6. Jahreszeit raus!

Habt Ihr sie schon bemerkt? In unserer goldenen Stadt haben wir ja ohnehin eine Jahreszeit mehr, als der Rest der Welt. Gestern Abend gab es ja sechs Buden zu bewundern, betrauern oder zur Kenntnis zu nehmen. Da fünfsechstel davon auf der falschen Seite geschossen wurden, ist für einige Internetnutzer die Zeit der sechsten Jahreszeit mal wieder gekommen.

Q-Block im Stadion am Europakreisel
Q-Block im Stadion am Europakreisel

Seit dem letztem Heimspiel gegen die Dosen, spätestens aber seitdem der Klassenerhalt in Dortmund gesichert wurde, war die sechste Jahreszeit beendet. Es gab einen souveränen Auftritt zu zehnt bei den Veilchen in Aue zum Start in die neue Spielzeit und ruck zuck wurden 7 Punkte in den ersten drei Spieltagen eingesackt. Das waren wahrlich harte Zeiten für die Fans der sechsten Jahreszeit. Selbst als die rot-weißen Jungs traditionell beim Don auf Schalke in alter Verbundenheit als Aufbaugegner dienten und sie in Gladbach bzw. Leipzig jeweils vier Tore kassierten, war die Zeit für die sechste Jahreszeit noch nicht da. Vielleicht wäre sie vor Weihnachten gekommen, wenn die Diva vom Main mehr als den üblichen Punkt mit zurück zum Nebenfluss genommen hätte – so aber wurde erstmal der Winter in Ho$$enheim mit Last Christmas begrüßt.

Wintersport können Bayern ohnehin besser als Rheinhessen, aber seit letztem Sonntag konnten sich die Anhänger der sechsten Jahreszeit langsam darauf einstimmen, dass nun ihre Stunde gekommen ist. Die Jungs aus der Farbenstadt waren wie sooft eine Wundertüte und gestern Abend hat auf deren Seite einfach alles gepasst. Es geht im Fußball nicht immer nur darum, warum jemand angeblich so schlecht ist, sondern auch darum, dass ein anderer einfach etwas saugut hinbekommen hat – und das sollten wir einfach alle mal akzeptieren, bis auf die Fans der sechsten Jahreszeit natürlich. Denn sie haben sie jetzt ausgerufen. 9 Monate hatten sie darauf wahrscheinlich sehnsüchtig gewartet – es war am Ende dann gar keine schwere Geburt, denn die zweithöchste Heimniederlage in der Bundesliga – Vizekusen halt 😉 – machte es richtig einfach, mal wieder „Schwarz und Schröder raus!“ rauszublöken.

Haddemer schon…? Genau, ist eigentlich so ähnlich wie letzte Saison, denn da korrelierte die fünfte teilweise mit der sechsten Jahreszeit, wenn ich da an die beiden Fastnachtsspiele denke bzw. an die beiden Auftritte am Nebenfluss. Neu für mich ist eigentlich nur, dass die Anhänger der sechsten Jahreszeit anscheinend auf Facebook mittlerweile so wenig Aufmerksamkeit erhalten, dass sie jetzt rüber zu Instagram pilgern und da ihren Frust ablassen. Vor lauter Pöbelei wird da ganz vergessen, dass Instagram eine Bildplattform ist, die mehr vom Visuellen als vom Textlichen lebt. Da aber das Bild für die Anhänger der sechsten Jahreszeit gar keine Rolle spielt, lassen sie direkt ihre Ergüsse in den Kommentaren ab, noch bevor sie überhaupt ein Profilbild erstellt oder gar einen eigenen Bildbeitrag gepostet haben. Doof ist’s halt, wenn man zwar mit den passenden Bildern viele Likes auf Instagram erhält, die Kommentare von den Igers (Instagram Nutzer*innen) aber gar nicht gelesen werden. Und dann kann man die Posts noch nicht mal teilen, damit der Shitstorm so schön groß wird wie in besten Facebook-Hatespeech-Zeiten. Das ist natürlich doof…für die Anhänger der sechsten Jahreszeit. Für alle anderen bleibt die Hoffnung, dass das Netz sich am Ende tatsächlich selbst reguliert und die Fans der sechsten Jahreszeit irgendwann die Finger von der Tastatur nehmen, weil ihre Kommentare eh keine Beachtung mehr finden und bereits das nächste tolle Motiv auf Instagram so viel spannender ist, als die Pöbelei in der sechsten Jahreszeit!

Spätlese Augsburg Jahrgang 2018/19 Ligaedition

Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!

