Reiserückkehrende aus einfachen Risikogebieten als zu starken Eingriff in die Freiheitsrechte ansehen. Gut, dass in Deutschland noch Gewaltenteilung herrscht und es die Judikative ist, die Entscheidungen der Exekutive wieder einfängt.

Neid und Missgunst sind nie ein guter Ratgeber – auch in Zeiten der Pandemie nicht. Gleiches gilt übrigens auch für Populismus.

Quellen:

  1. Stellungnahme des Robert-Koch-Instituts zum Thema Reisen
  2. Epidemiologisches Bulletin des Robert-Koch-Instituts
  3. Die Regeln für die Einreise un den Aufenhalt auf Mallorca
  4. AHA-Regeln an deutschen Flughäfen und an Bord deutscher Airlines
  5. HEPA-Filter im Flugzeug
  6. Mallorcamagazin vom 12. März 2021
  7. Bild von 4634656 auf Pixabay

Raus aus der Deutschland-Blase

„Was? Jetzt auf Reisen gehen?“ „Ist das nicht verboten?“ – das war das Feedback, das wir im November erhielten, als wir unserem Umfeld mitteilten, dass wir tatsächlich für das Jahr 2020 noch Reisepläne hatten.

Während das Reisen für manche von uns schlicht Urlaub bedeutet, sind andere Menschen aufgrund ihres Berufs teilweise gezwungen, geschäftlich zu reisen. Wieder andere Menschen haben Verwandte in anderen Regionen Deutschlands, im Ausland oder sogar auf einem anderen Erdteil sitzen. Weder Geschäftsreisen noch Verwandtenbesuche fallen somit in die „Spaß-Kategorie“, in die eine Urlaubsreise natürlich hineingehört. Und in Zeiten der Pandemie wird in solchen Kategorien gedacht.

Das Robert-Koch-Institut nimmt zum Thema „Reisen“ in seiner „Strategie-Ergänzung“ Stellung.

Aufgrund der Tatsache, dass bei uns seit Anfang November alle Bereiche, die der „Spaß-Kategorie“ zuzuordnen sind, geschlossen sind, liegt natürlich die Schlussfolgerung nahe, dass auch Reisen an sich verboten sind. Allerdings gilt dies nur für touristische Reisen, die, wie bereits erwähnt, der „Spaß-Kategorie“ zuzuordnen sind. Gleichzeitig gilt dieses Verbot nur für das Inland. Denn, anders als es manche Zeitgenossen behaupten, haben wir Deutsche immer noch die Freiheit uns zu bewegen – natürlich auch ins Ausland. Gerade im Ausland schreibt uns der deutsche Staat überhaupt nicht vor, wie wir uns verhalten sollen. Allerdings gibt es natürlich Vorgaben des Gastlands, die teilweise härter sind als in Deutschland, was Masken-Verweiger*innen hart treffen kann.

Trotzdem appellieren viele Menschen aktuell daran, nicht zu reisen. Diese Appelle sind so lange vollkommen in Ordnung, so lange nicht irrtümlich behauptet wird, dass Reisen aktuell ja gar nicht möglich oder gar verboten sind. Das Robert-Koch-Institut bringt es in seiner „Strategie Ergänzung zu Die Pandemie in Deutschland in den nächsten Monaten – Ziele, Schwerpunktthemen und Instrumente für den Infektionsschutz“ auf den Punkt: „Hierbei ist es wesentlich zu betonen: erhöhte Mobilität (berufliche oder private Reisetätigkeit) bedeutet erweitertes Risiko; jedoch ist dieses Risiko nicht primär an den Ort der Reise oder ein spezifisches Gebiet gebunden, sondern hängt wesentlich von dem Verhalten des Einzelnen in einem Gebiet mit Virusübertragungen ab.“

Sprich, natürlich ist die beste Möglichkeit, sich und andere in der Pandemie zu schützen, sich abzusondern. Allerdings ist das in der Praxis unmöglich. Wir alle müssen einkaufen gehen – denn die Inanspruchnahme von Lieferdiensten ist für die meisten von uns über Monate hinweg schlicht nicht bezahlbar. Unentgeltliche Hilfe anzunehmen, z.B. durch Fußballfans, die so etwas in Mainz organisieren, sollte denjenigen vorbehalten bleiben, die zu einer Risikogruppe gehören. Also ist es zunächst einmal unmöglich, sich komplett zu isolieren. Auf die psychischen Folgen einer solchen Isolation gehe ich gar nicht erst ein. Und Homeoffice dürfen auch nicht alle machen.

