Spätlese Aue Saison 2022/2023

Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!

01 Hin und weg:

Zugegeben, ich habe mich zunächst über die Terminierung dieses Pokalspiels aufgeregt, da Aue nunmal von der Lage her gefühlt das Vladiwostok der Proficlubs im deutschen Männerfußball ist. Um 21.08 Uhr fährt die letzte Bahn nach Zwickau und um 18.00 Uhr sollte der Anpfiff sein. Da Mainz 05 und Pokalwettbewerbe nicht gerade ziemlich beste Freunde sind, müssen wir natürlich immer mit Elfmeterschießen rechnen. Dadurch wäre es unmöglich gewesen, die letzte Bahn in Richtung Fernverkehrsanschluss zu bekommen. Erst vor ein paar Tagen ist schließlich auch mir aufgefallen, dass zeitgleich das Finale der Frauen-EM in London stattfinden sollte. Eine blödere Terminierung gibt es wohl wirklich nicht. Es bleibt zu hoffen, dass dies das letzte Mal war, dass der DFB zeitgleich Spiele seiner eigenen Wettbewerbe mit denen von Teams terminiert, die an anderen Wettbewerben teilnehmen. Dass der DFB auf Bahnfahrpläne und damit auf eine klimafreundliche Anreise Rücksicht nimmt, bleibt wohl eine Utopie.

Zusammengeklapptes Klapprad im Gepäckfach des ICEs.
Perfektes Einparken im ICE

Mit dem Weserfunk-Podcast auf den Ohren, der die CSR-Managerin von Werder Bremen zu Gast hatte, und den Trainingslager-Podcast-Folgen der Hinterhofsänger, ging es von Mainz um kurz nach 8 Uhr am Sonntagmorgen mit dem Klapprad im ICE in Richtung Sachsen. Vor einem Jahr feierte diese Kombi Zug/Klapprad beim Pokalspiel in Elversberg Premiere, da es dort keinen Bahnanschluss gibt und ich vom Bahnhof Neunkirchen zum Stadion fuhr. Diesmal nahm ich den Drahtesel mit, da das einzige Hotel in Aue bereits eine Stunde nach der Terminierung ausgebucht war und ich somit im benachbarten Bad Schlema übernachten musste. Zwischen den beiden Orten verkehrt stündlich die Bahn, die, bekanntermaßen aber auch nach 21:08 Uhr nicht mehr fährt. Daher nutze ich für die fünf Kilometer zwischen Hotel und Stadion wieder das Rad.

Bewaldeter Hügel mit vier Flutlichtmasten und einem Neubaugebiet und einer Straßenbrücke.
Blick auf das Erzgebirgsstadion von Bad Schlema aus

Alle Züge waren pünktlich, so dass ich genügend Zeit hatte, noch den nächsten Blogpost vorzubereiten, denn die Sommerpause bei Mainz 05 hatte es ja doch in sich…Stichwort Leitbild, Saudi-Arabien und die Trophäe schlecht hin, die  „Klimaneutralität“.

02 (N)immer nuff:

Die kurze Radtour von Bad Schlema zum Erzgebirgsstadion hatte es tatsächlich in sich. Zunächst ging es einen Hügel in Richtung Aue hoch, weiter durch den Wald mit nettem Blick auf die Flutlichtmasten des Erzgebirgsstadion und auf das Ringer-Leistungszentrum „Lothar Lässig“ (heißt wirklich so) am Straßenrand. Danach ging es im Schuss steil bergab in die Auer Innenstadt und dann wieder steil nach oben hinauf zum Stadion. Nach den sechs Stunden im Zug war das allerdings eine willkommene Abwechslung.

Klapprad vor einem Stadion.
Ankunft im Schacht

03 Kon-Trolle

Die Security hatte kein Problem damit, das Klapprad an den Zaun anzuschließen. Die folgende Sicherheitskontrolle war ebenso easy absolviert und niemand störte sich daran, dass ich meine Fahrradbeleuchtung mit hineinnehmen wollte – in Mainz ist das ja immer ein Drama. Als ob jemand seine 50 bis 100 Euro teure Beleuchtung auf den Platz schmeißen würde… Allerdings durfte ich eben diesem Grund auch schon mal ein iPad-Mini auf Schalke abgeben. Da lob ich mir den Auer Realismus wirklich.

