Unterwegs auf dem Main(z)Radweg

Die schönste Art eine Reise zu beginnen, ist für mich persönlich die, bei der ich mich quasi von der Haustür ab im Reisemodus befinde – ohne Anfahrt zu einem Startpunkt der Reise. Autofahrten zählen da für mich genauso wenig dazu wie Flüge, Bahn- oder Busfahrten. Bisher ist mir das erst einmal gelungen: Meine Weltreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu der ich 2002 aufbrach. Ich startete in einem Mainzer Vorort mit dem Bus, fuhr zum Hauptbahnhof und setzte mich in den Regionalexpress nach Saarbrücken und übernachtete die erste von 365 Nächten im französischen Reims. Aber sonst war es mir bisher nicht gelungen, mich von der Haustür ab auf eine Reise zu begeben – bis zum Sommer 2020.

Start des MainRadwegs in Mainz-Kastel

In diesem ersten Pandemiesommer kamen wir auf die Idee, über die Mainzer Theodor-Heuß-Brücke nach Mainz-Kastel zu radeln und von dort den MainRadweg flussaufwärts entlang zu fahren. Dieser Premiumradweg beginnt quasi direkt vor unserer Haustür und schlängelt sich durch die drei Bundesländer Hessen, Baden-Württemberg und Bayern über mehr als 500 Kilometer quer durch die Mitte Deutschlands. Im ersten Pandemiesommer waren Tests und Impfungen noch unbekannt, die Inzidenzen niedrig und der Glaube groß, das Schlimmste hinter sich gelassen zu haben. So starteten wir auf unsere erste Etappe nach Frankfurt am Main. Damals nahmen wir alle an, dass die AHA-Regeln ausreichten, um sich nicht anzustecken. Mutationen gab es noch nicht und die Übernachtung im Hotel und das Essen in Innenräumen galten als nicht wirklich riskant.

Die Fahrt in Richtung Bankenstadt mal nördlich, mal südlich des Mains war abwechslungsreich und führte quasi immer über Radwege und immer gut markiert in Richtung Osten. Das Rhein-Main-Gebiet über Offenbach bis nach Aschaffenburg mit dem Rad zu durchqueren ist meiner Meinung nach eine Reise, die sich für alle Radelnde aus der Region sehr lohnt. Natürlich hat nicht jede:r die Zeit, sich mehrere Wochen auf den Drahtesel zu setzen. Aber der Abschnitt Mainz – Aschaffenburg lässt sich in zwei Tagen wunderbar bewältigen. Belohnt werden Radelnde mit flachen Wegen durch viel Natur und an recht wenig urbanen Tücken wie Ampeln, Stau, Menschenmengen und motorisierten Verkehrsteilnehmenden vorbei.

Ankunft in Frankfurt am Main

Gerade die Uferpromenaden in Frankfurt und Offenbach waren sehr beeindruckend. Danach ging es über Wiesen, Felder und durch Wäldchen direkt am Main entlang bis zum imposanten Schloss Aschaffenburg. Hinter der Stadt wurde das Maintal recht schnell enger und manchmal führte der MainRadweg neben der Bundesstraße auf der Spessart- oder Odenwaldseite entlang. Miltenberg war uns persönlich ein wenig zu überlaufen, unser dritter Übernachtungsstopp Wertheim hat uns hingegen sehr zugesagt. Hier mündet die Tauber in den Main und eine Burg wartet, erklommen zu werden.

Wir radelnden die vielen Mainschleifen nach Norden und Süden und kamen am vierten Tag in Lohr am Main an. Wie in Wertheim war es auch hier nicht so hektisch – das war Ende August 2020 aber auch dem Wetter geschuldet, denn es regnete den ganzen Nachmittag und Abend munter drauf los. Regen auf Fernradtouren in Deutschland ist eigentlich normal. Daher ist es wichtig, sich mit dem richtigen Gepäck aufs Rad zu schwingen. Waren früher auch Taschen aus Segeltuch bei Radlern sehr beliebt, bieten mittlerweile viele Hersteller Taschen aus einer Art „LKW-Plane“ an, die hundertprozentig wasserdicht und sehr robust ist. Allerdings ist das durch die Verwendung von PVC nicht unbedingt die umweltfreundlichste Variante. Aber mittlerweile bieten Hersteller auch PVC-freie Varianten an, die etwas teurer sind.

Schloss in Aschaffenburg

Am nächsten Tag war das Wetter wieder besser und wir radelten von Lohr über das schöne Gemünden, das zum Glück nicht so überlaufen war, weiter bis nach Würzburg. Die immer häufiger auftauchenden Weinberge erinnerten ein wenig an die Mosel und wir waren in Weinfranken angekommen. Im Nachhinein ist die Strecke von der Mündung bei Mainz bis nach Würzburg für uns eindeutig der schönste Teil des MainRadwegs. Die Route folgte fast permanent dem Fluss und die Blicke in den Odenwald und Spessart zwischen Aschaffenburg und Würzburg waren oft wunderschön.

Unterwegs durch die Streuobstwiesen in Mainfranken

In Würzburg unterbrachen wir die Tour und fuhren mit dem Zug nach Mainz zurück. Das Schöne an den relativ kurzen Etappen des MainRadwegs ist die Möglichkeit, Arbeit und Freizeit perfekt zu kombinieren. So war es mir möglich morgens zu arbeiten und nachmittags zu radeln. Alle Etappenorte boten 4G/LTE und so war das Arbeiten mit Laptop und Internet problemlos möglich zumal auch die meisten Hotels mittlerweile einigermaßen schnellen WLAN anbieten. Eigentlich wollten wir bereits ein paar Wochen später im Herbst 2020 von Würzburg aus den MainRadweg weiterradeln, doch das Wetter machte unserer Planung einen Strich durch die Rechnung. Der September war zu durchwachsen und der Oktober für uns schon ein wenig zu kühl zum Radeln. Daher vorschoben wir den zweiten Teil auf das Frühjahr 2021.

In Würzburg wurde die Tour unterbrochen…für 10 Monate

Allerdings machte uns die Pandemie zunächst einen Strich durch die Rechnung, da touristische Reisen von November 2020 bis in den Mai 2021 untersagt waren. Auch das Sicherheitsempfinden hatte sich geändert. Im Mai 2021 reisten wir daher zunächst durch Modellregionen Schleswig-Holsteins und empfanden es in jenen Regionen als angenehm, in denen wir das Frühstück im eigenen Zimmer zu uns nehmen durften.

Für mehr als 7 Monate waren touristische Übernachtungen verboten, geschäftliches Reisen war allerdings nie untersagt. Und plötzlich Mitte Mai ging alles ganz schnell. Die Hotels durften Tourist:innen wieder empfangen und auch die Innengastronomie durfte wieder öffnen. Es gab zwar Testverpflichtungen bzw. die Nachweispflicht für Geimpfte und Genesene, aber es ist auch klar, dass Tests keine hundertprozentige Sicherheit bieten, da es ja immer ein Zeitfenster gibt, zwischen Testung und Aufenthalt im Innenraum eines Restaurants. Und dass Geimpfte und Genesene das Virus womöglich weitertragen können, ist bisher auch nicht ausgeschlossen. Daher wollten wir die Innengastromie unbedingt meiden, gleichzeitig aber die Radtour fortsetzen.

