Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag
eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive
Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser
Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige
Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!
01 Hin und weg:
Endlich einmal entspannt auswärts fahren. Wann gab es das eigentlich das letzte Mal? Die letzte Saison gar nicht. Es war vor knapp zwei Jahren in Vorvorsaison, als wir gegen die Diva vom Main den Klassenerhalt eingetütet hatten und danach zur Trikotfahrt nach Köln aufbrachen. Nach dem gesicherten Klassenerhalt völlig gechillt mit dem ICE nach Hannover düsen? Einfach herrlich! Das regelmäßig zu haben, wie bspw. als Bayern-Fan? Ich glaube, ich würde die Lust am auswärts fahren verlieren. Denn Abstiegskampf ist meiner Meinung nach wesentlich existenzieller, als der Fight um die Meisterschaft, der ja ohnehin in Fußballdeutschland meist bereits vor dem ersten Spieltag entschieden ist.
02 (N)immer nuff:
Dadurch dass die Bahn pünktlich Hannover erreicht hatte, führte mich mein Weg zunächst in den Stadtteil Linden. Dieser sieht eher aus wie die Sternschanze in Hamburg als der Großteil der etwas langweilig daherkommenden Landeshauptstadt Niedersachsens. In diesem alternativen Stadtviertel Linden lässt es sich wunderbar speisen. Gibt es in Burgerläden normalerweise eine vegetarische Alibi-Variante, stehen im „Burgernah“ acht fleischlose Varianten auf der Speisekarte des veganen Ladens. Der Knaller: Alle Burger gibt es auf Wunsch auch als Salat zubereitet. Kartoffelecken werden mit zahlreichen Dips zur Auswahl, unter anderem einen Chutney des Tages, angeboten. „Das grüne Gewissen“ – einen gemischten Beilagensalat mit Agavensenfdressing erhältst Du für ein paar Euro mehr dazu. Mein Fazit: Alleine schon wegen dieses Ladens, sollte Hannover erstklassig bleiben, zumal beim Cookie für 1 € als Nachtisch 0,10 € an eine Tierschutzorganisation gehen. Der Spaziergang vom Burgerladen an der Leine entlang zum Stadion war eine nette Alternative zu den bereits mehrfach zurückgelegten Märschen durch die Fußgängerzone mit den immer gleichen Labels zwischen Hauptbahnhof und Stadion. Irgendwann muss ich glaube ich doch mal einen Wanderführer Stadionmarsch schreiben.
03 Kon-Trolle
Die letzten Jahre war die Kontrolle am Gästeblock immer etwas nervig verlaufen. Mein Geldbeutel, den ich mit einer kleinen Kette an der Jeans befestigt hatte, war schon mal Grund für längere Diskussionen. Auch wurde der Geldbeutel schon mal auf Aufkleber penibel untersucht etc. Wenn man den Wall hinauf zum Stadion läuft und links abbiegt, sieht man, wie nutzlos diese Kontrollen in der Vergangenheit waren. Der Sinn, die Stadiontoilette mit Aufklebern zu beschenken, hat sich mir noch nicht erschlossen. Aber vielleicht ist dieses Bekleben auch eine Reaktion auf die unten stattgefundene Kontrolle? Jedenfalls sehen die Toiletten in anderen Stadien nicht so aus – und dort werden keine solch akribischen Aufkleber-Kontrollen durchgeführt. Dieses Mal lief der Check am Gästeeingang problemlos ab. Da ich nüchtern war, wurde ich auch keiner Alkoholkontrolle unterzogen, die in Hannover gerne durchgeführt wird.
04 Kampf um den Mampf
Ist der Burgerladen in Linden bereits erstklassig, ist die Verpflegung in Hannover Championsleague-reif. Erstens sind es nur wenige Schritte vom Block zu Essens- und Getränkeständen. Zweitens ist hier immer genügend Personal vorhanden, um ruckzuck Speis und Trank zu servieren. Drittens ist Barzahlung möglich. Viertens gibt es immer noch den legendären Haloumi-Grillkäse für die Sektion Fleischlos und fünftens gibt es alle Arten an Getränken mit und ohne Alkohol. Es kann eigentlich echt einfach sein, ein gutes Catering hinzubekommen. Hallo Augsburg, Wolfsburg und Ho$$enheim!