04 Kampf um den Mampf

Gab es sie noch oder gibt es sie nicht mehr? Das ist bei jedem Gastspiel in Aue die Frage, die sich Auswärtsfahrende jedes Mal aufs Neue stellen. Ja, es gab die „Nudelpfanne“ oder den „Nudeltopf“, der mittlerweile aber schlicht nur noch „Nudeln mit Wurstgulasch“ heißt. An meine erste Nudelpfanne in Aue 2008 habe ich kaum noch Erinnerung.  War sie vegetarisch oder mit Fleisch versetzt? Keine Ahnung. Mittlerweile versuche ich, auf Fleisch zu verzichten und landete erstmal bei einer Riesenbrezel für drei Euro. Da ich seit der Abfahrt in Mainz nichts gegessen hatte, sättigte die Brezel mehr so weniger. Also entschied ich mich für die „vegetarische“ Variante, die aus Nudeln und Gouda-Käse bestand. Da die Ketchup-Töpfe zur Selbstbedienung herumstanden, garnierte ich den Nudeltopf mit Ketchup. Das Ergebnis war nicht wirklich prickelnd, aber im Vergleich zu den Brötchen, die es letztes Jahr als fleischlose Alternative in Elversberg gab, war das ja schon fast das Paradies.  

Ketchup- und Senftopf hinter einem Plastikteller mit Nudeln und Gouda-Käse.
Die vegetarische Version der Nudelpfanne

05 Käfighaltung

Allerdings hatte der DFB ja diese erste Pokalrunde dem Klimaschutz gewidmet. Dazu wurde auch ein Wettbewerb ausgelobt, dass der Amateurverein, der die meisten vegetarischen Gerichte verkauft, eine Belohnung vom DFB erhält. Aue hatte da wohl keinen Bock drauf und servierte tatsächlich nur die Brezel. Die Wurstnudeln wurden auch noch schön im Einweg-Plastiktopf serviert. Wenigstens waren die Löffel schon aus Holz. Nun wäre es natürlich wenig nachhaltig, Restbestände an Plastik-Einweg wegzuschmeißen. Und die vegetarische Nudelvariante hätte wahrscheinlich auch kaum jemand gewünscht. Daher war das alles irgendwie nachvollziehbar.

Aber pünktlich um 18 Uhr zeigte der Verein sehr deutlich, was er vom Klimaschutz hält. Alle Spiele in dieser ersten Pokalrunde wurden eine Minute später angepfiffen, damit diese Minute für einen Appel für den Klimaschutz genutzt werden sollte. Der Stadionsprecher las wahrscheinlich den vom DFB entworfenen Text vor, nur verstanden hat man nichts. Das lag nicht am lokalen Dialekt sondern vielmehr erklang das Steigerlied über die Stadionlautsprecher in ohrenbetäubender Lautstärke. Ein eindeutigeres Statement, wie man bei Erzgebirge Aue zum Thema Klimawandel steht, kann man eigentlich nicht zeigen. Gleichzeitig brennen 100 Kilometer weiter in der Sächsischen Schweiz die Wälder…

Jubelnde Menschen, Fahnen, Doppelhalter in einem Fußballstadion.
Blick aus dem Gästeblock auf den Platz

Dass Fans die Aktion wie in Dresden auspfeifen – geschenkt. Schließlich steht der Verband wegen zahlreicher Dinge in der Kritik. Dass aber ein Mitglied des DFB, die Aktion des eigenen Verbands torpediert, hat schon eine ganz andere Qualität. Anzunehmen, dass sich der Verein bei einem Teil der Fan anbiedern wollte, statt der Linie des DFBs zu folgen. Wahrscheinlich hat man bei den Veilchen mehr Angst vor einigen Stadiongänger*innen als davor aufgrund des menschengemachten Klimawandels zu vertrocknen. Der DFB ist ja bei Vergehen von Fans recht schnell dabei mit Strafen und Sanktionen aller Art. Es bleibt spannend, ob diese Aktion des Vereins ein Nachspiel haben wird. Wenn nicht, ist das nächste Pfeifkonzert sicherlich nur eine Frage der Zeit. Und nun ja, die Quittung gab es dann von den Klimaverteidigern aus der goldenen Stadt am Rhein, die am Ende recht souverän gegen die Lila-Laune-Klimaaktionsverweigerer gewonnen haben.

Fazit: Der Jahrgang 2022/2023 zeigt, dass das Klima beim Thema Klimawandel ziemlich aufgeheizt ist.

Rot-weiße Grüße,

Christoph – Meenzer on Tour

Mission klimaneutrale Bequemlichkeit

Das Bundesliga-Team des 1. FSV Mainz 05 gastiert aktuell in Grassau südlich des bayerischen Chiemsees, um sich auf die neue Saison vorzubereiten. Als am Dienstag letzter Woche Mainz 05 via Twitter bekannt gab, dass der Teambus bereits Grassau erreichte und das Team am Mittwoch nachkommen würde, löste das bei manchen Leuten Irritationen aus, da damit klar war, dass das Team nicht mit dem Bus anreisen würde.

