Same same but different

Mainz 05 wird zumTestspiel gegen Newcastle United antreten.

Eigentlich wurde zum Testspielgegner von Mainz 05 und dessen Eigentümer, dem Staatsfonds von Saudi-Arabien, bereits alles gesagt. Manche inklusive Trainer Bo Svensson finden es gut, sich mit dem Verein aus der Premier League sportlich zu messen. Viele Facebook-Kommentierende, die Supporters Mainz sowie die Kommentare einiger Journalist*innen (und hier) stellen die Auswahl des Gegners in Frage. Im Leitbild von Mainz 05 heißt es: „Wir stehen für Offenheit, Respekt und Mitmenschlichkeit…Wir heißen alle Menschen, die diese Werte teilen, willkommen – unabhängig von Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft, körperlicher und geistiger Verfassung, Religion, sozialer Stellung oder sexueller Identität“. Viele dieser Werte werden in vielen Teilen der Welt nicht gelebt (auch teilweise nicht in Deutschland). Wir bekommen es in anderen Weltregionen allerdings meist nicht mit, da in den Medien immer dieselben zwanzig, dreißig Länder präsent sind, die Einfluss auf uns und unser Land haben. Saudi-Arabien gehört aufgrund seiner Bodenschätze und aufgrund seiner Affinität zum Fußball allerdings dazu.

Aber dann bin ich auf dieses Zitat gestoßen: „Die arabischen Staaten sind doch alle gleich, was diese Werte angeht.“ Es stammt aus einer Antwort auf einen Facebook-Post von Mainz 05, in dem der Verein den Testspielgegner Newcastle United in der Sommerpause verkündet und zielt neben Saudi-Arabien auf Katar. Letzteres richtet im Spätherbst die Männer-Fußball-Weltmeisterschaft aus. Dabei handelt es sich um Länder, deren Regierung und teilweise auch deren Gesellschaft ein anderes Werteverständnis haben, als viele Menschen in Deutschland.

Natürlich kann man es sich einfach machen und alle Länder und deren Gesellschaften, die unsere Werte nicht teilen, moralisch boykottieren. In der Praxis klappt das ohnehin nicht, wenn wir tanken möchten und Öl aus Saudi-Arabien in unser Auto fließt oder demnächst Gas aus Katar unsere Wohnung mit Wärme versorgt. Man kann es sich sogar noch einfacher machen und sich sagen, so ist der Profi-Fußball halt heute. Das ist die klassische Schwarz-Weiß-Denke, die halt immer einfacher ist, als sich mit Themen gezielt auseinanderzusetzen. Grautöne sind mühsam, erfordern Zeit, sich diese zu erarbeiten und in der Schnelllebigkeit des Internets ist Zeit für viele ein zu kostbares Gut.

Aber vielleicht nimmt man sich doch ein paar Minuten Zeit und beschäftigt sich zumindest ein bisschen mehr mit diesen beiden Ländern, die aktuell die Gemüter erhitzen. Und vielleicht schätzt man am Ende die Meinung von Expert*innen mehr als das eigene Bauchgefühl oder die verzerrte Darstellung durch verschiedene Interessengruppen.

Den rein subjektiv besten Eindruck erhält man natürlich, wenn man mal selbst in den genannten Ländern vorbeischaut oder mit ihnen direkt in Berührung kommt. Im Falle von Saudi-Arabien ist mir das zweimal passiert. Einmal ging es darum, 1995 auf dem Landweg von Mainz nach Kapstadt gegebenenfalls über das Land zu reisen und einmal landete ich auf dem Rückflug aus Eritrea in Saudi-Arabien zwischen. Mein erster Versuch in der saudischen Botschaft in Amman (Jordanien) scheiterte, da damals Saudi-Arabien nur Geschäftsreisende und muslimische Pilgerreisende ins Land ließ. Mit Touristen und Fußballvereinen im Ausland wollte man damals noch nichts zu tun haben (anders als 2022). Zwei Jahre später beim Zwischenstopp mussten alle alkoholischen Getränke an Bord des Flugzeugs weggesperrt werden, ehe zur Landung angesetzt wurde. Das Flugzeug durfte ich damals nicht verlassen und konnte so nur einen kurzen Blick aus dem Flugzeugfenster auf den Flughafen Jeddah werfen. Nach dem Start in Richtung Frankfurt erhoben sich fast alle zugestiegenen Fluggästinnen und begaben sich auf die Toilette. Wenige Minuten später kamen sie unverschleiert wieder aus dem WC in Jeans heraus. Es war eine sehr bizarre Erfahrung.

