Spätlese Hertha BSC Saison 2022/2023

Auswärts fahren bietet in unserem komplett verplanten Alltag eine Möglichkeit, Unplanmäßiges geschehen zu lassen, überraschend positive Erlebnisse zu sammeln oder auch negative Erfahrungen zu machen. An dieser Stelle berichte ich über meine rein subjektiven Eindrücke rund um die jeweilige Auswärtsfahrt, jeweils mit ein wenig Abstand betrachtet – eine Spätlese eben!

01 Hin und weg:

Die erste Auswärtsfahrt des Jahres – 4 Monate nach der letzten nach Gelsenkirchen! Natürlich mit der Bahn und das ohne Probleme…auf der Hin- und Rückfahrt…und auch noch gratis. Ja, die Bahn ist oft so eine Sache: der WLAN ausbaufähig, die WCs nicht benutzbar, das Bistro geschlossen – und dennoch bekommt sie es hin, einigermaßen pünktlich zu sein – öfters als man denkt, so auch diesmal. Wer eine BahnCard hat, kennt das Bahn-Bonus-Programm. Dieses bietet eine Tageskarte „Samstag“ als Prämie an.

Nach Berlin – natürlich mit der Bahn

Für die fanfreundliche Anstoßzeit samstags um halb vier ist diese Karte für Berlin-Fahrten natürlich prädestiniert. Und der Aufenthalt in der DB Lounge ist plötzlich auch wieder auf einem Stuhl möglich. Schließlich hat die Bahn ihre Zugangsregeln zum 1. März geändert. Zutritt gibt es nur noch für Leute mit entsprechendem Status-Level mit Fernverkehrsfahrkarte. Eigentlich sollte man meinen, dass Menschen, die 2500 Euro im Jahr oder mehr für Bahnfahrten ausgeben, andere Tageshighlights haben, als einen gratis Kaffee in der Lounge zu genießen. Aber die Mitarbeiterin am Eingang musste tatsächlich die Hälfte aller Leute abweisen, da sie keine Fahrkarte hatten – Deutschland in a Nutshell!

02 (N)immer nuff:

Trotz Sperrung der U-Bahn-Station Olympiastadion bekam es die Berliner Verkehrsgesellschaft hin, die Leute mit der S-Bahn zum Stadion zu karren. Ja, in Berlin funzt sicherlich einiges nicht so gut, aber im Laufe des Nachmittags bekam ich das Gefühl, dass, wie bei der Bahn auch, vieles gar nicht so schlecht läuft. Und das mit der S-Bahn funktioniert einfach gut, zumal eine S-Bahn-Linie einfach vom Westkreuz zum Stadion weitergeführt wurde.

Kritsches Banner der Hertha-Szene zum neuen Investor

03 Kon-Trolle

Ein Taschenverbot nervt immer. Aber wenigstens gibt es eine Abgabestelle – was ja leider immer noch nicht in allen Stadien der Fall ist. Dass es die Tickets leider nicht mehr in der Hardcover-Version gibt, nervt ebenfalls – vorallem in der Kombination mit dem Hinweis, die Print@Home-Tickets auszudrucken, da die QR-Codes auf dem Handy wohl nicht so einfach abzuscannen sind. Gut, dass im Block auf den Umstand der fehlenden Hardcover-Tickets hingewiesen wurde. Dass diese Tickets für manche Menschen ein Souvenir des Spiels sind, erschließt sich wohl den Entscheider*innen bei den Clubs wohl überhaupt nicht mehr. Sich in die „Kunden“ zu versetzen, ist wohl zu viel verlangt im Glamour-Business Bundesliga.

Auszug aus einem nachträglich erstellen Hardcover-Tickets für das Spiel

Und Tageskassen für den Gästeblock geschlossen zu lassen, ist eine der Errungenschaften, die uns die Pandemie bereitet hat. Gut, dass Mainz 05 darauf hingewiesen hat, dass sich Spontanreisende Karten am Spieltag für Block F am Gästeblock kaufen konnten. Ist zwar nicht wirklich eine gute Lösung, aber wenigstens etwas.

