Laos 2006 2. Teil

Sabaidi,

aus einer Hauptstadt hinaus zu radeln ist normalerweise recht einfach, da Verkehrsschilder in den meisten Ländern zu Straßen dazugehören, wie Glühweinstände zum Weihnachtsmarkt. Da hier aber Schilder so oft anzutreffen sind, wie Weihnachtsmärkte, also gar nicht, war das Radeln aus Vientiane hinaus wieder ein Vabanquespiel sondergleichen. Selbst am Straßennamen konnte ich mich nicht orientieren, da der große Boulevard namenlos war. Nach 13 km des Radelns auf gut Glück, tauchte endlich ein monströses Schild auf, und die Straße gabelte sich: nach Norden Richtung chinesischer Grenze (ca. 700 km) und nach Süden Richtung Kambodscha (ca. 1.100 km). Also grob kann man sich doch orientieren. Auf der Nationalstraße 10 gab es nun plötzlich sogar Kilometersteine in rot-weiß, wie auf den Fernstraßen Frankreichs – nur dass die Steine nach ca. 10 km ausgingen. Dafür hat jedes Kaff ein Dorfschild und jedes Bächlein einen Namen, auf den hingewiesen wird. An Kreuzungen hingegen gibt es erneut keinerlei Beschilderung, so dass ich mich mal wieder am Stand der Sonne ausrichten musste, um in die richtige Richtung voran zu kommen.

Dummerweise war es dieses Mal wolkenlos und die Temperatur im Schatten kletterte weit über die 30 Grad Marke. Nur radelte ich die ersten 80 km nie im Schatten und wurde folglich so richtig von der Sonne durchgebraten. Nach 35 km hatte ich endlich die endlosen Straßensiedlungen um Vientiane hinter mich gebracht, und ich war in der freien Natur angekommen. Diese bestand aus einer Ebene mit abgeernteten Reisfeldern in denen Wasserbüffel in den letzten verbliebenen Wasserlöchern der Hitze trotzten und gelbe Schmetterlinge den Weg kreuzten.

Reagierten innerhalb des Großraums Vientiane die Dorfbewohner auf meine Präsenz gar nicht, bekam ich nun das Gegenteil zu spüren. Überall rief es „Sabaidiiiiiiii!“ und oft wusste ich gar nicht woher die Stimme kam. Ein beliebtes Spiel der Kinder war das sich in Reih und Glied an den Fahrbandrand mit ausgestreckter Hand stellen und mich beim Vorbeifahren abzuklatschen. Einige Tage später beim steilen berghoch Fahren, musste ich manches Mal gute Miene zum anstrengenden Spiel machen, da es einhändig eindeutig anstrengender war, die steile Straße entlang zu radeln. Aber ich will ja kein Spielverderber sein.

Das schöne am Flachland in Indochina ist die Tatsache, dass ich weder Getränke noch Essen mitschleppen muss, da es im Durchschnitt alle 500 Meter einen Laden oder eine Kneipe gibt. Dem vietnamesischen Einfluss sei Dank, ist auch wieder Foe (vietn. Pho) erhältlich, die Nudelsuppe als absoluter Energiespender. In einem riesigen Suppenteller waren Reisnudeln, Bambussprossen, Frühlingszwiebeln und Rindfleisch bereits in der Basis-Version vorhanden. Dazu wurde ein riesiger Berg an Kräutern, rohen Bohnen und Salatblättern zur Selbstbedienung gereicht. Leider bestand das Fleisch zum Teil auch aus Innereien, aber glücklicherweise legte sich manches Mal ein Hund zu meinen Füßen und da ist mir doch das eine oder andere Mal „zufälligerweise“ das Stückchen Niere durch die Stäbchen auf den Boden gefallen. Das ist nicht weiter aufgefallen, da der vierbeinige Staubsauger sofort alles aufschleckte.

Während die Alten bereits mittags ihr Lao Beer mit Eiswürfeln im Glas kippten, nippte ich dann doch lieber an einer Limo. Bei diesen Backofen-Temperaturen um diese Uhrzeit Bier zu trinken ist mir dann doch des guten zuviel. Am Ende des Tages suchte sich die Straße durch das Hügelland natürlich immer die steilsten Stellen aus, und ich gab auf den Rechtsverkehr nichts mehr – ich orientierte mich lieber am Schatten, der mal links mal rechts auf der Straße zu finden war, um keinen Sonnestich zu bekommen. Da der Verkehr auf dieser Nationalstraße dem einer Kreisstraße im Taunus um Mitternacht entsprach, war diese Fahrweise auch nicht sonderlich gefährlich. Kurz vor Sonnenuntergang erreichte ich ein nettes Restaurant, in dem mir Fisch serviert wurde. Während ich auf das Essen wartete, überprüfte ich mit dem Ehemann der Wirtin seine Englisch-Hausaufgaben, denn gleich ging es in die Abendschule zum Fremdsprachenunterricht. Glücklicherweise sind wie in allen kommunistischen Ländern die große der Mehrheit der Bewohner des Lesens und Schreibens mächtig und somit konnte ich im Essensteil meines Sprachführers immer auf die wichtigen laotischen Wörter wie Nudelsuppe, Eier, Reis, Gemüse und so deuten, denn fließend Englisch spricht hier noch kaum jemand, vor allem natürlich nicht auf dem Land.

Den ganzen Tag war ich keinem Touristen begegnet und abends machte ich in einem Fischerdorf an einem Stausee Halt. Hier gab es eigentlich nichts touristisches außer der schönen Lage. Kein Internet, kein Telefonamt, keine Post und folglich auch keine Fremden. Am Dorfanfang war ein Ressort mit Bungalows erbaut, von deren Terrasse man direkt auf die kleinen Inselchen blicken konnte. Für wen dieses erbaut wurde, weiß ich nicht, denn ich war der einzige Gast des Ressorts. Während der Vollmond sich im See spiegelte war außer Grillengezirpe und dem Ventilator in meinem Zimmer nichts zu hören.