2016 auf dem Weg nach Baku zum Europa League Spiel von Mainz 05 blieb ich einen Tag lang in Katar. Das Land hat sich damals bereits für Touristen geöffnet, das Einreisevisum gab es am Flughafen und Kleidungsvorschriften für Frauen gab es damals nicht. Zum selben Zeitpunkt wäre es immer noch unmöglich gewesen, nach Saudi-Arabien als Tourist*in einzureisen.

Gefühlt war man damals also in dem einen Land Willkommen, im anderen nicht. Aber um den subjektiven Eindruck, das oben angesprochene Bauchgefühl und um mich persönlich geht es schon gar nicht. Trotzdem blicke ich gerne auf bereits (fast) bereiste Länder zurück und verfolge aufmerksam ihre Entwicklung. Um beide Länder gut zu vergleichen eignet sich daher als erstes ein Blick auf die Seite des Auswärtigen Amts. Dieses teilt seine Einschätzung unter Anbetracht der in Deutschland vorhandenen Werte für jedes Land der Welt mit, damit man sich objektiv ein Bild aus der Sicht eines Reisenden machen kann. Da geht es bei Saudi-Arabien und Katar zunächst um den Punkt „Reiseinfos“:

Frauen

Saudi-Arabien: „Obwohl das Tragen einer Abbaya (schwarzer Ganzkörperumhang) für Frauen keine Pflicht mehr sein soll, sollten die in Saudi-Arabien vorherrschenden gesellschaftlichen Regeln beachtet werden. Unverheirateten Frauen wird angesichts möglicher rechtlicher Konsequenzen dringend von einer Entbindung in Saudi-Arabien abgeraten. Die unerwünschte Kontaktaufnahme ausländischer Männer zu nicht verwandten saudischen Frauen kann zu einer Anzeige wegen sexueller Belästigung führen. Körperlicher Kontakt muss für dieses Vergehen nicht vorliegen, es reicht zum Teil, dass sich eine Frau sexuell belästigt fühlt.“

Katar: „Frauen unterliegen keinen besonderen Beschränkungen oder Verboten.“

Christen

Saudi-Arabien: „Vermeiden Sie die Verteilung christlich-religiöser Symbole.“
Katar: Keine Hinweise

LGBTIQ

Saudi-Arabien: „Homosexuelle Handlungen sind in Saudi-Arabien strafverfolgt und auch gesellschaftlich nicht akzeptiert. Prostitution, homosexuelle Handlungen und außerehelicher Geschlechtsverkehr werden in Saudi-Arabien nach Ermessen des Richters mit Freiheitsentzug und/oder Stockschlägen bestraft, ggf. kann auch die Todesstrafe verhängt werden.“

Katar: „Das Strafrecht in Katar ist geprägt durch islamische Moralvorstellungen. Es sollte Reisenden bewusst sein, dass homosexuelle Handlungen und nichtehelicher Geschlechtsverkehr verboten sind und strafrechtlich geahndet werden. Es sind bisher keine Fälle von Verhaftungen von LGBTIQ-Personen bekanntgeworden, eine „aktive“ Verfolgung findet nicht statt.“