Eine der unzähligen Mainüberquerungen hier bei Ochsenfurt

Daher waren für uns nun ganz andere Kriterien bei der Hotelauswahl entscheidend. War es möglich, draußen zu frühstücken? Dazu schauten wir uns die Bilder der Hotels im Netz an, waren aber manchmal auch nicht wirklich daraus schlau geworden. Leider schreiben Hotels grundsätzlich wenig bis gar nichts dazu, ob sie die Möglichkeit bieten, draußen zu frühstücken.

Wenn wir uns das Verhalten der anderen Reisenden anschauten, die sich einfach an die Regeln hielten, sich aber anscheinend ansonsten keinen Kopf um eine mögliche Ansteckung machten, kamen wir uns schon ein wenig übervorsichtig vor – hielten unserer Verhalten dennoch für angemessen.

Ende Juni 2021 machten wir uns schließlich daran, den zweiten Streckenabschnitt zu absolvieren. Mit den Rädern in der Bahn ging es mit dem Quer-durchs-Land-Ticket nach Würzburg. Hatten wir es im letzten Jahr mit der Bahn noch geschafft, ein oder zwei Tage vor der Rückfahrt eine Radreservierung für einen InterCity von Würzburg nach Mainz vorzunehmen, waren dieses Mal alle Verbindungen bereits Tage zuvor ausgebucht. Das Quer-durchs-Land-Ticket der Bahn ist für zwei Leute mit 49 Euro eine gute Alternative, da man am Reisetag am Wochenede alle Züge des Nahverkehrs nehmen kann und werktags ab 9 Uhr morgens. So waren wir flexibel und brauchten keine Angst vor Zugausfällen oder verpassten Anschlüssen zu haben. Dazu kauften wir noch eine Fahrrad-Karte Deutschland für 6 Euro pro Rad.

Ankunft in Kitzingen

Vom Hauptbahnhof in Würzburg aus sind es nur wenige Hundert Meter bis zum Mainufer und zum MainRadweg. An unzähligen Wiesen geht es flussaufwärts aus der Stadt hinaus nach Süden. Mit Ochsenfurt, Marktbreit und Kitzingen warteten die nächsten kleinen Städte mit schönem mittelalterlichen Stadtbild darauf, entdeckt zu werden.

Hinter Kitzingen zieht der Main wieder viele Schleifen, die Berümteste ist die Mainschleife bei Volkach. Diese lässt sich vom Rad auf dem MainRadweg nicht wirklich erkennen. Vor Jahren sind wir hier gewandert und tatsächlich laden viele Orte am MainRadweg zu einem Zwischenstopp ein, um die Region per Pedes zu entdecken. Die ersten Wallfahrtskirchen zeigen, dass wir längst in der weiß-blauen Idylle Bayerns angekommen sind. Gar nicht so idyllisch kommt dann die Industriestadt Schweinfurt daher. Sie bietet allerdings die Möglichkeit, auf einer Maininsel zu übernachten. Die ersten Kilometer hinter Schweinfurt verläuft der MainRadweg paradiesisch anmutend an zahlreichen Picknickplätzen vorbei. Manchmal ist allerdings die Wegführung des MainRadwegs etwas fraglich, insbesondere hinter Haßfurt. Dort führt der Weg nach Zeil am Main auf einem Radweg entlang einer vielbefahrenen Bundesstraße. Vom Main war hier überhaupt nichts zu sehen, obwohl es von Haßfurt einen Radweg zum Main gibt, der weiter nach Sand am Main am Fluss entlangführt. Denn auch von Zeil am Main führt der MainRadweg nach Sand am Main. Später geht es auf Radwegen zwischen den Orten neben einer Straße entlang an weiter flusaufwärts. In den Orten verschwindet der Radweg und Radfahrer werden dauernd daran erinnert, dass hier „rechts vor links“ gilt, während Autofahrer die Ortsumgehung nutzen können. Das war für uns eindeutig der unattraktivste Teil der Tour, schließlich gab es auch kaum nette Einkehrmöglichkeiten am Wegrand, die wir seit Aschaffenburg bis kurz vor Schweinfurt so genossen haben.

Blumenwiesen gibt es entlang des Mains zum Glück wieder häufiger.

Kurz vor Bamberg in Bischberg dreht der MainRadweg nach Norden ab, da Bamberg gar nicht am Main, sondern an der Regnitz liegt. Die Einfahrt in die schöne Stadt versöhnt ein wenig mit den vorherigen Kilometern. Durch viel Grün geht es quasi bis zum Rathaus, das auf eigener Miniinsel im Fluss liegt. Die Stadt entdeckten wir zu Fuß im strömenden Regen. Sie war trotz des schlechten Wetters recht gut besucht. Es ist anzunehmen, dass sie bei schönem Wetter besonders am Wochenende völlig überlaufen ist. Glücklicherweise warteten flussaufwärts weitere kleinere Städte darauf, von uns besucht zu werden. So gelingt es den Fernradfahrenden auf dem MainRadweg immer wieder den Massen zu entkommen.

Am nächsten Tag ging es für uns die 5 Kilometer wieder zurück nach Bischberg und über die Regnitz zurück zum Main, der hier ein Vogelparadies par excellence ist. Wenige Kilometer weiter nördlich sticht schon das Kloster Banz ins Auge, das westlich vom Main auf einem Berg thront. Auf der anderen Flussseite taucht wenig später die Basilika Vierzehnheiligen auf, die nur ein Kilometer vom MainRadweg entfernt bergan liegt. Ein paar Kilometer weiter erreichen wir die Korbstadt Lichtenfels. Anders als das rummelige Bamberg, konnten wir hier in aller Ruhe die kleine Altstadt durchstreifen.

Das Wetter war teilweise durchwachsen. Daher sind wasserdichte Taschen Pflicht.

Tags drauf wurde es etwas wilder, da der MainRadweg zum ersten Mal überhaupt mit Steigungen aufwartete. Bisher konnte die Tour eigentlich mit einem Rad ohne Gangschaltung zurückgelegt werden, oder wie in meinem Fall mit einer arg ausgeleierten Kette. Leider sind in Mainz Fahrradwerkstätten dauerausgelastet. Als meine Kette zwei Wochen vor der geplanten Tour anfing, Probleme zu bereiten, war mir klar, dass ich keinen Termin mehr bekommen würde. Ich kürzte die Kette um vier Glieder und konnte so die Tour wenigstens antreten. Zwischen Hochstadt und Burgkunstadt bekam ich allerdings die Quittung. Schon bei einer Umleitung, die anders als alle anderen nicht richtig ausgeschildert war, ging es steil bergauf und ich konnte auf den jeweils größten Ritzeln vorne und hinten nicht mehr hochfahren. So musste ich an diesem Tag mehrmals schieben.