Vom Wolfgang Frank-Campus zum Team-Hotel sind 521 Kilometer zurückzulegen. Mit dem Auto lässt sich die Strecke in zirka 5 Stunden bewältigen. In derselben Zeit lässt es sich vom Mainzer Hauptbahnhof zum Bahnhof Rosenheim mit dem Zug fahren. Mit dem Bus wäre man sicher eine Stunde länger unterwegs, müsste aber nicht in Mannheim und München umsteigen.

Am Mittwoch war dann klar, wie die Mannschaft in den Chiemgau gelangen würde. „Mainz 05 International“ war angesagt. Zunächst fuhr man mit einem Bus zum Flughafen Frankfurt. Von dort ging es mit dem Flieger nach Österreich, genauer gesagt nach Salzburg. Dort wurde das Team dann mit dem bereits vor Ort befindlichen Bus nach Grassau zurück nach Deutschland befördert.

Selbstverständlich steht es dem Verein frei zu entscheiden, wie man von A nach B gelangt. Im Netz wurde die Entscheidung das Flugzeug zu nehmen allerdings durchaus kontrovers diskutiert. Das Hauptargument derjenigen, die Verständnis für den Flug aufgebracht haben, war die Regeneration der Spieler.

Im September 2020 flog „Die Mannschaft“ während der Nations League von Stuttgart nach Basel. Damals ging es um eine Busfahrt von dreieinhalb Stunden. Die Zahl der zumeist negativen Reaktionen im Netz waren damals natürlich deutlich höher und die Stuttgarter Zeitung hat im Nachgang den Sportmediziner Andreas Hoffmann zu dem Thema Regeneration befragt. Er ist Betreuer der Volleyball-Bundesligamannschaft der Damen des Allianz MTV Stuttgart. Hoffmann sagt:

„Der Einfluss ist relativ gering. Wenn man am Tag zuvor allerdings viel trainiert und zum Beispiel viele Sprints absolviert hat, ist die Muskulatur leicht übersäuert. Da ist langes Sitzen sicherlich eine unangenehme Situation. Die Beine sind angewinkelt und die Muskulatur wird schlechter durchblutet. Deshalb ist langes Sitzen keine optimale Weise der Regeneration, die gerade beim Profi-Sport enorm wichtig ist. Es kommt nämlich oft darauf an, wer in den letzten zehn Minuten eines Spiels ausgeruhter ist und die bessere Ausdauer hat. Generell kann man sagen, dass der Einfluss geringer ist, je länger die Pause zwischen Spielen ist.“

Bei der Nationalelf ging es damals darum, zwischen zwei Pflichtspielen innerhalb weniger Tage das Flugzeug zu nutzen. Das letzte Pflichtspiel der Nullfünfer fand im Mai statt. Das nächste findet Ende Juli statt. Aber selbst zwischen den Testspielen in diesem Juli liegen mehrere Tage, so dass das Argument nicht wirklich stichhaltig ist.

In dem Interview sagt Hoffmann weiter, zum Thema Regeneration „Ich denke, das war die einzig sinnvolle Ausrede, die man finden konnte.“ Er vermutete bei der Nationalmannschaft, dass die Logistik der entscheidende Faktor war. Sprich, es war anzunehmen, dass der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle gespielt hat.

Wenn man nun davon ausgeht, dass es zirka sieben Stunden dauert, um von Mainz mit dem Bus nach Grassau zu fahren und es vielleicht ein wenig kürzer wäre, würde man die Bahn nehmen, wie sieht es dann mit dem Flugzeug aus?

Bekanntlich wurde mit dem Bus zum Flughafen angereist. Dafür muss man zirka 35 Minuten veranschlagen. Aktuell empfehlen die meisten Airlines etwa 3 Stunden vor dem Abflug am Flughafen anzukommen. Der Flug dauert inklusive Rollen auf der Start- und Landebahn 1:10 Stunde. Angenommen, die Jungs sind nur mit Handgepäck geflogen (weil ihr Gepäck bereits mit dem Bus vorgefahren ist) braucht man ca. eine Stunde vom Aussteigen aus dem Flugzeug bis ins Teamhotel mit dem Bus. Insgesamt kommt man also auf 5:45 Stunden. Grob gesagt, gewinnt man damit eine Stunde im Vergleich zur reinen Busfahrt. Im Vergleich zur Zugfahrt spart man wahrscheinlich gar keine Zeit ein, muss aber nicht umsteigen.

Der Grund, warum das Flugzeug genommen wurde, liegt also weder in sportmedizinischer Natur begründet noch im Zeitmanagement.

