Fußballfans und Nachhaltigkeit passen dem Klischee nach nicht wirklich zusammen. Und im Profisport samt seinen daran beteiligten Unternehmen fristet das Thema „Corporate Social Responsibility“ kurz CSR immer noch ein Nischendasein. Dass unser Verein vor zehn Jahren Weitsicht bewies und dieses Thema auf seine Agenda gesetzt hat, ohne von außen durch die Gesellschaft, die Politik oder den Verband dazu gezwungen worden zu sein, rechne ich dem Verein sehr hoch an. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere und sich aufraffen, plötzlich das gewohnte Verhalten zu ändern, fällt vielen von uns schwer, wie man beim Stichwort Mund-Nasen-Schutz gerade sehen kann.
Mittlerweile hat wahrscheinlich jeder Nullfünf-affine Mensch schon etwas von der Mission Klimaverteidiger gehört – spätestens in den letzten Wochen, in denen der Verein auf seine „05ER Klimaverteidiger Woche“ in den verschiedensten Medien hinwies. Das Echo in den sozialen Netzwerken entsprach dem bereits oben erwähnten Klischee. Aufgrund der sportlichen Situation blubberten zahlreiche Internetheld*innen davon, dass sich der Verein lieber auf das „Kerngeschäft“ konzentrieren sollte. Zu diesen Leuten ist das Thema Klimawandel noch nicht vorgedrungen. Dass dieses Thema wichtiger als der momentane Tabellenstand oder der gesamte Fußball ist, hat sich in den Köpfen dieser Leute noch nicht festgesetzt.
Ob diese sehr ablehnende aber vollkommen vorhersagbare Haltung der Internettrolle dazu geführt hat, dass der Verein die Form einer Podiumsdiskussion als großen Abschluss gewählt hat, weiß ich nicht. Der vermeintlichen Sache an sich, das Thema Klimaschutz voranzutreiben, hat diese Form sicherlich nicht wirklich geholfen.
Dass es in Zeiten der Pandemie nicht möglich war, so eine Veranstaltung öffentlich durchzuführen, war spätestens klar, als die Stadt Mainz zum Risikogebiet erklärt wurde. Diese Klassifizierung fand erst am letzten Sonntag statt und hatte daher sicherlich keinen Einfluss auf die Art der Veranstaltung.
Allerdings führte sie dazu, dass bei mir der Eindruck aufkam, dass man sich bewusst abschotten wollte, vom pöbelnden Fuß(ball)volk: Voraussetzung jeder Diskussion sind zunächst einmal Menschen mit einer unterschiedlichen Meinung zu einem Thema. Die geladenen Gäste aber bewiesen in den 90 Minuten das genaue Gegenteil. Der Verein beweihräucherte sich selbst mit seiner Weitsicht. Attestiert wurde diese Selbstbeweihräucherung auch noch durch den DFB-Präsidenten. Dass er sich persönlich dem Thema Nachhaltigkeit verschrieben hat, ist sehr löblich. Allerdings bekam ich den Eindruck, dass er da innerhalb seines Verbands auf vollkommen taube Ohren stößt, wenn er bei seinem Amtsantritt fragte, wer zukünftig das Thema CSR mit bearbeiten wollte. Diese Offenheit war sympathisch, zeigte aber deutlich, dass die Kritik am DFB (nicht an Herrn Keller persönlich) durch aktive Fußballfans wohl durchaus gerechtfertigt ist.
Die anderen Diskutanten hatten selbstverständlich ihre Berechtigung zum Thema Klimaschutz etwas zu sagen. Aber es wurde die Chance verpasst, Menschen einzuladen, die eine kontroverse Meinung zu diesem Thema haben. Das hat mich ein wenig an die Diskussionsrunden auf dem Open Ohr an Pfingsten auf der Zitadelle erinnert. Seitdem Heiner Geißler dort nicht mehr zu Gast war, saßen dort zu oft Menschen mit ähnlichem Meinungsbild zusammen und verhinderten damit einen Disput auf angemessenem Niveau. Darauf in der Festival-Kritik angesprochen entgegnete die „Freie Projektgruppe“ des Open Ohrs, dass sie oft Absagen von Politiker*innen mit anderem Parteibuch als dem der Linken, SPD oder Grünen erhalten. Ob der Verein den Versuch unternommen hat, kritische Geister einzuladen, weiß ich nicht. Aber man hätte auch einfach mal Leute aus dem Verein anfragen können, denen das Thema (noch) nicht so zusagt.
