Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!
01 Hin und weg:
Zugegeben, ich habe mich zunächst über die Terminierung dieses Pokalspiels aufgeregt, da Aue nunmal von der Lage her gefühlt das Vladiwostok der Proficlubs im deutschen Männerfußball ist. Um 21.08 Uhr fährt die letzte Bahn nach Zwickau und um 18.00 Uhr sollte der Anpfiff sein. Da Mainz 05 und Pokalwettbewerbe nicht gerade ziemlich beste Freunde sind, müssen wir natürlich immer mit Elfmeterschießen rechnen. Dadurch wäre es unmöglich gewesen, die letzte Bahn in Richtung Fernverkehrsanschluss zu bekommen. Erst vor ein paar Tagen ist schließlich auch mir aufgefallen, dass zeitgleich das Finale der Frauen-EM in London stattfinden sollte. Eine blödere Terminierung gibt es wohl wirklich nicht. Es bleibt zu hoffen, dass dies das letzte Mal war, dass der DFB zeitgleich Spiele seiner eigenen Wettbewerbe mit denen von Teams terminiert, die an anderen Wettbewerben teilnehmen. Dass der DFB auf Bahnfahrpläne und damit auf eine klimafreundliche Anreise Rücksicht nimmt, bleibt wohl eine Utopie.
Mit dem Weserfunk-Podcast auf den Ohren, der die CSR-Managerin von Werder Bremen zu Gast hatte, und den Trainingslager-Podcast-Folgen der Hinterhofsänger, ging es von Mainz um kurz nach 8 Uhr am Sonntagmorgen mit dem Klapprad im ICE in Richtung Sachsen. Vor einem Jahr feierte diese Kombi Zug/Klapprad beim Pokalspiel in Elversberg Premiere, da es dort keinen Bahnanschluss gibt und ich vom Bahnhof Neunkirchen zum Stadion fuhr. Diesmal nahm ich den Drahtesel mit, da das einzige Hotel in Aue bereits eine Stunde nach der Terminierung ausgebucht war und ich somit im benachbarten Bad Schlema übernachten musste. Zwischen den beiden Orten verkehrt stündlich die Bahn, die, bekanntermaßen aber auch nach 21:08 Uhr nicht mehr fährt. Daher nutze ich für die fünf Kilometer zwischen Hotel und Stadion wieder das Rad.
Alle Züge waren pünktlich, so dass ich genügend Zeit hatte, noch den nächsten Blogpost vorzubereiten, denn die Sommerpause bei Mainz 05 hatte es ja doch in sich…Stichwort Leitbild, Saudi-Arabien und die Trophäe schlecht hin, die „Klimaneutralität“.
02 (N)immer nuff:
Die kurze Radtour von Bad Schlema zum Erzgebirgsstadion hatte es tatsächlich in sich. Zunächst ging es einen Hügel in Richtung Aue hoch, weiter durch den Wald mit nettem Blick auf die Flutlichtmasten des Erzgebirgsstadion und auf das Ringer-Leistungszentrum „Lothar Lässig“ (heißt wirklich so) am Straßenrand. Danach ging es im Schuss steil bergab in die Auer Innenstadt und dann wieder steil nach oben hinauf zum Stadion. Nach den sechs Stunden im Zug war das allerdings eine willkommene Abwechslung.
03 Kon-Trolle
Die Security hatte kein Problem damit, das Klapprad an den Zaun anzuschließen. Die folgende Sicherheitskontrolle war ebenso easy absolviert und niemand störte sich daran, dass ich meine Fahrradbeleuchtung mit hineinnehmen wollte – in Mainz ist das ja immer ein Drama. Als ob jemand seine 50 bis 100 Euro teure Beleuchtung auf den Platz schmeißen würde… Allerdings durfte ich eben diesem Grund auch schon mal ein iPad-Mini auf Schalke abgeben. Da lob ich mir den Auer Realismus wirklich.