Mainz 05 war mal Pionier. 2010 wurde man (wahrscheinlich auch wegen eines Sponsors aus dem Energiesektor) klimaneutral. Damals haben sich die wenigsten von uns mit dem Thema Klimaneutralität beschäftigt. Daher war damals diese Mission Klimaverteidiger ein wirklich löbliches Projekt, für das der Verein sicherlich bundesweit viel zu wenig Lorbeeren erhalten hat.

In den letzten 12 Jahren hat sich in Sachen Klima einiges verändert – gerade auch im Luftverkehr. Eine Airline hat 2019 beispielsweise die Botschaft „Fly Responsibly“ ausgesendet. Neben dem verantwortungsbewussten Fliegen, rief die Airline dazu auf, Alternativen zum Fliegen zu nutzen, also auch mal auf das Fliegen zu verzichten.

Denn natürlich ist der Flugverkehr grundsätzlich in unserer Welt unverzichtbar. Wenn wir nur daran denken, dass zum Beginn der Pandemie Masken aus China schnell nach Europa geliefert werden mussten. In einer globalisierten Welt leben Familien mittlerweile zerstreut auf vielen Erdteilen. Forschende müssen sich persönlich treffen, da nicht alles über Video-Schalte funktioniert. Fremde Länder zu bereisen, baut Vorurteile ab, Verständnis füreinander auf und so weiter und so fort.

Es geht also nicht darum, gar nicht mehr zu fliegen. Es sollte aber im Jahre 2022 darum gehen, das Flugzeug dann zu nutzen, wenn es Sinn macht – möchte man ein Vorbild sein. Und Mainz 05 trommelt, was das Thema Umwelt angeht, ziemlich viel und für seine Verhältnisse ziemlich laut.

Vielleicht sind diese Woche die Emotionen auch so hoch gekocht, weil der Verein mit seiner Klimaneutralität permanent wirbt. Und vielleicht haben wir dabei ein falsches Verständnis, was es mit Klimaneutralität auf sich hat. Dass der Verein formal als klimaneutral gilt, steht außer Frage. Auf seiner Webseite schreibt der Verein selbst, dass es aktuell „bislang gesetzlich keine Vorgaben“ gibt. Der Verein orientiert sich am so genannten Greenhouse Gas Protocol. Demnach werden CO2-Emissionen in drei Bereiche, so genannte Scopes, unterteilt:

  • Scope 1: direkte Emissionen durch eigene Autos und Gebäude inklusive Stadion
  • Scope 2: Zugekaufte Energie
  • Scope 3: vor- und nachgelagerte Emissionen die durch den Erwerb von Produkten, Dienstleistungen. Die An- und Abreise von Fans zu den Spielen gehört ebenfalls dazu.

Dadurch ergibt sich ein Wert an CO2-Emissionen. Damit Mainz 05 als klimaneutral gilt, müssen diese Emissionen ausgeglichen werden. Dafür kauft Mainz 05 Zertifikate eines Klimaschutzprojekts in Ruanda. Wie bereits geschrieben, ist es auf jeden Fall löblich, das CO2 zu kompensieren. Allerdings wird auf der Vereinsseite nicht geschrieben, wie lange es im Rahmen dieses Klimaschutzprojekts dauert, bis das CO2 eingespart wird.

Solche Ausgleichsprojekte stehen oft in der Kritik, gerade weil es an Transparenz fehlt. Daher empfiehlt das Umweltbundesamt, möglichst in Projekte zu investieren, die vom Goldstandard zertifiziert sind: „Achten Sie bei Kompensationsanbietern auf diese Zertifizierung. Die Gold-Standard-Foundation ist eine Non-Profit Zertifizierungsorganisation, die in der Schweiz registriert ist. Berechtigt zur Zertifizierung durch „The Gold Standard“ sind nur Projekte, die nachweislich zur Reduktion von Treibhausgasen führen und gleichzeitig gut für die lokale Umwelt und soziale Belange der Bevölkerung sind.“

Auf der Mainz 05-Seite steht nicht, wie das Projekt in Ruanda zertifziert ist. Im Umkehrschluss bedeutet es nicht, dass das Projekt in Ruanda schlecht ist. Es ist aber vielen Menschen nicht bewusst, dass es teilweise 10 Jahre dauert, bis die Menge an ausgestoßenem CO2 mit Hilfe solcher Projekte kompensiert ist. Daher wäre es wünschenswert, wenn das auf der Vereinsseite angegeben würde.

