Buore beaivi…
bedeutet Hallo und ist Sami, die Sprache der Sami hier in Sapmi, ganz weit im Norden unseres Kontinents. Sapmi ist Euch sicherlich unter dem Namen „Lappland“ besser bekannt. Mittlerweile bin ich mit dem Rad in den äußersten Norden Europas vorgedrungen, doch angefangen hatte die 2. Mailetappe in Kuhmo, Mittelfinnland. Nachdem ich Euch Teil 1 in der Bücherei geschrieben hatte, fing es an zu regnen. Leider hörte es nicht mehr so schnell auf, so dass ich zu meiner absoluten Lieblingsbeschäftigung am nächsten Morgen übergehen durfte: Nasses Zelt einpacken! Hm, toll…denn es regnete einfach weiter, so dass ich „endlich“ mal richtig durchgewaschen wurde. Von unten durch die Strasse, von oben durch Petrus Werk und von der Seite von den finnischen Holzlastern.
Dazu wurde es recht kühl und ich hatte 132 km vor mir, die ich unbedingt irgendwie durchstehen musste, da ich fernab der Hauptverkehrsstrassen unterwegs war. Auf diesen Hauptstrassen besteht Busverkehr und ich hätte dort einfach den Bus nehmen können. Doch ich wählte diese entlegene Strecke, um dem relativ dichten Verkehr Süd- und Mittelfinnlands zu entgehen. Nach 42 km erreichte ich das 1. Kaff und gleich ein Tante Emma Laden. Dort gab es karelische Teigtaschen à la Quiche Lorraine. Das baute mich wieder auf. Aber der Regen wurde stärker und es waren noch 90 km bis zur Hauptstrasse. Mittlerweile überholten mich nur noch Holzlaster und russische Autos, denn Russland war nur noch ein paar km entfernt.
Nach weiteren 50 km im Dauerregen überraschte mich Finnland mal wieder. Mitten in der Pampa gab es wieder einen Laden, und was für einen: Neben den üblichen Lebensmitteln lagen Kühlschränke, Mikrowellen, Lautsprecherboxen herum. Die Dorfjugend probierte die Boxen aus und ich konnte es kaum fassen, dass es sogar Kreppel und Kaffee gab – dazu potthässliche gelbe und blaue Plastikstühle und eine Spiegelwand mit Tisch, an denen ich den bizarrsten Kreppelkaffee meines Lebens genoss. Außerdem besaß ich einen finnischen Schatten, der ständig hinter mir herlief und wischte, da ich klitschnass war und meine eigene finnische Seenplatte produzierte.
So gestärkt ging es auf die letzten 35 km und dann war mal wieder Glückszeit angesagt: Ich hatte keinen Bock auf Schlafen im nassen Zelt und Finnen überraschen ja gerne und so wurde mir ein alter Ford Transit mit Heizung angeboten. Dieses erwärmende Angebot nahm ich dankend an. Dass ich dann noch am Abend meine Lebensmittelvorräte gegen einen besonderen Eindringling verteidigen musste, hätte ich nicht gedacht: Plötzlich kam ein Esel um die Ecke und fraß ruckzuck alle Pfefferminzteebeutel samt Packung auf. Wenigstens hatte er jetzt einen guten Atem, denn er leistete mir den gesamten Abend Gesellschaft.
Am nächsten Morgen sah die Welt schon wieder ganz anders aus: strahlend blauer Himmel und Sonnenschein. So konnte ich gemütlich auf der Europasstrasse nach Norden weiterfahren. Es gab zwar wieder kaum Käffer, aber alle 20 km Mini-Straßencafés, in denen es bspw. Pfannkuchen auf Holzfeuer gebacken mit selbst gepflücktem Beerenkompott gab. Über solch einfachen Dinge freue ich mich auf dieser Tour ganz besonders. Denn das ist das wunderbare an solchen Reisen: Das gesamte Leben dreht sich lediglich um 3 Fragen: Halte ich die Reise körperlich durch, hält das Rad durch und halten wir gemeinsam das Wetter aus – banal, oder? Darum gibt es eigentlich auch nur 3 Zustände während der Fahrt: Radfahren, Essen und Trinken, Schlafen! Das macht das Leben endlich mal einfach. Denn unser Alltag ist doch oft kompliziert: Zu früh Aufstehen, Hetze zur Arbeit, wann aufhören zu arbeiten, damit man noch Zeit zum Einkaufen hat, was heute Abend machen, was am Wochenende etc. etc. Da habe ich es gerade sehr einfach!!! Nach 1.248 km Radfahren habe ich am Sonntag morgen den Polarkreis erreicht. Ab diesem Punkt bewege ich mich nordwärts geographisch gesehen in der Arktis. Aber so arktische Temperaturen habe ich noch nicht: 30 Grad und Sonnenschein! Am Polarkreis geht am 21. Juni die Sonne nicht unter und am 21. Dezember nicht auf. Nördlicher Gefilde haben diese Extreme noch wesentlich länger als einen Tag und hier am Inari-See geht die Sonne ca. um 0:45 unter und um 1:15 wieder auf. Diesen kurzen Nächten tragen die Kneipen Rechnung: Selbst im kleinsten Kaff sind die sie bis mindestens 3 Uhr auf und veranstalten KARAOKE! Die Finnen fahren dabei fast drauf ab wie Koreaner! Ob es an der ähnlichen Grammatik beider Sprachen liegt?
Mittlerweile bin ich öfters im Stau! Aber nicht wegen Autos sondern wegen Rentieren. Diese halb-wilden Viecher, grasen in ganz Nordfinnland, nehmen auf den hupenden Autofahrer keine Rücksicht und blockieren einfach mal die Strasse, so lange sie Lust haben. Lediglich vor mir als Radler haben sie Angst, da ich keinen Krach mache (oder bestialisch stinke?). Später landete dann ein Stück Rentier sogar auf der „Polar Pizz“a gemeinsam mit Annanas und Zwiebeln. Das Fleisch schmeckt eigenartig, aber gut!
Die meiste Zeit geht es landschaftlich immer noch durch Wald. Lediglich seit gestern Nachmittag, kurz vor dem riesigen Inari-See lichtet sich der Wald und Moore prägen die Landschaft, ähnlich den schottischen Highlands.
Die Region nördlich des Polarkreises ist der Lebensraum der Sami, die früher Lappen genannt wurden. Sie sind die eigentlichen Ureinwohner Finnlands. Sie zogen, nachdem die Finnen kamen vor, ihr Nomadenleben im Norden weiterzuführen. Sie wurden lange Zeit wie so viele Minderheiten unterdrückt. Im 17. Jhdt. wurden sie zwangschristianisiert. Ihre Naturreligion mit Schamanentum wurde verboten. Im 2. Weltkrieg mussten 1944 die Deutschen nach der Niederlage gegen die Sowjets das Land verlassen und brannten alles nieder, so dass es heute kaum noch ein Gebäude in Lappland gibt, das aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg stammt. Dank der EU und dem finnischen Staat haben die Sami jetzt ein relativ gutes Leben mit Rentierzucht. Ihre Sprache ist anerkannt, alles ist 2-sprachig beschildert und sie haben ein eigenes Parlament.
So…jetzt mache ich mich mal auf, wieder das Land zu entdecken, um bald mal wieder etwas zu berichten!