Rechtliche Besonderheiten

Saudi-Arabien: „Das kaum kodifizierte saudi-arabische Strafrecht beruht auf der islamischen Scharia hiesiger Auslegung mit den bekannten, ggf. bis hin zu Prügel- und sonstigen Körperstrafen und Amputationen reichenden Strafsanktionen.“

Katar: „Die Gebräuche und Gesetze von Katar sind stark durch den Islam und dessen Glaubensinhalte und Wertvorstellungen geprägt.“

Pressefreiheit

Geht es um weitere Werte ist, man auf die Hilfe von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) angewiesen. Möchte man die Situation von Medienschaffenden und die Pressefreiheit betrachten, sind „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) ein guter Anlaufpunkt. Die weltweite Rangliste 2022 wird von Norwegen (Kategorie „Gut“) angeführt und auf dem letzten, dem 180. Platz liegt Nord-Korea. Saudi Arabien liegt auf Platz 166 und hat vier Plätze im Vergleich zu 2021 gut gemacht. Dennoch fällt es gemäß RSF in die Kategorie „Sehr ernst“. Katar liegt auf Platz 119 und hat im Vergleich zu 2021 9 Plätze gut gemacht. Das Land fällt laut RSF in die Kategorie „Schwierig“. Deutschland liegt auf Platz 13 und fällt in die Kategorie „Zufriedenstellend“. Zwischen „Zufriedenstellend“ und „Schwierig“ liegt nur eine Kategorie „Erkennbare Probleme“.

Menschenrechte

Wenn es um Werte geht, darf das Thema „Menschenrechte“ natürlich nicht fehlen. Eine gute Anlaufstelle ist Amnesty International (AI), die auch über erreichte Verbesserungen in den Ländern berichtet:

„Vor der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 versprach Katar weitere Reformen seiner Arbeitsgesetze. Außerdem gab der Weltfußballverband FIFA seine Pläne auf, die Anzahl der Teams bei der WM 2022 in Katar auf 48 zu erhöhen. Die FIFA war zuvor wegen menschenrechtlicher Bedenken unter Druck geraten. Eine derartige Vergrößerung wäre nur möglich gewesen, wenn sich weitere Länder in der Region als Gastland zur Verfügung gestellt hätten. Doch Amnesty machte gemeinsam mit anderen NGOs, Gewerkschaften, Fan- und Spielergruppen auf das Menschenrechtsrisiko aufmerksam, das so eine Erweiterung mit sich gebracht hätte – nicht zuletzt für die Wanderarbeiter, die beim Aufbau der nötigen Infrastruktur eingesetzt werden.“

„Um der Zusage nachzukommen, Arbeitsmigrant_innen vor Ausbeutung zu schützen, hat Katar dafür gesorgt, dass diese nicht länger eine Erlaubnis ihrer Arbeitgeber_innen benötigen, um den Arbeitsplatz zu wechseln. Zudem kündigte Katar die Einführung eines neuen, nicht diskriminierenden Mindestlohns an. Vor dem Hintergrund der im Jahr 2022 in Katar stattfindenden Fußballweltmeisterschaften setzt sich Amnesty International seit Jahren für die Rechte von Arbeitsmigrant_innen ein. Die angekündigten Reformen sind zu begrüßen, müssen aber schnell und vollständig umgesetzt werden.“

AI selbst hält von einem Boykott der WM nichts, sondern möchte die WM dazu nutzen, weiter auf die Situation der Arbeitsmigrant*innen vor Ort hinzuweisen.