05 Käfighaltung
Bis zur 85. Minute haben Rolf und ich den Heimblock im gut aufgelegten Gästeblock gar nicht vernommen. Aber ich gehe d’accord mit Rolfs Meinung, dass die Schüssel was kann, wenn es um etwas geht. Und da wir traditionell wieder Aufbaugegner par Excellence waren, kam dann zum Spielende tatsächlich Stimmung auf und Hannover zu drei Punkten wie die Jungfrau zum Kind. Hm, Kind und Hannover…falsches Thema 😉
Fazit: Der Jahrgang 2018/2019, war ganz ausgezeichnet, da wir diesen als zwangloses Schaulaufen kredenzt bekamen.
Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!
01 Hin und weg:
Die Fahrt nach Dortmund mit der Bahn verlief relativ unspektakulär. Lediglich die Ansage der zwischenzeitlichen Verspätung ließ aufhorchen: „Wir haben eine Ausbildungsgruppe auf der Lokomotive“. Und kurz darauf „Die Lokomotive hat eine technische Störung“. Schließlich „Die Ausbildungsgruppe arbeitet an einer Lösung“ und bald darauf ging es mit sehr geringer Verzögerung im Betriebsablauf weiter. Was jetzt Ursache und was Wirkung war, bleibt ein Geheimnis der Bahn. Aber wenigstens bildet die Bahn noch aus, was leider nicht jeder größere Betrieb in Deutschland von sich behaupten kann.
02 (N)immer nuff:
Über 80.000 Zuschauer müssen alle zwei Wochen in Dortmund aus allen Ecken Nordrhein-Westfalens ins größte Stadion der Republik gekarrt werden. Mittlerweile habe ich jedwede Variante ausprobiert. Mit Ausnahme der Variante zu Fuß vom Hauptbahnhof oder per Fanzug zum Stadion zu gelangen, sind alle anderen Optionen ein ziemlich stressiges Vergnügen. Diesmal wählte ich wieder die U-Bahn. Damit sich die Leute am Hauptbahnhof nicht gegenseitig auf die Gleise stoßen, wird bereits eine Etage oben drüber ein Eingang zu den Gleisen komplett gesperrt und beim zweiten Eingang gibt es eine Einlasskontrolle des Sicherheitsdienstes. Diese Kontrolle gilt für alle Nutzer der U-Bahn, egal ob sie mit der U45 zum Stadion fahren möchten oder mit Fußball gar nichts am Hut haben und wo ganz anders hinfahren möchten. Dortmund lebt Fußball – diesem wird am Spieltag wohl komplett alles untergeordnet. Man kann den Ballspielverein Borussia gut oder schlecht finden, der Großteil der Menschen in der Region ist einfach herzlich und dieses abgedroschene Motto „Echte Liebe“ kommt hier wirklich noch echt rüber. Vier Tage blieb ich diesmal in der Stadt und jeden Tag sah ich Dutzende von Menschen mit BVB-Trikots und anderen Utensilien durch die Straßen ziehen.
Mit stoischer Gelassenheit wurde nachkicks am Stadionbahnhof auf den Zug gewartet. An den beiden unendlich langen Bahnsteigen tummelten sich mehrere hundert Menschen im einsetzenden Schneeregen. Die Ansage verstand niemand. Es hielten hintereinander mehrere Regionalbahnen in Richtung Sauerland mit einem Fassungsvermögen von vielleicht 100 Plätzen – am anderen Ende des Bahnsteigs. Im Aushang stand etwas von Sonderzügen – die Minizüge gab es gar nicht auf dem Fahrplan, weder auf dem Sonder- noch auf dem regulären Fahrplan. Irgendwann fuhr ein extrem langer, leerer Zug ein. Statt anzuzeigen, wohin dieser fährt, war „Fußballsonderzug“ angegeben. Wieder knackste und kruschelte die Ansage und die Menge stieg ein. Die einen wollten nach Soest, die anderen nach Unna, manche nach Hamm. Es war sicher, dass ein Teil dieser Gruppe im falschen Zug gelandet war. Die Gelassenheit, einfach mal einzusteigen und zu schauen was kommt, fand ich schon ziemlich sympathisch. Ich musste nur eine Station fahren und auf mein Nachfragen hin, ob der Zug in Hörde halten würde, bejahten dies alle Umstehenden. Tatsächlich kam ich pitschenass nach ein paar Minuten an meinen Zielbahnhof an. Wohin der Zug weiterfuhr, erfuhr ich dann nicht mehr.