Dennoch ist es gerade vollkommen hip, sich einzuigeln und davon vorzugsweise in den sozialen Netzwerken zu berichten: zu Hause, in der eigenen Stadt, in der eigenen Region, im eigenen Land. Natürlich ist es richtig, seine Kontakte zu reduzieren, wo immer das möglich ist, um Übertragungswege zu vermeiden. Natürlich ist es gut für die Umwelt, wenn wir regional einkaufen – dabei aber am besten zu Bio-Produkten zu greifen, die vegan sind. Gerade der letzte Punkt stößt bei vielen Menschen auf keine große Gegenliebe. Da sind wir bei einer Gabe angelangt, die viele Leute gerade in den sozialen Netzwerken in sich tragen: Das Missionieren. Ich halte davon sehr wenig, da sich Menschen nicht gerne vorschreiben lassen, was sie zu tun oder zu lassen haben. Vielmehr sollte sich eine innere Überzeugung entwickeln, gegebenenfalls sein Verhalten zu verändern. Natürlich muss es in einem Staat auch Sanktionen geben, aber gerade in der Pandemie ist es wichtig, dass man ein Verhalten an den Tag legt, von dem man überzeugt ist, dass es sinnvoll ist, sich und andere zu schützen.

Nimmt man nun die oben genannten Aussagen des Robert-Koch-Instituts und kombiniert diese damit, dass man selbst davon überzeugt ist, dass die AHA-Regeln (Abstand halten, Hygiene und Alltagsmasken) sinnvoll sind, steht meiner Meinung nach einer Reise zunächst nichts im Wege. Da touristische Reisen innerhalb Deutschlands verboten sind, ist es nur logisch, gegebenenfalls eine Reise ins Ausland anzutreten. Diese Entscheidung muss jede*r selbst treffen. Dass sich Menschen womöglich gegen eine touristische Reise raus aus Deutschland entscheiden, ist absolut verständlich. Wir können uns glücklich schätzen, dass bisher unser Gesundheitssystem nicht überlastet wurde, und es zu keiner Triage gekommen ist, bei der Ärzte entscheiden müssen, wem geholfen werden kann und wem nicht. Natürlich kann man sich im Ausland nicht sicher sein, dass man auf ein solch robustes Gesundheitssystem trifft. Und natürlich sollte man als Reisende dieses System auch erst gar nicht zusätzlich belasten. Aus diesem Grund eine Reise nicht anzutreten ist sehr honorig. Dieses Argument gilt jedoch auch in Zeiten außerhalb einer Pandemie.

Allerdings habe ich das Gefühl, dass wir uns gerade hauptsächlich mit uns selbst beschäftigen – mit uns selbst als Deutschland. Wir fokussieren uns in der Pandemie auf unsere Umgebung und unser Land. Das ist natürlich vollkommen in Ordnung. Aber der Begriff Pandemie drückt es ja schon aus. Diese betrifft nicht nur Deutschland, sondern auch unsere Nachbarländer und sogar andere Kontinente. Wir sind natürlich alle eingeschränkt. Manche von uns sogar extrem, was die wirtschaftliche Situation angeht, wenn man Solo-Selbständige*r ist. Aber es gibt sicherlich Menschen im Ausland, die die Pandemie härter trifft als die meisten von uns. Das wird aktuell in nahezu allen Diskussionen vergessen. Leider reicht manchmal der Blick der Empörten nur an den Rand des besagtenTellers – im besten Fall bis nach Moria, wo viele Flüchtlinge in noch größerem Elend leben, als vor dem Brand des Flüchtlingslagers im Oktober. Es ist gut, dass es bei uns so viele Menschen gibt, die sich für die Geflüchteten dort einsetzen. Aber ist es nicht auch gut, sich gegebenenfalls für Menschen einzusetzen, die sich eine Flucht erst gar nicht leisten können und in ihrer Heimat unter der Pandemie leiden?

