„Miteinander, persönlich reden“ – dafür habe ich am Montag in meiner Spätlese zum Spiel in Lautern geworben. Diese Bitte bezog sich einerseits auf die Vorkommnisse nach dem zweiten Tor des FCK. Gleichfalls gilt sie allerdings auch grundsätzlich auf höherer Ebene. Meine Meinung zum Umgang mit Pyro im Stadion:
„Wie hältst Du es mit Pyro?“ Zum Thema Pyrotechnik hat wahrscheinlich jeder Fußballfan eine Meinung. Kein Thema rund um den Fußball erhitzt im wahrsten Sinne des Wortes die Gemüter so, wie es die Mischung aus Salpeter und Kohle, Schwefel bzw. Aluminium hinbekommt. Pyro schreiben viele automatisch den Ultragruppierungen zu und meinen, ein rigoros durchgesetztes Verbot löse diese Thematik umgehend. Doch das greift viel zu kurz. Wie so oft ist es auch bei diesem Thema so viel komplizierter, als es vermeintliche Allwissende im Netz mit einfachen Lösungen verbreiten.
Zunächst stellt sich die einfache Frage, wie, warum und wann das mit der Pyro in Deutschlands Stadien angefangen hat. Dazu ein Blick zurück in den April 1960 und auf ein Zitat aus dem Eintracht-Archiv zum UEFA-Cup Halbfinale in Frankfurt: „Eine Viertelstunde vor Spielbeginn…kochte dann das Stadion wie ein Kessel Wäsche oder besser noch wie der Krater eines Vulkans. Rauchschwaden, Raketen, Leuchtkugeln, bengalisches Feuer, wogende Massen und schließlich der große Ausbruch der Stimmenorkane machten die Illusion fast zur gespenstischen Wirklichkeit – ein surrealistisches Bild. Der Lautsprecher sprach von kleinen Waldbränden und beschwor zahlreiche Menschen, die in die Lichtmasten gestiegen waren, wegen Lebensgefahr herunterzukommen. Vergeblich, – nun stiegen noch mehr gen Himmel.“
Ein Stadionsprecher, der die Zuschauer beim Spiel der SGE gegen Glasgow auffordern musste, das Abschießen von Feuerwerkskörpern zu unterlassen, da es bereits kleinere Waldbrände rund ums Waldstadion gab, aha!
Während beim Frankfurter Beispiel Pyrotechnik noch vornehmlich der Atmosphäre diente, und dabei der Wald abgefackelt worden war, wurde Anfang der 1980er Jahre diese weniger zur Untermalung der Stimmung benutzt, denn zum Kampf in der Kurve zwischen verfeindeten Hooligan-Gruppen, wie die 11FREUNDE 2012 bemerkten. Hier kamen neben Feuerwerksraketen hauptsächlich Knallkörper zum Einsatz, um sich durchzusetzen. Rauchgranaten wurden letztlich nur zur Randale genutzt. Szenen, die wir seit Jahrzehnten in unseren Stadien wohlgemerkt nicht mehr sehen.
Reden wir heute über Pyrotechnik in den Stadien, geht es hauptsächlich um Bengalische Feuer und da schließt sich der Kreis, was Pyro und Betze angeht. Schließlich waren es 1985 Fans des FCK, die die Pyro von Italien nach Deutschland brachten, nachdem ihr Idol Hans-Peter Briegel von der Pfalz nach Verona gewechselt war. Groundhopping war damals schon en vogue und so kamen die ersten Pfälzer Buben und Mädchen mit Pyro in den italienischen Stadien in Kontakt. Zurück auf dem Betze wurde laut 11FREUNDE Pyro von Kutten, Hools und Normalos eingesetzt – Ultras gab es Mitte der 1980er Jahre noch gar nicht in Deutschland.