Daher wuchs in mir der Entschluss, spätestens in Kulmbach eine Werkstatt aufzusuchen. Glücklicherweise werden auf der Webseite des MainRadwegs alle Fahrradläden mit Werkstatt aufgelistet. So begab ich mich am nächsten Morgen im strömenden Regen zur Öffnung des Ladens zu besagter Werkstatt. Das Team war extrem hilfsbereit und brachte mein Rad innerhalb von drei Stunden wieder auf Vordermann. Da es ohnehin den ganzen Morgen regnete und auch die Strecke nach Bayreuth mit 35 Kilometern ziemlich kurz war, passte dieser Reparaturstopp ideal.

Hinter Bischberg bei Bamberg ist der Main nicht mehr schiffbar. Dafür werden die Brücken um so schöner.

Die Bierstadt Kulmbach liegt bereits am Weißen Main. Der Main besteht aus zwei Quellflüssen, dem besagten Weißen Main und dem Roten Main. Mit frisch repariertem Drahtesel ging es wenige Kilometer wieder flussabwärts zum Mainzusammenfluss von Weißem und Roten Main. Die Farbgebung liegt an den unterschiedlichen Gesteinszusammensetzungen, die für eine hellere bzw. eine rötlichere Färbung sorgen. Am Zusammenfluss selbst ist davon allerdings wenig zu sehen.

Ist der Main bereits seit Bamberg nicht mehr schiffbar (die Schiffe fahren auf der Regnitz durch Bamberg und dem Main-Donau-Kanal weiter in Richtung Schwarzes Meer), wird er auf dem Weg nach Bayreuth tatsächlich zu einem Bach, der durch die berühmte Festspielstadt fließt. In Bayreuth gönnten wir uns zwei Hotelnächte, was nach den vorangegangenen fünf Nächten in fünf verschiedenen Unterkünften an sich schon eine Wohltat war. Allerdings läuft das Packen für Radreisen auch wesentlich einfacher ab, als für Wanderungen oder sonstige Touren, da die Radtaschen relativ klein und dadurch übersichtlich bleiben.

Der Mainzusammenfluss bei Kulmbach.

Ohne Gepäck ging es die letzten Kilometer hinauf zur Rotmainquelle. Der offizielle MainRadweg machte hinter Bayreuth einen riesigen Schlenker vom Main weg. Dafür führte der Pegnitz-Radweg in der Nähe des Mains bis ins Städtchen Creußen, der letzten Ortschaft vor der Quelle. Dort trafen wir wieder auf den MainRadweg, der von der Rotmainquelle kommend hier in dem Ort mit Bahnanschluss endet. Wie in Mainz-Kastel fehlt hier in Creußen ein Übersichtplan, den es unterwegs zu Hauf gibt. Eigentlich schade, wenn man fast zwei Wochen auf einem Premium-Radweg unterwegs war und dieser an einem Bahnhof so einfach endet.

Wir fuhren nun in umgekehrter Richtung den MainRadweg über die Rotmainquelle in Richtung Bayreuth zurück. Ging es zwischen Bayreuth und Creußen auf dem Pegnitz-Radweg schon mächtig berghoch, so wurde der Feldweg in Richtung Quelle richtig steil. Andere Radelnde waren überhaupt nicht zu sehen. War der MainRadweg im letzten Jahr insbesondere durch E-Bike-Radelnde manchmal richtig überlaufen, hatten wir dieses Mal den Weg fast immer für uns alleine. Das galt auch für die unscheinbare Rotmainquelle. Das Wasser läuft aus einem Rohr aus dem Fels und der wichtigste Nebenfluss des Rheins nimmt hier seinen Anfang, eher er gegenüber meiner Heimatstadt in den Rhein mündet.

Ankunft an der Rotmainquelle

Die Fahrt auf dem MainRadweg war fast durchweg ein Genuss. Autofahrende waren immer rücksichtsvoll, die Menschen, denen wir begegnet immer hilfsbereit und zuvorkommend. Der Internetauftritt des MainRadwegs ist tatsächlich sehr nützlich, sei es für die Streckenplanung, für die Hotelauswahl mit Bett & Bike Zertifizierung oder die Auflistung der Werkstätten am Wegrand. Es waren 12 wunderbare Tage auf diesem Radweg und eine schöne Möglichkeit, die Reise quasi vor der Haustür zu beginnen und das mitten in der Pandemie mitten in Deutschland.

Corona-Disclaimer:

Folgende aktuellen Erfahrungen haben wir im Sommer 2021 auf dieser Reise gesammelt:

Übernachtungen

Gemäß den lokalen Verordnungen, mussten wir bei jeder Unterkunft einen Antigen-Schnelltest beim Einchecken vorweisen, der frühestens 24 Stunden vorher durchgeführt wurde bzw. einen Genesenen- bzw. Impfnachweis präsentieren. Leider wurde dies nicht bei allen Unterkünften tatsächlich geprüft. Umso mehr achteten wir darauf, dass wir die AHA+L-Regeln einhalten konnten, sprich, wir haben abends ausschließlich draußen gegessen und beim Frühstück darauf geachtet, entweder draußen zu frühstücken oder direkt am offenen Fenster bzw. der offenen Terrassentür. Das hat in fünf von sieben Übernachtungen im Sommer 2021 geklappt. Die zwei Mal, bei denen es nicht geklappt hat, erklärte uns das Hotel, sie hätten keine Konzession für Außengastro. Nach Rückfrage bei der Stadt Mainz ist eine Konzession nur notwendig, wenn auch Alkoholausschank stattfindet. Daher ist diese „Ausrede“ des Hotels also nicht ganz stimmig. Wahr ist allerdings, dass das mit der Stadt abgesprochen werden muss. Ob das überhaupt angefragt wurde, sei dahingestellt. Ich finde es wichtig, Unterkünfte zu sensibilisieren, dass es sehr wohl Gäste gibt, die gerne draußen frühstücken, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren, auch wenn es behördlich genehmigt ist, Innengastro anzubieten. Denn nur weil etwas erlaubt ist, heißt es nicht, dass es auch gesundheitlich unbedenklich ist.

Zugfahrt

Auf der Zugfahrt von Mainz nach Würzburg bzw. von Bayreuth nach Mainz waren die Züge nicht überfüllt. Praktisch alle Fahrgäste haben Maske getragen. Maskenvereigernde wurden vom Personal darauf hingewiesen, eine Maske zu tragen. Um das Infektionsrisiko zu minimieren, saßen wir mit unseren Rädern in der Nähe der Türen. Gegessen und getrunken haben wir nur am Bahnsteig.