„Risikogebiete“ im Ausland werden auf der Seite des Robert-Koch-Instituts ausgewiesen

Die Spendenbereitschaft ist aktuell unter den Bundesbürger*innen immer noch hoch – sie lag zumindest im Sommer laut Tagesschau sogar höher als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Dabei wird vor allem gerne für Projekte vor Ort gesammelt und gespendet, sei es für gemeinnützige Organisationen oder für die schwächsten der Gesellschaft. Schließlich bekommt man das Elend vor der eigenen Haustür direkter mit, als das von Menschen auf anderen Erdteilen. Dies korreliert auch mit entsprechender Empathie: Umstände, mit denen wir direkt konfrontiert werden, machen uns eher betroffen als die Not, die wir nur mit Hilfe von fundierten Beiträgen durch Journalisten, Blogger*innen, Freund*innen oder vom Hörensagen her mitbekommen. Und gleichzeitig kann diese Gabe in der Pandemie auch sehr gefährlich sein. Die Schwachen der Gesellschaft sind ein Teil unserer Gemeinschaft, genauso wie unsere Freunde, Kolleg*innen und Verwandte. Diese bekannten Kontakte stuft man unwillkürlich oft als ungefährlich ein. Das Virus unterscheidet aber nicht zwischen guten und schlechten oder bekannten und unbekannten Kontakten.

Daher bietet das Reisen sogar einen gewissen Selbstschutz: Alle sind fremd und man geht unwillkürlich auf Distanz. Im Kreise der Lieben ist es tatsächlich schwer, diese Distanz zu halten. Daher ist es auch so schwierig, die Ansteckungen aktuell zu reduzieren. Dadurch sind wir in Deutschland selbst zu einem so genannten „Risikogebiet“ geworden. Das Robert-Koch-Institut schreibt in seiner „Informationen zur Ausweisung internationaler Risikogebiete durch das Auswärtige Amt, BMG und BMI“ dazu: „Die Einstufung als Risikogebiet erfolgt nach gemeinsamer Analyse und Entscheidung durch das Bundesministerium für Gesundheit, das Auswärtige Amt und das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Die Einstufung als Risikogebiet basiert auf einer zweistufigen Bewertung. Zunächst wird festgestellt, in welchen Staaten/Regionen es in den letzten sieben Tagen mehr als 50 Neuinfizierte pro 100.000 Einwohner gab. In einem zweiten Schritt wird nach qualitativen und weiteren Kriterien festgestellt, ob z.B. für Staaten/Regionen, die den genannten Grenzwert nominell über – oder unterschreiten, dennoch die Gefahr eines nicht erhöhten oder eines erhöhten Infektionsrisikos vorliegt.“.

In Deutschland lag der Wert Mitte Dezember bei mehr als 150 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohner. Natürlich gibt es regionale Unterschiede in Deutschland, was diesen Wert anbetrifft, aber zumindest für meinen Wohnort Mainz trifft die Definition „Risikogebiet“ seit Wochen zu. Natürlich können die deutschen Behörden nicht für jedes Land der Welt eine regionale Abstufung vornehmen. Folglich werden Länder pauschal zu Risikogebieten erklärt, bei denen es natürlich Regionen geben kann, in denen die Fallzahlen teilweise geringer sind als in Deutschland. Um zu vermeiden, dass Reiserückkehrer*innen andere Menschen anstecken, müssen Reiserückkehrer*innen aus Risikogebieten seit November für zehn Tage in Quarantäne. Diese Maßnahme sorgt zusätzlich dafür, dass von Reisenden für Deutschland keine größere Gefährdung durch eine Ansteckung ausgeht. Somit laufen Parolen „Wir bleiben zu Hause“ ins leere, wenn sie Menschen, die ins Ausland reisen, entgegengehalten werden. In der Zeit, in der man sich im Ausland in einer Region mit niedrigeren Fallzahlen als zu Hause befindet, sich an die AHA-Regeln hält und Kontakte vermeidet, sorgt man dafür, das Ansteckungsrisiko zu vermindern. Dadurch zeigt man sich unweigerlich solidarisch mit der Gesellschaft zu Hause in Deutschland. Das mag nicht jeder und jedem Gefallen, aber sind es nicht am Ende die Fakten, die zählen sollten und nicht das pure Bauchgefühl?