Mainz blickt durch

Das Schöne an einer offenen, kreativen, solidarischen Gesellschaft ist die Vielfalt an Aktionen, die, wenn es darauf wirklich ankommt, gebildet wird – z.B. in der aktuellen Ausnahmesituation. Gleichzeitig verliere zumindest ich langsam den Überblick, wer, was, wie macht, um andere zu unterstützen. Daher habe ich mal drei Schwerpunkte gebildet:

  1. Helfer*innen
  2. Lokale Unternehmer*innen
  3. Tiere unserer Stadt

Ich versuche die Vielzahl der Initiativen auf dieser Seite zusammenzufassen. Diese Liste ist dynamisch und kann durch Hilfe Eures Feedbacks jederzeit aktualisiert werden. Beim Punkt 1 und 3 nehme ich gerne Einzelinitiativen auf. Bei Punkt 2 sollte die Initiative allerdings mehrere Unternehmen betreffen,, schließlich soll ja der Gedanke unterstützt werden, anderen in dieser misslichen Lage zu helfen.  

Update vom 20. April 2020:

„Mainz liefert“ in weitere PLZ-Bereiche aus (siehe Punkt 2).

Update vom 18. April 2020:

Die „Heile heile Gänsje, es is bald widder gut!“ Aktion der Supporters Mainz, des Q-Block und anderer Fanclus des 1. FSV Mainz 05 (siehe Punkt 2).

Update vom 15. April 2020:

Der Gutenbuchclub hat eine „Dealerliste“ erstellt (siehe Punkt 2).

Update vom 11. April 2020:

Lieferangebote der Mainzer Gastronomie – zusammengestellt von der Stadt Mainz (siehe Punkt 2)

Update vom 9. April 2020:

„Kochen für Helden Mainz“-Initiative (siehe Punkt 1)

Update vom 8. April 2020:

TakeCare-Gutscheine von Wohnsitzlos in Mainz e.V. (siehe Punkt 2)

Startseite von heldentickets.de

Helfer*innen

Mainz 05 hat die „Heldenticket“ Initiative ins Leben gerufen. Da nicht abzusehen ist, wann der Fußball wieder mit Zuschauern im Stadion startet, bietet der Verein die Möglichkeit, „Helden des Alltags“ bereits bezahlte Eintrittskarten für ein zukünftiges Heimspiel von Mainz 05 zur Verfügung zu stellen. Auch virtuelle Heldentickets genauso wie Gutscheine für Speisen und Getränke können erworben werden. Darüber hinaus bietet die Initiative die Möglichkeit, als eigener Verein ebenfalls mit von der Partie zu sein. Mehr Infos auf heldentickets.de.

Köch*innen aus der Mainzer Gastronomie-Szene krempeln unter dem Motto „Kochen für Helden Mainz jetzt die Ärmel hoch. Sie kochen Essen für die, die den Laden in Zeiten der Krise zusammenhalten. #kochenfürhelden​mainz​ ist​ nach eigener Aussage „Teil​ eine​r ​Graswurzelbewegung von Gastronomen mit Unterstützung vieler in Zeiten der Corona-Krise. Die wohltätige Aktion versorgt alle Menschen in den Funktionsberufen mit Mahlzeiten, die dafür sorgen, dass unser Leben unter den derzeitigen Umständen weiterläuft.“ Die Initiative ist sowohl offen für Leute, die spenden möchten als auch für Zuliefer*innen als auch für Mitmacher*innen. Essen für Held*innen kann auf der Seite ebenfalls angefragt werden. 

Lokale Unternehmer*innen

Gleich mehrere Initiativen bieten gegenwärtig die Möglichkeit, Produkte zu Dir direkt nach Hause liefern oder Gutscheine für eine spätere Einlösung ausstellen zu lassen. Zwar rückt das Thema Nachhaltigkeit aktuell in den Hintergrund, aber die Probleme, die es vor Corona gab, sind natürlich vom lauen Frühlingslüftchen einfach weggeblasen worden. Daher sollte das Thema Nachhaltigkeit auch eine Rolle spielen, wenn es um die Unterstützung lokaler Player geht. Im besten Fall werden jetzt in der Krise Änderungen vorgenommen, die nach der Krise beibehalten werden. Das gilt insbesondere für die riesige Menge an Verpackungsmüll, der gegenwärtig entsteht.