Was für ein Unterschied zu Vang Vieng, das ich am folgenden Tag erreichte, nachdem ich zahlreichen Kühen und ihrem Dung auf der Straße ausgewichen war. Die Stadt liegt idyllisch an einem Bach und auf der anderen Seite des Gewässers ragt ein Felsmassiv mehrere hundert Meter in die Höhe. Das eigentlich so ruhige Laos erinnerte mich nun eher an die Khao San Road in Bangkok (Touri-Hauptquartier in Bangkok), denn 80 Prozent der Leute, die auf der Straße sind, kommen aus allen Regionen dieser Erde nur nicht aus Laos. Nun weiß ich nicht, wie ich das ganze bewerten soll. Die Einheimischen profitieren natürlich von dem Geld, was in Vang Vieng gelassen wird und den Bach mit LKW-Schläuchen hinabzudüsen, Kajak zu fahren und sehr viel Lao Beer zu konsumieren, steht sicherlich nicht im Konflikt zu lokalen Gewohnheiten. Aber wenn wir Touristen alles in dieser Stadt dominieren, weiß ich nicht, ob das so prima ist – dies ist eine zweischneidige Sache wie ich finde. Schließlich gab es auch die ersten Kids die „Ha Pen?“ (engl. have pen?) riefen und manche Guides an den unzähligen Höhlen bettelten offen um mehr als die zuvor vereinbarte Gage.

Zahlreiche natürliche Pools laden in Vang Viengs Umgebung zum Baden oder Verweilen ein. Auf der Wiese finden sich riesige mannshohe Boxen aus denen Rockmusik dröhnt und wenige Meter nebenan blickt ein goldfarbener Buddha gütig und gelassen auf die abstruse Szenerie hinab. Also gegen Rumhängen und Rockmusik habe ich nichts einzuwenden – aber das ganze in Laos … ich weiß nicht. Ob das alles die Einheimischen stört oder nicht, wage ich nicht zu beurteilen. Aber irgendwie kam mir Vang Vieng wie eine Art Vergnügungspark für abhängende Rucksackreisende vor. Es ist zwar alles ganz nett aber bis auf die großartige Natur, könnte man das ganze auch einfach irgendwohin nach Australien, Europa oder Amerika transferieren.

In Vang Vieng gab es allerdings auch die Öko-Connection und deren Farm, die diese betreibt, verzichtet auf den Einsatz von Pestiziden. Vielmehr werden die Frauen der umliegenden Dörfern beim ökologischen Landbau unterstützt und die Produkte wie Maulbeer-Shake oder Hibiskus-Eistee schmeckten köstlich. Der Erlös, den die Farm erwirtschaftet, geht für den angeschafften Schulbus drauf, der 60 Kids in die Schule bringt. Wenn man dann auf der Farm sitzt und hinter der Mauer wieder LKW-Schläuche zum Bach hinunter zuckeln sieht, dann wird die Szenerie schon wieder ganz bizarr und komisch. Aber natürlich nehme ich auch die Annehmlichkeiten eines Touri-Hauptquartiers gerne in Anspruch, wie bspw. mal wieder Schokomuffins oder Kartoffeln zu essen, statt ständig Klebreis. Daher empfinde ich wirklich eine Hassliebe diesem Platz gegenüber.

Nachdem mich die TV-Bars genug genervt haben, da in diesen natürlich keine Bundesliga und schon gar kein Gladbach gegen Mainz, sondern das Derby Manchester United vs. Manchester City (3:1) mit dem Schönling Cristiano Ronaldo und dem Proll Wayne Rooney gezeigt wurde, setzte ich meine Fahrt gen Norden fort. Die nächsten 230 km wurden von einer Frage geprägt: Wo gibt es das nächste gut gelegene Gasthaus. Da die Strecke fortan durch das laotische Bergland führte, die Dörfer rarer wurden, nahm auch die Zahl der Übernachtungs- möglichkeiten rapide ab. Ich hatte keine Lust die Strecke in drei Etappen aufzuteilen, also entschied ich mich, am ersten Tag rund 1.500 Höhenmeter und ca. 100 Kilometer zurückzulegen. Eigentlich ist so eine Distanz in Deutschland kein Problem, in Südostasien hängt der Plan, so eine Strecke zu bewältigen, hauptsächlich vom Straßenzustand ab. Und Straßen haben in Laos so manches zu bieten:

Im Großen und Ganzen ist die Nationalstraße 13, auf der ich mich mittlerweile fortbewegte in gutem Zustand. Damit es mir aber nicht langweilig wurde, gestaltet sie sich mitunter auch als welliges Unterfangen, als raue Piste, die eher an einen Streuselkuchen erinnert, als löchriger schweizer Käsebelag und manches Mal war sie einfach weg, d. h. der Belag war verschwunden und dies meist in Kurven, natürlich dann wenn ich auf einer Abfahrt plötzlich schnellstmöglich in die Bremsen greifen musste, um nicht meine Felgen und Speichen zu ruinieren. In engen Serpentinen war auch schon mal Treppenfahren angesagt, da der Asphalte irgendwie stufenförmig aufgetragen wurde. Teile der Straße sackten von Zeit zu Zeit auch mal einen halben Meter ab. Schlaglöcher gab es selten aber wenn sie auftauchten, nahmen sie manchmal die Ausmaße der halben Straße in Beschlag. Die verschiedenen Zustände waren natürlich wie ein Supersparmenüs frei kombinierbar, sodass ich mich über Langeweile nicht beschweren kann. Am „schönsten“ war die Kombination wellig bis stufenförmig, rau und mit Schlagloch versetzt. Auch die Mutter Natur tat ihr übriges, damit sich der Straßenzustand öfter mal änderte. Es gab durch die massive Sonneneinstrahlung auch noch „flüssig“ im Angebot, sodass mir einmal beim Wiegetritt der Hinterreifen im zähen Teer durchdrehte. Schließlich durfte auch das Dressing „plattgefahrene Schlange“ im Angebot nicht fehlen.