Osteuropa 2007 letzter Teil

Guten Tag aus Mainz!

Hatte ich beim Verlassen von Rumänien über die teilweise konstant schlechte Strass geschimpft, dann wusste ich noch nicht, was mir in der Republik Moldau bevorsteht – zumal die ersten Kilometer auf einer Betonpiste sich gar nicht so schlecht anließen. Aber dann mutierte einerseits die Straße in eine Trasse, die alle drei bis vier Meter quer über die Fahrbahn wie ein Keks durchgebrochen war. Das Vorwärtskommen ähnelte dem Radeln auf Eisenbahnschwellen und dies tat meinem Hintern mehr als weh. Um eine Reise vorzubereiten, liest man für gewöhnlich sich mit einem Reiseführer ein. Meiner laberte etwas davon, dass das Radeln wegen der schlechten Strassen strapaziös sei – aber das Land „flach wie ein Brett sei“. Hm, der Reiseführer stammt aus Australien und vielleicht heißt dort die Bezeichnung „flach wie ein Brett“, dass man in Downunder von der Vertikalen spricht. So in etwa sind dann in der Realität auch wirklich die Strassen angelegt: Mir gingen immer wieder die Worte „hoch und nieder immer wieder“ im Kopf rum, denn es ging immer einen Hügel hoch und sofort wieder runter und wieder hoch und… Vielleicht hatten die Aussies auch nur ein Brett vorm Kopf, denn so eine Aussage zu treffen, da muss man schon ganz schön neben der Spur sein.

Die hügelige Landschaft und die Schwellenstraße als Pappelallee angelegt, luden zum Dauer-Picknicken ein. Als dann noch die ersten Pinienwälder und die Myriaden von Weinbergen auftauchten, kam ich mir vor, als ob ich in der Provence oder der Toskana durch die Gegend holpere – OK die Strassen ließen mich wieder daran erinnern, dass ich in Moldau unterwegs war. Der Verkehr nahm immer mehr zu und irgendwie überholten mich kaum Ladas oder Dacias, die rumänische Automarke, sondern nur deutsche Wertarbeit. Die Moldauer scheinen es zu lieben, unter einem guten Stern oder mit weiß-blauem Karologo durch die Gegend zu düsen. Das Tempolimit hängt eher vom Verkehr, dem Straßenzustand und den Witterungsbedingungen ab als von irgendwelchen, zum Teil handgemalten, Verkehrszeichen. Ich kam mir wie ein Zuschauer einer Autowerbung bei einer Pause der „Sportschau“ vor. In vielen Ländern fahren ja die Reichen deutsche Kisten. Diese sehen dann aber schon meist sehr mitgenommen aus, es fehlen Außenspiegel oder das Model ist nicht mehr ganz das neueste. Hier könnte man die IAA direkt auf der Landstrasse abhalten. Nur die Top-Modelle holpern durch dieses kleine Land. Und jetzt verstehe ich auch, warum es fast in jedem Kaff eine Waschanlage gibt.

Nach 165 Kilometern erreichte ich schließlich mit dem Sonnenuntergang die Außenbezirke von Chisinau, das mal wieder in einer Mulde liegt – aber dessen Strassen halbwegs gut geteert waren. Kopfsteinpflaster scheint in Moldau glücklicherweise unbekannt zu sein. Dafür herrschte wohl Bettenknappheit, da die billigen Hotels alle voll waren. Schließlich fand ich Unterschlupf in einer 17-stöckigen Touri-Kolchose, und mein Rad landete auf dem bewachten Hotelparkplatz neben einer Harley und einem Mercedes Coupé. Auf der Hotelsuche bin ich an einem Schickimicki-Restaurant nach dem anderen vorbeigefahren. Dabei bin ich doch gerade in der Hauptstadt des ärmsten Lands Europas angekommen. Der Durchschnittslohn liegt bei 70 US-Dollar im Monat!

Hm, was soll ich in einer solchen Situation machen? Ich beschloss, die Frage lieber mal zu ignorieren, woher all die Kohle stammt, die hier protzig zur Schau gestellt wird. Vielmehr genoss ich die kulinarisch wirklich extrem gute Restaurantszene und wunderte mich nicht weiter. Vielmehr staunte ich über das „Beer House“, die erste Gasthausbrauerei in Chisinau und das ungefilterte, kühle Blonde, das hier frisch gezapft in Weizengläsern serviert wird. Auch die Speisen waren wie bspw. Truthahn in Banane sehr kreativ und langsam verstand ich die Welt an diesem Ort nicht mehr. Denn auch auf der Strasse sind Bettler, wie übrigens auch in Rumänien und der Ukraine die totale Seltenheit. Niemand läuft zerlumpt durch die Gegend. Die High-Heels-Komune aus L’viv ist hier weniger anzutreffen als die edle Flip-Flop-Brigade, was auch ohne Kopfsteinpflaster auf einen deutlich größeren Pragmatismus der moldawischen Damenwelt schließen lässt.

Die Stadt selbst, würde man die reinen Fakten gelten lassen, wäre als potthässlich zu bezeichnen. 1940 durch ein Erdbeben praktisch schon am Tropf hängend, machte der 2. Weltkrieg der im 15. Jhdt. gegründeten Stadt den Garaus. Das Land, früher unter dem Namen Bessarabien bekannt, war mal kurz nach der Oktoberrevolution der Russen 2 Monate unabhängig. Sonst gehörte es entweder als Provinz Moldawien zu Rumänien oder zu den Russen bzw. ab 1945 als Moldawische Sozialistische Sowjetrepublik zur UdSSR. Und so hielten die Plattenbauten Einzug in der zerstörten Stadt. Doch irgendwie waren die Planer auf dem grünen Trip und so ist die im Schachbrettstil angelegte Stadt mit Alleen und Parks durchzogen. Das dichte Blätterdach liegt wie ein Schleier auf den Häuserschluchten, das jeden Blick nach oben auf die Betonklötze dezent unterbindet. Dadurch guckt man automatisch nur in die Strasse, und so fühle ich mich in der Stadt sogar sehr wohl. Die zum Teil sehr hübschen Menschen flanieren die breiten, panzertauglichen Boulevards entlang, und dabei ist alles nur eine Frage des Sehens und Gesehen Werdens.

Was mich weiterhin in diesem Land irritiert ist die Sprache, die hier gesprochen wird. Offiziell wurden, Gorbi sei Dank, 1988 zunächst einmal wieder die lateinischen Schriftzeichen und „Moldawisch“ eingeführt. Trotzdem finden sich sogar noch Verkehrsschilder vereinzelt in kyrillischen Schriftzeichen. Auf der Straße höre ich auch mehr slawische Gesprächsfetzen – also entweder russisch oder ukrainisch. Das mit dem „Moldawischen“ ist eigentlich ein Witz, denn es ist handelt sich dabei höchstens um einen Dialekt der rumänischen Sprache. Doch in einem Anflug von übertriebenem Nationalstolz wurde sogar ein Moldawisch-Rumänisch-Wörterbuch publiziert. Dies würde in etwa einem Meenzerisch-Deutsch-Wörterbuch entsprechen. Doch das Wörterbuch ist nur ein Mosaikstein für die Politik, die hier betrieben wird. Präsident Voronin versucht sowohl mit Russland zu kuscheln, in dem er sich von den rumänischen Wurzeln, die hier überall existieren, distanziert. Gleichzeitig kuschelt er mit EU und NATO um Hilfe zu ergattern, die dieses Land bitter nötig hat – trotz all dem Protz auf der Gasse.