Startseite von „Mainz Help“.

Daher ist MainzHelp natürlich ganz vorne dabei, da Du auf dieser Seite Deine Lielingslocation jetzt finanziell unterstützen kannst. Im Gegenzug erhältst Du einen Gutschein, den Du einlösen kannst, sobald die Location wieder geöffnet hat. Dadurch hilfst Du dem Unternehmen liquide zu bleiben. Die Initiative ist eine private Selbsthilfeseite der teilnehmenden Gastronomie-Betriebe in Mainz. Dein Betrag geht komplett an das ausgewählte Unternehmen. Ein gewisses Restrisiko bleibt natürlich an Dir hängen, wenn trotz aller Unterstützung Deine Location den Betrieb aufgeben muss.

„Mainz gebracht“ kombiniert Nachhaltigkeit und Risikoscheu optimal – zumindest, wenn Du in der Innenstadt wohnst. Schließlich beliefert Euch diese Initiative der Werbegemeinschaft Mainz e.V. und des Mainzer Citymanagements in der Innenstadt mit dem Fahrrad. Aber auch alle Mainzer Stadtteile werden von „Mainz gebracht“ angesteuert, so dass niemand innerhalb des Stadtgebiets auf dieses Gratis-Angebot verzichten muss. Auf der Facebook-Seite von „Mainz gebracht“ kann die ständig aktualisierte Liste der Partner eingesehen werden. Ihr bestellt beim Partner Eurer Wahl online oder per Telefon und gebt an, dass Ihr das Gratis-Angebot von „Mainz gebracht“ nutzen möchtet. Im Alten Postlager wird Deine Lieferung zusammengestellt und von ehrenamtlichen Helfer*innen zu Dir nach Hause gebracht. Trinkgeld könnt Ihr den Helfer*innen kontaktlos via PayPal an mail@mainzgebracht.com zukommen lassen.

Startseite von „Mainz Gebracht“.

Bei „Mainz liefert“ handelt es sich um einen Zusammenschluss von aktuell 12 Restaurants in Mainz. Täglich von 17 bis 21 Uhr könnt Ihr über „Mainz liefert“ leckere Speisen und Getränke Eures Lieblingsrestaurants online bestellen und bezahlen. Trinkgeld könnt Ihr direkt bei der Bestellung hinzufügen. Es werden nun alle PLZ-Bereiche von Mainz beliefert. Pro Bestellung fallen 3 € Liefergebühr an (5 € bei 55126, 55127 und 55130).

Auf LiebeDeineStadt.net bietet Luups einen Same-Day-Delivery bei Bestellungen bis 17 Uhr von Montag bis Samstag an. Luups bietet viele schöne Dinge von lokalen Mainzer Unternehmen an. Ein Besuch des Online-Shops lohnt sich bestimmt für viele von uns. Interessanterweise ist Luups wiederum auch Teil von Heimatschatz, ein Service der VRM-Gruppe, zu der u. a. die AZ gehört, und der Werbegemeinschaft Mainz. Im Gegensatz zu „MainzHelp“, „Mainz Gebracht“ und „Mainz Liefert“ möchte Heimatschatz auch nach der Krise weiterhin diese Online-Plattform betreiben, um Händlern dauernhaft die Möglichkeit des Online-Verkaufs zu bieten.

*Neu* Eine doppelte Hilfe stellen die TakeCare-Gutscheine von Wohnsitzlos in Mainz e.V. dar. Menschen ohne festen Wohnsitz wurden bisher durch Essensausgaben unterstützt. Diese Einrichtungen sind aktuell geschlossen oder dürfen nur unter Auflagen ihre Hilfe anbieten. Gleichzeitig leiden auch kleine Pizzerien, Asia-Imbisse und Döner-Läden unter der aktuellen Situation. Durch eine Spende mittels Banküberweisung werden diese Beträge in Gutscheine für obdachlose Mitbürger*innen umgewandelt und ausgegeben. Damit wird diesen Menschen genauso geholfen, wie den Betreiber*innen der kleinen Gastrobetriebe.