So entstand der einzige Dissens bei der Frage nach den eingesetzten Bechern im Stadion. Die einzige Frau im männerdominierten 7er-Kreis, Dezernentin Katrin Eder, brachte wenigstens den Willen mit, den Verein für seine Einwegbecher-Strategie zu kritisieren – sicherlich wohlwissend, dass es da auch keine wirklich einfache Antwort darauf gibt, ob Mehrwegbecher tatsächlich nachhaltiger sind. Wenn sich aber alle Diskutant*innen bereits vorher einig waren, dass Nullfünf alles toll macht, und alle anderen das nicht toll machen, hätte man sich das auch sparen können – oder wenn schon CSR-Blase und DFB-Präsident, dann hätte man so richtig nachhaken können. Warum zum Beispiel setzt der DFB seine Marktmacht als größter Sportverband der Welt nicht ein, dass die eingesetzten Fußbälle nachhaltig produziert werden oder die Trikots der Nationalmannschaft. Ein kleiner Verein wie Mainz 05 hat da tatsächlich wenig Einfluss drauf, der große DFB aber schon. Oder bleiben wir bei unserem Verein, der ja ab und zu auch fliegen muss oder will: Er redet immer von CO2-Kompensationen und Klimaneutralität. Aber beim Fliegen sind die Non-CO2-Anteile an klimaschädlichen Gasen zwei- bis dreimal so hoch. Werden diese kompensiert? Und wie werden sie kompensiert? Über 20 Jahre hinweg durch Pflanzaktionen oder direkt durch den Kauf von so genanntem „Sustainable Aviation Fuel“, also nachhaltigem Flugbenzin, was zirka 10-mal so teuer ist in der Kompensation? Oder das Kompensationsprojekt in Ruanda! Ist dieses vom Gold Standard oder einer vergleichbaren Organisation zertifiziert, damit man nicht in Gefahr gerät, des Greenwashings bezichtigt zu werden? Herr Keller sprach davon, dass man lieber weniger Fleisch aber dafür hochwertigeres Fleisch essen sollte. Wie verträgt sich dann das 2-Euro-Fleischkäsebrötchen mit so einer Aussage (das übrigens genauso teuer/billig ist, wie die Ditsch-Brezel). Ja, selbst innerhalb dieses geschlossenen Zirkels, hätte die Chance bestanden, kontroverser zu diskutieren. Und das Publikum? Die geladenen Journalisten durften keine Fragen stellen. Und über die eingeblendete E-Mail-Adresse kamen angeblich keine Fragen beim Moderator an.
Und dass man das Gremium femininer hätte besetzen können, kam im Laufe der Veranstaltung dann auch noch raus. Schließlich, so erzählte er es selbst, betraute DFB-Boss Keller eine Frau mit dem Thema CSR beim Sportverband. Und auch bei Mainz 05 ist mit Christina Mayer eine Frau für das Thema CSR zuständig. Dafür hätten dann allerdings zwei Männer die Bühne freimachen müssen. Und das wäre wohl dem Guten zu viel gewesen, denn über soziale Nachhaltigkeit, die Gleichstellung der Geschlechter, Equal Pay im Fußball etc. wurde an diesem Abend leider gar nicht gesprochen. Hat halt nix mit Klimaverteidiger*innen zu tun…
Mainz 05 spielt morgen Abend in der alten Försterei. Es ist anzunehmen, dass der selbst ernannte erste klimaneutrale Fußballverein der Bundesliga heute mit dem Flugzeug nach Berlin reisen wird. Wer dabei Schnappatmung bekommt, weil die Nullfünfer innerdeutsch fliegen, oder weil wir angeblich gerade wirklich andere Probleme haben, dem sei das Weiterlesen nicht unbedingt zu empfehlen – Schwarz-Weiß-Malerei passt nicht wirklich zu unseren rot-weißen Farben und grünen Themen.