Die besagte Bergetappe hatte ich durch den frühen Start um 7 Uhr morgens in Vang Vieng noch zeitig vor Sonnenuntergang hinter mich gebracht. Denn es war weniger eine Frage, ob ich die Distanz schaffe, als in wie viel Stunden. Da hier die Sonne um 17.30 Uhr hinter den Bergspitzen verschwindet, sehr schnell die stockfinstere Nacht hereinbricht und unbeleuchtete Bergstraßen des nachts in Laos entlang zu radeln nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen zählt, war ich über das Erreichen des Straßenkaffs Phu Khoun sehr erfreut. Den ganzen Tag sind mir sehr wenige Fahrzeuge begegnet und ich hatte die Natur und Stille fast für mich alleine. Leider wurde diese Ruhe durch ein zunehmendes Knirschen in der rechten Pedale gestört. Ich befürchtete mit der Zeit, dass die Kurbel sich eventuell vom Rahmen trennen möchte und war halbwegs erleichtert, als ich bemerkte, dass der Konus der Pedale lediglich freies Spiel gab. Ich konnte dieses Problem zwar nicht beheben, aber dass die Pedale kaputt geht wäre schlimm, fällt allerdings die Kurbel ab, würde dies womöglich das Tourende bedeuten.

Phu Khoun existiert lediglich aufgrund der Tatsache, dass sich hier zwei Nationalstraßen treffen. Das ehemalige Fort der Franzosen untermauert diese strategische Stellung auf 1.400 Metern Höhe irgendwo in der Einöde auf einem Bergkamm. Aber in Laos fahren gerade auf dem Land noch viele Menschen Fahrrad und so konnte ich mir vorsichtshalber in einem Laden für 20.000 Kip (1,75 Euro) ein Paar laotische Pedalen kaufen und danach in aller Ruhe zu Abend essen. Das Gasthaus war ein Déja-vu-Erlebnis, gab es doch keine Dusche sondern einen Mandi, den ich von Indonesien her noch bestens in Erinnerung hatte. Der Mandi ist ein riesiges Wasserbecken, in dem eine Schöpfkelle schwimmt. Mit dieser übergießt man sich, seift sich ein und übergießt sich ein zweites Mal und fertig ist das Duschen. Im heißen Indonesien war dies eine herrliche Abkühlung; im Bergland ein Erlebnis, auf das ich gerne verzichtet hätte, ich Warmduscher. Die Wände zwischen den Zimmern waren reine Placebos, denn man hörte die Stimmen der Nachbarn so als würden sie direkt neben meinem Bett plappern. Da half es nur noch, den Ventilator einzuschalten und ihn in eine Ecke blasen zu lassen, denn es war bereits sehr kalt. Aber das monotone Motorengeräusch übertönte das laotische Gute-Nacht-Gespräch im Nebenzimmer.

Am nächsten Morgen um sechs war noch alles dunkel, obwohl eigentlich der Sonnenaufgang auf meinem touristischen Programm stand. Nebel durchkreuzte diesen Plan. Ich kam mir ruckzuck ins spätherbstliche Deutschland versetzt, vielleicht sogar auf die Schwarzwald-Hochstraße. Denn die Nationalstraße 13 verläuft über rund 100 km auf rund 1.400 Metern allerdings nie flach sondern immer schön ein paar Kilometer kurvenreich steil bergab, und dann hinter einem zu überwindendem Gewässer sofort wieder in Schlangenlinien steil bergauf. Oftmals führte sie unmittelbar unter den Gipfeln wie die badische Touristenstraße entlang. Da die Gipfel aber mit weit über 2.000 Metern doch höher als der Schwarzwald waren, kam bei mir auch die Erinnerung an die peruanischen Anden bei Ayacucho auf. Die liegen allerdings auf 6.000 Metern.

Gebaut wurde die Straße Anfang des 20. Jahrhunderts von den Franzosen, um die alte laotische Hauptstadt Luang Prabang mit der neuen Hauptstadt Vientiane im Süden zu verbinden. In der geteerten Version ist sie erst seit 10 Jahren zu erleben und als sicher gilt sie erst seit ein, zwei Jahren. Denn wer sorgte in Laos wie in so vielen Ländern unserer Erde mal wieder für Ärger? Richtig, die Jungs aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten und auf der anderen Seite die Vietnamesen, diese allerdings als Nachbarn schon ein paar Jahrhunderte länger. Während bis 1975 in Vietnam ein offener Krieg stattfand, war Laos seit seiner Unabhängigkeit 1953 von Frankreich ein Spielball verschiedener Nationen. Auf der einen Seite die Amis mit den Thais, auf der anderen Seite die Vietnamesen und die Chinesen mischten auch noch mit.

Da Laos seit 1975 ein Einparteienstaat ist, der kommunistisch geprägt ist, dies aber nirgends offiziell geschrieben steht, und die Amis damals auf Kommunisten so allergisch reagierten wie zurzeit auf Taliban und Konsorten, unterstützten die Vereinigten Staaten Rebellen der Hochland-Minderheit vom Volk der Hmong, die vor hunderten von Jahren von China aus hierher zogen. Außer die Straße unsicher zu machen, bekamen die Rebellen nach 1975 nicht viel auf die Reihe, da sie mittels Napalm und Agent Orange (Giftgas) von der laotischen Regierung im Zaum gehalten wurden. Aber zumindest zwei Touristen sind bei solchen Gefechten auf dieser Straße noch 2004 ums Lebens gekommen. Wie tragisch ist das eigentlich, dass die USA einstmals Rebellen unterstützen, die später gegebenenfalls US-Touristen auf der Nationalstraße abknallen? Die Geister die sie riefen, werden sie nicht mehr los. Das erinnert ein wenig an Afghanistan und den Irak, leider.