Die Stadt Mainz bietet auf ihrer Webseite nach Branchen sortiert einen Überblick, welches Unternehmen online oder per Telefon Bestellungen entgegennimmt. Mittlerweile hat sie auch eine Übersicht über die Lieferangebote der Mainzer Gastronomie erstellt. Ferner hat der Gutenbuchclub hat eine „Dealerliste“ erstellt, auf der sich alle inhabergeführten Mainzer Buchhandlungen befinden, bei denen bestellt werden kann.

Darüber hinaus lohnt sich immer ein Blick auf die Webseite Deines lokalen Lieblingsunternehmens, das aktuell darüber informiert, ob, wann und wie bestellt, abgeholt oder geliefert werden kann.

Die Supporters Mainz e.V. der Q-Block und weitere Fanclubs des 1. FSV Mainz 05 haben mit „Heile heile Gänsje, es is bald widder gut!“ eine Aktion ins Leben gerufen, mit der in der ersten Bestellphase 100 % der Erlöse an drei Institutionen gehen, die aktuell jede Hilfe benötigen können: Der Verein „Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.“, „Kochen für Helden Mainz“ (siehe Punkt 1) und „Ärzte ohne Grenzen“. Es gibt T-Shirts, Aufkleber und Taschen zu erstehen, auf denen der Ausspruch „Heile heile Gänsje, es is bald widder gut!“, der Zuversicht zum Ausdruck bringen soll, gemeinsam mit einer weißen Gans im roten Schal abgedruckt ist.

Startseite von „Mainz liefert“.

Tiere unserer Stadt

In der aktuellen Situation haben auch Lebewesen zu leiden, die keine große Lobby haben. Auch wenn Dir beispielsweise Tauben vollkommen egal sind, bitte ich zu bedenken, dass es sich um Lebewesen handelt, die Nachfahren ausgewilderter Haustiere wie Brief- oder Zuchttauben sind. Die Tiere unserer Stadt kannst Du online mit einer Geld- oder Sachspende unterstützen. Letzteres ist auf Amazon über den Wunschzettel der jeweiligen Organisation möglich. Dort suchst Du Dir das Produkt Deiner Wahl aus, das Du spenden möchtest. Aktuell gibt es zwei Wunschlisten von Tierschutzorganisationen aus Mainz:

Kennst Du schon Amazon Smile? Amazon reicht an angemeldete Organisationen 0,5% der Einkaufssumme Eurer so genannten „qualifizierten“ Käufe weiter. Ihr könnt beispielsweise „Tierheim Mainz“ in der Suchmaske eingeben. Natürlich gibt es noch viele andere unterstützenswerte Organisation auf Amazon Smile zu entdecken.

Personalisierte Startseite von AmazonSmile

Gerne erweitere ich diese Liste und hoffe, dass kein Local Player zurückbleibt und wir bald wieder geMAINZam gesellig das Leben in unserer Stadt genießen dürfen.

Weltreise in der eigenen Stadt

Wenn wir Mainzer*innen gefragt werden, was unsere Stadt bereits seit Jahrzehnten fast einzigartig in Deutschland macht, antworten die Jüngeren vielleicht das Marktfrühstück oder die Nullfünfer. Oder vielleicht die politisch-literarische Fassenacht?

 Programmheft und Isomatte sollten auf dem Open Ohr immer überalle dabei sein - passendes Accessoire: der Meenzer-on-Tour-Turnbeutel, fair gehandelt und aus Bio-Baumwolle
Programmheft und Isomatte sollten auf dem Open Ohr immer überalle dabei sein – passendes Accessoire: der Meenzer-on-Tour-Turnbeutel, fair gehandelt und aus Bio-Baumwolle