04 Kampf um den Mampf
Gab es sie noch oder gibt es sie nicht mehr? Das ist bei jedem Gastspiel in Aue die Frage, die sich Auswärtsfahrende jedes Mal aufs Neue stellen. Ja, es gab die „Nudelpfanne“ oder den „Nudeltopf“, der mittlerweile aber schlicht nur noch „Nudeln mit Wurstgulasch“ heißt. An meine erste Nudelpfanne in Aue 2008 habe ich kaum noch Erinnerung. War sie vegetarisch oder mit Fleisch versetzt? Keine Ahnung. Mittlerweile versuche ich, auf Fleisch zu verzichten und landete erstmal bei einer Riesenbrezel für drei Euro. Da ich seit der Abfahrt in Mainz nichts gegessen hatte, sättigte die Brezel mehr so weniger. Also entschied ich mich für die „vegetarische“ Variante, die aus Nudeln und Gouda-Käse bestand. Da die Ketchup-Töpfe zur Selbstbedienung herumstanden, garnierte ich den Nudeltopf mit Ketchup. Das Ergebnis war nicht wirklich prickelnd, aber im Vergleich zu den Brötchen, die es letztes Jahr als fleischlose Alternative in Elversberg gab, war das ja schon fast das Paradies.
05 Käfighaltung
Allerdings hatte der DFB ja diese erste Pokalrunde dem Klimaschutz gewidmet. Dazu wurde auch ein Wettbewerb ausgelobt, dass der Amateurverein, der die meisten vegetarischen Gerichte verkauft, eine Belohnung vom DFB erhält. Aue hatte da wohl keinen Bock drauf und servierte tatsächlich nur die Brezel. Die Wurstnudeln wurden auch noch schön im Einweg-Plastiktopf serviert. Wenigstens waren die Löffel schon aus Holz. Nun wäre es natürlich wenig nachhaltig, Restbestände an Plastik-Einweg wegzuschmeißen. Und die vegetarische Nudelvariante hätte wahrscheinlich auch kaum jemand gewünscht. Daher war das alles irgendwie nachvollziehbar.
Aber pünktlich um 18 Uhr zeigte der Verein sehr deutlich, was er vom Klimaschutz hält. Alle Spiele in dieser ersten Pokalrunde wurden eine Minute später angepfiffen, damit diese Minute für einen Appel für den Klimaschutz genutzt werden sollte. Der Stadionsprecher las wahrscheinlich den vom DFB entworfenen Text vor, nur verstanden hat man nichts. Das lag nicht am lokalen Dialekt sondern vielmehr erklang das Steigerlied über die Stadionlautsprecher in ohrenbetäubender Lautstärke. Ein eindeutigeres Statement, wie man bei Erzgebirge Aue zum Thema Klimawandel steht, kann man eigentlich nicht zeigen. Gleichzeitig brennen 100 Kilometer weiter in der Sächsischen Schweiz die Wälder…
Dass Fans die Aktion wie in Dresden auspfeifen – geschenkt. Schließlich steht der Verband wegen zahlreicher Dinge in der Kritik. Dass aber ein Mitglied des DFB, die Aktion des eigenen Verbands torpediert, hat schon eine ganz andere Qualität. Anzunehmen, dass sich der Verein bei einem Teil der Fan anbiedern wollte, statt der Linie des DFBs zu folgen. Wahrscheinlich hat man bei den Veilchen mehr Angst vor einigen Stadiongänger*innen als davor aufgrund des menschengemachten Klimawandels zu vertrocknen. Der DFB ist ja bei Vergehen von Fans recht schnell dabei mit Strafen und Sanktionen aller Art. Es bleibt spannend, ob diese Aktion des Vereins ein Nachspiel haben wird. Wenn nicht, ist das nächste Pfeifkonzert sicherlich nur eine Frage der Zeit. Und nun ja, die Quittung gab es dann von den Klimaverteidigern aus der goldenen Stadt am Rhein, die am Ende recht souverän gegen die Lila-Laune-Klimaaktionsverweigerer gewonnen haben.
Fazit: Der Jahrgang 2022/2023 zeigt, dass das Klima beim Thema Klimawandel ziemlich aufgeheizt ist.