Die Rebellen haben mittlerweile aufgegeben, die Regierung einen Hmong als Gouverneur der Region eingesetzt und die Straße gilt nun als sicher. All dies wird Laos sicherlich helfen, aus dem Geschäft mit den Touristen noch ein wenig mehr Profit zu schlagen, was auch den Privatleuten zu Gute kommt, denn seit 1990 ist auch hier die Wirtschaft peu à peu liberalisiert worden.

Nachdem sich der Nebel gelichtet hatte, bekam ich eine wunderbare Aussicht auf die Bergkulisse um mich herum. Das einzige was mich ein wenig weiterhin beunruhigte, war das Geknirsche an der Pedale. Alle paar Kilometer kam ich durch ein Dorf, das sich an die Straße praktisch drangeklebt hat. Es gibt keinerlei Quer- und Seitenstraßen. Die Häuser bestehen zumeist aus Stroh, haben alle Strom und oftmals eine Satellitenschüssel auf dem Dach, mit der man sogar BBC und manchmal Deutsche Welle TV empfangen kann. Wats (Tempel) suchte ich vergebens, da die Bewohner meist Animisten sind. Am Dorfbrunnen wird sich gebadet und gerade die Franzosen sind hier bei der Verbesserung der sanitären Zustände sehr aktiv. Im Dorfladen gab es immer Lao Bier, Erdnüsse und Bananenchips. Eier, Reis, Nudelsuppe aus der Tüte und guter Lao Kaffee war auch meist erhältlich. In einem Kaff gab es plötzlich auch Pringles und Lay Chips. Warum, wurde relativ schnell ersichtlich, da hier alle Busse zwischen Vientiane und Luang Prabang einen Stopp von 15 Minuten einlegen. Als Radfahrer errege ich ja schon bei den Einheimischen Verwunderung. Was müssen diese allerdings erst von den Hippies, geboren eine halbe Generation nach 1968 denken, die auf dem Dorfplatz auf einmal mit kleinen Fähnchen anfangen ihre Jonglierübungen für eine Viertelstunde zu veranstalten, bevor sie wieder in den Bus gepackt werden und in einer Staubwolke vom Dorfplatz verschwinden?

Kurz vor dem letzten Anstieg, 45 km vor Luang Prabang, hörte das Geknirsche auf und mir war klar, dass dies sicherlich keine Verbesserung der Lage mit sich bringen würde. Die nächsten drei Kilometer war es sehr still um mich. Natürlich beschwichtigte mich irgendwann mein Gefühl, und ich glaubte mal wieder, naiv wie ich eben bin, an ein technisches Wunder. Kurz nachdem dieser Glaube bei mir Einzug gehalten hatte, knirschte es ein letztes Mal und die Pedale klebte unter meinem Schuh aber nicht mehr am Konus der diese normalerweise mit der Kurbel verbindet. Weitertreten konnte ich nun nicht mehr und der Versuch, die Pedale auf den Konus wieder aufzusetzen scheiterte kläglich. Jetzt galt alle Theorie nicht mehr, die da sagt, dass Pedalen weltweit genormt sind. Wird die laotische Pedale passen? Wie die Geschichte weiter geht und was ich sonst noch so erlebe, erzähle ich Euch, wenn alles klappt, das nächste Mal.

Laos 2006

Sabaidi…ist laotisch und bedeutet soviel wie „Hallo“. Wie Ihr jetzt treffsicher bemerkt habt, bin ich also zurzeit in Laos unterwegs. Allerdings fing meine Radtour, nach einer 24-stündigen Flugodyssee via Paris und Bangkok, im thailändischen Udon Thani, ca. 450 km nord-östlich der Hauptstadt des Königreichs an. Am Gepäckband des Flughafens entscheidet sich bei jeder Fernradreise, die zunächst mit dem Flugzeug beginnt, ob das Reisen per Drahtesel überhaupt losgehen kann. Vorausgesetzt das Rad kommt an, wäre allerdings so beschädigt gewesen, wie anno 2004 bei der Rückreise in Oslo, als ich die beiden Laufräder in Mainz habe ersetzen lassen müssen, hätte ich das Stahlross gleich wieder nach Hause senden können. Aber Air France und Thai haben das Velo pfleglich behandelt – lediglich das Rücklicht war abgebrochen, ein Getränkehalter angebrochen und der Rahmen erhielt als Souvenir eine kleine Delle. Kurzum ich konnte das Gefährt zusammenbauen und mit Ducktape sogar das Licht wieder fixieren.

Nach der Arbeit, sprich dem Zusammensetzen der einzelnen Komponenten meines Rads, kommt bekanntlich das Vergnügen: Was viele von uns mögen, ist den Thais nicht fremd – den Biergarten! Eigentlich besteht das ganze Land nur aus Biergärten entlang der Ausfallstraßen. Das Bier alleine ist qualitativ schon nicht schlecht und die 0.66 Liter Flaschen sind trinkgerecht doch die Marketingstrategie, das kühle Blonde, von einer sehr attraktiven Hostess nach jedem Nippen gleich aus besagter Flasche ins Glas nachgeschenkt zu bekommen, ist natürlich sehr Erfolg versprechend. „One more o.k.?“ säuselt die thailändische Schankdame, sobald der Inhalt der Flasche im Magen des Gasts gelandet ist. Wer kann da schon „No, thank you!“ sagen. Aber irgendwie war mein Ehrgeiz doch irgendwann größer, als den Rest meiner Reise in einem Thai-Biergarten zu verbringen und ich wendete mich wieder meiner Begleitung aus Stahl und Reifen zu.