01 Hin und weg:

Warum wir immer wieder sonntags in Augsburg spielen müssen, weiß wohl nur der „Terminator“ bei der DFL – getreu dem Motto: „Es kann nur einen geben“, den Sonntag eben als Spieltag. Im Gegensatz zur letzten Saison, in der wir im Vorfrühling des Aprils die schöne Stadt und das Umland der Metropole Bayerisch-Schwabens vorkicks, bestenfalls im Biergarten, entdecken durften, ging es diesmal gefühlt durch Sibirien aka Schwäbische Alb am Sonntagmorgen runter in den Süden Deutschlands. Dort angekommen, stellte ich zunächst fest, dass der Augsburger Hauptbahnhof gefühlt mit dem BER gleichzieht. Seit Jahren wird dort herumgewerkelt. Der Bahnhofsvorplatz ist ein Containerdorf und die Mischung aus Bauschutt und Schneematsch lädt auch nicht gerade zum Verweilen ein.

Leider kein Biergartenwetter in Augsburg
Leider kein Biergartenwetter in Augsburg

02 (N)immer nuff:

Obwohl ich bereits beim Pokalspiel den Fehler gemacht habe und mit der Straßenbahn nicht frühzeitig zum Stadion aufgebrochen bin, habe ich es wieder getan: Das Spiel erstmal Spiel sein lassen und im Riegele Brauhaus eingekehrt. Düsseldorf mag den längsten Tresen der Welt haben, aber die Riegele „Biererlebniswelt“ hat sicherlich die längste Reihe an Zapfhähnen, aus denen jeweils eine andere Sorte leckeren Gerstensafts fließt. Am Tresen dann noch gleich einen Nullfünfer aus Nackenheim getroffen machten wir uns gemeinsam auf, es mal wieder mit der Straßenbahn zum Stadion zu probieren. Anders als beim Pokalspiel, als ein Polizeieinsatz sämtlichen Bahnverkehr stoppte, zuckelte das Bähnchen diesmal bis kurz vors Stadion. Allerdings nur bis zum Abzweig der Hauptstrecke, da die Oberleitung auf dem Abbringer zum Stadion vereist war. Bereits seit der Ankunft in der Stadt schneite es unentwegt und so durften wir im Schneetreiben die letzte Meile zum Schwabenstadion zu Fuß zurücklegen.

Fassbierauswahl im Brauhaus Riegele
Fassbierauswahl im Brauhaus Riegele

03 Kon-Trolle

„Schlimmer geht immer“, dachte ich mir in diesem Augenblick, wohlwissend, dass das Auswärtsspiel in Augsburg immer für eine böse Überraschung gut ist. Macht der FCA schön auf Familienclub und sonnt sich ein bisschen im Underdock-Image gemeinsam mit Freiburg und Mainz, obwohl sie seit Jahren von einem Mäzen alimentiert werden von dem der SCF und die Nullfünfer nur träumen können, lässt sich deren Ordnungsdienst am Spieltag gegen uns oft etwas „Nettes“ einfallen. Das Netteste dieses Mal: Wir durften die Stadiontoiletten tatsächlich wieder nutzen. Schließlich ist das in Augsburg nicht selbstverständlich, denn Ende Oktober mussten wir noch auf Dixi-Klos ausweichen – weil es beim Spiel davor angeblich zu Sachbeschädigungen im Sanitärbereich gekommen war. Das mag stimmen, ist dann auch wirklich Bockmist, aber warum im Fußball immer wieder Kollektivstrafen en vogue sind, bleibt mir schleierhaft.

Sich endlich wieder im Stadion erleichtern - statt auf dem Dixi-Klo
Sich endlich wieder im Stadion erleichtern – statt auf dem Dixi-Klo

04 Kampf um den Mampf

Es sind daher die kleinen Dinge im Leben, die einem als Gästefan das Leben in Augsburg erleichtern. Bezahlkarte, saftige Preise und alkohohlfreies Bier sorgen ohnehin schon dafür, dass der Umsatz im Gästeblock zu vernachlässigen ist. Aber wenigstens ist es möglich, die Bezahlkarte bereits während der Halbzeitpause zurückzugeben und sich somit ein Schlangestehen im Schneematsch nachkicks zu ersparen.