Mainz 05 spielt morgen Abend in der alten Försterei. Es ist anzunehmen, dass der selbst ernannte erste klimaneutrale Fußballverein der Bundesliga heute mit dem Flugzeug nach Berlin reisen wird. Wer dabei Schnappatmung bekommt, weil die Nullfünfer innerdeutsch fliegen, oder weil wir angeblich gerade wirklich andere Probleme haben, dem sei das Weiterlesen nicht unbedingt zu empfehlen – Schwarz-Weiß-Malerei passt nicht wirklich zu unseren rot-weißen Farben und grünen Themen.
Grundsätzlich alles auszuschließen, sprich niemals (innerdeutsch) zu fliegen oder keine Rücksicht auf das Klima zu nehmen, ist in unserer komplexen Welt nicht zielführend. Würde von heute auf morgen sogar der gesamte Flugverkehr zum Erliegen kommen, wie es gegenwärtig fast der Fall ist, werden immer noch 97 Prozent des bisher ausgestoßenen Kohlendioxids (CO₂) emittiert – sprich diese rigorose Maßnahme hätte keine wirklichen Auswirkungen auf die Entwicklung des weltweiten Klimas. Dennoch ist es natürlich umweltfreundlicher mit der Bahn oder dem Bus nach Berlin zu reisen. Nur bringt es das Klima nicht wirklich weiter, wenn eine Gruppe von 20 Menschen auf diesen Flug verzichten sollte und sich das Flugverhalten und -angebot aller anderen Player nicht verändert.
Gegenwärtig dominiert die Corona-Krise aktuell – Fußball und Fliegen inklusive. Unabhängig davon, ob wir Geisterspiele für richtig oder falsch halten, war die Betriebsamkeit der DFL in der Krise bemerkenswert. Vor der Virus-Krise drehten sich glücklicherweise viele Diskussionen um die Klimaerwärmung. Langfristig ist dieses Thema auch bedeutsamer als Corona und wird hoffentlich bald wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Denn die Belastung der Luft durch Gase, die den menschengemachten Klimawandel begünstigen, hat durch die Pandemie höchstens eine kleine Pause eingelegt. Und nur weil kaum noch jemand über das Klima spricht, ist diese Problematik ja nicht aus der Welt.
Umso verwunderlicher finde ich es, dass ich auf der Seite der DFL bei der Suche nach dem Wort „Klima“ die Antwort erhalte: „Zu Ihrer Suche gibt es leider keine Ergebnisse.“ Dabei geriert sich die DFL ja als Interessenzusammenschluss von 36 kleinen und mittelständischen Unternehmen. Bei den meisten anderen Unternehmen in Deutschland ist das Thema „Klima“ mittlerweile in den Fokus gerückt, alleine schon deshalb um im weltweiten Wettbewerb langfristig nicht abgehängt zu werden. Umweltschutz und Wettbewerbsvorteile schließen sich in vielen Teilen der Wirtschaft schon länger nicht mehr aus. Die EU spricht von einem Green Deal der auf den Weg gebracht werden muss und viele Wirtschaftswissenschaftler fordern bei Förderprogrammen für einzelne Branchen in der Post-Corona-Zeit aus der nutzlosen Abwrackprämie für Autos in der Finanzkrise zu lernen und stattdessen Zukunftstechnologien, die das Klima schützen, finanziell zu supporten.
Beim zweiten Versuch auf der DFL-Seite mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ etwas zu finden, erhalte ich immerhin drei Ergebnisse: „Der Verteilerschlüssel“, „Neue Rechteperiode für vier Spielzeiten“ und „Stellungnahme des DFL-Präsidiums“. Bei den ersten beiden Treffern handelte es sich um die Verteilung der Gelder für die Medienrechte der Saisons 2017/2018 bis 2020/21. Beim letzten Treffer geht es um die Fortführung des Spielbetriebs in Zeiten der Pandemie: „Es steht außer Frage, dass künftig Nachhaltigkeit, Stabilität und Bodenständigkeit zu den entscheidenden Werten gehören müssen. Diese Werte gilt es nach Überwindung der akuten Krise in konkrete Maßnahmen umzusetzen.“.