03 Kon-Trolle
„Die Zuschauerzahl des heutigen Abends beträgt 81.365. Damit ist das Stadion wieder ausverkauft“. Traditionell wird diese Ansage so um die 60. Minute vom Stadionsprecher verkündet. Norbert Dickel sprache sie mit ein bisschen Patos in der Stimme aus. Das größte Stadion der Republik wieder bis auf den letzten Platz gefüllt! Alles super!? Keineswegs! Der Gastmannschaft stehen 10% des Fassungsvermögens zur Verfügung, sprich 8.136 Plätze. Nach Aussage von Mainz 05 haben 4.500 Fans des FSV die rot-weißen Jungs in den Pott begleitet. Nun stellt sich die Frage, wer die anderen 3.600 Menschen sind, die sich im Gästeblock aufhielten.
Die Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA ist natürlich ihren Shareholdern verpflichtet – sprich den Aktionären. Diese drängen auf Gewinnmaximierung. Dies setzt wiederum eine möglichst hohe Auslastung des Stadions voraus. Jeder Platz, der nach dem Anpfiff leer bleibt, ist, um im schwarz-gelben Umfeld zu bleiben, wie eine Banane die braun und damit unverkäuflich geworden ist. Wenn es nun Mainz 05 nicht auf die Reihe bekommt, mit über 8.000 Menschen nach Dortmund zu ziehen, verkauft Borussia Dortmund die Karten an andere Interessierte.
Da es im Fußball nur noch ums Geschäft geht, ist diese Maßnahme nachvollziehbar. Aus diesem Grund steht auf den Eintrittskarten des Gästeblocks auch deutlich drauf „Kein Zutritt in BVB-Fankleidung“. Damit sichert sich die schwarz-gelbe Kapitalgesellschaft prima ab. Die Tickets werden verkauf. Es gibt keine Umsatzeinbußen und die Gästefans bleiben zumindest visuell unter sich. Soweit die Theorie.
Für jedes Fußballspiel stellt der gastgebende Verein eine Anzahl an Ordnern, die die existierende Stadionordnung mittels Kontrollen durchsetzen sollen. Allerdings ist es in Dortmund Tradition, dass Zuschauer in schwarz-gelben Fanutensilien in den Gästeblock gelassen werden. Dies sollte doch mit dem Hinweis auf dem Ticket eigentlich ausgeschlossen sein. Dass die Realität ganz anders aussieht, bewies wieder einmal der Samstagabend. Unzählige Groundhopper und Touristen mischten sich unter das Publikum im Gästeblock. Dagegen ist eigentlich nicht viel einzuwenden, denn wenn wir den Block nicht voll bekommen und die Leute dort nicht durch Provokationen auffallen, hält sich da die Schwellung meiner Halsschlagader in Grenzen. Aber leider ließen die Ordner jeden Zuschauer in die beiden Blöcke, der eine entsprechende Eintrittskarte vorweisen konnte.
Lediglich die Ordner von Mainz 05 versuchten bereits vor dem Anpfiff die Sache halbwegs zu regeln. Sie forderten einerseits die BVB-Ordner auf, ihre Arbeit zu machen, und baten höflich schwarz-gelb gekleidete Leute, sich aus dem unteren Bereich des Gästeblocks in den oberen Bereich zurückzuziehen. Spätestens nach dem Dortmunder Führungstreffer hätten die BVB-Ordner dafür sorgen müssen, schwarz-gelbe Provokateure aus dem Block zu geleiten. Aber sie taten nichts. Frei nach Uli Hoeneß sind natürlich die Fans für die Stimmung verantwortlich. Diese war nach dem Führungstreffer merklich verdorben, was aber weniger am sportlichen Geschehen denn am Versagen der BVB-Ordner lag. In der zweiten Halbzeit dominierten die rot-weißen Jungs das Geschehen auf dem Platz und der Funke sprang tatsächlich vom Platz auf den Block über und die Stimmung im Block kochte im positiven Sinne über.