Bis Anfang der 2000er Jahre war Pyrotechnik in den deutschen Stadien legal. Im Sprengstoffgesetz steht bis heute: „Das Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände in unmittelbarer Nähe von Kirchen, Krankenhäusern, Kinder- und Altersheimen sowie besonders brandempfindlichen Gebäuden oder Anlagen ist verboten.“ Der Begriff des Fußballstadions fehlt.
Erst auf einer Musterstadionordnung des DFB tauchte Anfang der 2000er Jahre das Verbot für Pyrotechnik auf. Bis dahin wurde sie teilweise in den Medien bewundert. Man sprach von „südländischer Atmosphäre“ und von den Vereinen wurde sie auch schon mal für Werbezwecke genutzt, z. B. laut 11FREUNDE bei Kickers Offenbach mit dem Slogan „Der Berg brennt“. Zu dieser Zeit erst bildeten sich in vielen Vereinen Ultragruppierungen, die wieder aus Italien inspiriert, Pyrotechnik seither nutzen, um die Unterstützung ihrer Mannschaft visuell zu untermalen.
Das Sprengstoffgesetz kennt, wie oben beschrieben, kein Stadionverbot. Menschenansammlungen und Feuerwerk können einwandfrei funktionieren, z.B. bei den Mainzer Sommerlichtern oder bei Rammstein-Konzerten in Fußballstadien. Hier sind geschulte Menschen am Werk, die legal ihrer Arbeit oder ihrem Hobby nachgehen.
Auch ihrer Arbeit gehen die zahlreichen Ordnungskräfte vor jedem Spiel nach, die versuchen, die jeweilige Stadionordnung mit Leben zu füllen und etwaige Pyrotechnik bei den Besucher*innen zu finden. Jeder weiß, dass ein riesiges Stadiongelände unmöglich frei von Pyrotechnik zu halten ist. Deshalb gibt es seit fast 20 Jahren das übliche Katz- und Mausspiel zwischen Ordnern und Stadionbesucher*innen, was Pyrotechnik anbetrifft. Selbst Nacktscanner, wie bereits gefordert, und Spürhunde (bereits im Einsatz) werden es nicht schaffen, Pyrotechnik aus den Stadien zu bekommen. Je heftiger die Repressalien werden, desto mehr fühlen sich manche Menschen angestachelt, nur aus Protest dagegen anzugehen und Pyro ins Stadion zu schmuggeln und sogar am helllichten Tag samstags um halb vier nachmittags zu zündeln, auch wenn der visuelle Effekt gleich null ist.
Natürlich kann man dieses Spiel von allen Seiten einfach so wie die letzten 20 Jahre weiterspielen: Die Zuschauer bringen das Zeug rein und zündeln illegal weiter, die Behörden ermitteln wochenlang akribisch wegen Ordnungswidrigkeiten, mancher Innenpolitiker fordert reflexartig Haftstrafen für Pyromanen, die Vereine zahlen oder reichen die Strafen an die Verursacher*innen weiter, sprechen bundesweite Stadionverbote aus und wir alle spalten weiter in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke.
Glücklicherweise ist, soweit ich weiß, bisher noch niemand beim Einsatz von Pyrotechnik lebensgefährlich verletzt worden. Trotzdem wurden bei der Polizei zwischen 2013 und 2017 196 Verletzte durch den Gebrauch von Pyrotechnik gezählt, sprich, das Thema sollte allen Beteiligten im wahrsten Sinne des Wortes unter den Nägeln brennen – Aussitzen ist keine Lösung. Nicht, dass es tatsächlich irgendwann zum Supergau kommt. Dann würden plötzlich Kommissionen einberufen werden und Aktionismus und Populismus würden Hand in Hand durchs Land laufen bis die nächste Katastrophe größere Klickzahlen verspricht und das Thema bei der Mehrheit wieder in Vergessenheit gerät.