Die Menschen, denen ich hier begegne, freuen sich über uns Touristen – denn wir haben hier Seltenheitscharakter. Viele haben in der Schule Deutsch gelernt, der DDR sei Dank, und nun versuchen sie ihre verrosteten Deutschkenntnisse aufzufrischen. Dies geschieht nicht aufdringlich sondern eher nebenbei, wie bspw. bei den Parkwächtern meines Rads. Fußball und die EM-Qualifikation ist natürlich ein gutes Thema und schon saß ich in dem Häuschen der Parkwächter und es wurde über die Quali-Chancen von Russland und Rumänien diskutiert – Moldau hat sowieso keine Chance – und aus der ehemaligen Sprudelflasche wurde mir plötzlich Rotwein serviert. Wenn man etwas über Moldau weiß, dann vielleicht, dass dieses Land praktisch nur aus Weinbergen besteht und die Qualität des Traubensaftes sagenhaft ist. So war auch der Rotwein im Parkhäuschen außergewöhnlich gut (verträglich).

Nachdem ich die Stadt erwandert hatte, machte ich mal wieder einen Radausflug. Die Touri-Attraktion schlechthin von Moldau ist ein Kloster, das in den Sandstein an einer Flussschleife gehauen wurde. Dementsprechend begegneten mir doch tatsächlich drei „Touristen“, die aber eigentlich geschäftlich hier zu tun hatten. Zunächst versuchte ich das Kloster über die Trampelpfade am Felsrand zu erreichen, was aber unmöglich war. Die Fenster des Klosters waren wie bei den Feuersteins in den Fels gehauen, doch um dort hinein zu gelangen musste ich den Tunnel finden. Eine große Holztuer, die eigentlich verschlossen aussah, ließ sich dann doch mit etwas Kraftaufwand öffnen. Über eine Treppe im Finsteren gelangte ich schließlich durch den Fels ins Kloster, wo ich von einem einsamen Mönch mit wehenden, langen, dünnen, grauen Haaren und Rauschebart empfangen wurde. Der große Raum wirkte mit vielen Jesus- und Marienbildern und dem goldenen Altar etwas überladen – dennoch besaß er eine sehr zur Besinnung einladende Atmosphäre.

Sehr unbesinnlich, weil wieder auf der Straße, radelte ich von Chisinau weiter in Richtung Südosten weiter, Odessa, dem Ziel meiner Radtour entgegen. Eigentlich wäre es am einfachsten gewesen, diese Distanz von ca. 175 Kilometern mit einem Übernachtungsstopp in Tiraspol zurückzulegen. Doch der Geschichte sei Dank, haben die Menschen mal wieder mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. So einfach so ans Schwarze Meer zu radeln, das geht ja gar nicht. Schließlich gibt es in Moldau den Fluss Dnjestr, halb so breit wie der Rhein, dafür doppelt so wichtig als Grenze zwischen zwei Kulturen. Südlich des Dnjestr leben hauptsächlich Moldauer mit rumänischen Wurzeln, nördlich davon im so genannten Transnistrien Moldauer mit russischen und ukrainischen Ursprüngen. Als es mit der UdSSR rapide bergab ging, steigerte sich das Besinnen auf die jeweilige Vergangenheit ins Unermessliche. Transnistrien befürchtete eine Wiedervereinigung Moldaus mit Rumänien, wohingegen Moldau unabhängig von allen werden wollte und Transnistrien eher bestrebt war, die Sowjetunion wieder aufleben zu lassen. Es kam 1992 zum Bürgerkrieg im Hinterhof Europas, den natürlich niemand so richtig gewann. Aber seither ist Transnistrien ein Staat im Staate, mit eigener Währung, eigener Fahne, eigener Armee, eigener Polizei und eigenem Selbstverständnis von einem Land – schließlich wird es von keinem Staat der Welt anerkannt. Dieses Selbstverständnis bringt mir als Reisendem aber nicht viel, denn in Transnistrien haben Hard-Core-Stalinisten das Sagen, die das Wort Rechtsstaat sicherlich noch nie gehört haben. Theoretisch ist es möglich, durch diese abtrünnige Region zu reisen, doch leider ändern sich die „Einreisebestimmungen“ schneller, als die Transfergerüchte bei manch einem Fußballspieler und zweitens wird der jeweilige zu entrichtende Betrag zum Erhalt der „Ein- bzw. Ausreisegenehmigung“ individuell festgelegt – sprich der Korruption und der Willkür sind hier Tür und Tor geöffnet.

Also wurde das nix mit Transnistrien, und ich bog von der Holperstraße Richtung Stalinismus pur nach Süden ab, um zur ukrainische Grenze zu strampeln. Allerdings begab ich mich mit dieser Routenänderung mal wieder in eine sehr prekäre Lage. Wo würde es auf dieser Strecke ein Hotel geben? Darf ich als Tourist die Grenze dort überschreiten? Schließlich sind manches Mal auf unserem Planeten nicht alle Grenzen für Jedermann geöffnet. Ja gibt es überhaupt Restaurants im Süden Moldawiens und führt die Strecke nicht womöglich doch noch über das Gebiet von Transnistrien, das sich sporadisch auch über den Fluss nach Süden ausstreckt?

Peu à peu wurden mir meine Sorgen genommen. Zunächst sah ich schon mal Vehikel mit ukrainischen und russischen Nummernschildern, Busse mit den Schildern „Odessa-Chisinau“ darauf geschrieben und Corps Diplomatique Kennzeichen. Also war die Grenze offen und der Umweg über Südmoldau, um Transnistrien zu umgehen, wohl berechtigt. Dann fand ich in einem Ort ein Restaurant, wo mir nach längerem Hin- und Her die Frage gestellt wurde, was ich denn essen möchte, denn es gab keine Karte und der Wirt machte mir den Anschein, dass ich ihn mit meinem Hungergefühl überraschte. Mir fielen die rumänischen Wörter „porc“ (Schwein), „cartofi“ (Kartoffeln) und „salat“ ein und ruckzuck landete ein Wiener Schnitzel mit Pommes und Salat auf meinem Tisch.