Mit etwas Abstand betrachtet, frage ich mich, warum der BVB nicht aus den Fehlern der Vergangenheit lernt? Sicherlich fahren nicht nur die Nullfünfer sondern auch andere Vereine nicht mit 8.000 Leuten nach Dortmund. Gleichzeitig gibt es zwei Fanblöcke 60 und 61. Wieso ist es nicht möglich, dem Gastverein zunächst nur einen Block für den Vorverkauf zuzuweisen? In diesem Block wären dann die, die immer fahren und die die halt schon früh planen, nach Dortmund zu fahren. Das wäre sicherlich ein Großteil der 4.500 Leute gewesen, die die Nullfünfer begleitet haben. Den anderen Block kann man dann später mit Fußballtouristen und schwarz-gelben Sympathisanten locker auffüllen. Somit hätten alle mehr vom Spiel gehabt. Schließlich flüchteten nach dem Führungstreffer auch schwarz-gelbe „Normalos“ aus dem Block, die nur Karten für diesen Bereich ergattern konnten, weil sie sich im Gästeblock natürlich nicht wirklich wohl fühlten.
04 Kampf um den Mampf
Mehr als 80.000 Menschen mit Futter und Getränken zu versorgen ist eine Kunst für sich. Dass das in Dortmund im Gästebereich auch mit Barzahlung funktioniert, beweist, dass die Einführung von Kartenbezahlsystemen, zumindest im Gästeblock, einfach eine verdeckte Abzockmöglichkeit ist. Nicht jede(r) gibt seine Kate nach Spielschluss zurück. Die Karten haben auch nur eine begrenzte Gültigkeit oder die Firmen, die hinter den Bezahlsystemen stecken, gehen einfach mal Pleite.
Der Sonderschalter für Bier sucht Seinesgleichen in der Republik – orientiert sich aber wenigstens nicht nur an der Gewinnmaximierung sondern auch am Grundbedürfnis vieler Stadionbesucher*innen. Eine vegetarische Frikadelle, die schmeckt und nicht gleichzeitig mit Knoblauchwürze gepimpt wurde, sucht man in den anderen Gästeblöcken der Republik vergebens.
05 Käfighaltung
Anders als in München, wo es als Gast nur „Ameisenfußball“ (Copyright by Rolf) zu sehen gibt, bietet der Block 61 eigentlich eine recht gute Sicht aufs Spielfeld. Leider allerdings auch eine perfekte Sicht auf die Gelbe Wand. Das ist vielleicht ein weiterer Grund, warum es viele Touristen in den Gästeblock zieht. Das Photobombing der Szene mit ihren rot-weiß-goldenen Fahnen verdarb dann doch das eine oder andere Bild, das doch eigentlich das schwarz-gelbe Chaos-Intro zeigen sollte.
Fazit: Der Jahrgang 2018/2019, schmeckte etwas schal, da schwarz-gelbe Zutaten in einem guten Tropfen nichts zu suchen haben.
Wart Ihr schon mal in unserem Fanhaus? Ich habe keine Ahnung, was sich die geistigen Mütter und Väter des Fanhauses vorgestellt hatten, als sie auf die Idee kamen, so etwas in Mainz aufzubauen. Aber vielleicht kommt das, was an dem Freitag, 10 Tage vor Rosenmontag, im Fanhaus ablief, dem recht nahe.
Während im Barbereich das Freitagabendspiel zwischen Werder und dem VfB lief, referierte ein Fußballfan aus Syrien über die Fankultur seiner Heimat. Der Raum war voll von Menschen, die ihm gebannt mehr als zwei Stunden lang ohne Pause zuhörten. Das Publikum war vielleicht genau die Mischung, die den Fanhaus-Macher*innen vorgeschwebt hatte, als sie sich auf die Suche begaben, eine (neue) Heimat für Nullfünfer zu finden und diese schließlich am Alten Rohrlager der Stadtwerke in der Weisenauer Straße unweit des Stadtparks fanden. Viele junge Leute aus der Fanszene gaben sich an dem Abend ein Stelldichein, aber auch Zuhörer*innen, die sicherlich nicht 90 Minuten im Stehblock die Fahne schwenken oder eine Auswärtsdauerkarte besitzen, strömten hinein. Genau solch einen Platz gab es in unserer Stadt bisher nicht wirklich. Kneipen existieren natürlich auch in unserem Städtchen zur Genüge. Bei Locations für Vorträge wird das ganze schon etwas überschaubarer. Die Kombination aus Fußballkneipe und Kulturangebot findet sich aktuell wohl wirklich nur im Kick N‘ Rush, der Fankneipe unseres Fanhauses.