Da ist die Luftverkehrsbranche bereits einen Schritt weiter und bietet die Möglichkeit, so genanntes Sustainable Aviation Fuel (SAF), also nachhaltiges Kerosin zu kaufen. Dieses reduziert den CO2-Ausstoß direkt beim Fliegen um mindestens 75% und nicht erst 10 Jahre später. So etwas kostet allerdings Geld. Während auf dem Portal Compensaid die Kompensation über gewöhnliche Projekte schon für 1,34 € auf der Strecke Frankfurt – Salzburg zu haben ist (bei 10 Jahren Dauer der Kompensation) kostet es 42,88 €, wenn der Flug mit SAF durchgeführt wird.

Screenshot der CO2-Kompensation für den Flug Frankfurt-Salzburg über 10 Jahre
Screenshot der CO2-Kompensation für den Flug Frankfurt-Salzburg über 10 Jahre

Anzunehmen, dass die Kosten für das Projekt in Ruanda vergleichbar sind, mit den Kosten der 10-jährigen Kompensation. Möchte man direkt relativ klimaneutral sein, kostet das ein Vielfaches dessen, wie das oben genannte Preisbeispiel zeigt. Daher sei nochmals daran erinnert, was die eine Airline 2019 geschrieben hat: Fly Responsibly

Das deckt sich letztlich auch mit den Ansprüchen, die Mainz 05 auf seiner eigenen Seite formuliert: „Mittels des neu berechneten Fußabdrucks werden wir nun wie auch in der Vergangenheit Verbesserungspotenziale identifizieren, um Emissionen zu verringern oder im besten Fall zu vermeiden. Hier möchten wir in den kommenden Jahren noch gezielter Emittenten analysieren, um langfristig Verminderungsziele zu formulieren und Maßnahmen einzuleiten.“

Mainz 05 sollte also analysieren, wo Emissionen einzusparen sind. Steht im nächsten Jahr die Reise nach Grassau an, ist es ein Leichtes, die Emissionen zu senken. Statt zu fliegen, sollte der Bus oder die Bahn genommen werden. Und wenn das ganze Material nicht in den Bus passt, liegt es auf der Hand, einen Transporter zu mieten. Flüge über 10 Jahre zu kompensieren und damit einfach auf die Klimaneutralität zu verweisen passt nicht zur Mission Klimaverteidiger. Denn das Vermeiden oder wenigstens das Reduzieren sollte immer an erster Stelle stehen. Nur das, was sich nicht vermeiden lässt, sollte kompensiert werden. Diese These stelle nicht ich auf, sondern ist ja so auf der Mainz 05-Homepage nachzulesen, wie das Zitat oben zeigt.

Möchte man diesen selbst gesteckten Zielen genügen, sollte es also kar sein, wie man sich im nächsten Jahr entscheidet.  Es sei denn, das nächste Trainingslager findet wieder in den USA statt. Wie es dann mit der Regeneration auf einem Acht-Stunden-Flug aussieht, müsste allerdings noch geklärt werden.

Und aus welchem Grund ist der Verein jetzt genau nach Grassau geflogen?

Er selbst schreibt dazu nichts. Anzunehmen, dass es die Bequemlichkeit war. Und zwar die Bequemlichkeit, es so zu machen, wie man es immer schon gemacht hat. Dabei sollte man als Fußballsportverein wissen, dass man es dem Gegner leichtmacht, wenn man ausrechenbar ist und seine Strategie nicht ändert. Das gilt auch für die Klimaverteidiger von Mainz 05. Vom Pioniergeist 2010 ist leider 2022 nicht mehr viel übriggeblieben. Ähnlich wie beim Leitbild orientieren sich die handelnden Personen nicht an den Ambitionen, die sich der Verein selbst auf die rotweißen Farben geschrieben hat. Eigener Anspruch und die gelebte Wirklichkeit klaffen wieder einmal komplett auseinander.

Quellen:
FSV Mainz 05 – Klimaneutralität

Compensaid – fly CO2-neutral

Nationalelf fliegt von Stuttgart nach Basel – Das sagt ein Sportmediziner – Stuttgarter Zeitung

The Gold Standard | Umweltbundesamt


Konsequent inkonsequent

Die letzte Woche waren Tage der Wahrheit für den 1. FSV Mainz 05. Schließlich zeigte sich anhand der Kommunikation durch die Vereinsführung, welche Prioritäten sie setzt. Besonders anschaulich wurde dies durch das Statement am Dienstag „Testspiel gegen Newcastle findet statt“ dargelegt. In diesem wird klar und deutlich verkündet, dass es um das Sportliche und das Finanzielle geht.