04 Kampf um den Mampf

Das Angebot von Speis und Trank wird bei der Hertha immer besser. Boulette, Wurst, Curry-Wurst – die beiden letzteren auch in der veganen Version – alles paletti. Allerdings sollte vielleicht die vegane Version nicht teurer als die normale Wurst sein – vielmehr sollte sie eigentlich günstiger sein, da sie wesentlich klimafreundlicher produziert wurde . Denn auf #BERLIN2030 wurde ja auch geworben. Bei diesem Volksentscheid haben die Berliner*innen die Möglichkeit, die Verantwortlichen dazu zu bringen, die Klimaneutralität der Stadt bereits 2030 anzupeilen, statt 2045: Klimaverteider*innen von Spandau bis Köpenick sozusagen!

Hinweis auf den Klimaentscheid auf der Anzeigetafel

Warum dieser Volksentscheid nur sechs Wochen nach der Wahlwiederholung zum Abgeordnetenhaus stattfindet, statt das zu kombinieren? Das kann nur die SPD beantworten, die mit organisatorischen Gründen argumentierte. Wahlen und Berlin sind halt so eine Sache und manche Klischees stimmen dann doch so ein bisschen.

05 Käfighaltung

Obwohl die Hertha um die Lizenz bangen muss, frisches Geld also dringend von Nöten ist, stellt die aktive Fanszene kritische Fragen zum neuen Investor. Auch der Einsatz des Videobeweises wurde auf beiden Seiten beim „Handspiel“ von Leo verbal sehr deutlich abgelehnt. Obwohl es sehr frisch war (gefühlte -20 Grad Celsius) war die Stimmung im Gästeblock alles andere als frostig – spätestens als Ludo den Hammer auspackte und den Ausgleich erzielte.

1 Punkt ist besser als kein Punkt – danke Ludo!

Fazit: Der Jahrgang 2022/2023 zeigt, das die Alte Dame und ihr Umfeld schon einiges richtig machen – insbesondere was die Sensibilisierung für die Klimaproblematik angeht.

Quellen:

Klima-Volksentscheid findet nicht am Tag der Wahl-Wiederholung statt – rbb

Alles muss man selber machen

Alles muss man selber machen
Sogar über Nullfünfer lachen

In der TV-Sitzung ging’s um viele Dolle
Doch der FSV spielte kei‘ Rolle

Noch nicht mal sehr viel Rot-Weiß im Saal
Nur Einblendungen von Fans mit Nullfünf-Schal

Vor 18 Jahr sah‘s ganz anders aus
Nullfünf-Bezug tagein tagaus:

„Nullfünfer und die Fassenacht
Sind wie der Dom fer Meenz gemacht“

Jetzt zieht lieber jeder
Daher über die Klimakleber

Es ist halt so viel einfacher
Und man hat sofort die Lacher

Dabei gäb es genügend Gründe
Denn Nullfünf begeht die Klimasünde

Schließlich geht’s ins schöne Bayern
Im Flieger als Klimaverteidiger sich feiern

Oder was ich find‘ noch dreister
Höchstpreise für den Rekordmeister

Und sich dann die Augen gerieben
Wo sind die Fans des FSV geblieben?

Wenigstens hat man’s jetzt kapiert
Dass Frauenfußball interessiert!

Kurz vor dem moralischen Bankrott
Gibt‘s die Kooperation mit Schott

Uff der Stadionsitzung konnt‘ man’s riechen
Ein Verein wird der Eintracht in den Bobbes kriechen

Wir sind halt nicht wichtig für die Region
Aber die Arbeit des Fanprojekts doch schon?

Das kapiert die Politik im Landkreis nich‘
Und lässt die Jugend schön im Stich

Zuletzt so bleibt zu hoffen
Dass sie werden sich nicht zoffen

Wer da fährt in zwei Tagen
Auf dem 05er-Umzugswagen

Liebe Spieler lasst die Handys aus
Dann gibt‘s an der Zugstreck‘ viel Applaus

Und hoffentlich singt dann Groß und Klein
Wir sind nur ein Fassenachtsverein!

HELAU

Viva con Oberflächlichkeit?