Generell berichtet AI über die Menschenrechtslage in den einzelnen Ländern, so auch zum Thema Hinrichtungen. AI zu Katar: „Im Februar 2021 setzte der Emir die Hinrichtung eines tunesischen Mannes aus, der wegen Mordes zum Tode verurteilt worden war. Es gab im Jahr 2021 keine Berichte über Hinrichtungen.“ AI zu Saudi-Arabien: „Saudi-Arabien ließ im März 2022 an einem einzigen Tag 81 Menschen hinrichten.“

Geht es um politische Freiheit und Demokratie, empfiehlt sich ein Blick auf den „Annual Freedom in the World“ Bericht von Freedomhouse. Im aktuellen Bericht führen Norwegen, Schweden und Finnland die Liste an (40 Punkte für politische Freiheitsrechte, 60 Punkte für bürgerliche Freiheitsrechte). Saudi-Arabien konnte 7 Punkte erzielen (1 Punkt für politische Freiheitsrechte, 6 Punkte für bürgerliche Freiheitsrechte). Katar erhielt 25 Punkte (7 bzw. 18 Punkte). Beide Länder gelten in dem Report als „not free“. Im Vergleich kommt Deutschland auf 94 Punkte (39/55 Punkte) und gilt als „free“. Zwischen „not free“ und „free“ gibt es nur eine Kategorie „partly free“.

Anhand dieser Fakten kann sicher jede*r von uns seine eigene Meinung zu den beiden Ländern bilden, insbesondere zur Behauptung, dass die arabischen Staaten alle gleich sind, was diese Werte angehen, wie in dem Facebook-Post in den Raum geworfen wurde. Mit Hilfe dieser Rankings und Informationen lässt sich damit recht einfach die grundlegende Situation in einem Land betrachten. Damit kann sich im Jahr 2022 niemand herausreden, von einer Situation in einem Land nichts gewusst zu haben.

Und möchte man sich an einem Leitbild orientieren, das die Mitglieder*innen-Versammlung, also das höchste Gremium eines Vereins legitimiert hat, könnten diese Anlaufstellen sicherlich zur Entscheidungsfindung entscheidend beitragen, wenn man dieses Leitbild leben möchte.

Nur für das Trikot, fairsteht sich!

Seit Jahren ist es in der Liga üblich, das Trikot der Folgesaison am letzten Spieltag der aktuellen Spielzeit zu präsentieren. Der Hintergrund ist, wie könnte es anders sein, kommerzieller Natur. Wir Fans sollen zum Konsum animiert werden. Dass es auch anders geht, zeigt ausgerechnet ein Verein aus der Premier League. Der FC Brentford wird die Trikots der abgelaufenen Saison auch in den kommenden 12 Monaten tragen. In Zeiten knapper Kassen in den meisten Fanfamilien ist dies ein durchaus guter Move, soll aber in diesem Blogpost nicht wirklich Thema sein. Schließlich können wir selbst entscheiden, ob wir uns in diese Konsumspirale begeben oder nicht.

Vielmehr soll es hier um Inhalte gehen und Dinge, die bei unserem Verein mal wieder nicht so richtig zusammenpassen wollen. Da kreiert der Verein gemeinsam mit dem Trikotsponsor eine löbliche Friedensbotschaft und verbindet sie mit einer vergleichsweise großzügigen Spende in Höhe von 10 Euro, die vom Verkaufspreis in Höhe von fast 80 Euro an die „Better World Stiftung“ des Trikotsponsors geht. Gleichzeitig wird von limitierter Edition gesprochen, damit das oben angesprochene Konsumieren stimuliert wird. „Wer sich dieses ganz besondere Trikot sichern möchte, muss schnell sein“, ist in den Vereins News zu lesen. Warum die Auflage limitiert ist, und warum es nicht möglich ist, sich das Trikot nicht in aller Ruhe bis zum Verkaufsstart des „regulären“ Trikots Mitte Juli zu sichern, wird in den News nicht erklärt. Die Fans zu solchen Impulskäufen zu drängeln hat schon etwas von Kaffeefahrten-Charakter. Damit wird die Botschaft, Menschen zu helfen, ein wenig in den Hintergrund gedrängt.