Die Marketing-Strategie der Werbung für ein Hotel in einem Weingut wurde mittels großer Tafeln am Straßenrand bis zum Exzess durchgeführt, und ich wich von meinem ursprünglichen Plan ab, in einem einfachen Gasthaus zu nächtigen, welches in meinem Reiseführer aufgelistet war. Ich hatte eh kein großes Vertrauen mehr in diesen Reiseführer, da viele Dinge, die es vielleicht einmal in Moldau gab, plötzlich nicht mehr gab. Dafür gab es ja bekanntlich umgekehrt auf einmal viele Hügel, die die Autoren des Reiseführers als „flach wie ein Brett“ bezeichneten. Ich bog von der Straße nach 120 Kilometern ab und rollte zum Dnjestr 5 Kilometer steil bergab, um dann vor der Hotelpforte von einem Wächter im Kampfanzug begrüßt zu werden. Anscheinend hatte man keine Lust für einen Gast die Tür zu öffnen und mit einem „Njet“ verstand ich, dass ich jetzt ein Übernachtungsproblem hatte. Da man in Moldau immer einen Plan B haben muss, radelte ich eine Abkürzung in das Dorf, in dem es angeblich ein Gasthaus gab. Nach ca. 20 Kilometern auf der Schotterpiste erreichte ich den Weiler. Im Buch stand eine Telefonnummer, niemand nahm ab, aber es gab ja auch eine Adresse – dumm nur, dass es in dem Dorf gar keine Straßennamen, geschweige denn Hausnummer gab. Und die Einheimischen wussten nichts von einem Gasthof!

Samstag Abends kurz vor Sonnenuntergang in Südmoldawien hatte ich nun echt ein Problem. Wo sollte ich ohne Zelt übernachten. Nach 2 Stunden befand ich wieder an der Kreuzung an der ich ursprünglich zum ersten Hotel abbog und fuhr weiter. Natürlich muss man auch mal Glück haben und dieses fand ich in Form einer Fernfahrerkneipe – der einzigen die ich in 391 Kilometern Moldau-Radeln fand. Ich durfte die Nacht in der 24 Stunden lang geöffneten Kneipe verbringen. Allerdings kamen dann die Fernfahrer in den Gasthof, gaben mir einen „Schnaps“ wie sie sagten nach dem anderen gegen meinen Willen aus. Es war natürlich Wodka und am Ende des Abends boten sie mir an, auf der Pritsche in der LKW-Kabine zu nächtigen. Mit Ohropax hielt ich auch das Geschnarche eines moldauischen Fernfahrers aus und war froh ein Dach über dem Kopf für die Nacht gefunden zu haben.

Am nächsten Morgen rollte ich ohne Kater halbwegs ausgeschlafen zur Grenze, wurde von den Beamten wieder zuvorkommend bedient und war ruckzuckwieder in die Ukraine eingereist. Da meine beiden Karten sich mit den Entfernungen mal kurz um 40 Kilometern verrechneten, brauchte ich nur 85 statt 125 Kilometer, um in Odessa am Schwarzen Meer anzukommen. Kaum im Hostel – oh ja! – angekommen, zu Mittag gegessen, fuhr ein Bus mit dem Team von Schachtjor Donetsk an mir vorbei. Als dann die ersten Fans mit Schwarzmeer-Odessa-Fanschals an mir vorbeimarschierten, nahm ich die Fährte gemeinsam mit einem Engländer auf, ukrainische Bundesliga live im Stadion zu verfolgen. Das Stadion liegt wie das Volksparkstadion in Hamburg in einem riesigen Park und anders als in Mainz gab es an der Tageskasse noch Karten für das Spiel. Stadionzeitungen wurden auch verkauft – allerdings hatten diese keinen Informationscharakter sondern schützten den ukrainischen Hintern vor dem Schmutz auf den Sitzen.

Als Snack auf den billigen Plätzen gab es Popcorn und Schrimps aus der Papptüte. Um das Anstehen für Getränke zu verkürzen wurde das Bier kurzerhand einfach in 1-Liter-Plastikflaschen verkauft, mit denen man allerdings dann nicht mehr auf die Sitze durfte. Vielmehr fristeten wir Biertrinker unser Dasein in der Verbannung am oberen Tribünenrand. Das Spiel war vor allem aus Sicht von Donetsk recht schlecht, denn die spielen ja regelmäßig UEFA-Cup und dafür war dieses 0:0 einfach grottig. Die Zuschauer machten allerdings gut Stimmung und so war der Sonntag Nachmittag gerettet. Außer Fußball gucken, lieben es die Bewohner von Odessa sich an den Strand zu knallen oder in der Innenstadt flanieren zu gehen. So ließ auch ich das Ende dieser Reise gemütlich am Schwarzen Meer ausklingen. Nach 1.145 Radel-Kilometern durch eine für mich davor sehr unbekannte Region unseres Kontinents, bin ich von den bereisten Ländern wirklich sehr angetan. Vielleicht ist es jetzt und in den nächsten beiden Jahren wirklich die beste Zeit, diese verborgenen Perlen zu entdecken, bevor L’viv wie Prag von Kulturtouristen überrannt, Moldawien von Weinbegeisterten überflutet und Odessa wie Mallorca von Partytouristen übervölkert wird.

Osteuropa 2007 3. Teil

Guten Tag aus Chisinau!

Mit der Ankunft in Czernowitz traf ich wieder auf alte Bekannte: Kopfsteinpflaster en masse! Anders als L’viv liegt die Stadt nicht in einem Kessel sondern hoch oben auf einem Hügel. Die Ukraine macht es mir einfach nicht einfach – nach einem Radeltag noch zirka 5 Kilometer zum Hotel auf wenigstens dieses Mal diagonal angelegten Pflastersteinen bei 10 Prozent Steigung durchgeschüttelt zu werden ist wahrlich kein Vergnügen.

Aber auch diese Stadt hat es wirklich verdient, besucht zu werden. Wieder eine Großstadt in der Ukraine – die ich mir so total anders vorgestellt hatte. Auch hier ist wieder alles tipp topp sauber und fertig restauriert. Irgendwie hatte ich in diesem Land heruntergekommene triste Städte erwartet, die vielleicht ein paar Straßenzüge mit hübschen Gebäuden aufweisen. Nein – getäuscht und verwundert! Die Universität besteht sogar aus Backsteinen und hanseatischer Architektur mit diesem stufenartigen Dachkonstruktionen wie bspw. in Lübeck. 

Am nächsten Tag ließ ich den Drahtesel mal stehen und machte einen Busausflug. In der Busstation gab es verschiedene Bahnsteige mit den täglich existierenden Verbindungen. Es war wieder alles in kyrillisch aber dafür sehr akkurat verfasst. Und natürlich fuhr der Bus nach dem Fahrplan pünktlich ab. Mit dem arg betagten Vehikel, das so ca. 40 Kilometer pro Stunde zurücklegte, war ich nur etwa doppelt so schnell wie mit dem Rad unterwegs, da auch der Busfahrer bei den vielen Berg- und Talfahrten nicht einfach mal beim hinabrollen Anlauf nehmen konnte. Schließlich war die Strasse zu verformt und der Fahrer wollte keinen Achsenbruch riskieren. So krochen wir mit zum Teil 20 km/h die Strasse nach der Abfahrt wieder hinauf. Die Abgaswolke war rabenschwarz und ich erinnerte mich gern an die Karpaten zurück, in denen ich meine Lungen aufgrund des nicht vorhandenen Schwerverkehrs einer Frischluft-Kur unterziehen konnte. 