Sehr wenige Mainzer*innen werden wahrscheinlich das Open Ohr nennen, das mittlerweile zum 45. Mal auf der Zitadelle stattfand. „Zu links, zu wenig bekannte Künstler*innen, zu politisch, zu viele komische Menschen“ – das waren und sind Dinge, die ich ab und zu höre, wenn es um das alljährlich an Pfingsten stattfindende Festival geht. Ich persönlich finde das sehr schade, denn natürlich leisten die Nullfünfer gute Arbeit und als Fan unterstütze ich den Verein gerne in den Bretzenheimer Feldern, am Bruchweg oder auch in Aserbaidschan, wenn Mainz mal wieder spielt. Genauso habe ich die Fastnacht fest ins Herz geschlossen und finde es immer wieder schön, einmal im Jahr montags uff die Gass‘ zu gehen, statt, wie der der Großteil des Landes, einfach wieder eine neue Arbeitswoche einzuläuten. Ein von der Stadt (zwischen)finanziertes, politisches und von einer freien Projektgruppe mit sehr viel Engagement vorbereitetes Festival, das seit Mitte der 1970er Jahre existiert, ist tatsächlich einzigartig für Deutschland.

1997 war für mich als Mainzer diesbezüglich ein sehr bedeutendes Jahr: Am Pfingstsonntag bin ich mittags erstmals zu einem Zweitligaspiel der Nullfünfer gegangen und nach dem Spiel ebenfalls zum ersten Mal zum Open Ohr – lustigerweise mit einigen meiner Freunde, mit denen ich mich 2019 auch wieder auf der Zitadelle traf (und im Stadion am Europakreisel vierzehntägig sowieso). Die bereits angesprochene freie Projektgruppe, die fast ein Jahr lang das Festival ehrenamtlich mit vielen hauptamtlichen Mitarbeiter*innen der Stadt vorbereitet, stellt das Festival jedes Jahr unter ein Motto. Um welches Motto es sich 1997 gehandelt hat, weiß ich heute nicht mehr. Ich fand es damals allerdings schon interessant, dass es drei Bühnen und mehrere Zelte gab, in denen nicht nur Musik, sondern Theater, Kabarett und Podiumsdiskussionen angeboten wurden.

Blieb ich beim ersten Mal nur einen Tag, änderte sich dies im Folgejahr und ich gab mir die nächsten Jahre die volle Dröhnung Open Ohr mit drei Nächten Zelten, wenig Schlaf, viel Feiern und jeder Menge Spaß. Bin ich an Pfingsten nicht am Reisen, wie 2003 auf meiner Weltreise oder 2007 mit dem Fahrrad in der Ukraine, dann ist das Open Ohr seither für mich ein fester Bestandteil meiner „Jahresplanung“ – und genauso wichtig wie Spiele der Nullfünfer oder die fünfte Jahreszeit.

Regenjacken waren nur am Freitag ständige Begleiter
Regenjacken waren nur am Freitag ständige Begleiter

Das diesjährige Motto „Partei ergreifen“ traf den Zeitgeist vollkommen. Der Niedergang der ehemaligen Volksparteien hatte sich schon im Sommer 2018 abgezeichnet und ist seit der Europawahl aktueller denn je. Sicherlich auch aus diesem Grund waren die Diskussionen und Foren gut besucht und glücklicherweise auch wieder mit Politiker*innen bestückt, die das Parteienspektrum von ziemlich weit links bis einen Tick weit rechts der Mitte gut abdecken. Das war leider nicht immer so und das war auch öfters ein Thema bei der Festivalkritik – denn beim Open Ohr dürfen die Besucher*innen ihre Meinung schon immer kundtun – Jahrzehnte bevor Social Media dies allgemein möglich machte. Die Projektgruppe nahm diesen Punkt auch immer wieder auf, entgegnete allerdings, dass es manchmal schwierig sei, Politker*innen rechts der SPD für einen Besuch zu gewinnen.

Und dennoch, ein Heiner Geißler hat es sich nicht nehmen lassen, das Open Ohr zu besuchen, genauso wie Julia Klöckner, die vor ein paar Jahren zu einer Diskussion rund um das Thema Heimat eingeladen wurde. Dieses Jahr waren auch wieder Vertreter*innen der CDU und der FDP bei unterschiedlichen Diskussionen mit an Bord. Daher fand ich die Diskussionen dieses Jahr auch weitaus spannender als in manchen Jahren zuvor, in denen sich alle Podiumsteilnehmer*innen ohnehin fast einer Meinung waren. Und besser als jede Talkshow waren diesen Foren allemal, nicht nur, weil man sich respektvoll begegnete, sondern die anderen auch ausreden ließ, sich sogar manchmal einem Argument der Gegenseite zumindest nicht komplett verschlossen hat.