Dieser Spätherbst war anders als die Spätherbste, an die wir uns alle mehr oder weniger gerne erinnern. Schließlich wurde der letzte Spieltag der Männer-Fußball-Bundesliga in diesem Kalenderjahr bereits rund um den Beginn der fünften Jahreszeit angesetzt. Es gab keine Pokalpleite in Kiel, keinen runden Geburtstag mit der U23 beim 1. FCM zu feiern, kein Last Christmas in Ho$$enheim und zum Glück auch kein standardisiertes Plastik-Banner, das die Mannschaft im Nieselregen nach dem letzten Heimspiel zur Kurve tragen musste, auf dem jedes Jahr sowieso ähnliche Dankesworte an die Fans gerichtet werden.

Nein, dieses Jahr war alles anders. Unser Trainer zum Beispiel nutzte die spielfreie Zeit für eine Reise und traf Schü in Kapstadt für ein Fotoshooting für Viva con Agua. Viva con was? werden sich sicherlich viele Nullfünfer*innen gefragt haben. Nun ist Bo in den sozialen Netzwerken so überhaupt nicht präsent, stand aber dankenswerterweise Pate für diese Social Media-Aktion. Daher findet man von ihm selbst dazu auch nichts im Netz. Um diese Aktion in die Nullfünf-Bubble zu spülen kam Mainz 05 ins Spiel und postete das Bild mit Bo. Dieser hält ein Pappschild hoch auf dem „Water is a human right“ steht. Doch was will uns das sagen? Dazu findet man bei Mainz 05 praktisch nichts.

Tweet von Mainz 05

Nun kann man als Verein eine Aktion des Privatmenschen Bo einfach gut finden. Man kann sie als Mainz 05 auf den Viva Con Agua-Social Media-Kanälen liken oder auch teilen. Aber was macht Mainz 05? Der Verein postet z.B. auf Twitter dieses Bild auf seinem eigenen Kanal. Auch ich war erstmal hocherfreut über diese Aktion, hatte mir aber erhofft, dass da noch etwas kommt, zum Beispiel auf der Webseite.

Aber Mainz 05 gibt keine weitere Erklärung ab. Diese hätte sicherlich selbst auf Twitter innerhalb der vorgegebene maximale Zeichenzahl gepasst – gegebenefalls halt als Thread. Auf änderen Kanälen ist die Zeichenzahl sogar weniger limitiert. Stattdessen steht dort überall, dass Bo die Projekte von Viva Con Agua unterstützt, das Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser ermöglicht.

Nicht jede*r weiß, um was für Organisation es sich bei Viva Con Agua handelt, und was diese Organisation mit dem Profifußball verbindet. Das ist einfach schade, denn die Geschichte von Viva con Agua zeigt, dass es sehr wohl Profifußballer gibt, die mehr können als kicken auf dem Platz, und dass Trainingslager, die nur mit dem Flugzeug zu erreichen sind, durchaus einen Sinn haben, neben dem sportlichen Finetuning bei angenehmen Temperaturen im deutschen Schmuddelwinter.

Je mehr man sich selbst mit Viva Con Agua beschäftigt, desto mehr muss man vielleicht auch das eigene Handeln in Frage stellen. Schließlich versucht Viva Con Agua mit Wasser Spenden zu generieren, damit Menschen Zugang zu Trinkwasser erhalten.

Doch wie fing das alles an? 2005 flog der FC St. Pauli zu einem Trainingslager nach Kuba, in ein Land, in dem es alles andere als selbstverständlich ist, Trinkwasser aus dem Hahn zu bekommen. Den Spieler Benjamin Adrion tangierten die Zustände auf Kuba so sehr, dass er sich dazu entschloss, eine Organisation zu gründen, die Menschen Zugang zu sauberem Wasser ermöglicht – Viva con Agua war geboren.