Am folgenden Tag fuhr ich auf dem Seitenstreifen des 4-spurigen Thaiways schnurstracks gen Norden durch die gerade noch einigermaßen auszuhaltende Hitze von etwas über dreißig Grad im Schatten. Mit meinem gelben Socceroo-Australien-Trikot lag ich in Thailand jederzeit besonders montags voll im Trend. Denn es hatte am Tag meiner Einreise, dem 4. Dezember, einem Montag, den Anschein, als würde praktisch das ganze Land gelbe Hemden, Blusen und T-Shirts tragen. Der Grund dafür lag mal wieder wie so vieles in diesem Land an König Bumiphol und seiner gelbfarbenen Königsfahne. Die Thais besitzen für jeden Wochentag eine andere Farbe. Der König, der in diesem Jahr sein 60-jähriges Thronjubliäum feierte, war am 5. Dezember, einem Montag vor 79 Jahren geboren worden, und für den Montag steht in Thailand die Farbe Gelb. Seit dem Jubiläum im Juni bis zum 80. Geburtstag des Königs im nächsten Jahr wollen viele Thais jeden Montag gelb tragen – zur Ehre ihres Königs. Hm, in Thailand ist die Verdrossenheit auf „die da oben“ noch nicht sehr weit ausgeprägt – zumal die „lästigen“ Politiker ja allenthalben weggeputscht werden, wie wir im September sehen konnten. Anders als die „Kommerz-Flughäfen“ Paris-Charles de Gaulle und Frankfurt, die ihre Fluggastbrücken zu Werbezwecken an Banken (HSBC bzw. Royal Bank of Scotland) verscherbelt haben, steht auf Bangkoks 2 Monate altem Flughafen auf jeder Brücke „Long live the king!“, genauso wie auf den gelben Gummiarmbändchen, die wir in Mainz doch lieber in roter Farbe mit „1. FSV Mainz 05“ tragen. Tja andere Länder andere Sitten.

Nach 56 Kilometern war mein Ausflug ins gelbe Thailand zunächst vorbei. Über die von den Socceroos gespendete Thai-Lao-Freundschaftsbrücke, die den Mekong überspannt, erreichte ich mein aktuelles Gastland, die Demokratische Volksrepublik Laos. Das hört sich schon arg linkslastig an und nach 2 Metern auf laotischem Boden begegnete ich bereits der ersten roten Fahne mit gelbem Hammer und gelber Sichel. Beim Überqueren der Brücke fand nicht nur ein politischer Systemwechsel von konstitutioneller Monarchie zu real existierendem Kommunismus-Buddhismus-Mischmasch statt – nein es musste auch von Links- auf Rechtsverkehr umgestellt werden. Da das auf einer Brücke relativ schwierig ist, einigte man sich darauf, die laotischen Meter der Brücke noch links zu fahren. Am Ende der Brücke stand schließlich eine Ampel, die den Kreuzungsverkehr von links nach rechts bzw. von rechts nach links regelte. Wer allerdings die Gleise der Eisenbahn, die auf thailändischem Boden bis zur Brückenmitte gesetzt sind, weiterführt, steht noch in den Sternen, denn hinter der Grenze gibt es keine Gleise mehr. Laos sucht wohl noch nach einem edlen Spender, der die Gleise in die Hauptstadt Vientiane verlegt.

Nachdem ich gegen eine Gebühr von 30 US$ und einem Photo mein Visum in der rekordverdächtigen Zeit von 2 Minuten erhielt und nochmals meine Passdaten auf das Einreiseformular gekritzelt hatte, um neben den Visa-Stempel den Einreisestempel gesetzt zu bekommen, musste ich nur noch 10 thailändische Baht (0,22 Euro) „Entrance Fee“ berappen und schon war ich in die Volksrepublik eingereist. Visa-Gebühren in Dollar, Eintrittsgebühr in Baht – die Kommunisten ziehen die Währungen der Kapitalisten ihren laotischen Kip vor. Für einen Euro gibt es mittlerweile nämlich sehr viel Kip – genauer gesagt fast 13.000! Und der 20.000 Kip-Schein ist die Banknote mit dem höchsten Betrag! Zum Glück habe ich nicht so viel Klamotten auf diese Reise mitgenommen. So bleibt genug Platz für die Kip-Scheine in meinen Taschen!

Ihr merkt, Reisen in Laos mit drei Währungen ist nicht ganz so einfach für uns Europäer. Während wir durch die Hälfte unsere Kontinents reisen können, ohne Geld wechseln zu müssen, ist der Einkauf und die Bezahlung hier immer eine Währungslotterie. Aber auch sonst gestaltet sich das Land anders als seine Nachbarländer. Straßenschilder, die als Wegweiser anzusehen sind, gibt es kaum. Ich war bereits 10 km ins Land hinein gefahren, und unwillkürlich hatte ich mich bereits verfahren, ehe das erste Schild auftauchte. Auf den 20 Kilometern von der Brücke in die Hauptstadt Vientiane traf ich nach 15 km zum allerersten Mal auf ein Hinweis, dass ich mich mittlerweile auf dem Weg in nach „La Capitale“ (frz. Hauptstadt) dieses Binnenlands befand.

Keine Hauptstadt der Welt habe ich in meinem Leben also so schläfrig, gemächlich, ruhig und vor sich hin dämmernd empfunden wie Vientiane, das Wieng Chang ausgesprochen und als „Stadt des Sandelholzes“ übersetzt wird. Die Franzosen, die hier früher mal saßen, haben wie in Indien die Engländer, den Stadtnamen ihrer Sprache angepasst. Anders als im hektischen Indien, kam man im gemächlichen Laos noch nicht auf die Idee, die koloniale Vergangenheit abzulegen und die Stadt wieder umzubennenen. Auch der Name „Laos“ ist eine Kreation der Kolonialisten der Grande Nation. Früher gab es keinen laotischen Staat in den heutigen Grenzen, sondern einzelne laotische Königtümer, die mal mehr mit Thailand, mal mehr mit Kambodscha, China, Myanmar oder Vietnam verbandelt waren. Es gab also nicht ein „Lao“ sondern die Mehrzahl davon und die wurde von den Kolonialherren als „Laos“ definiert.