Die Ente ist (genauso wie der Rabe) mittlerweile Dauergast auf dem Open Ohr - hier beim Konzert von Sookee auf dem Drususstein
Die Ente ist (genauso wie der Rabe) mittlerweile Dauergast auf dem Open Ohr – hier beim Konzert von Sookee auf dem Drususstein

Das Argument, das Wahlrecht auch für Menschen unter 18 Jahren einzuführen, da auch eine Meinungsfreiheit für Menschen ohne Meinung gilt, fand ich ziemlich überzeugend – und die Pauschalisierung, dass junge Menschen keine Ahnung von Politik haben, darf eh angezweifelt werden. Einer Jutta Ditfurth zu lauschen, die sowohl Grüne als auch die „Fridays for Future“ Bewegung ein wenig entzauberte (wer darf da genau sprechen, wer ist da medienkompatibel, wen kann man für die eigene Partei „verwerten“), bringen sicherlich viele der Besucher*innen zum Nachdenken. Ihre These, dass Minderheiten unser Land verändern, Stichwort Arbeiterbewegung und Frauenrechtlerinnen, fand ich einprägsam.

Aber nicht nur Politiker*innen standen Rede und Antwort. Die Berliner Rapperin Sookee krabbelte extra frühmorgens aus ihrem Bett in der Hauptstadt, um vor ihrem Konzert mit uns über Haltung auf der Bühne zu diskutieren. Denn aus dem anfänglichen Interview wurde, wie auf dem Open Ohr üblich, eine Diskussion mit dem Publikum. Dafür stehen immer Mikrofone vor den Bühnen bereit und häufig beleuchten die Zuhörer*innen Punkte, die zuvor nicht angesprochen wurden. Für die Queerfeministin gibt es beim Thema Kunst und Haltung keine zwei Meinungen. Sie ist der Auffassung, dass Künstler*innen ja von der Öffentlichkeit profitieren. Daher hat die Öffentlichkeit auch ein Recht zu erfahren, welche Haltung Künstler*innen einnehmen. Manchmal urteilen Aktivist*innen ja in ziemlicher Schwarz-Weiß-Marnier in „Gute“ und „Schlechte“ – anders Sookee, die z.B. Sarah Connor, die ja bisher nicht gerade als politische Aktivistin galt, für ihr Lied „Vincent“ ausdrücklich lobte. Darauf angesprochen, auch mal etwas trivialere Songs zu rappen, um eine breitere Masse zu erreichen, entgegnete Sookee, dass das schon eine gewisse „Vergeudung von Atem“ sei – dementsprechend hat sie in der von Männern dominierten Welt des Sprechgesangs auch ein schwieriges Standing. Vor der Kraft, die Menschen wie Sookee und Ditfurth aufbringen, dauerhaft unangepasst in unserem Land für Minderheitenmeinungen Partei zu ergreifen, kann ich nur den Hut ziehen.

Natürlich werden solche Menschen permanent in den Sozialen Netzwerken dafür kritisiert und mit Hass und Häme überzogen. Für Ditfurth bietet Social Media dennoch mehr Chance als Bedrohung. Sie kann hier ihre Thesen ihrem Publikum rüberbringen. Wofür früher wohlwollende Journalist*innen notwendig waren, ist es heute nur eine funktionierende Internetverbindung, (was in Deutschland allerdings auch manchmal eine Herausforderung darstellt). Die Kabarettistin Sarah Bosetti hat die schlimmsten Beschimpfungen gesammelt und daraus lyrische Werke erstellt – ein sehr souveräner Umgang mit völlig niveaulosen Schmähungen. Ihre Anekdoten über das Scheitern, am Pfingstmontag vorgetragen, greifen das Thema genauso kreativ auf, wie es Nico Semsrott sicher die nächsten fünf Jahre in Brüssel und Straßburg rüberbringen wird. Eben jener Semsrott hatte im letzten Jahr das große Zelt zum Platzen gebracht, an einem heißen Pfingstmontag-Mittag.