Grundsätzlich alles auszuschließen, sprich niemals (innerdeutsch) zu fliegen oder keine Rücksicht auf das Klima zu nehmen, ist in unserer komplexen Welt nicht zielführend. Würde von heute auf morgen sogar der gesamte Flugverkehr zum Erliegen kommen, wie es gegenwärtig fast der Fall ist, werden immer noch 97 Prozent des bisher ausgestoßenen Kohlendioxids (CO₂) emittiert – sprich diese rigorose Maßnahme hätte keine wirklichen Auswirkungen auf die Entwicklung des weltweiten Klimas. Dennoch ist es natürlich umweltfreundlicher mit der Bahn oder dem Bus nach Berlin zu reisen. Nur bringt es das Klima nicht wirklich weiter, wenn eine Gruppe von 20 Menschen auf diesen Flug verzichten sollte und sich das Flugverhalten und -angebot aller anderen Player nicht verändert.
Gegenwärtig dominiert die Corona-Krise aktuell – Fußball und Fliegen inklusive. Unabhängig davon, ob wir Geisterspiele für richtig oder falsch halten, war die Betriebsamkeit der DFL in der Krise bemerkenswert. Vor der Virus-Krise drehten sich glücklicherweise viele Diskussionen um die Klimaerwärmung. Langfristig ist dieses Thema auch bedeutsamer als Corona und wird hoffentlich bald wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Denn die Belastung der Luft durch Gase, die den menschengemachten Klimawandel begünstigen, hat durch die Pandemie höchstens eine kleine Pause eingelegt. Und nur weil kaum noch jemand über das Klima spricht, ist diese Problematik ja nicht aus der Welt.
Umso verwunderlicher finde ich es, dass ich auf der Seite der DFL bei der Suche nach dem Wort „Klima“ die Antwort erhalte: „Zu Ihrer Suche gibt es leider keine Ergebnisse.“ Dabei geriert sich die DFL ja als Interessenzusammenschluss von 36 kleinen und mittelständischen Unternehmen. Bei den meisten anderen Unternehmen in Deutschland ist das Thema „Klima“ mittlerweile in den Fokus gerückt, alleine schon deshalb um im weltweiten Wettbewerb langfristig nicht abgehängt zu werden. Umweltschutz und Wettbewerbsvorteile schließen sich in vielen Teilen der Wirtschaft schon länger nicht mehr aus. Die EU spricht von einem Green Deal der auf den Weg gebracht werden muss und viele Wirtschaftswissenschaftler fordern bei Förderprogrammen für einzelne Branchen in der Post-Corona-Zeit aus der nutzlosen Abwrackprämie für Autos in der Finanzkrise zu lernen und stattdessen Zukunftstechnologien, die das Klima schützen, finanziell zu supporten.
Beim zweiten Versuch auf der DFL-Seite mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ etwas zu finden, erhalte ich immerhin drei Ergebnisse: „Der Verteilerschlüssel“, „Neue Rechteperiode für vier Spielzeiten“ und „Stellungnahme des DFL-Präsidiums“. Bei den ersten beiden Treffern handelte es sich um die Verteilung der Gelder für die Medienrechte der Saisons 2017/2018 bis 2020/21. Beim letzten Treffer geht es um die Fortführung des Spielbetriebs in Zeiten der Pandemie: „Es steht außer Frage, dass künftig Nachhaltigkeit, Stabilität und Bodenständigkeit zu den entscheidenden Werten gehören müssen. Diese Werte gilt es nach Überwindung der akuten Krise in konkrete Maßnahmen umzusetzen.“.
Nachhaltigkeit setzt sich aus wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aspekten zusammen. Ob die DFL tatsächlich auch die ökologischen Aspekte dabei berücksichtigt, darf zumindest angezweifelt werden. Aktuell dreht sich bei der Diskussion um die Neuausrichtung des Fußballs vieles um Gehaltsobergrenzen, Financial Fairplay und um eine gerechtere Verteilung der Fernsehgelder. Aber einen Ansatz, wie ihn Mainz 05 seit Jahren verfolgt, klimaneutral zu agieren, ist damit wahrscheinlich nicht gemeint.
Dass gerade der finanziell nicht wirklich perfekt ausgestattete Fassenachtsverein sich diesem wichtigen Zukunftsthema widmet, ist mehr als löblich. Mainz 05 ist hier Pionier und ich bin mir sicher, dass im Hintergrund viele richtige Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit getroffen werden. So sind viele Fanshop-Artikel mittlerweile GOTS-zertifiziert, was bedeutet, dass Shirts, Schals etc. zu fairen Bedingungen und ökologisch einwandfrei produziert wurden. Es gibt eine Kooperation mit der Mainzer Firma Got Bag, die Plastik als Beifang aus dem Meer fischen lässt und daraus einen Faden herstellt. In diesem Upcycling-Prozess entstehen schließlich schicke Rucksäcke aus Meeresplastik.