„Geiz ist geil“ gilt auch in der Ukraine. Zwar gibt es noch keine Billigflieger, dafür aber Billig-Benzin mit 80 Oktan (in Deutschland mind. 92 Oktan) für unschlagbare 50 Euro-Cent. Dass dieses Zeug nicht gut für den Motor ist, zeigen die vielen stehen gebliebenen Ladas und die vielen arg knatternden Kisten, die jeden Moment zu explodieren scheinen. Beim Radeln bin ich immer froh, wenn diese Kisten nicht direkt neben mir umschalten und ich danach durch die Russwolke wie ein Kumpel aus dem Ruhrpott aussehe.

Mittlerweile kam ich auch in den historischen Einflussbereich der Türken, was ich in Kamyanets-Podilsky, dem Ziel meines Busausflugs bemerken konnte. Die Stadt war erst polnisch, und es entstanden Kirchen. Dann kamen die Türken, ließen die Kirchen stehen unter der Bedingung ein höheres Minarett als den höchsten Kirchturm zu bauen. Als die Türken vertrieben wurden, zeigten sich die Polen pragmatisch und bauten einfach auf das Minarett eine Marienstatue drauf. Das ganze sieht zwar etwas gewöhungsbedürftig aus – aber wenigstens wurde hier mal nicht alles beim Wechsel des Besitzers kurz und klein geschlagen. 

Eigentlich wollte ich noch ein wenig den Ort besichtigen, der auf einem Felsen in dramatisch anmutender Lage über einem Fluss errichtet wurde. Aber leider zog wieder ein großes Gewitter auf und ich verzog mich ins Restaurant. Dann gab es einen stadtweiten Stromausfall der sogar die Ampeln lahm legte. Die Strassen waren von dem Platzregen überflutet und jeder fuhr kreuz und quer durch die braunen Fluten. Dies erinnerte mich ein wenig an einen Platzregen in Dar-es-Salaam, Tansania und irgendwie kam ich mir nicht mehr wie in Europa vor. 

Schließlich wurde das Wetter wieder besser, ich nahm den nächsten Bus zurück nach Czernowitz und am folgenden Sonntag radelte ich endlich mal auf vertrauenswürdiger Berg- und Talstraße in Richtung rumänischer Grenze. Abschließend kann ich über die Ukraine nur staunen. Man bekommt hier ein Leben zwischen Vergangenheit und Zukunft mit. Das Land besteht fast nur aus Kirchen – und das in einem 40 Jahre von Kommunisten beherrschten Land. Auf meinen Streifzügen durch verschiedene Städte wurde ich immer von singenden Chören begleitet, deren Stimmen bis auf die Strasse zu hören waren. Das Land hat mit die schönsten Städte des Kontinents, die von großen Zerstörungen in den Weltkriegen weitgehend verschont wurden und mit ihrer Liebe zu Ostereiern wohl auch das einzige Ostereiermuseum auf Erden. Das Essen ist lecker, vielleicht nichts für große Gourmets, aber sogar als Vegetarier würde man hier nicht verhungern. Die angenehm zurückhaltende Art dieses Völkchen trägt mit dazu bei, dass man sich hier vom Alltag erholen kann. 

Und an der Grenze gab es keinen Stress. Stempel rein, Pass zu – rüber zu den Rumänen – Pass angucken und in 5 Minuten hatte ich die Grenze passiert, sowie 505 Radelkilometer im größten Land Europas hinter mich gebracht. Das nahezu grenzenlose Europa ist mittlerweile nun auch im tiefen Osten des Kontinents angekommen. Willkommen geheißen wurde ich in Rumänien in jeder Stadt mit Europafahnen an jeder Straßenlaterne. Ganz große Fans des transatlantischen Bündnisses hissten am Ortseingang sogar die NATO-Fahne. In der EU angekommen konnte ich endlich auf einer makellosen Platanen-Allee gen Süden meinem Etappenziel Suceava in der südlichen Bukovina entgegenrollen.

Bukovina heißt soviel wie Buchenland und gehörte auch früher zum Reich der Habsburger. Vorher und nachher gehörte der Süden zu Rumänien, während die Sowjets sich 1940 den Norden um Czernowitz unter den Nagel rissen und dieser nun zur Ukraine zählt. Weltberühmt ist die südliche Bukovina für ihre Kloester, die eher Burgen ähneln, die die damaligen Nonnen und Mönche vor den Türken schützen sollte. Da im 16. Jhdt. einerseits die Bibel nur in lateinischer Sprache erhältlich war und andererseits sowieso die meisten Bewohner Analphabeten waren, wurden die Kloester innen und außen mit Fresken im byzantinischem Stil als eine Art Bibel-Comic verziert. Auf wundersame Weise sind bis heute noch viele Fresken auf den Außenseiten sehr gut erhalten. Die Kloester sehen aus, als wären sie mit riesigen Tatoos verziert worden. In der Zeit der Habsburger durften die Nonnen und Mönche die Kloester nicht mehr nutzen, da sie orthodox und nicht katholisch waren. Die Kommunisten ließen dieses Verbot bestehen, so dass erst wieder seit 1990 die Kloester von Ordensleuten genutzt werden. 

Auf der Fahrt durch das EU-Rumänien des Jahres 2007 kam ich mir vor, wie bei uns vielleicht vor 50 Jahren. Die Nebenstrassen wurden durchweg eigentlich hauptsächlich von Kutschen und Fuhrwerken genutzt. In jedem Dorf gab es einen Zieh- oder Kurbelbrunnen. Lediglich die Verordnung, dass die hölzernen Wägelchen ein Kennzeichen brauchten und die Kutscher eine fluoreszierende Weste, erinnerten mich wieder an die Gegenwart. Allerdings war es bei den Nummernschildern wohl egal, was darauf stand, denn viele waren alte bundesdeutsche Überführungskennzeichen, ungarische Schilder oder selbst gemalte Bleche mit dem Namen des Dorfes und einer Nummer drauf. Das Radeln auf diesen Nebenstrassen war immer sehr beschaulich und sehr erholsam. Allerdings sind rumänische Nebenstrassen manches Mal überhaupt nicht asphaltiert und das Radeln auf einer Staubstrasse ist dann allerdings gar nicht mehr so beschaulich. Da macht das Entlangrollen auf den Fernstrassen des Landes wieder mehr Spaß, vor allem weil es einen äußerst breiten Seitenstreifen gibt – hauptsächlich für die Gespanne der Vierbeiner gedacht. 