Schnee im Gästeblock
Schnee im Gästeblock

05 Käfighaltung

Der Gästeblock im Schwabenstadion ist ziemlich steil angelegt. Das merkt man entweder, wenn man vorkicks im Riegele Brauhaus sämtliche neun Fassbiersorten nicht mittels 0,1l-Probierangebot sondern in der traditionellen Nullfünfer-Edition getestet hat oder halt bei heftigem Schneefall das Erlebnis Stadion genießen möchte. Der Bereich unter dem Mundloch war mit einer 5 cm hohen Schneedecke bedeckt. Die Stufen fühlten sich an, als ob sie mit Schmierseife versehen wurden. Auch oberhalb des Mundlochs war es extrem rutschig. Die Wellenbrecher alle drei oder vier Reihen hätten einem im Falle eines Falles wenig geholfen. „Safe Standing“ bei Schneematsch ist in Augsburg nicht drin. Und wieder waren es dann die kleinen Dinge, über die man sich schließlich in der Fuggerstadt am Ende freute. Während die Nullfünfer sich auf dem Platz gegen die Wintersport-erfahrenen Spieler des FCA erfolglos abmühten, gelang es den Mitarbeitern der Augsburger Verkehrsgesellschaft in der Zwischenzeit die Oberleitung zu enteisen, so dass es dann doch recht schnell wieder in die Innenstadt zum Brauhaus Riegele ging.

Fazit: Die Eiswein-Edition Jahrgang 2018/2019 führt einfach zu einem dicken Kopf, aber alles andere hätte in Augsburg an ein Wunder gegrenzt – zum Wohl!

Raus aus der Schublade

Sagt Euch der Name Riku Riski etwas? Ja? Prima, dann hat habt Ihr ein gutes Gedächtnis, denn er schaffte es vor wenigen Wochen in die weltweiten Nachrichten und Ihr habt ihn in diesen schnelllebigen Zeiten immer noch auf dem Schirm. Respekt!

Die Corniche in Doha, Katar.
Die Corniche in Doha, Katar.

Nein, der Name sagt Euch nichts (mehr)? Dann geht es Euch so wie mir und wie fast allen Leuten, die ihn Anfang 2019 auch (noch) nicht kannten. Er blieb einem Trainingslager der finnischen Fußballnationalmannschaft in Katar fern, weil er es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren konnte, dorthin zu reisen. Dass sich ein Fußballprofi mit dem Gewinner der Asienmeisterschaft 2019 und dem Gastgeberland der WM 2022 auseinandersetzt, ist sehr löblich. Dass er zu dem Schluss kommt, aus ethischen Gründen dorthin nicht zufahren, ist seine persönliche Entscheidung.


Zwischenstopp in Katar auf dem Weg nach Baku 2016

Auch die Bayernfans machten am 19. Spieltag auf Katar aufmerksam. In einem überdimensionierten Plakat sah man Rummenigge und Hoeneß von „Hervorragenden Trainingsbedingungen“ sprechen – dabei hatten sie nur Dollarzeichen im Sinn, während im Hintergrund Menschen ausgepeitscht wurden. Der SPIEGEL machte letzte Woche mit einem Artikel auf, der auf das Jahr 2015 zurückgeht, in dem die Handball WM im Wüstenstaat stattfand und ein Geschäftsmann um seinen Lohn gebracht wurde, für eine Last-Minute-Kopie des Weltpokals, die er kurzfristig angefertigt hat – ohne einen Vertrag aufzusetzen… mit der entsprechendem Werbeagentur wohlgemerkt, nicht mit dem Staat Katar. Philipp Köster, Chefredakteur der 11FREUNDE, reiht sich in der aktuellen Ausgabe seines Magazins mit seiner oftmals sehr lesenswerten Kolumne „Rot wegen Meckerns“ unter dem Titel „Lästige Moral“ ebenfalls ein, da Oliver Bierhoff im Auftrag des DFBs Katar auch einen Besuch abgestattet hatte. Für so ziemlich jeden Kommentator ist damit die Lage klar: Der Fußballspieler der Gute, der FC Bayern geldgeil, der DFB unmoralisch und der Geschäftsmann die arme Sau. Ergo ist Katar für sie das große böse Wüstenland, das gerade einmal so groß wie Hessen ist, aber das aufgrund seines Reichtums durch immense Gasreserven (nicht Ölquellen, wie so manch einer behauptet) sich alles leisten bzw. kaufen kann. In unserer komplexen Welt sind wir alle oft etwas überfordert, und wir versuchen unwillkürlich Dinge möglichst rasch zu ordnen. Man kann auch von Schubladendenken sprechen. Doch diese Schwarz-Weiß-Malerei greift in unserer heutigen Welt einfach zu kurz. Aber der Reihe nach.