Bereits im Header der 05-Startseite wird das Thema „Engagement“ erwähnt und auf die „Mission Klimaverteidiger“ verlinkt. Dort findet sich der Hinweis, dass die Solaranlage auf dem Stadiondach durch die Stromerzeugung jährlich den Ausstoß von 470 Tonnen CO₂ verhindert. Mit einem weiteren Klick gelangt man dann auf die komplette Meldung und findet hinter der Aussage mit den 470 Tonnen den Satz, „Mainz 05 ist seit 2010 klimaneutral.“.
Doch was bedeutet das? Zwar wird erklärt, dass mit Entega und dem Darmstädter Ökoinstitut regelmäßig Daten erhoben werden, um den CO₂-Fußabdruck zu bestimmen. In diesem Fußabdruck sind auch die Fanbewegungen enthalten, sprich die An- und Abreise zu Heim- und Auswärtsspielen. „Die dennoch verursachten CO₂-Emissionen werden über den Erwerb von Zertifikaten zur Förderung von Klimaschutzprojekten kompensiert.“, so die Aussage auf der Seite. Vom TÜV Rheinland hat der Verein auch ein entsprechendes Energie-Zertifikat erhalten. „Dabei wurden die Ergebnisse des CO₂-Fußabdrucks systematisiert, um noch gezielter und effektiver Maßnahmen für das Energiemanagement zu ermitteln und zu bewerten.“
Das ist alles vorbildlich. Natürlich ist für viele Menschen eine solche Kommunikation vollkommen ausreichend. Allerdings stellt sich die Frage, ob der Verein tatsächlich ausschließlich auf die CO₂-Kompensation setzt, ob das Ökoinstitut und der TÜV ebenfalls nur den CO₂-Abdruck errechnen und zertifizieren oder ob der Verein tatsächlich den notwendigen zweiten Schritt geht und auch Non-CO₂-Emissionen kompensiert. Erfolgt eine solche Non-CO₂-Kompensation, sollte er es auch kommunizieren. Kompensiert er ausschließlich CO₂, besteht die Gefahr, dass Leute, die sich mit der Problematik auskennen, dem Verein gegebenenfalls „Greenwashing“ unterstellen könnten.
Schließlich ist es wissenschaftlich erwiesen, dass neben CO₂ weitere Gase Einfluss auf den Klimawandel haben. Die Non-Profit-Organisation „atmosfair“ bietet auf ihrer Webseite die Möglichkeit an, Flüge zu kompensieren und zwar über den reinen CO₂-Abdruck hinaus: „Für die Berechnung der Klimawirkung von Non-CO₂-Emissionen über 9 000 Meter Höhe werden die CO₂-Emissionen in dieser Höhe mit einem Aufschlag von 2 multipliziert und dann zum reinen CO₂ addiert (‘Faktor 3’).“.
Möchte man nun die Flüge Frankfurt – Berlin – Frankfurt bei atmosfair kompensieren, erhält man allerdings den Hinweis, dass es eine Bahnverbindung mit besserem CO₂-Fußabdruck gibt. „Nach dem Klimaschutzgrundsatz „Vermeiden und Reduzieren vor Kompensieren“ bieten wir daher die CO₂-Kompensation für diesen Flug nicht an.“ Trotzdem wird der Abdruck errechnet: Es entstehen 58 kg CO₂-Emissionen und 50 kg Non-CO₂-Emissionen. Über diese Non-CO₂-Emissionen findet sich bei Mainz 05 kein Hinweis. Wird dieser Betrag pro Person, die heute nach Berlin fliegt, eingerechnet oder nicht? Das Öko-Institut sollte das ermitteln und entsprechend kommunizieren können. Unabhängig davon, ob sich heute die Mannschaft ins Flugzeug setzt oder doch den Bus nimmt, fliegen Nullfünfer für gewöhnlich durch die weite Welt: zu Vertragsverhandlungen, zum Scouting, zu anderen Auswärtsspielen. Würde dann allerdings nur der CO₂-Anteil kompensiert, wäre das Wirtschaften des Vereins CO₂-neutral aber nicht vollkommen klimaneutral. Die Frage ist auch immer, wie schnell die Kompensation erfolgen soll – auch darüber findet sich kein Beleg auf der Seite von Mainz 05.