Zurück in die Hauptstadt Vientiane: Das Radeln in dieser Stadt, wie in den von mir bereits vorher beradelten Hauptstädten der Region Bangkok und Ha Noi, war wieder einmal sehr gewöhnungsbedürftig. Waren es in Bangkok letztes Jahr die 10-spurigen Straßen, die mir das Abbiegen nicht gerade vereinfachten, oder in Ha Noi im Jahr 2004, die Myriaden von gleichgesinnten Zweiradlern, sind es hier vielmehr die Buckelpisten am Stadtrand mit Mini-Dünen in denen es sich schwer steuern lässt, bzw. die Maulwurfshügel-artigen Kanaldeckel oder die Ampeln – die schon mal in „weiß“ leuchten können. Nun gut – „grün“ heißt im Rest der Welt losfahren – „orange“ exisiert hier vor dem „grün“ gar nicht und „rot“ ist allgemein bekannt – aber „weiß“? Zumal sich die Farbe der Ampel gar nicht mehr änderte – zumindest nicht, bis der wenige existierende Verkehr nach dem Gesetz der Logik losfuhr. Anders als bei unseren Kreuzungen rollt der Fluss aus Auspuffgeknattere immer nur aus einer Richtung in die Kreuzungsmitte. Das macht das Linksabbiegen sehr sicher und unkompliziert und somit kann auch die weiße Ampel überlistet werden, da nach der dritten „fremden“ Welle, also nach links, rechts und von vorne wir wieder dran sein müssen. Daher fuhren wir einfach alle los und deshalb stehe ich nun nicht mehr auf die grüne Ampel wartend an dieser Kreuzung.

Die Straßen, wenn sie denn überhaupt einen Namen haben, heißen hier noch „Avenue“, „Quai“ oder „Rue“ , und haben teilweise tatsächlich Boulevard-Charakter, vor allem wenn man in Richtung des monströsen Triumphbogens radelt – der erst nachdem die Franzosen hier 1953 abgehauen sind, da sie in Vietnam genug Probleme hatten, 1964 mit US-Zement errichtet wurde, der eigentlich für den Flughafenbau bestimmt war. Ausländer, die in Vientiane leben, sprechen bei diesem Betonmonster, das von weitem wirklich wie der Arc de Triomphe in die Tropen versetzt aussieht, auch von einer „vertikalen Start- und Landebahn“ – womit sie gar nicht so falsch liegen. In der Stadt finden sich auch noch zahlreiche Villen aus der französischen Kolonialzeit. Hochhäuser sucht man hingegen vergebens – genauso wie Bettler. In welcher Stadt gibt es eigentlich keine Menschen, die auf die Gaben anderer hoffen? Die Stadt befindet sich meiner Meinung nach in einem Zustand zwischen Lethargie und Aufbruch. Es wird überall gebaut – ein 5-Sterne-Hotelkasten, der so gar nicht ins Stadtbild passt, ist auch schon fertig – aber sonst bleibt vieles in den Anfängen stecken. Ein Bürgersteig ist 50 m gepflastert, dann liegen die Pflastersteine wahllos zwischen Straßenrand und Mauer herum und ein paar Meter weiter ist dann nur noch Sand zu sehen. Es sieht auch nicht danach aus, als wolle hier jemand noch mal weiterpflastern.

Wo Franzosen waren, wird auch gut gegessen. Das bewahrheitet sich in allen frankophonen Ländern dieser Erde – so auch in Laos. So beginnt hier der Tag auch mit gutem Kaffe – hergestellt aus laotischen Kaffeebohnen aus dem Hochland und mit zäher süßer Kondensmilch versetzt. Dazu gibt es natürlich Croissants oder Baguette wahlweise belegt mit Eiern oder laotischer Pastete, Frühlingszwiebel und diversen Kräutern – einfach köstlich. Aber auch das wirklich einheimische Laarp ist sehr lecker. Es besteht aus Hackfleisch (Rind, Schwein, Fisch, Hühnchen) und vielen Gewürzen. Dazu werden riesige Salatblätter und in Bambusschachteln verpackter Klebreis serviert. Es wird entweder kein Besteck oder nur Löffel und Gabel gereicht. Hm, wie isst man das ganze jetzt eigentlich ohne als totaler Laarp-Novize dazustehen? Also den Klebreis, der auch als Feuerlöscher wegen der scharfen Gerichte dient, kugelt man zusammen und befördert ihn in den Mund, was bei der Konsistenz, wie der Name schon sagt, kein Problem ist. Man könnte diesen sicherlich auch als Spachtelersatz in der Auto-Werkstatt einsetzen. Die Salatblätter füllt man mit dem wunderbar gewürzten Fleisch und führt dies direkt zum Mund. Falls man nicht mit den Händen essen möchte, hat die Gabel die Funktion, das Essen auf den Löffel zu hieven und mit diesem das ganze in den Mund zu befördern. Auch das Bier hat seinen Namen hier verdient. Die Fass-Variante wird wahlweise in der 1-Liter-Version oder im Glas gereicht und das Preisniveau von ca. 0,75 Euro pro Liter in der Kneipe ist als sehr kundenorientiert zu bezeichnen.

