Auch die zweite Woche mit dem Auto in Argentinien haben sowohl wir Insassen als auch unser VW Gol gut überstanden – danke Wolfsburg! Jetzt kann ich diesem Verein wenigstens etwas Positives abgewinnen. Aber vom Gewinnen rede ich als Mainzer lieber mal nicht zurzeit, lieber vom Reisen durch Argentinien.
Die Hauptstraßen sind dort eigentlich entweder Autobahnen mit einer grünen breiten Wiese als Trennung oder langgezogenen Landstraßen, die zum Überholen von extrem langen, unzähligen LKW-Kollonnen aus Brasilien einladen. Aber die Nebenstraßen…
Nein, es handelt sich dabei um keine Schlaglochpisten sondern eigentlich immer um Erdstraßen. Somit lohnt sich beim Autofahren in der Pampa wirklich den Wetterbericht vorab zu studieren. Wir hatten zwar einen höhergelegten VW aber kein Allradfahrzeug. So machten wir uns nach den Regenfällen der letzten Tage mit etwas mulmigen Gefühl auf die Strecke in das Tierparadies Esteros del Iberrá. Dieses liegt auf halbem Weg zwischen Buenos Aires und Iguazú fernab von jeder Teerstraße. Diese Abgeschiedenheit war für uns natürlich Fluch und Segen zugleich. Segen, weil es nur wenige Touristen gibt, die die über 100 km lange Piste in Angriff nehmen, um dieses Naturparadies zu entdecken, Fluch, weil wir befürchten mussten, bei Regen, den es dort halt immer wieder gibt, dann mal ruckzuck ein paar Tage von der Außenwelt abgeschnitten zu sein. So gingen wir auf die Piste und waren froh, dass die ersten 10 km sogar geteert waren – warum? Keine Ahnung, denn der Belag verschwand von einem auf den anderen Meter und die Erdstraße, wurde zunehmend schlechter, sprich es gab tiefe Furchen aber zum Glück keine Schlammlöcher in denen man stecken bleiben konnte. Durch die Höherlegung des Autos kamen wir nach 4 Stunden Fahrtzeit dann in Colonia Pellegrini dem einzigen Ort auf dieser 100 km Strecke an.
Auf dem Weg dorthin trafen wir bereits Capybaras, im Deutschen auch bekannt als „Wasserschwein“. Diese liebenswerten Viecher haben mit einer Sau aber rein gar nichts zu tun. Vielmehr handelt es sich um die größten Nagetiere der Welt, die bis zu 75 kg schwer werden können. Uns erinnerten die Capybaras eher an Tiere von Loriot mit ihrer platten Schnauze und ihrem vollschlanken Körper der aus einem wasserdichten struppigen Fell besteht. Schließlich lieben es Capybaras sich in Tümpeln vom vielen Pflanzenfressen auszuruhen. So badete direkt am Straßenrand ein Capybara in einer Pfütze und ließ sich durch uns nicht im geringsten stören. Neben unzähligen Vogelarten entdeckten wir auf einer Bootsfahrt auch viele Kaimane und bei einer Wanderung auch sehr scheue Affen, die anders als in Indien es vorzogen, in den Baumkronen sich von Ast zu Ast zu hängeln als auf dem Boden wehrlosen Brillenträgern ihre Sehhilfen zu klauen – wie mir geschehen, 2008 im nördlichen Teil des Subkontinents.
Nach ein paar Tagen Natur pur im Zelt ohne Gewitter oder Platzregen setzten wir unsere Autofahrt nach Nordosten auf der Piste fort – dem trockenen Wetter sei Dank. Denn die Piste sollte noch wesentlich schlechter werden, als die auf der Hinfahrt genommene. Wären wir auf dieser zurück gefahren, hätten wir ca. 300 km an zusätzlicher Strecke gehabt – ein Umstand auf den wir gerne verzichtet haben. Nach Absprache mit den Einheimischen, die unseren VW Gol für tauglich für diese Strecke bei diesen Witterungsverhältnissen hielten, zogen wir frühmorgens weiter. Zunächst wurde die Piste einfach nur ein großer Sandkasten, bei dem man fast froh sein konnte, dass noch eine gewisse Feuchtigkeit im Boden war, die den Sand zusammenklebte und wir immer mit Vollgas gemäß der Devise „Augen zu und durch“ weiterkamen. Irgendwann aber trafen wir auf Furchen und Rinnen die zum Teil einen halben Meter tief und dann auch noch verschlammt waren. Da musste ich imaginär öfter mal die Daumen drücken und drei Kreuze machen, aber der Volkswagen hielt durch und uns in der Spur. Das Auto schlingerte mehr als einmal aber wir kamen durch bis zur Teerstraße nach ca. 130 km…wieder ohne Kaff.