Neben atmosfair bietet auch „Compensaid.com“ eine Kompensation an und das auch tatsächlich auf der innerdeutschen Strecke zwischen Frankfurt und Berlin. Dabei kann zwischen verschiedenen Varianten gewählt werden: Möchte man innerhalb von 20 Jahren die Kompensation mit Hilfe von Bäumen durchführen, da diese CO₂ speichern, kostet das 2,59 € für die reine CO₂-Kompensation. Leider bietet die Seite keine Non-CO₂-Kompensation an. Würde man aber das o.g. Beispiel von atmosfair von 50 kg Non-CO₂-Emissionen nutzen, würden nochmals 2,32 € fällig. Das sind meiner Meinung nach Beträge, die jede Person, die fliegen möchte, auch bezahlen könnte. Alternativ gibt es mittlerweile nachhaltiges Flugbenzin (sustainable aviation fuel – SAF), das beispielsweise aus altem Speiseöl oder Holzabfällen hergestellt wird. Der Nachteil: SAF ist extrem teuer. Für die Strecke Frankfurt – Berlin – Frankfurt wären laut Compensaid 63,14 € für die reine CO₂-Kompensation fällig. Möchte man zusätzlich seinen Non-CO₂-Fußabdruck unmittelbar kompensieren, wären 54,43 € zusätzlich zu berappen.
An diesem Beispiel erkennen wir, dass es bereits heute theoretisch möglich ist, fast klimaneutral zu fliegen. Es ist einfach eine Frage des Geldes. Da wären wir dann wieder beim Fußball. Was wäre das eigentlich für ein Signal, wenn die Branche ihre Flüge mit SAF kompensieren würde? Dadurch würde die Nachfrage nach SAF erhöht und langfristig der Preis sinken. Das wäre gesellschaftspolitisch ein riesen Gewinn. Das ist jedoch wahrscheinlich sehr unrealistisch, da das eingenommene Geld durch die Medienverträge anderweitig verwendet wird. Aber Mainz 05 sollte auf seiner Webseite erläutern, welche Klimaschutzprojekte gefördert werden, wie lange es dauert, um eine solche Kompensation (z.B. über Bäume) durchzuführen und ob diese Projekte von Organisationen, wie dem „Gold Standard“ zertifiziert werden. Der Gold Standard wird vom Umweltbundesamt wie folgt bewertet: „Achten Sie bei Kompensationsanbietern auf diese Zertifizierung. Die Gold-Standard-Foundation ist eine Non-Profit Zertifizierungsorganisation, die in der Schweiz registriert ist. Berechtigt zur Zertifizierung durch „The Gold Standard“ sind nur Projekte, die nachweislich zur Reduktion von Treibhausgasen führen und gleichzeitig gut für die lokale Umwelt und soziale Belange der Bevölkerung sind.“ Leider besteht auch bei Projekten immer die Gefahr des Greenwashings – daher ist die Zertifizierung so wichtig.
Außerdem ist natürlich fraglich, wie der Verein die Fanströme berechnen möchte. Hätten wir am Mittwoch in Köpenick gespielt, wüsste der Verein ja nicht wirklich wer mit der Bahn, mit dem Bus, mit dem PKW oder mit dem Flugzeug nach Berlin gereist wäre. Natürlich interessiert sich die Mehrheit der Leute für solche Details nicht. Es ist allerdings meiner Meinung nach wichtig, die Berechnungsgrundlagen darzulegen, um tatsächlich nicht in den Verdacht des Greenwashings zu geraten. Airlines, die direkt eine Kompensationsmöglichkeit anbieten, lassen sich die Berechnungsgrundlagen durch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften attestieren und diese auch publizieren. Es ist anzunehmen, dass der TÜV Rheinland, der Mainz 05 zertifiziert, eine solche Berechnungsgrundlage erstellt hat. Diese sollte entsprechend öffentlich zugänglich sein.