Denn durch das Verbot der Pyrotechnik in den Stadien kann diese in die Hände von Leuten geraten, die nicht wie bei den Sommerlichtern oder bei einem Rammstein-Konzert eigens dafür ausgebildet wurden. Nur weil man etwas verbietet und damit vermeintlichen Schutz herstellt, heißt das nicht, dass dieser gewährleistet wird. Auch viele Drogen sind verboten (Alkohol hingegen gilt als Kulturgut), und trotzdem gibt es leider jedes Jahr viele Drogentote zu betrauern. Das Verbannen der Pyrotechnik in die Illegalität sorgt nicht dafür, dass das Stadionerlebnis sicherer wird.
Würde man dieser Wahrheit ins Auge schauen, sich eingestehen, dass man Pyro nie komplett aus dem Stadion fernhalten wird können und den 2011 kurz gestarteten und abrupt beendeten Dialog zwischen DFB und Fans wieder aufnehmen, die Erfahrungen in Dänemark mit kalter Pyrotechnik und in Norwegen mit so genannten Stadionfackeln (umbenannte Seenotfackeln) in die Gespräche einfließen lassen, könnte man vielleicht Bereiche schaffen, in denen Pyrotechnik kontrolliert gezündet wird – von Fans, die dafür vorher geschult wurden. Damit ließe sich wahrscheinlich nicht jede Pyroaktion im Block verhindern. Aber jede kontrolliert gezündete Fackel ist eine weniger, die unkontrolliert in der Masse hochgehalten wird.
Voraussetzung wäre dafür natürlich eine Genehmigung durch die Behörden und die Vereine. Dass die Polizei einer solchen Möglichkeit nicht grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, zeigt das Beispiel in Hamburg. Laut NTV sagte ein Sprecher der Hamburger Polizei: „Die Polizei Hamburg ist grundsätzlich offen für Gespräche und alternative Konzepte zum Umgang mit Pyrotechnik.“ Und HSV-Präsident Hoffmann wird zitiert: „Die einfache Sanktionierung von Pyro-Vergehen hat bislang zu keinem besseren Umgang mit der Thematik geführt – ganz im Gegenteil.“.
Die Realität sieht allerdings ganz anders auch, wenn man das Urteil der DFB-Gerichtsbarkeit vom 9. August 2019 betrachtet. Im Anschluss an ein Fußballspiel zwischen dem Karlsruher SC und den Würzburger Kickers wurde per Stadionsprecher eben diese Veranstaltung für beendet erklärt. Es folgte eine Veranstaltung der KSC-Supporters, bei der das Abbrennen von Pyrotechnik im Wildparkstadion durch die Behörden im Vorhinein genehmigt wurde. Trotzdem wurde der KSC zu einer Strafe von 3000 Euro vom DFB verurteilt. Die Begründung: Der Verein hätte sich diese Veranstaltung vom DFB genehmigen lassen müssen. Wegen vermeintlicher Kompetenzüberschreitung geht nun der KSC in Berufung – Ende offen. Ironie der Geschichte: Der Einsatz von Pyrotechnik war kein Grund für das Urteil – obwohl genau dieser die Ermittlungen erst seitens des DFB in Gang gebracht hatte. Mit Rechthaberei und Prinzipienreiterei kommt man aber nicht wirklich weiter. Es bleibt der Eindruck, dass der DFB aktuell an einer Lösung kein Interesse hat.
Vielleicht weht mit der Wahl von Fritz Keller zum neuen DFB-Präsidenten bald ein frischer Wind in der DFB-Zentrale und man nimmt den Dialog mit den Fans wieder auf, unweit der Stelle, bei der 1960 alles angefangen hat: an den brennenden Bäumen gegenüber vom Frankfurter Waldstadion – wo ansonsten die nächste illegale Pyroshow sicherlich nur eine Frage der Zeit ist.
Quellen:
http://www.eintracht-archiv.de/1959/1960-04-13st.html
https://www.11freunde.de/artikel/eine-kleine-geschichte-der-pyrotechnik-deutschland
https://www.gesetze-im-internet.de/sprengv_1/__23.html
https://www.n-tv.de/sport/fussball/Hamburger-SV-will-Pyrotechnik-legalisieren-article20858008.html