Nachhaltigkeit setzt sich aus wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aspekten zusammen. Ob die DFL tatsächlich auch die ökologischen Aspekte dabei berücksichtigt, darf zumindest angezweifelt werden. Aktuell dreht sich bei der Diskussion um die Neuausrichtung des Fußballs vieles um Gehaltsobergrenzen, Financial Fairplay und um eine gerechtere Verteilung der Fernsehgelder. Aber einen Ansatz, wie ihn Mainz 05 seit Jahren verfolgt, klimaneutral zu agieren, ist damit wahrscheinlich nicht gemeint.
Dass gerade der finanziell nicht wirklich perfekt ausgestattete Fassenachtsverein sich diesem wichtigen Zukunftsthema widmet, ist mehr als löblich. Mainz 05 ist hier Pionier und ich bin mir sicher, dass im Hintergrund viele richtige Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit getroffen werden. So sind viele Fanshop-Artikel mittlerweile GOTS-zertifiziert, was bedeutet, dass Shirts, Schals etc. zu fairen Bedingungen und ökologisch einwandfrei produziert wurden. Es gibt eine Kooperation mit der Mainzer Firma Got Bag, die Plastik als Beifang aus dem Meer fischen lässt und daraus einen Faden herstellt. In diesem Upcycling-Prozess entstehen schließlich schicke Rucksäcke aus Meeresplastik.
Bereits im Header der 05-Startseite wird das Thema „Engagement“ erwähnt und auf die „Mission Klimaverteidiger“ verlinkt. Dort findet sich der Hinweis, dass die Solaranlage auf dem Stadiondach durch die Stromerzeugung jährlich den Ausstoß von 470 Tonnen CO₂ verhindert. Mit einem weiteren Klick gelangt man dann auf die komplette Meldung und findet hinter der Aussage mit den 470 Tonnen den Satz, „Mainz 05 ist seit 2010 klimaneutral.“.
Doch was bedeutet das? Zwar wird erklärt, dass mit Entega und dem Darmstädter Ökoinstitut regelmäßig Daten erhoben werden, um den CO₂-Fußabdruck zu bestimmen. In diesem Fußabdruck sind auch die Fanbewegungen enthalten, sprich die An- und Abreise zu Heim- und Auswärtsspielen. „Die dennoch verursachten CO₂-Emissionen werden über den Erwerb von Zertifikaten zur Förderung von Klimaschutzprojekten kompensiert.“, so die Aussage auf der Seite. Vom TÜV Rheinland hat der Verein auch ein entsprechendes Energie-Zertifikat erhalten. „Dabei wurden die Ergebnisse des CO₂-Fußabdrucks systematisiert, um noch gezielter und effektiver Maßnahmen für das Energiemanagement zu ermitteln und zu bewerten.“
Das ist alles vorbildlich. Natürlich ist für viele Menschen eine solche Kommunikation vollkommen ausreichend. Allerdings stellt sich die Frage, ob der Verein tatsächlich ausschließlich auf die CO₂-Kompensation setzt, ob das Ökoinstitut und der TÜV ebenfalls nur den CO₂-Abdruck errechnen und zertifizieren oder ob der Verein tatsächlich den notwendigen zweiten Schritt geht und auch Non-CO₂-Emissionen kompensiert. Erfolgt eine solche Non-CO₂-Kompensation, sollte er es auch kommunizieren. Kompensiert er ausschließlich CO₂, besteht die Gefahr, dass Leute, die sich mit der Problematik auskennen, dem Verein gegebenenfalls „Greenwashing“ unterstellen könnten.
Schließlich ist es wissenschaftlich erwiesen, dass neben CO₂ weitere Gase Einfluss auf den Klimawandel haben. Die Non-Profit-Organisation „atmosfair“ bietet auf ihrer Webseite die Möglichkeit an, Flüge zu kompensieren und zwar über den reinen CO₂-Abdruck hinaus: „Für die Berechnung der Klimawirkung von Non-CO₂-Emissionen über 9 000 Meter Höhe werden die CO₂-Emissionen in dieser Höhe mit einem Aufschlag von 2 multipliziert und dann zum reinen CO₂ addiert (‘Faktor 3’).“.