Überraschten mich die ukrainischen Städte positiv, taten dies die rumänischen eher im umgekehrten Sinne. Gut, ich war von früheren Reisen durch dieses wirklich schöne Land von Perlen wie Brasov und Sighisoara auch verwöhnt, aber Suceava und später Iasi sind halt hauptsächlich im pragmatisch-nüchternen Nachkriegsbauwahn (wieder)errichtet worden. Die Betonblocks sehen einfach potthässlich aus und die wenigen schönen Kirchen und Gebäude können dies nicht ausgleichen. Allerdings entschädigen die vielen Parks wenigstens etwas für die architektonischen Gräueltaten der Ceaucescu-Ära. 

Allerdings befindet sich Rumänen in der Frühstückkultur-Evolution schon auf einer höheren Entwicklungsstufe als die Ukraine. Ich bekam morgens wenigstens schon einmal im Straßenverkauf Backwaren und Croissants. Gut Kaffee dazu zu fordern, war natürlich überzogen, denn es würde sich dann ja schon die dritte Stufe handeln. Daher aß ich die Teilchen anschließend im Park ehe ich im Hotel am Automaten mir einen Dalmayr-Kaffee hinterzog. Dass ich eine rumänische Großstadt erreiche, merkte ich immer an den Hinweisen für die großen Supermärkte wie METRO, die langsam auch hier die Tante Emma Läden verdrängen. Die Speisekarte wird dafür immer mehr von Pasta und Pizza dominiert. Ob dies daran liegt, dass halb Rumänien bei den Italienern schafft, weiß ich nicht. Denn 99 Prozent der ausländischen Autos stammten in Rumänien aus dem Land des amtierenden Weltmeisters. 

Die Aufnahme in die EU hat wohl in Rumänien zu einem rapiden Preisanstieg geführt, denn im Vergleich zu meinem letzten Besuch vor vier Jahren, ist dies gar nicht mehr das preisgünstiges Paradies. Die Löhne sind allerdings in diesem Zeitraum sicherlich nicht so explodiert. Da frage ich mich, wie die Einheimischen überhaupt noch überleben können. Zum Vergleich: Ein Lehrer bekommt ca. 80 Euro im Monat – eine 1-Zimmer-Wohnung kostet 105 Euro monatlich, wie mir die Hostel-Besitzerin Monika erklärte. Klar, dass sie lieber mit ihren Englisch-Kenntnissen ein Hostel führt, als ihr Wissen den Kids zu vermitteln. Nur wie das alles auf Dauer funktionieren soll, würde ich gerne mal wissen…

Die bisher längste Etappe der Tour stand mir in Iasi bevor. Eigentlich wollte ich früh losfahren, aber die freundlichen Hotelbesitzer, die einigermaßen Englisch sprachen, fragten mich woher ich kam. „Mainz, near Frankfurt“. „Yeah we know Mainz – football!“ Hm, eigentlich wollte ich auf dieser Tour auch ein wenig den Abstieg verkraften, aber jetzt erzählten mir die Jungs, die übrigens Bayern-Fans sind, dass Mainz ja eigentlich oft gut gespielt hat, aber am Ende doch abgestiegen ist… Dafür ist ihr zweiter Lieblingsclub Dinamo Bukarest Meister geworden. Glückwunsch Dinamo – aber kann ich jetzt bitte meine „Trauer“ verarbeiten und losfahren? „We must drink Palinca!“ Dieses 60-prozentige Zeug auf die Meisterschaft von Dynamo zu trinken, vor einer langen Radtour, ist sicherlich die suboptimale Vorbereitung überhaupt. Aber was soll den freundlichen Fußballfans denn antworten? Runter mit dem Zeug und zum Ausgleich machten sie mir noch einen Rosts-Beef-Sandwich. Auf dem Zimmer leerte ich noch schnell eine Liter Flasche Mineralwasser und los ging’s. 

Rumänische Strassen haben immer eins gemeinsam. Sie zeigen Konstanz. Sind sie erstmal einmal schlecht, dann bleiben sie es auch die nächsten vielen Kilometer. Umgekehrt gilt zwar dasselbe, doch das ist mir natürlich dann egal, wenn ich auf einem aus kleinen Steinchen zusammengehaltenen Asphalt unterwegs bin und mir die Steinchen bei jedem Gegenverkehr bis ins Gesicht fliegen. Wenigstens war die Landschaft wieder sehr beeindruckend. Ich kam mir eher wie im wilden Westen als wie in Europa vor. Überall weideten Pferde und Kühe auf der kargen hochebenenartigen Landschaft auf nahezu Meeresspiegel gelegen. Die Sonne brannte vom Himmel und weichte den Teer auf, so dass dieser an den Reifen zu kleben schien und ich immer schwerer vom Fleck kam. Eigentlich hatte ich vor, nach ca. 70 Kilometer am Grenzposten zur Republik Moldau, eine ausgiebige Essenspause zu machen. Aber es gab nur eine Tankstelle mit Sandwichs. Ich hoffte mit diesem Weisbrotgedöns die notwendigen Kalorien wieder zu bekommen und fuhr zur Grenze. Nach 300 rumänischen Radel-Kilometern war dann Schluss mit diesem trotz der hässlichen Städte sehr schönen Land. Als Eu-Bürger ging es bei den Rumänen wieder in Windeseile durch die Kontrolle und ich fuhr über den Grenzfluss Prut, dessen Quelle ich eine Woche zuvor, bei der Besteigung des höchsten Bergs der Ukraine. Bei einem Vorkontrollposten stoppte ich und wurde sehr höflich begrüßt. Mittels Funkgerät wurde ich bei den Grenzbeamten angemeldet. Ich verstand nur das Wort „Tourist“. 

Als ich die Autoschlange vor dem Kontrollposten sah, machte ich mich auf eine lange Warterei gefasst, doch die Schirmmützen winkten mich gleich nach vorne, nahmen den Pass mit ins Häuschen, stempelten diesen sofort und schon war ich offiziell in die Republik Moldau eingereist. Bis zum 31. Dezember 2006 hätte ich für dieses Land noch ein Visum beantragen müssen. Jetzt hätte ich mit allem gerechnet aber nicht so dermaßen zuvorkommend und nett behandelt zu werden. Die gesamte Autoschlange bestand aus den neuesten Karossen aus München und Stuttgart mit den entsprechenden gestylten Damen und den mit dickem Bauch und Portemonnaie ausgestatteten Herren drinnen. Hm, ich reiste gerade in das dem Pro-Kopf-Einkommen nach ärmste Land Europas ein und ich traf nur auf Jet-Set-Genossen, aus dem wahrscheinlich einzigen demokratischen und gleichzeitig von Kommunisten regierten Lands Europas. Aber wenn der Präsident Voronin heißt, dann wird ein Land einem als 05-Fan natürlich gleich sehr sympathisch!