Die WM nach Katar zu vergeben stieß bei vielen Fußballfans auf strikte Ablehnung. Was bildet sich dieser Zwergstaat eigentlich ein? Aber es ging um die Vergabe einer Fußballweltmeisterschaft. Diese sollten eigentlich alle Mitgliedsstaaten der FIFA ausrichten dürfen, gerade dann, wenn es finanziell in den Rahmen passt, was man beispielsweise von Ländern wie Südafrika oder Brasilien nicht wirklich behaupten kann. Dieses Rumgeheule, nicht nur von vielen Sommermärchen-Fans, erinnert gerade an die so genannte „Traumbundesliga“, in der zahlreiche Traditionsvereine genannt werden, die doch so viel lieber in der ersten Liga spielen sollten als die Jungs aus Mainz oder Freiburg. Und wie ist Katar an die WM gekommen? Wahrscheinlich so ähnlich wie Deutschland 2006. Kann man ablehnen, aber hat es Deutschland tatsächlich besser gemacht?

Einmal die WM an Katar vergeben, kam der nächste Kritikpunkt auf: Auf den WM-Baustellen würden Sklaven arbeiten. Die Aussage von Franz Beckenbauer, er habe in Katar gar keine Sklaven gesehen, lasse ich mal lieber unberücksichtigt. Aber durch die Vergabe der WM an Katar rückte dieses Land in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Plötzlich schaute man hin und stellte Missstände fest. Diese gab es aber nicht nur auf den WM-Baustellen, sondern generell im Bausektor. Ob ein Gastarbeiter auf einer Stadion-Baustelle oder in einem Wolkenkratzer mangels Arbeitsschutz sein Leben lässt, ist unerheblich – der Umstand an sich, dass ein Mensch stirbt, ist eine Tragödie. Daher kann man es auch als Glücksfall bezeichnen, dass das Land jetzt mindestens noch drei Jahre unter der genauen Beobachtung steht, was die Baustellen angeht. Dank guter journalistischer Arbeit tut sich auch etwas. Und der mediale Druck wird sicherlich in der nächsten Zeit nicht geringer. Ende 2018 änderte Katar seine Regeln in Bezug auf den Aufenthalt von Gastarbeitern (und Fußballprofis) im Land. Diese können nun jederzeit das Land verlassen, was früher nicht möglich war, und das ist sicherlich auch ein Verdienst von Menschenrechtsaktivisten.

Die beste Möglichkeit, sich ein Bild von einem Land zu machen, ist allerdings dorthin zu fahren oder mit den betroffenen Leuten zu sprechen, die dort lebten. Ich habe beides gemacht. Doha, die Hauptstadt, war 2016 eine große Baustelle und die meisten Menschen, denen ich begegnet bin, hatten gar keine katarische Staatsbürgerschaft. Sie gehörten zu den besagten Gastarbeitern und hielten sich zeitlich befristet in Katar auf. Jahre zuvor traf ich in Nepal auf einen ehemaligen Gastarbeiter, der in Katar einige Jahre verbracht hatte. Er war dankbar, als Fahrer so viel Geld verdient zu haben, dass er sich, zurück in seiner Heimat, mit seinem erworbenen Auto eine Existenz aufbauen, und mich nun durch den Himalaya-Staat kutschieren konnte. Auf die Arbeitsverhältnisse angesprochen, war er voll des Lobes über das Land – auch diese Geschichten gibt es. Sie klingen halt nur nicht so spektakulär, herzzerreißend und dramatisch, sind aber auch ein Teil der Wahrheit.

Katar möchte sich als Sportnation etablieren. Ob man das nun gut findet oder nicht, wichtig ist, dass die Welt auf das Land und auch seine Nachbarn schaut. Denn dort arbeiten tatsächlich Tausende von Gastarbeitern hauptsächlich aus Südasien, weil sie sich dort mehr für ihr Leben versprechen als in der Heimat. Man stelle sich vor, die arabische Halbinsel wäre kein solcher Jobmagnet und diese Menschen würden über den Iran und den Irak in die Türkei und nach Europa flüchten, da sie sich dort ein besseres Leben als in Pakistan, Indien oder Sri Lanka versprächen.

Einige Nachbarstaaten verstehen sich aktuell gar nicht mit Katar. Sie versuchen Katar sogar ziemlich zu isolieren. Al Jazeera, der einzige TV-Sender in der arabischen Welt, in der Pressefreiheit gelebt wird, und der sehr stark mit der weltweit anerkannten BBC kooperiert, hockt in…Katar. Und eine der Forderungen der Nachbarn an Katar ist Al Jazeera endlich zu schließen, sprich das zarte Pflänzchen der Pressefreiheit in dieser Region endlich kaputt zu treten, damit man zu Hause wieder ungestörter sein Ding drehen kann.