Möchte man nun die Flüge Frankfurt – Berlin – Frankfurt bei atmosfair kompensieren, erhält man allerdings den Hinweis, dass es eine Bahnverbindung mit besserem CO₂-Fußabdruck gibt. „Nach dem Klimaschutzgrundsatz „Vermeiden und Reduzieren vor Kompensieren“ bieten wir daher die CO₂-Kompensation für diesen Flug nicht an.“ Trotzdem wird der Abdruck errechnet: Es entstehen 58 kg CO₂-Emissionen und 50 kg Non-CO₂-Emissionen. Über diese Non-CO₂-Emissionen findet sich bei Mainz 05 kein Hinweis. Wird dieser Betrag pro Person, die heute nach Berlin fliegt, eingerechnet oder nicht? Das Öko-Institut sollte das ermitteln und entsprechend kommunizieren können. Unabhängig davon, ob sich heute die Mannschaft ins Flugzeug setzt oder doch den Bus nimmt, fliegen Nullfünfer für gewöhnlich durch die weite Welt: zu Vertragsverhandlungen, zum Scouting, zu anderen Auswärtsspielen. Würde dann allerdings nur der CO₂-Anteil kompensiert, wäre das Wirtschaften des Vereins CO₂-neutral aber nicht vollkommen klimaneutral. Die Frage ist auch immer, wie schnell die Kompensation erfolgen soll – auch darüber findet sich kein Beleg auf der Seite von Mainz 05.
Neben atmosfair bietet auch „Compensaid.com“ eine Kompensation an und das auch tatsächlich auf der innerdeutschen Strecke zwischen Frankfurt und Berlin. Dabei kann zwischen verschiedenen Varianten gewählt werden: Möchte man innerhalb von 20 Jahren die Kompensation mit Hilfe von Bäumen durchführen, da diese CO₂ speichern, kostet das 2,59 € für die reine CO₂-Kompensation. Leider bietet die Seite keine Non-CO₂-Kompensation an. Würde man aber das o.g. Beispiel von atmosfair von 50 kg Non-CO₂-Emissionen nutzen, würden nochmals 2,32 € fällig. Das sind meiner Meinung nach Beträge, die jede Person, die fliegen möchte, auch bezahlen könnte. Alternativ gibt es mittlerweile nachhaltiges Flugbenzin (sustainable aviation fuel – SAF), das beispielsweise aus altem Speiseöl oder Holzabfällen hergestellt wird. Der Nachteil: SAF ist extrem teuer. Für die Strecke Frankfurt – Berlin – Frankfurt wären laut Compensaid 63,14 € für die reine CO₂-Kompensation fällig. Möchte man zusätzlich seinen Non-CO₂-Fußabdruck unmittelbar kompensieren, wären 54,43 € zusätzlich zu berappen.
An diesem Beispiel erkennen wir, dass es bereits heute theoretisch möglich ist, fast klimaneutral zu fliegen. Es ist einfach eine Frage des Geldes. Da wären wir dann wieder beim Fußball. Was wäre das eigentlich für ein Signal, wenn die Branche ihre Flüge mit SAF kompensieren würde? Dadurch würde die Nachfrage nach SAF erhöht und langfristig der Preis sinken. Das wäre gesellschaftspolitisch ein riesen Gewinn. Das ist jedoch wahrscheinlich sehr unrealistisch, da das eingenommene Geld durch die Medienverträge anderweitig verwendet wird. Aber Mainz 05 sollte auf seiner Webseite erläutern, welche Klimaschutzprojekte gefördert werden, wie lange es dauert, um eine solche Kompensation (z.B. über Bäume) durchzuführen und ob diese Projekte von Organisationen, wie dem „Gold Standard“ zertifiziert werden. Der Gold Standard wird vom Umweltbundesamt wie folgt bewertet: „Achten Sie bei Kompensationsanbietern auf diese Zertifizierung. Die Gold-Standard-Foundation ist eine Non-Profit Zertifizierungsorganisation, die in der Schweiz registriert ist. Berechtigt zur Zertifizierung durch „The Gold Standard“ sind nur Projekte, die nachweislich zur Reduktion von Treibhausgasen führen und gleichzeitig gut für die lokale Umwelt und soziale Belange der Bevölkerung sind.“ Leider besteht auch bei Projekten immer die Gefahr des Greenwashings – daher ist die Zertifizierung so wichtig.