Viele von uns sind an dem Abend vielleicht zum ersten Mal einem Menschen aus Syrien begegnet. Er erzählte uns seine Geschichte und warum er den Schritt in die Öffentlichkeit mit seinem Vortrag gewagt hatte: Beim Smalltalk mit Fremden kommt oft das Gespräch zum Stocken, wenn er erzählt, dass er aus Syrien stammt. Das stimmt mich nachdenklich. Vielleicht erreicht er tatsächlich ein unverkrampfteres Miteinander, wenn er uns über den Fußball in seiner Heimat berichtet.
Natürlich existierte Syrien bereits vor dem Bürgerkrieg, der mittlerweile vor fast acht Jahren begann. Aber viele von uns hatten das Land vorher gar nicht auf dem Schirm. Ich hatte das Glück, das Land 1995 besuchen zu dürfen. Mir gefiel es dort so gut, dass ich gleich im Jahr darauf wieder nach Syrien fuhr, um weitere Teile des Landes und der Region zu entdecken. Da meine Freunde und ich wenig Geld hatten, boten uns die syrischen Hoteliers immer wieder einen Platz für unser Zelt auf dem Dach für ein, zwei Mark an. Überall wurden wir zum Tee eingeladen und eine solche Gastfreundschaft ist mir persönlich außerhalb der Region nur im Iran widerfahren. Seit der damaligen Reise von Mainz nach Syrien auf dem Landweg und weiter bis nach Kapstadt sind in den letzten 24 Jahren unzählige weitere Reisen hinzugekommen. Nur aus Mainz bin ich nie weggezogen. Mainz ist meine Heimat und so sehr ich das Reisen schätze, so sehr liebe ich es, zurück in unser Städtchen zu kommen, zur Familie, zu Sandkastenfreunden, Fußballbekanntschaften und um unser weltoffenes Flair zu genießen, das unsere Stadt wirklich besonders macht und das ja auch ein Teilergebnis der Fanbefragung ist, wie sich viele von uns Mainz 05 vorstellen.
Damals 1995 auf der Reise von Mainz nach Kapstadt wohnten wir der Eröffnung des ersten McDonald’s Rumäniens in Bukarest bei. Den letzten McDonald’s auf der Reise durch Afrika überhaupt fanden wir in Kairo. Coca-Cola gab es in Syrien gar nicht. Starbucks war damals vollkommen unbekannt. Jedes besuchte Land war tatsächlich anders und oft stellten die Länder große Hürden auf, damit wir sie überhaupt besuchen konnten. Wir verbrachten fast eine Woche damit, in Kairo ein Visum für Eritrea zu ergattern. In Äthiopien mussten wir unseren Reisepass als Pfand hinterlegen, damit wir ja wieder ausreisten etc. Internet gab es nicht. Blogger natürlich auch nicht. Auch Ultras gab es 1995 in Deutschland erst in wenigen Ecken der Republik.
Heute ist die Welt ein großen W-LANd, es gibt e-Visa, TripAdvisor, AirBnB und der Kaffee bei Starbucks schmeckt in Südamerika genauso wie in Thailand. Wenn ich durch Fußgängerzonen zum Auswärtsspiel laufe, begegne ich überall denselben Ketten und Labels. In den Gästeblöcken der Republik gibt es fast immer das gleiche Angebot an Speis und Trank. Vieles ist in unserer globalisierten Welt mittlerweile austauschbar und zu einem Einheitsbrei geworden. Gleichzeitig fällt es uns allen sicherlich nicht immer leicht, bei all den schnellen Veränderungen um uns herum, noch hinterher zu kommen. Ich bin der Auffassung, dass wir uns wohl alle nach einem Stück Stabilität sehnen, das uns Halt und eben auch Heimat gibt. Die Fastnacht ist für viele von uns ein großes Stück Heimat. Schon drüben in Wiesbaden bietet sich kaum noch die Möglichkeit zum Schunkeln an. Oder in München in Tracht zu diversen Volksfesten zu marschieren ist ebenfalls so ein Kennzeichen für Heimatverbundenheit. Oder seit nunmehr dreißig Jahren auch das Marktfrühstück im Schatten des Doms.