Ich habe als Fan diesbezüglich mittlerweile einen gewissen Anspruch, schließlich schreibt sich der Verein seit 2010 das Attribut der Klimaneutralität auf seine Fahnen. Allerdings sollte für so eine fundamentale Aussage auch entsprechende Belege erbracht werden. Für mich ist der Ansatz, klimaneutral zu agieren auch ein Grund, warum ich meinen Verein so wertschätze. Er ist trotz der oben gestellten Fragen, die sich sehr schnell beantworten lassen sollten, tatsächlich Vorbild: Für uns Fans, aber auch für andere Vereine in der Bundesliga und auch andere Vereine in anderen Sportarten. Wir lieben unseren Verein und werfen ihm oft vor, sich nicht richtig zu positionieren. Manche möchten aus Nullfünf ein zweites St. Pauli machen, das bei vielen gesellschaftlichen aber vielleicht eher unbequemen Themen eindeutig Stellung bezieht. Manche finden Union Berlin (trotz der Vorkommnisse 2002) cooler, weil die Fans das Stadion mit umgebaut haben. Ich finde, die Positionierung als Vorreiter beim Klimaschutz ist zumindest ein markanter Wesenszug unseres Vereins, der damit in der Liga nahezu ein Alleinstellungsmerkmal hat – dieses allerdings noch viel mehr herausstellen sollte, gerade in der nächsten Zeit.
Und die DFL? Die klopft sich aktuell auf die eigene Schulter. Ihr Konzept „Task Force Sportmedizin / Sonderspielbetrieb“ geht gegenwärtig einigermaßen auf. Mit Stolz verkündet sie, die ganze Welt würde darauf schauen. Ich würde mich freuen, wenn sie in Kürze eine entsprechende Task Force „Green Deal für die Bundesliga“ aufbauen würde. Schließlich sind alle Verantwortlichen der Meinung, dass die Bundesliga Vorbild-Charakter hat – auch gerade für die anderen Ligen in Europa. Die Premier League, die ja mit noch mehr Geld zugeschüttet wird, könnte es sich moralisch dann sicherlich nicht leisten, hintanzustehen, gerade auch weil in Großbritannien teilweise Umweltschutz wesentlich stringenter, insbesondere im Bereich der Supermärkte und Modefirmen (Fair Fashion), umgesetzt wird als bei uns, wo oft noch „billig“ vor „bio“ und „fast“ vor „fair“ steht.
Ferner begeistert Fußball alle sozialen Schichten, alle Geschlechter und die meisten Nationen. Klimaschutz geht uns alle an. Es bietet sich für die nächste Spielzeit tatsächlich die Chance, als Liga (und mit dem DFB als Verband) voranzugehen und den Klimaschutz zu priorisieren. Dann hätte die DFL eine weitere Möglichkeit, sich auf die Schulter zu klopfen und weltweites Vorbild zu sein – beim wichtigsten Thema unserer Zeit überhaupt.
Nachhaltigkeit wird bei Mainz 05 immer wieder betont. Dass sich der Verein auf einem guten Weg befindet zeigt seine Bereitschaft, sich mit der Klimaproblematik auseinanderzusetzen. Der Verein unterstützt die Fridays for Future Aktivist*innen und schreibt sich selbst auf die Fahnen, der erste klimaneutrale Verein der Bundesliga zu sein.
Ferner gibt es im Fanshop mittlerweile viele Klamotten, die fair produziert wurden und das GOTS-Siegel tragen. Ob sich mit dem neuen Trikotsponsor Kappa ab der nächsten Saison Fair Fashion-Projekte realisieren lassen, bleibt abzuwarten. Dies hatte ich ja bereits in einem Blog-Beitrag thematisiert.
Beim Thema Wirtschaftsbeirat tut sich der Verein zwar gerade keinen Gefallen, da die mehr als 15 Beiräte allesamt männlich sind. Aber hier ist hoffentlich nicht alles in Stein gemeißelt und es finden sich bestimmt kompetente Frauen, die diesen Beirat bereichern.
In meinem ersten Blog-Beitrag zum Thema Nachhaltigkeit bei Mainz 05 ging es auch um das Thema Stadionverpflegung. Habe ich mich damals hauptsächlich mit der Abfallvermeidung und der Frage Mehrweg oder Einweg beschäftigt, möchte ich heute das Hauptaugenmerk mal auf das Thema Speisen legen. Auch wenn Mainz 05 beim PETA-Ranking des vegetarierfreundlichsten Stadions nicht ganz vorne liegt, ist das Angebot an fleischfreien Speisen in den letzten Jahren gewachsen. Es kann sich sicherlich niemand mehr beschweren, dass man im Stadion als Vegetarier oder Veganer nur die Brötchen rund um die Feuerwurst essen könne, was leider in manchen Stadien der Republik heute noch im Gästeblock Alltag ist.