Der Mainz 05 Kapitän Mousa Niakhaté trägt das Trikot der neuen Saison mit dem "You never walk alone" Schriftzug in den Farben der Ukraine und dem Schriftzug der Kömmerling Better World Stiftung
Screenshot von der Mainz 05-Webseite

Und genau darum geht es eigentlich in diesem Text. Denn leider wird im Rahmen der Aktion, die ja für eine bessere Welt einstehen möchte, nur die eine Seite der Medaille betrachtet: Die Friedensbotschaft auf dem Trikot symbolisiert die Solidarität mit den Menschen in der Ukraine, die völlig unverschuldet in einen Angriffskrieg hineingezogen wurden. Die 10 Euro pro Trikot sollen die Not der Menschen vor Ort lindern. Soweit so gut. Aber eine solche Aktion sollte meiner Meinung nach ganzheitlich angegangen werden. Es sollten also auch die Menschen einbezogen werden, die diese Trikots hergestellt haben. Und dazu gibt es leider überhaupt keine Information. Leider ist es als Verein bis heute extrem schwierig, fair gehandelte Trikots zu erwerben, insbesondere, wenn man an einen Ausrüstervertrag gebunden ist. Hat der Ausrüster mit Nachhaltigkeit, konkret mit der fairen Produktion seiner Textilien, nichts am Hut, bleibt einem Verein leider nur der Weg, alles selbst in die Hand zu nehmen.

Diesen Schritt ist der FC St. Pauli gegangen. Und dieser Schritt benötigt Zeit – im Falle des FC St. Pauli sage und schreibe fünf Jahre. Bernd von Geldern, Geschäftsleiter Vertrieb auf der Vereinwebseite im Jahr 2021: „Auf der Mitgliederversammlung 2016 haben wir den Auftrag bekommen, unser Merchandising fair und nachhaltig zu produzieren. Diesem Anspruch möchten wir in möglichst vielen Bereichen gerecht werden. Mit unserer eigenen Marke ‚DIIY‘ möchten wir nun zeigen, dass sich Qualität, Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen auch für Performance-Kleidung überhaupt nicht ausschließen müssen. Darum haben wir die Messlatte mit unseren selbst formulierten Ansprüchen an die neue Teamsport-Kollektion auch bewusst hochgelegt. Wir sind überzeugt davon, dass auch unsere Fans diesen Anspruch teilen und möchten sie auf unseren Weg mitnehmen. Deswegen starten wir schon jetzt in den Vorverkauf für das Heimtrikot der Saison 2021/22 – denn nur gemeinsam mit unseren Fans schaffen wir unser anspruchsvolles Ziel, die nachhaltigste Teamsport-Kollektion der Welt zu produzieren.“

Vor mehr als zwei Jahren habe ich bereits zum damaligen neuen Ausrüster etwas geschrieben („Fair Fashion for Future„) und meine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass mit dem Wechsel auch das Thema faire Trikotproduktion angegangen wird. Getan hat sich allerdings wohl nichts:

„Großes Problem der Mainzer ist die aktuell noch fehlende Transparenz. Es können beispielsweise weder Hauptproduktionsstandorte noch Angaben zur Auswahl und Überprüfung der Lieferanten gefunden werden“, lautet das ernüchternde Ergebnis der Studie „Die Vereine im Ranking – so fair sind ihre Shops“ von cum ratione im Jahr 2021. Damals arbeitete der Verein laut dieser Studie gerade intensiv daran, diese Transparenz herzustellen. Allerdings habe zumindest ich hierzu noch nichts gelesen. Aber selbst wenn diese Transparenz existiert, ist natürlich noch nicht sichergestellt, dass die Menschen, die die Trikots hergestellt haben, auch davon leben können. Auch hier gilt der FC St. Pauli als Vorbild. Er ist 2021 als erster und bisher einziger Verein weltweit Mitglied bei „Fair Wear“ geworden. Diese Organisation stellt sicher, dass die Arbeitenden freiwillig ihren Dienst verrichten, sprich, Sklaverei wird ausgeschlossen. Die Arbeitenden können Gewerkschaften gründen und Kollektivverträge vereinbaren. Diskriminierung jeder Art ist ausgeschlossen, Kinderarbeit verboten und existenzsichernde Löhne (nicht zu verwechseln mit Mindestlöhnen) werden gezahlt. Es wird sich an eine Höchstarbeitszeit gehalten und die Arbeitsumgebung entspricht Mindest-Arbeitsschutzrichtlinien. Ferner existiert ein Arbeitsvertrag mit Rechten und Pflichten. Diese Kriterien gelten für uns meist als selbstverständlich. Dass dies in anderen Ländern alles andere als ein Standard ist, wird sicherlich deutlich, wenn man sich die Sportartikelhersteller anschaut, die Mitglied bei Fair Wear sind, wie z.B. Deuter, Haglöfs, Hess Natur, Jack Wolfskin, Odlo, Salewa, Schöffel, Vaude, engelbert strauss und Mammut. Alle bekannten Ausrüster der Liga sind hier leider noch kein Mitglied.

Um in Zukunft keine halben Sachen zu machen, sollte sich Mainz 05 langfristig anders aufstellen, wenn der Ansatz ernst gemeint ist, Menschen zu helfen und nicht darauf hoffen, dass ein Ausrüster endlich sicherstellt, dass die Textilien unter fairen Bedingungen hergestellt werden. Dann würde auch die Kehrseite der Medaille für eine „Better World“ stehen.    

Quellen:

Premier League – Nachhaltigkeit: Brentford trägt Trikots auch nächste Saison – t-online.de
1. FSV Mainz 05 – News Detailansicht: Neues Heimtrikot
DIIY – Alles muss man selber machen! – FC St. Pauli
FSV Mainz 05 – cum-ratione.org
Member Brands – Fair Wear Foundation

Spätlese Frankfurt 2021/2022

Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!

01 Hin und weg:

Zum letzten Spiel dieses besonderen Jahres, was Fußballspiele im Allgemeinen und Auswärtsfahrten im Besonderen angeht, die kürzeste Auswärtsfahrt in der Bundesliga anzutreten, ist natürlich angenehm. Allerdings waren Fahrten zur Diva am Main, besonders mit der S-Bahn, nicht immer ein großes Vergnügen. Die S8 war meist übervoll besetzt und die Fahrtzeit meist um die Hälfte länger als üblich, weil sich noch Leute reinquetschen wollten, obwohl es schon längt keinen Platz mehr gab. Das waren mitten in der Pandemie wirklich keine tollen Voraussetzungen. Doch durch die Reduzierung der maximalen Zuschauerzahl auf 15.000 ohne die Reduzierung der Frequenzen war die Bahnfahrt so angenehm wie nie.

Der beste Platz in der S-Bahn während der Pandemie: An der Tür, die auch geschlossen noch Luft durchlässt

Die Bahn war leerer als ein paar Tage zuvor, als ich sie mitten im Berufsverkehr nehmen musste. Alle Leute trugen Masken – auch über der Nase. Niemand umging das Gebot durch Essen oder Trinken. Um auf Nummer sicher zu gehen, stand ich direkt an den Eingangstüren, die nicht wirklich dichthalten. So war es angenehm zugig und der Luftaustausch, der ohnehin alle paar Minuten durch das Öffnen sämtlicher Türen stattfand, war auch während der Fahrt gegeben. Dass bei 15 Euro Eintrittsgebühr die Hin- und Rückfahrt im RMV enthalten war, die an sich bereits mehr als 10 Euro kostet, war die positive Krönung. Umgekehrt muss man sich allerdings fragen, warum eine Hin- und Rückfahrt mit der S-Bahn nach Frankfurt fast genauso viel kostet wie eine Fahrt mit dem Sparpreis mit der Bahn zum Beispiel nach Köln.  