Zurück zum Freitag ins Fanhaus. Wie müssen sich Geflüchtete hier in Deutschland fühlen, wenn sie aus ihrer Heimat geflohen sind und in diese wohl nie wieder zurückkehren können? In der aktuellen Berichterstattung wird häufig nur darauf eingegangen, dass sich so viele junge Männer aus Syrien hier aufhalten. In dem Vortrag über den Fußball in Syrien berichtete der Fan darüber, dass es zwei Vereine in dem Land gibt, die der Armee bzw. der Polizei unterstellt sind. Dies kennen die älteren unter uns noch aus den Ostblock-Staaten – DDR inklusive. Nur kam es damals nicht zum Krieg mit dem Westen. Den wirklich guten syrischen Kickern wird ein Vertrag in einem der beiden Vereine angeboten und somit sind sie von der Wehrpflicht befreit. Auch das Thema Wehrpflicht kennen nur noch die wenigsten von uns. Ich musste noch schriftlich und glaubhaft versichern, dass ich den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen nicht machen könne: Mein Opa hat mir über seine Erfahrungen aus dem ersten und zweiten Weltkrieg berichtet. Daher habe ich den Wehrdienst verweigert. „Bestraft“ wurde ich dafür mit einem um drei Monate länger dauernden Zivildienst, den ich allerdings nie als „Strafe“ ansah, denn in einem Heim der Lebenshilfe für die Bewohner*innen da zu sein, war für meine weitere Entwicklung sicherlich nicht verkehrt. Aber diese relative Wahlfreiheit existiert in einem Land wie Syrien natürlich nicht. Viele junge Syrer werden seit 2011 vor die Wahl gestellt, Wehrdienst (mit Bürgerkriegseinsatz) abzuleisten, in den Untergrund zu gehen oder die Flucht anzutreten. Damit wären wir wieder in unserer Heimat angelangt. Denn vor diese Wahl gestellt, bestünde bei allen drei Möglichkeiten die große Gefahr, die Heimat nie wieder zu sehen. Hier können wir allesamt drei Kreuze machen, dass wir im Geburtslotto einen Sechser erzielt haben. Eine solche Entscheidung mussten wir in Deutschland seit 1945 nicht mehr treffen. Wir nehmen es als gegeben hin, dass bei uns Frieden herrscht und sich diese Stabilität nicht gravierend ändern kann – trotz der vielen Veränderungen tagein tagaus. Ich bin 1995 auch nicht davon ausgegangen, dass mein Gastland Syrien 16 Jahre später in Schutt und Asche gelegt werden würde.
Der Vortrag konzentrierte sich hauptsächlich auf den Bereich des Landes, den die syrische Regierung kontrolliert. Mäzene außer der Armee und der Polizei gibt es in Syrien nicht. Auch eine Werkself wie bei Bayer oder bei VW gibt es dort nicht. Die Ultras finanzieren sich in Syrien über Fanartikelverkauf von Shirts und Schals. Daher gelten diese Dinge auch nicht als „Material“. Lediglich das Banner einer Gruppe gilt es ggf. zu verteidigen.
Ultragruppen werden in Syrien von offizieller Seite her mit Argusaugen beobachtet, da diese die „syrischen Werte“ nicht verkörpern. Was diese sein sollen, bleibt unklar, da die offiziellen Seiten nur ihr Ablehnung Kund tun. Dadurch dass die Ultragruppen sich in eine Ecke gedrängt fühlen, haben sich die meisten zusammengeschlossen mit dem Ziel sich vorkicks und nachkicks nicht zu belauern. Vielmehr wird solidarisch gemeinsamen gegessen bevor es ins Stadion geht, wo man sich lediglich verbal „bekämpft“. Auch Charity-Aktionen führen die Ultragruppen durch. Diese Gruppen bestehen mittlerweile nicht mehr nur aus Jungs. Mädels bauen ihre eigenen Gruppen auf oder sind Teil der Gruppe.
Zum Abschluss hat der syrische Vortragende eine riesige Choreo gezeigt, in der das zum Ausdruck gebracht wird, was sich wohl alle wünschen: Eine riesige Taube schwebt über den Block, die die Sehnsucht nach Frieden symbolisiert. Eine Waffenruhe, wie sie in Teilen Syriens existieren mag, bedeutet aber keinen Frieden. Ein Friedensvertrag müsste zum Ziel haben, dass alle im Exil lebenden Syrer*innen zurück in ihre Heimat kehren können, ohne Repressalien zu fürchten. Schließlich lebt wohl sicherlich jeder lieber in der Heimat bei der Familie, bei Sandkastenfreunden und Fußballbekanntschaften als in einem fremden Land, bei dem schon die Gespräche ins Stocken geraten, wenn man erzählt woher man stammt.