Ich denke das Beispiel Katar zeigt, dass es heute nicht mehr so einfach ist, ruckzuck ein Urteil zu einem Sachverhalt zu fällen. Vielleicht war es das auch früher nicht. Auf den ersten Blick scheint Katar vielen ein Staat zu sein, den es komplett abzulehnen gilt. Beim näheren Hinschauen fällt uns dann vielleicht auf, dass wir in einer mittlerweile seit Jahrzehnten funktionierenden Demokratie leben und unsere Nachbarstaaten uns nicht feindlich gesinnt sind. Welcher Staat außer Israel ist in der Region eine Demokratie? Richtig, der Jemen! Und da stellt sich dann doch die Frage, ob wir mit unserem westlichen Gesellschaftsverständnis überall ein Copy/Paste durchsetzen wollen, um einen Staat toll zu finden. Das hat in Afghanistan nicht funktioniert und der Arabische Frühling ist letztlich auch überall gescheitert. Übrigens war Katar eines der Länder, in denen es keine Proteste während des Arabischen Frühlings gab – vielleicht weil die Einwohner mit dem autokratischen Stil des Emirs aufgrund des Wohlstands zufrieden sind und Meinungsfreiheit in Katar (im Vergleich zu seinen Nachbarn) nicht vollkommen fremd ist, 70 % der Immatrikulierten auf den Unis von Katar Frauen sind und Homosexualität laut Auswärtigem Amt in Berlin nicht aktiv verfolgt wird.

Sich mit Katar auseinanderzusetzen ist gut. Das Katar-Bashing von manchen Leuten bringt mediale Aufmerksamkeit und Zuspruch von fast allen Seiten. Sich in diesem Zusammenhang für die Rechte von Homosexuellen und von Frauen mit Hilfe von ein paar Zeilen „einzusetzen“ ist sicherlich nicht verwerflich, aber den Betroffenen vor Ort bringt eine Kolumne in einem deutschen Magazin für Fußballkultur sicherlich so rein gar nichts. Das erinnert ein bisschen an die Kritik in den sozialen Netzwerken „weißen, alten Männern“ gegenüber. „Weiße, alte Männer“ sind in diesem Zusammenhang, wir Menschen aus der westlichen Welt, die schon immer wussten, dass das was für uns gut ist, auch gut für alle anderen Erdenbewohner ist. Ja, die Demokratie ist auch meiner Meinung nach die beste Staatsform, die es real existierend gibt. Aber auch bei uns hat es Jahrzehnte gebraucht, um diese gedeihen zu lassen. Es ist ja auch nach wenigen Jahren erst mal 1933 gescheitert. Und bis 1989 war dieses in Teilen Deutschlands weiterhin nicht präsent. Gleichzeitig sollte man es auch tolerieren, wenn Menschen in anderen Regionen sich nicht für die Demokratie stark machen, weil sie vor ihrer Haustür erleben, was in einer Demokratie wie dem Jemen gerade abgeht. Wenn wir vor die Wahl gestellt werden: Auf der einen Seite Demokratie, Bürgerkrieg, Hunger und fehlende Versorgung der Kranken und andererseits Autokratie, Wirtschaftswachstum, relative Meinungs- und Pressefreiheit, gratis Krankenversorgung, ist es nur menschlich, sich für letzteres zu entscheiden

Der FC Bayern und der DFB haben mit ihrer Katar-Connection die Chance, Missstände anzusprechen – hinter verschlossenen Türen und nicht im Rahmen einer Pressekonferenz, einer Pressemitteilung oder einem Social Media Post. Mit Dr. Jörg Englisch hat der DFB einen Compliance-Beauftragten, dessen Aufgabe es sein sollte, mit Katar Themen wie Arbeitsschutz, Mindestlohn, die Rolle von Minderheiten etc. zu besprechen. Gleiches gilt für den FC Bayern, der einen Compliance-Beauftragten endlich einstellen sollte. Journalisten sollten weiterhin das Land kritisch beobachten und bei den Rechten der Gastarbeiter genau hinschauen. Denn schließlich ist es eigentlich eine gute Sache, dass Katar so die Weltöffentlichkeit sucht und die Nähe zu den Erfolgreichen im Fußball. Es gibt 195 Staaten auf der Erde und in vielen läuft vieles falsch. Nur wenige wie Katar suchen das Licht der weltweiten Öffentlichkeit. Dies gilt es zu nutzen, um in diesen Staaten tatsächlich etwas zu bewegen, damit ein mündiger Spieler wie Riku Riski zukünftig ohne schlechtes Gewissen dorthin reisen kann und sich im besten Fall selbst ein Bild von der Lage vor Ort zu machen, ggf. Aktivisten zu treffen, statt einfach den Kopf in den Sand zu stecken und das Land zu meiden.