Allerdings stellt sich die Frage, ob das Angebot nachhaltig ist und der Verein hier tatsächlich als „Klimaverteidiger“ auftritt. Natürlich wäre es revolutionär, wenn Mainz 05 komplett auf Fleisch verzichten würde. Aber das würde die meisten Menschen schlichtweg überfordern. Die Bratwurst gehört für viele Leute zum Stadionbesuch dazu. Das wäre gegenwärtig alles andere als zielführend. Um Nachhaltigkeit in den Alltag möglichst vieler Menschen hineinzubekommen, muss dies in kleinen Dosen geschehen. Das ist keineswegs zynisch oder ironisch gemeint – wir sind so wie wir sind 🙂
Auf Biofleisch bei Wurst und Co. zu setzen würde hingegen
den Geldbeutel vieler Stadiongänger*innen überfordern. Denn eine Wurst wäre
sicherlich nicht für unter 5 € zu haben. Was also tun? Vielleicht mal über den
Tellerrand schauen:
Ein großes Hotel in Finthen bietet seit Jahren 4-Gänge-Menüs in seinem Restaurant an. Soweit so gut, soweit so normal. Aber das 4-Gänge-Menü mit Fleisch kostet 59 € – das Menü mit ausschließlich vegetarischen Speisen 41 €. Sprich es kostet ca. 30 % weniger. Auf das Stadion übertragen, könnte man diese Preisdifferenzierung ebenfalls einführen. Aktuell werden für eine Riesen-Brezel, die gar nicht so riesig ist, 2 € verlangt. Ebenfalls 2 € kostet ein Fleischkäsebrötchen. Natürlich soll die Brezel im Stadion ruhig ein wenig mehr kosten als an der Bude in der Stadt. Aber dieser Aufschlag sollte auch für das Fleischkäsebrötchen gelten – möchte man als Verein den Unterschied in Sachen Nachhaltigkeit machen.
Zurück ins Hotel. Dort wurde auf der Speisekarte angegeben, wo die Zutaten angebaut wurden. Die Rote Beete stammte beispielsweise aus Gonsenheim, der Spätburgunder für die Mousse von einem Weingut aus Saulheim. Sprich es wurde Wert auf regionale Produkte gelegt. Auf das Stadion übertragen stellt sich die Frage, ob es Avocado-Sandwiches wirklich geben muss? Schließlich wächst die Avocado nicht in Rheinhessen und braucht ziemlich viel Wasser um zu gedeihen – oft in Ländern mit Wasserknappheit. Der Transport dieser Beere (kein Witz) verhagelt natürlich die Klimabilanz von Mainz 05 extrem.
Und wieder zurück ins Hotel. Dort wurde als Hauptgang Spitzkohl aus Ginsheim serviert. Spargel ist sicherlich auch lecker, aber die Saison kommt halt erst in ein paar Monaten. Auf das Stadion übertragen wären beispielsweise Schwarzwurzeln oder anderes frittiertes Wintergemüse aktuell eine Möglichkeit – neben den tatsächlich angebotenen Kreppeln natürlich. Warum nicht später im Jahr eine Spargelcremesuppe anbieten und im Herbst Reibekuchen mit Apfelmus? Alles halt zu gegebener Zeit. Aber natürlich tun es auch die kredenzten Pommes oder Kartoffelecken mit Kräuterquark. Es bleibt zu hoffen, dass nicht demnächst Süßkartoffel-Pommes den Avocadosandwich ablösen.
Um ein nachhaltiges Catering im Stadion anzubieten ist es folglich nicht damit getan, einfach ein paar vegane Gerichte anzubieten. Gemüse aus der Region, das teilweise nur saisonal geerntet wird, sollte hier die Lösung sein – zu einem Preis, der deutlich unter dem für Fleischgerichte liegt. Dann klappt’s nicht nur mit der Nachhaltigkeit im Nachwuchsleistungszentrum sondern auch beim Futtern!