Der Tag auf der Zitadelle fängt allerdings schon viel früher an. Mit Frühsport zum Beispiel – und der Möglichkeit, Vorurteile zu revidieren. Letztes Jahr machten wir uns um kurz vor zehn zum Beispiel auf, um mal eine Zumba-Session mitzumachen. Dass das alles andere als ein sinnbefreites Herumgehüpfe ist, stand bei mir schon nach ein paar Minuten fest, als ich völlig außer Atem gewesen war. Letztes wie dieses Jahr gab es auch Yoga, Tanz und dieses Jahr Qi Gong  aus Tibet. Es bringt mich immer wieder zum Schmunzeln, wenn Meditierende auf Mitmenschen treffen, die gerade ihr erstes Stubbi am Morgen öffnen. Denn auch fast einzigartig: Die Besucher*innen dürfen unbegrenzt Wasser mitbringen, das es auch zum Auffüllen unterhalb des Drusussteins gibt. Außerdem können sie bis zu einem Liter an Limo, Bier oder Wein auch in Glasflaschen (!) mit hineinnehmen.

Zur blauen Stunde vor der Hauptbühne über den Dächern von Mainz
Zur blauen Stunde vor der Hauptbühne über den Dächern von Mainz

Dazu sind die Getränkepreise extrem fair, wenn man die Preise kennt, die bei anderen Festivals aufgerufen werden. Die Speisen sind im Vergleich zu den Vorjahren ein wenig teurer geworden, dafür wurde endlich durchgängig auf Plastikbesteck und -teller verzichtet. Überhaupt sind die Eintrittspreise sehr fair und familienfreundlich. Kinder unter 14 Jahren zahlen nichts und ein eigenes Kinderprogramm sorgt dafür, dass auch die jüngeren Besucher*innen auf ihre Kosten kommen. Die schiere Menge an Kinderwagen und Buggys zeigte, dass das Angebot auch angenommen wurde. Wie beim Auto geht es beim Kinderwagen aber in Richtung „SUV“ – vielleicht sollten nächstes Jahr tatsächlich mal Parkplätze für diese Gefährte eingeführt werden – schließlich sollten auch Menschen mit eingeschränkter Mobilität noch etwas vom Festival mitbekommen und nicht von Buggys umzingelt werden – gerade auf den Wallanlagen am Drususstein. Aber zurück zur Preisgestaltung: Es gibt ein Sozialticket und wenn man 0,10 Euro pro Tag ein Jahr zurücklegt, dann hat man auch als Geringverdiener*in das Viertagesticket schon gelöst. Sehr transparent wird auch die Verwendung der Eintrittsgelder im Programmheft dargestellt. Der größte Teil geht mit 25 % für die Veranstaltungstechnik drauf. Da das Festival seit Jahren sehr friedlich abläuft, muss glücklicherweise für Security recht wenig Geld aufgewendet werden. So bleiben am Ende ca. 17 Prozent des Eintrittspreises für die Künstler*innen übrig.

Schüttelübungen bei Qi Gong morgens um zehn vor der Hauptbühne
Schüttelübungen bei Qi Gong morgens um zehn vor der Hauptbühne

Seit Jahren verpflichtet die freie Projektgruppe keine musikalischen Top Acts mehr, sondern eher Bands, die einem Massenpublikum wahrscheinlich unbekannt sind. Dadurch dass viele Genres in den vier Tagen abgedeckt werden, kommen wohl die meisten von uns auf ihre Kosten. Genauso wie man sich mal morgens auf Yoga oder Zumba einlassen kann, ist es doch auch extrem spannend, sich im Laufe des Tages auf unbekannte Bands, Theatergruppen und Kabarettistinnen und Kabarettisten zu freuen. So entsteht eine künstlerische Reise durch die ganze Welt. Das Schöne am Open Ohr ist zudem die Tatsache, dass man, mangels Publikumsmagneten, bei den meisten Konzerten auch auf der Wiese sitzen bleiben und gemütlich der Musik lauschen kann, ohne Angst haben zu müssen, plattgetrampelt zu werden.

Alles in allem waren es mal wieder eine wunderschöne Zeit auf der Zitadelle mitten in der Stadt. Ein ganz klein bisschen zähle ich schon die Tage bis zum nächsten Pfingstfest. Doch davor geht es erstmal wieder ins Stadion und zur Straßenfassenacht im schönen Mainz am Rhein.