02 (N)immer nuff:

An der S-Bahn-Station „Stadion“ angekommen, ein ähnliches Bild wie in der Bahn: Relativ leere Bahnsteige, Treppen und Unterführungen. Aber ein riesiges Polizeiaufgebot stand als Empfangskomando den wenigen Ankommenden Spalier. Man könnte meinen, die Cops hätten aktuell besseres zu tun, als im Frankfurter Stadtwald Fans beider Vereine beim Marsch zum Stadion zu beobachten. Auf Stress hatten allerdings weder Fans noch Cops Bock, so dass es problemlos weiter zum Stadion ging. Wo sich sonst Getränkestand an Getränkestand reihte, sah ich auf der gesamten Strecke drei vereinzelte Buden – ein ziemlich trostloses Bild und gleichzeitig Symbolbild für die Pandemie-Verlierer. Hoffen wir, dass die Veranstaltungsbranche das überleben wird.  

Die Cops sind da, die meisten Fans aber nicht.

03 Kon-Trolle

Wie mittlerweile üblich, wurde am Eingang zunächst der Impfausweis mit dem Perso verglichen und danach die eigentliche Kontrolle durchgeführt. Da genügend Personal vorhanden war und Eintracht-Fans die Möglichkeit hatten, ihre Gesundheitsdokumente vorab in einer App zu hochzuladen, ging das alles zügig über die Bühne – ohne zusätzlichen Müll zu produzieren. Gut, dass da die Lernkurve auch bei Mainz 05 im Laufe der Hinrunde anstieg, und die unsäglichen Bändchen der Vergangenheit angehören.

Mag die Pandemie auch die Gesellschaft komplett durchgewirbelt haben, es gibt Dinge, die sich im Waldstadion trotzdem nicht geändert haben: Die zweite Kontrolle vor Block 20 auf der Osttribüne zum Beispiel – mit Sicherheitspersonal, das mehr an einen Auslandseinsatz der Bundeswehr erinnerte als ein Fußballspiel unter Nachbar:innen. Es gibt natürlich Rituale, die einem in der Pandemie Halt geben – dieses gehört allerdings für mich weniger dazu.

Fantrennung zur schnelleren Kontrolle – links mit Registrierung in der App, rechts ohne Registrierung (auch aktuell nur 2G)

Wird man in anderen Stadien aufgefordert, sich vor der Kontrolle umzudrehen, geht es vor dem Gästeblock direkt zur Sache: Abstand zwischen beiden Nase vielleicht 10 Zentimeter– mit Maske zwar kein Problem, aber dennoch ein ziemlich überflüssiges und befremdliches Prozedere im Kontext der aktuellen Situation, zumal wir doch bei der SGE als peinliche Bonbonwerfer seit 1905 bekannt sind. Wozu also dieser martialisiche Mist liebe Nachbar:innen?  

04 Kampf um den Mampf

Wie kann sich ein Verein von der Masse abheben? Durch die gerade beschriebenen  Sicherheitskonzepte vielleicht, durch die fehlende Möglichkeit der Gratis-Nutzung des ÖPNVs wie es die Bayern immer machen und Bayer 04 in dieser Saison leider auch – ganz sicher – kommt aber beides eher semi gut an. Nein, sich von der Konkurrenz abheben, gelingt mit einem für die Region typischen Angebot an Speis und Trank. Und da ist die SGE schon weit vorne dabei mit ihrem heißen Äppler der Rödelheimer Firma Possmann, auf den Fraa Rauscher mit ihrer Bembel-Lotterie geschickt vorkicks hinweist. Bei Außentemperaturen gefühlt um den Gefrierpunkt herum, war der Apfelwein auch wesentlich leckerer als (noch) süße(re) Glühweine, die es im Winter ja in vielen Stadien gibt.  

Die vegane Wurstvariante war mit die teuerste Alternative.