Die Restaurant, die für Touristen eröffnet wurden, sehen sehr gemütlich und einladend aus. Allerdings sind diese meist leer, da zurzeit noch nicht viele von uns hier sind. Die laotischen Restaurant, wo auch die Einheimischen hingehen, sind vom Dekor her eher als nüchtern zu bezeichnen bei denen das Flair eher an eine Turnhalle erinnert. Die kleinen Plastikhocker erinnern mich dann auch noch eher an Nachttöpfe wenn man meine Statur kennt. Aber dafür ist das Essen super und darauf kommt es ja schließlich auch an.

Nachdem ich mich genug gestärkt hat, habe ich es nun mit meinem Velo rund 200 km nach Norden verschlagen und ich bin im Backpacker-Hauptquartier Vang Vieng angekommen. Was ich auf meiner Reise hierher und hoffentlich auch weiter erlebt werden habe, erzähle ich Euch dann das nächste Mal.

Kambodscha 2005 2. Teil

Der letzte Eintrag endete an der thailändisch-kambodschanischen Grenze in Aranya Prathet. Am folgenden Tag reiste ich nach Kambodscha ein. Thailand ist alles in allem eigentlich das vielleicht am stärksten amerikanisierte Land Süd-Ost-Asiens. Ich denke nur an die breiten Highways, die 7-Eleven-24-Stunden-Shops an jeder Ecke, die vielen McDonald’s und KFCs, aber eines gab es dann doch nicht in Thailand: Casinos, denn die sind dort verboten. Dafür müssen die spielwütigen Thais beispielsweise nach in den kambodschanischen Grenzort Poipet. Kaum den Fluss, der beide Länder voneinander trennt, überquert, standen dort riesige Hotelpaläste, die auch noch so bezeichnende Namen wie „Las Vegas“ trugen. Die US-Spielhöllen-Metropole nach Kambodscha verlegt, versetzte mich fast in einen Schock. Doch dem nicht genug, auch wurde bei der Einreise, wie in den USA von mir ein Photo gemacht, dass jeden Schwerverbrecher alias Tourist bildlich festhält. Dafür können die Amis etwas, was die Kambodscha bei aller Bauwut schlicht vergessen haben: Strassen anlegen!

Während ich die Zeilen der vorangegangenen Mail verfasste, regnete es in Strömen, so dass ich nach 5 Metern Kambodscha mir die sagenhaft guten Strassen Thailands zurückgewünscht habe, denn als ich aus dem Immigration Office mit dem Rad heraustrat, befand ich mich fortan in einem Schlammacker sondergleichen, der in einen Kreisel mündete. Dieser erinnerte mich an eine Zentrifuge mit Restaurants, Marktständen und auf Kundschaft wartenden Mofa-Taxifahrern am äußeren Rand und hunderten Radlern, Mofafahrern, hupenden Autos, röhrenden LKWs und zum Bersten mit menschlichem Frachtgut gefüllte Pick-ups, die hier die Busse ersetzten in der Mitte der Schlammzentrifuge alias Kambodscha-Kreisel.

Der Schlammfluss, der definitiv nicht als National Highway 5 (NH5) zu bezeichnen war, zog sich bis zum Ortsende hin. Dort wurde diesem Cocktail aus Erde, Wasser und Schlaglöchern noch ein wenig Asphalt hinzugefügt, der aber anteilsmäßig am Straßenbelag gemessen eher ein Schattendasein führte. Ab sofort war das schnelle Radeln auf Thailands Highways vorbei und es hieß ab sofort Schlangenlinien-Radeln um Hunde, die hier ganz und gar nicht aggressiv sind, Rinder, Kinder, Hühner und Pfützen, die den so genannten Highway in eine rot-braun gefärbte finnische Seenplatte verwandelt hatten. Wenigstens musste ich nicht mehr auf kreuzende 2-Meter-Schlangen achten, wie im zuvor bereisten Thailand, die so mir nichts dir nichts aus dem Gebüsch am Straßenrand auftauchten und weder nach links noch nach rechts guckten – und ja eh nix hörten.

Das Radeln in Kambodscha war trotz ebener Strecke doch relativ anstrengend, im Gegensatz zu den 300 zurückgelegten Kilometern im Radler-Schlaraffenland Thailand. Permanent musste ich jetzt abwechselnd in die Pedale treten, um vom Schlamm auf den Asphalt hinaufzukommen, um dann ein paar Meter später wieder abzubremsen um in die nächste Schlaglochpfütze abzutauchen, deren Tiefe ich nie im Vorhinein abschätzen konnte. Während insbesondere in Bangkok niemand sonderlich von mir als Radler Notiz nahm, trat hinter der Grenzstadt Poipet das genaue Gegenteil ein. Auf den endlos bis zum Horizont reichenden Reisfeldern ruhte immer für einen Moment die Sichel, als ich vorbeifuhr.

Aus den Hütten und Büschen am Wegesrand kam immer ein „Hello“ „Bye bye“ „Thank You“ o. ä., ohne dass ich meist die Grüßenden überhaupt sah. Das ganze kam mir wie die Kappenfahrt am Fastnachtsdienstag vor, da ich oft mit der linken Hand den Lenker festhielt und mit der rechten in alle Himmelsrichtungen winken „musste“.  Bei dieser Doppelbelastung von Radeln und Grüßen wurde ich natürlich schnell hungrig. Da kamen die unendlich vielen Essensstände, die es in Kambodscha am Wegesrand gibt wie gerufen.

Schnell ein paar Bananen futtern und bezahlen mit ja mit was eigentlich? Während Kambodschas Steinzeit im 20. Jahrhundert, unter der Herrschaft der sog. Roten Khmer, die das Land gänzlich von der Außenwelt isolierten, gab es gar keine Währung. Jetzt gibt es gleich drei: Kambodschanische Riel, thailändische Baht und der Evergreen(back) US-Dollar. So bezahlte ich meine Bananen in Baht und bekam Riel als Wechselgeld zurück. Ein Essen zahlte ich in Dollar und bekam Baht als Wechselgeld. Manchmal bekomme ich auch Dollar und Riel, da es keine US-Cents in Münzen gibt. Dieses System hat den Vorteil, dass man nie zur Bank gehen muss, da 1 US-Dollar 40 Baht oder 4000 Riel entsprechen.