Außerdem ist natürlich fraglich, wie der Verein die Fanströme berechnen möchte. Hätten wir am Mittwoch in Köpenick gespielt, wüsste der Verein ja nicht wirklich wer mit der Bahn, mit dem Bus, mit dem PKW oder mit dem Flugzeug nach Berlin gereist wäre. Natürlich interessiert sich die Mehrheit der Leute für solche Details nicht. Es ist allerdings meiner Meinung nach wichtig, die Berechnungsgrundlagen darzulegen, um tatsächlich nicht in den Verdacht des Greenwashings zu geraten. Airlines, die direkt eine Kompensationsmöglichkeit anbieten, lassen sich die Berechnungsgrundlagen durch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften attestieren und diese auch publizieren. Es ist anzunehmen, dass der TÜV Rheinland, der Mainz 05 zertifiziert, eine solche Berechnungsgrundlage erstellt hat. Diese sollte entsprechend öffentlich zugänglich sein.
Ich habe als Fan diesbezüglich mittlerweile einen gewissen Anspruch, schließlich schreibt sich der Verein seit 2010 das Attribut der Klimaneutralität auf seine Fahnen. Allerdings sollte für so eine fundamentale Aussage auch entsprechende Belege erbracht werden. Für mich ist der Ansatz, klimaneutral zu agieren auch ein Grund, warum ich meinen Verein so wertschätze. Er ist trotz der oben gestellten Fragen, die sich sehr schnell beantworten lassen sollten, tatsächlich Vorbild: Für uns Fans, aber auch für andere Vereine in der Bundesliga und auch andere Vereine in anderen Sportarten. Wir lieben unseren Verein und werfen ihm oft vor, sich nicht richtig zu positionieren. Manche möchten aus Nullfünf ein zweites St. Pauli machen, das bei vielen gesellschaftlichen aber vielleicht eher unbequemen Themen eindeutig Stellung bezieht. Manche finden Union Berlin (trotz der Vorkommnisse 2002) cooler, weil die Fans das Stadion mit umgebaut haben. Ich finde, die Positionierung als Vorreiter beim Klimaschutz ist zumindest ein markanter Wesenszug unseres Vereins, der damit in der Liga nahezu ein Alleinstellungsmerkmal hat – dieses allerdings noch viel mehr herausstellen sollte, gerade in der nächsten Zeit.
Und die DFL? Die klopft sich aktuell auf die eigene Schulter. Ihr Konzept „Task Force Sportmedizin / Sonderspielbetrieb“ geht gegenwärtig einigermaßen auf. Mit Stolz verkündet sie, die ganze Welt würde darauf schauen. Ich würde mich freuen, wenn sie in Kürze eine entsprechende Task Force „Green Deal für die Bundesliga“ aufbauen würde. Schließlich sind alle Verantwortlichen der Meinung, dass die Bundesliga Vorbild-Charakter hat – auch gerade für die anderen Ligen in Europa. Die Premier League, die ja mit noch mehr Geld zugeschüttet wird, könnte es sich moralisch dann sicherlich nicht leisten, hintanzustehen, gerade auch weil in Großbritannien teilweise Umweltschutz wesentlich stringenter, insbesondere im Bereich der Supermärkte und Modefirmen (Fair Fashion), umgesetzt wird als bei uns, wo oft noch „billig“ vor „bio“ und „fast“ vor „fair“ steht.
Ferner begeistert Fußball alle sozialen Schichten, alle Geschlechter und die meisten Nationen. Klimaschutz geht uns alle an. Es bietet sich für die nächste Spielzeit tatsächlich die Chance, als Liga (und mit dem DFB als Verband) voranzugehen und den Klimaschutz zu priorisieren. Dann hätte die DFL eine weitere Möglichkeit, sich auf die Schulter zu klopfen und weltweites Vorbild zu sein – beim wichtigsten Thema unserer Zeit überhaupt.