Viva con Agua wird ganz offiziell vom FC St. Pauli unterstützt. Die „Millerntor Gallery“ etwa, ein Kulturfestival, wurde von Vicva con Agua mit dem FC St. Pauli gemeinsam initiiert: „Das Millerntor-Stadion wird alljährlich zu einer offenen Plattform für Dialog und Austausch. Kunstwerke sämtlicher Genres sowie ein vielfältiges Musik-, Kultur- und Bildungsprogramm zeigen, wie alle die Welt positiv mitgestalten können. Zahlreiche Interaktionsmöglichkeiten machen die knapp 17.000 Besucher*innen zu aktiven Teilnehmer*innen an gesellschaftlichen Veränderungsprozessen.“ Auch das Sammeln von Pfandbechern für Viva Con Agua hat mittlerweile Tradition und einen Battle ausgelöst, welche Auswärtsfans die meisten Becher in einer Saison sammeln. Spoiler: Es ist natürlich der Glubb mit seiner großen Schar an Reisegruppen von Auswärtsfahrenden.

Aber Viva con Agua gibt es auch im Geschäft, Restaurant oder Club um die Ecke. Schließlich werden in Schleswig-Holstein Flaschen mit Wasser für Viva con Agua abgefüllt. Viva con Agua selbst erklärt, dass es natürlich am nachhaltigsten ist, Leitungswasser zu trinken, aber die Organisation bietet nach eigener Aussage mit den Flaschen die Gelegenheit, eine „soziale Alternative auf dem Wassermarkt zu sein“.

Und was macht Mainz 05? Dieses Bild posten – sonst nichts – zumindest bekommt von weiteren Aktivitäten nichts mit. Der Verein springt einfach mal auf den sozialen Nachhaltigkeitszug auf, schließlich spricht er vom „Cheftrainer“ und nicht von „wir“. Postet man das Bild von Bo, sollte sich der Verein entsprechend einbringen. Die einfachste Lösung wäre es natürlich, in der Rückrunde statt für „Essen für Rheinhessen“ für Viva con Agua die Becherspenden, die im Stadion am Europakreisel zusammenkommen, zu nutzen. Doch das würde die Fanabteilung, die dieses Becher-Projekt angestoßen hat, womöglich vor den Kopf stoßen. Schließlich sollte die Fanabteilung bestimmen, was mit dem Geld geschieht und soweit ich weiß, sollen vorallem Projekte in der Region jeweils für eine halbe Spielzeit unterstützt werden, was vollkommen ok und sehr löblich ist.

Vielleicht war es ja sogar einfach nur gut gemeint, das Bild zu teilen, um diesem mehr Reichweite zu verschaffen. Allerdings ist Mainz 05 nicht mehr der „Amateurverein“ der 1980er Jahre, wo vieles noch auf Ehrenamtsbasis geleitstet wurde und vielleicht die eine oder andere Aktion nicht zu Ende gedacht wurde. Der Verein ist mittlerweile ein gestandener Bundesligist, der auch im Bereich Social Media professionell agiert. Und wenn es Mainz 05 Ernst meint mit der Solidarisierung mit Viva Con Agua, sollte der Verein vielleicht für ein Trinkwasserprojekt im Partnerland von Rheinland-Pfalz, Ruanda, Pate stehen, sollte vielleicht etwas Ähnliches wie die „Millerntor Gallery“ im Stadion am Europakreisel initieren oder die Stadionsitzung an Fastnacht dafür nutzen, sollte vielleicht auf die Spendenmöglichkeit für Viva con Agua hinweisen, sollte auf die Spende als Geschenk aufmerksam machen, sollte die Fördermitgliedschaft verlinken oder sollte die Viva con Agua-Glasflaschen im VIP-Bereich der „Scheiß Tribüne“ offerieren. Aber nur ein Bild zu posten wirkt leider wie Viva con Oberflächlichkeit.

Quellen:

Tag des Wasser: Ex-St. Pauli-Profi Benjamin Adrion gründete Viva con Agua – Welt

1. FSV Mainz 05 – News „Schürrle: „Ich musste verzichten, hatte aber einen Traum“

Art creates Water – Viva con Agua Arts gGmbH Hamburg

Böhmermann kritisiert Viva con Agua – Unternehmen bezieht Stellung – utopia.de

1. FSV Mainz 05 – News „Becher spenden, um Hunger zu stillen“