„Ein Testspiel gegen einen englischen Traditionsklub ist für uns zunächst ein sportliches Kräftemessen.“, sagt Präsident Stefan Hofmann. „Der Verein trage aber vor allem auch die Verantwortung, dem Sport eine optimale Vorbereitung zu ermöglichen. Die Partie sei neben der Begegnung gegen Athletic Bilbao die einzige richtige Testmöglichkeit für die Nationalspieler, die erst im Trainingslager in die Vorbereitung einsteigen.“  Und weiter „Aus sportlicher Perspektive können wir auf dieses Testspiel nicht verzichten.“

Es steht und fällt also angeblich alles mit diesem Testspiel. Das ist meiner Meinung nach arg übertrieben, denn wenn Newcastle eine B-Elf auf den Platz bringt oder die „Magpies“ ausgebrannt vom Training am Morgen sind, was in Trainingslagern durchaus im Bereich des Möglichen liegt, dann hat dieses Spiel am Ende auch keinen Einfluss auf eine optimale Saisonvorbereitung. Ich erinnere nur ungern an das Testspiel 2006 gegen Liverpool (*singan* „Tobi Damm ist besser als der Thurk“ *singaus*), das 5:0 gewonnen wurde. Danach folgte in der Hinrunde noch genau ein Sieg und im darauffolgenden Mai der Abstieg. Von daher sind das Phrasen, die es zu publizieren gilt, wenn eigentlich etwas Anderes im Vordergrund steht – das Finanzielle nämlich.

Dieses ist sicherlich nicht nur in Mainz die Priorität im Profifußball. „Eine einseitige Absage durch uns, wie von manchen Fans gefordert, ist nicht denkbar, da diese aufgrund der vertraglichen Verpflichtungen gravierende juristische und wirtschaftliche Folgen für uns haben könnte und wir grundsätzlich zu unseren vertraglichen Vereinbarungen stehen.“, sagt Christian Heidel. Sprich, es würde den Verein viel Geld kosten, das Testspiel abzusagen. Umgekehrt versucht der Verein möglichst viel Geld durch Sponsoring einzunehmen. So wurde ebenfalls letzte Woche der Sponsoring-Vertrag mit dem chinesischen Wettanbieter zum zweiten Mal um ein Jahr verlängert.

Wenn man sich die Finanzen von Mainz 05 anschaut, dann stellt man fest, dass zum abgelaufenen Geschäftsjahr 2020/21 im Vergleich zum Vorjahr das Fremdkapital bei Mainz 05 massiv gesunken ist (-48 Prozent). Sprich die Strategie von Mainz 05 ist, Schulden abzubauen. Das ist sehr löblich und in Rheinland-Pfalz nicht unbedingt Standard unter Profi-Fußballvereinen. Einen anderen Weg haben da übrigens zwei Vereine eingeschlagen, bei denen Mainz 05 bisher immer so ein bisschen um den einen oder anderen Spieler konkurriert hat. Der SC Freiburg hat im gleichen Zeitraum sein Fremdkapital um 58 Prozent erhöht. Und Union Berlin ist schon länger komplett überschuldet und muss hoffen, möglichst viel Kohle in der Europa League zu generieren. Von daher ist es wahrscheinlich Konsens unter den Mitgliedern des Vereins, dass der Weg, diese konservative Finanzstrategie zu gehen, zum Wohle des Vereins ist.

„Die Verantwortlichen haben in der Frage des Umgangs mit dem geplanten Testspiel ein differenziertes Meinungsbild innerhalb des Vereins wahrgenommen. Sie wollen die Diskussionen daher zum Anlass nehmen, im Rahmen eines Treffens mit Fanvertretern die grundsätzliche Haltung des Vereins zu erörtern und dabei auch das gemeinsame Verständnis des Leitbilds zu diskutieren.“

Mit diesen Worten endet das Statement zum Festhalten am Testspiel gegen Newcastle. Interessant ist auch, was in diesem Statement nicht vorkommt. Ein Eingestehen eines etwaigen Fehlers findet man schlicht nicht. Folglich sind die handelnden Personen davon überzeugt, alles richtig gemacht zu haben. Es wird also auch in Zukunft immer das Finanzielle die Priorität haben. Das Sportliche ist die Prio Nummer 2 und danach kommt dann „das Gedöns“, wie zum Beispiel das Leitbild, das die Mitglieder-Versammlung legitimiert hat. Daher wäre es naiv zu glauben, dass der Verein in Zukunft in einer ähnlichen Situation anders agieren würde, wie manche Kommentierende in den sozialen Netzwerken meinten. Die Chuzpe zu haben, ein Mitglieder-Votum einfach mal außen vor zu lassen, ist schon ziemlich starker Tobak. Dann aber gönnerhaft ein Gespräch mit den Fans anbieten, in dem das gemeinsame Verständnis des Leitbilds diskutiert werden soll, ist halt konsequent inkonsequent. Da wäre mir eine Aussage wie „das Leitbild ist Folklore, basta“ einfach lieber, weil es wenigstens ehrlich wäre.