Eigentlich ganz einfach, oder?

Nach 49 km Schlammpiste, die in der Karte als gute Teerstrasse ausgewiesen war, erreichte ich Sisophon, wo ich notgedrungen übernachtete, da auf meiner Karte die nächsten 103 km zu meinem großen Ziel Siem Reap als Piste eingezeichnet waren und es bereits Mittag war. Sisophon ist ein verschlafenes Nest im Westen Kambodscha, das die zweifelhafte Ehre hat, anscheinend noch nicht an das World Wide Web angeschlossen zu sein, da meine kambodschanischen Gesprächpartner sehr wohl mit dem Begriff Internet etwas anfangen konnten aber meinten, dass es diese Neuerung bei ihnen noch nicht gäbe. Dafür war der zentrale Platz der Stadt ein geschotterter Fußballplatz, auf dem ich sogar ein wenig mitkicken konnte.

Am nächsten Morgen nahm ich dann die angeblichen 103 km Piste nach Siem Reap in Angriff. Die ersten 50 km waren eine wahre Wohltat. Es gab tatsächlich keinen Asphalt, der die Strasse in Puzzelteile verwandeln konnte, so dass es sich recht einfach fahren ließ, zumal die Straße abgetrocknet war. Dies hatte allerdings den entscheidenden Nachteil, dass ich auf einer Wüstenpiste fuhr, die in die feuchten Reisfelder verlegt wurde. Noch nie war ich über starken Seitenwind so froh wie an diese Tag: Jedes Auto wirbelte so viel Staub auf, dass ich immer kurz bevor mich das Auto passierte die Luft anhielt, die Augen schloss und hoffte, durch die Wolke ohne Staublunge durchzukommen.

Das einzige etwas größere Kaff auf diesen 103 km war nach 48 km erreicht und lud zum Essens- und Toiletten-Stopp ein. Denn anders als bei uns ist es in Kambodscha nicht ratsam sich bei akutem Harndrang mal schnell in die Büsche zu schlagen. Schuld daran sind die Roten Khmer und die Vietnamesen, die in den 80ern des letzten Jahrhunderts das gesamte Land verminten. Diese sind bis heute nicht vollständig beseitigt worden und die Gefahr beim Pinkeln in die Luft zu fliegen, ist in Kambodscha leider durchaus realistisch. Für die Einheimischen ist dies natürlich der blanke Horror – wie so vieles in der oft traurigen Geschichte des Landes im 20. Jahrhundert.

Im Restaurant nach Essen gefragt, bekam ich die Antwort „No food, only omelette and baguette!“ – Jawohl Baguette, denn die Franzosen haben ja hier auch einmal das Land besetzt und für mich glücklicherweise den Rechtsverkehr eingeführt und eben Baguettes bis in die tiefe Provinz gebracht. Warum Baguette und Omelette kein Essen sein sollen, weiß ich nicht, aber so gestärkt nahm ich die zweite Hälfte der Tagesetappe in Angriff, im Gefühl, dass das Vorankommen doch an diesem Tag gar nicht so schlimm war. Aber Kambodschas so genannte National Highways überraschen doch immer wieder gerne: So luden die nächsten Kilometer zum Schunkeln ein. Die permanenten Bodenwellen ließen mich abwechselnd vom Sattel nach vorne kippen oder nach hinten rutschen. Dazu kamen Sandpassagen, die mich einmal nach links und danach nach rechts schlingern ließen. Wer braucht da noch die Hofsänger um in Fastnachtslaune zu kommen – und das bei 0 Promille im Blut aber bei Außentemperaturen von ca. 40 Grad! Später irgendwo in den Reisfeldern Kambodschas herumdümpelnd, dachte ich, dass es sich beim Anblick der Teerstrasse am Horizont um eine Fata Morgana handelte, doch die angebliche Luftspiegelung stellte sich als real existierende Strasse heraus – die erste seit meiner Ankunft in diesem Land und nach sage und schreibe 125 km! Warum um Himmels Willen auf einmal eine Teerstrasse aus der Schunkelpiste wurde, weiß ich nicht,  aber fortan wurde das Radeln ja fast eintönig, denn der mittlerweile erreichte NH6, erinnerte stark an eine Kreisstrasse im Hunsrück – bis auf die Tatsache, dass natürlich ab und zu ein paar Schlaglöcher von bis zu 50 cm Tiefe, dafür sorgten, dass mir auch ja nicht zu langweilig wurde. Nach 7 Stunden Radeln war ich rotbraun einpaniert, hatte mein Tagesziel Siem Reap erreicht und sparte durch die Panade mindestens 100 ml Sonnencreme, denn durch diese Dreckschicht schafft es noch nicht einmal die brennenden Sonnenstrahlen Kambodschas.

Die Ankunft in Siem Reap schockierte mich fast so wie die Ankunft in Kambodscha. War ich nun ca. 150 km durchs kambodschanische Ländle geradelt und sah meist nur Strohhütten auf Stelzen, flankierten plötzlich 5-Sterne-Hotels die Einfahrt in die Stadt. Der Grund liegt zwar auf der Hand, denn die weltberühmten Tempel von Angkor liegen nur ein paar Kilometer nördlich. Doch dass hier pure Luxusherbergen, Rockkneipen mit Happy Hour und Myriaden von japanischen Touristen existieren, hätte ich nicht gedacht.

Über meine Eindrücke aus Angkor berichte ich das nächste Mal. Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende und drücke natürlich morgen die Daumen, dass die Punkte aus der Veltins-Arena ins goldische Meenz mitgenommen werden.