Was den Mampf anbetrifft, macht mich die Preisgestaltung etwas ratlos. Zwei Wurstvarianten kosteten 3,60 Euro, zwei 3,80 Euro. Zusätzlich wurde auch eine vegane Variante angeboten, was natürlich sehr löblich ist. Diese kostete ebenfalls 3,80 Euro. Damit hier kein Missverständnis aufkommt: Knapp vier Euro für eine vegane Wurst im Stadion aufzurufen, ist vollkommen in Ordnung. Es geht um das Verhältnis zwischen einer „normalen“ Wurst und einer fleischlosen Alternative. Denn mit dieser Preisgestaltung wird eindeutig gezeigt, wieviel Tiere Ende 2021 in Deutschland wert sind – nichts… Wahrscheinlich sind die Einkaufspreise einfach weitergegeben worden. Das zeigt einmal mehr, dass Empathie gegenüber Tieren in unserer Gesellschaft im besten Fall Hund und Katz entgegengebracht wird, Schweinen, Hühnern und Kühen aber leider nicht. Letztere sind nur Lebensmittel auf Beinen. Trotzdem flossen drei Euro zusätzlich in die #Saisonspende, da es auch eine Brezel für 2,80 € gab. In ihrer Größe ähnelte sie der Ditschbretzel, war damit wirklich überteuert, aber gleichzeitig die günstigste angebotene Speise im Angebot.  

Die vegane Wurst war schmackhaft und lecker.

Funfact am Rande: In der Bankenstadt war Cash angesagt, es sei denn man hatte eine MasterCard. Andere Zahlungsmittel wurden nicht akzeptiert. Das ist mindestens so retro wie der Auftritt von Fraa Rauscher in Schürze und Kopftuch.

05 Käfighaltung

Ob es für das Wohl von Attila so gut ist, den armen Steinadler vorkicks an einer Kette durch das Stadion zu schleppen, sei dahingestellt. Angeblich stört sich das lebende Maskottchen nicht an der Kakophonie im Stadion. Wenigstens wurden dem Vogel nicht die Flügel gestutzt, denn er wollte mindestens einmal aus dem Stadion wegfliegen, was die Kette allerdings verhinderte. Ein lebendiges Tier als Maskottchen einzusetzen, das sein Leben in einer Volliere verbringt, ist schon fragwürdig. Steinadler möchten fliegen und nicht in einem Käfig bis zum nächsten Spieltag warten, ehe er wieder einmal angekettet durchs Stadionrund getragen wird.

Attila, der einzige ohne Maske am Samstagnachmittag

Er war aber das einzige Lebewesen, das sich am Samstagmittag ohne Maske im Stadion bewegte, schließlich herrschte wie bei uns eine Maskenpflicht am Platz. Das trübte die Stimmung zumindest am Anfang keineswegs. Obwohl es keinen organisierten Support gab, machten die 15.000 Leute schon ganz gut Lärm. Gegenseitiges Anprollen war relativ selten zu vernehmen – anders als das peinliche Runtermachen der Hertha ein paar Tage zuvor im heimischen Stadion. Leider fehlt durch den nicht vorhandenen organisierten Support aktuell ein Korrektiv, das so etwas nach ein paar Sekunden unterbindet. Hoffentlich ändert sich das im nächsten Jahr.

Bahnhofsromantik zum Abschluss der Auswärtsfahrten in 2021

Ich fürche allerdings eher, dass die Rückrunde mit Geisterspielen startet. Um so glücklicher schätze ich mich, in diesem Jahr und der Hinrunde wieder viele Spiele besuchen konnte und die Faszination Stadionbesuch mich mit ein wenig Hochgefühl durch die Pandemie trug.

Fazit: Der Jahrgang 2021/2022 zeigt, dass Fraa Rauschers Output grundsolide lecker ist – Prost!

Rot-weiße Grüße,

Christoph – Meenzer on Tour