Es ist anzunehmen, dass es den Macher*innen des Leitbilds darum ging, eine Art „Grundgesetz“ für den Verein zu entwickeln. Es ging um den „Mainzer Weg“ und darum, was Mainz 05 ausmacht. Denn in der Außenwahrnehmung der überregionalen Medien steht Mainz 05 für nichts – selbst wenn es ein Bo Svensson mit seiner Mannschaft hinbekommt, so eine sensationelle Rückrunde wie in der ersten Hälfte des Jahres 2021 zu spielen. Mainz 05 findet außerhalb Rheinhessens einfach nicht statt. Ich finde das nicht weiter schlimm und auch das ist wahrscheinlich Konsens bei den meisten Mitgliedern.

Es stellt sich allerdings jetzt heraus, dass dieses Leitbild für die Profi-Abteilung keine Relevanz hat. Dieses hat bei der Auswahl des Testspielgegners keine Rolle gespielt und es wird auch in Zukunft keine Rolle spielen. Das „differenzierte Meinungsbild“, was der Verein anspricht, meint, dass es dem Großteil der Mitglieder ziemlich egal ist, wem Newcastle gehört. Die wenigsten wussten das sicherlich vor der Bekanntgabe des Testspielgegners. Noch weitaus weniger Mitglieder wissen wahrscheinlich, dass laut Amnesty International Saudi-Arabien an einem Tag im März 2022 81 Menschen hat hinrichten lassen und dass Amputierungen Teil des Rechtswesens sind.

Man kann so als Verein agieren – keine Frage. Selbst mit diesem Hintergrundwissen werden wahrscheinlich aktuell die meisten Mitglieder der Meinung sein, dass das halt so ist im Profi-Fußball. Schließlich hat auch der Abschluss des Sponsoring-Vertrags mit dem chinesischen Wettanbieters 2020 nicht wirklich viele Mitglieder bestürzt.

„Die Reaktion von einigen Fans haben wir in dieser Form so nicht erwartet.“, so Stefan Hofmann im Statement zum Testspiel gegen Newcastle. Natürlich kann man das nicht erwarten, weil der Großteil der aktuellen Mainz 05-Mitglieder hochzufrieden ist. Seitdem der Don zurück ist, läuft es sportlich wieder rund. Und das ist ja Prio Nummer 2 (nach dem Finanziellen). Die Vereinsführung meint, so lange finanziell und sportlich alles rund läuft – ist alles paletti. Wofür Mainz 05 eigentlich steht – also so als Verein außerhalb des Finanziellen und des Sportlichen, hat für die Verantwortlichen keine Top-2-Priorität und fällt wohl ebenfalls in die Kategorie „Gedöns“. Dass es die Macher*innen des Leitbilds wahrscheinlich sind, die, wenn die Top-2-Prioritäten mal nicht so gut umgesetzt werden wie aktuell, dem Verein die Teue halten, hat man entweder bei der Vereinsführung nicht im Blick oder man legt keinen Wert darauf.

Vielmehr gilt es, das Stadion mit Zuschauer*innen zu füllen, die einzig und allein „nuff gehen“, weil es sportlich rund läuft. Dass es aktuell ein paar Kilometer den Nebenfluss hinauf, sportlich noch „ein wenig“ besser läuft und dass es in unserem Bundesland wieder zwei DFL-Mitglieder gibt und bei einem sportlichen Abwärtstrend von Mainz 05 die oben genannte Zielgruppe recht schnell ins Waldstadion oder zum Betze abwandert, ist den Verantwortlichen sicherlich bewusst.

Mantra-artig wird daher sicherlich in den nächsten Monaten jede Veränderung damit begründet werden, dass die Top-2-Prio (Finanzen, Sport) gefährdet seien. Egal ob es um eine Ausgliederung der Profiabteilung gehen wird, irgendwann um einen Investor und falls 50+1 kippt auch darum. Mit diesem Totschlag-Argument werden die Mitglieder „mitgenommen“, um den sportlichen und finanziellen Erfolg nicht zu gefährden und die Zielgruppe der Erfolgshungrigen nicht zu vergrämen.

Ich persönlich habe an dem Leitbild nicht mitgearbeitet, finde es aber gut herausgearbeitet. Allerdings passt dieses Leitbild einfach nicht zum Handeln der Vereinsführung. Wenn man ehrlich ist, sollte dieses Leitbild in der nächsten Mitglieder-Versammlung eingemottet werden. Schließlich kann es nicht für den Verein gelten mit Ausnahme der Profiabteilung. Das wäre halt konsequente Inkonsequenz.

Das ist allerdings der Status Quo. Und diese Strategie der konsequenten Inkonsequenz fährt der Verein schon ziemlich lang. Wenn es die Top-2 nicht tangiert, dann zeigt man sich solidarisch mit Schwächeren der Gesellschaft in Deutschland, nicht aber mit denen in Saudi-Arabien. Man entsendet gerne Mitarbeiter*innen auf Fridays for Future Demos, fliegt aber mit dem Flugzeug innerdeutsch – wahrscheinlich ohne Kompensation der klimarelvanten Emissionen. Man lädt die Caritas, die sich auch um Spielsüchtige kümmert, ins Stadion ein, schließt aber ein Sponsoring mit einem chinesischen Wettanbieter ab und so weiter und so fort.

Man kann das alles machen, so als Verein, also Partnerschaften mit Unternehmen aus Ländern mit einem anderen Wertesystem abschließen, innerdeutsch fliegen und Glückspielsponsoring – aber dann sollte sich der Verein andererseits nicht mit Feigenblättern schmücken. Denn ganz ehrlich, lieber steht mein Verein Mainz 05 für nix als für ein inkonsequentes Handeln. Dass die Verantwortlichen eines Vereins das unbequeme Votum einer Mitglieder-Versammlung auch umsetzen können, zeigt das Beispiel FC St. Pauli. Dort wurde 2016 beschlossen, dass das Merchandising fair und nachhaltig produziert werden soll. Daraufhin hat der Verein letztlich seine eigene Marke kreiert. Seit 2021 bietet er eine fair produzierte Teamsportkollektion an, die aus recyceltem Materialien besteht. Das ist Konsequenz.

Soweit sind wir bei Mainz 05 (noch) nicht. Ich bezweifele, dass eine Mehrheit der aktuellen Mitglieder bereit ist, finanzielle und sportliche Einbußen in Kauf zu nehmen, um das Leitbild auch in der Profiabteilung durchzusetzen. Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Alles hinschmeißen und dem Verein und dem Profifußball die kalte Schulter zeigen? Das kann jede*r von uns nur persönlich entscheiden. Ich fühle mich immer noch im Verein und im Stadion wohl. Das liegt hauptsächlich an den tollen Menschen, die ich dort kennen gelernt habe. Wohler wäre es mir aber, wenn mein Verein einfach so ehrlich wäre, und solche genannten Feigenblatt-Aktionen, die spätestens jetzt einfach nur noch peinlich sind, in Zukunft unterlassen wird.

Schließlich gibt es genügend Menschen, die sich ehrlich für eine Sache engagieren und in Kauf nehmen, dafür auf Annehmlichkeiten zu verzichten. Dafür muss man aber aus der Komfortzone raus. Man kann sich für Menschenrechte einsetzen und verzichtet dann halt auf den vermeintlich idealen Testspielgegner. Man kann Organisationen wie die Caritas unterstützen, dann verzichtet man aber auf das Geld mancher Sponsoren. Man kann zu Fridays for Future Demos gehen, nimmt aber innerdeutsch den Bus, der ja eh zum Spielort fährt und kompensiert die Flugreisen, die sich nicht vermeiden lassen. Es gibt mittlerweile viele Menschen, die auf vieles verzichten. Sich aber dann, wenn es passt, sich mit diesen zu solidarisieren ist für mich einfach ein No Go und auch eine Art von „Sportwashing“. Es gibt sicherlich auch so genügend Themenfelder, für die sich Mainz 05 auch in Zukunft einsetzen kann, bei denen man nicht in die Bredouille gerät, wenn man sie vernünftig beackert. Damit das nicht passiert, gibt es im Verein eine CSR-Abteilung und auch eine Fanabteilung, die hoffentlich beide intern nicht unter „Gedöns“ laufen. In beiden Abteilungen gibt es kompetente Menschen, die sicherlich auf Wunsch mit Rat den verantwortlichen Personen zur Seite stehen, damit der Verein nicht weiter Eigentore fabriziert.

Und vielleicht wird in ein paar Jahren die Erkenntnis einkehren, dass so ein Leitbild gar keine so schlechte Idee ist – weil es von der Mehrheit der Mitglieder entschieden eingefordert und nicht nur abgenickt wird und weil es vielleicht doch für Mainz 05 und seine Menschen im Verein steht. Dann kann es auch gerne wieder ausgepackt und von allen gelebt werden.

Anmerkung: In einer vorhergehenden Version wurde das Wort „Mitglied“ irrtümlicherweise gegendert. Danke für den Hinweis auf Facebook.