Den Rest des Tages ging es dann auf einfach zu fahrender Hauptstraße weiter zu den ehemaligen Jesuiten-Missionen in der Provinz „Misiones“ – dem nordöstlichsten Teil Argentiniens. Dort missionierten im 17. Jhdt. spanische Jesuiten-Möche bei der einheimischen indigenen Guaraní-Bevölkerung erfolgreich, in dem sie um die Kirchen herum große Dörfer gründeten, in denen demokratisch gewählte Vertreter den Alltag der bekehrten Guaranís bestimmten. Diese fanden das Christentum wohl sicher auch dadurch attraktiv, da diese Dörfer Schutz vor Sklavenhändlern boten. Im heutigen Paraguay, Argentinien und Brasilien finden sich mehrere dieser Stätten, die für ca. 50 bis 100 Jahre im 18./19. Jhdt. vollkommen vom Dschungel überwuchert wurden, da diese Dörfer irgendwann von Sklavenhändlern dann doch erfolgreich eingenommen wurden – unterstützt von den damaligen Kolonialmächten Spanien und Portugal. Heute sind von diesen Bauten nur noch die Grundmauern zu sehen, aber ähnlich wie in Angkor Wat oder bei den Pyramiden in Mexiko sehen Ruinen im Dschungel immer sehr beeindruckend aus und es kommt so eine Indianer Jones Athmosphäre auf.
Nach einem Nachmittag als gefühlter Harrison Ford ging es dann zu unserem Ziel der Reise, den Iguazú-Wasserfällen. Der Lonely Planet hat es ganz gut beschrieben: Es gibt Wasserfälle und Wasserfälle und es gibt die Iguazú-Fälle! Damit ist alles gesagt – zumindest für diejenigen von Euch, die das Glück bereits hatten, einmal am Rand dieses tosenden Rauschens zu stehen. Allen anderen sei gesagt, wenn Ihr irgendwie mal die Möglichkeit habt, dorthin zu kommen, macht es! Was da Mutter Natur für eine Show abzieht ist wirklich schon fast unwirklich. Und zugleich sind diese Fälle aufgrund ihrer Größe gar nicht so überlaufen. Gerade die argentinische Seite bietet unzählige Wanderwege und Stege an, von denen man die Fälle aus fast allen Positionen bestaunen kann. Brasilien bietet auf einem recht kurzen Weg ein sagenhaftes Rund-Um-Panorama. Daher sollte jeder, der das Glück hat, mal dort zu sein auch beide Seiten besuchen. Auf dieser Reise steht für jeden Schwerpunkt unserer Tour ein anderes, lustig anzusehendes Säugetier symbolhaft für diesen Ort. Waren es die Capybaras in Iberá so waren es in Iguazú die Coatis, Nasenbären, die mit riesigem Büschelschwanz. Die Tiere erinnerten mit diesem hochstehenden Schwanz an Autoscooter die durch die Gegend huschten – immer auf der Suche nach Nahrung, vorallem bei Mülleimern, die bereits so konstruiert waren, dass die Viecher sie eigentlich nicht aufbekamen. Diese versuchten es trotzdem unentwegt, dort an Nahrung zu gelangen und manches Mal war dieses ewige Versuchen sogar von Erfolg gekrönt – anders als zurzeit bei unseren Meenzern.
Iguazú bot aber auch kulinarische Highlights – gerade für Vegetarier, denn ansonsten sieht es für Fleischverschmäher in Argentinien oft was die Vielfalt an Speisen angeht recht mau aus. Meistens gab es nur Pasta in drei Formen: Bandnudeln, Ravioli und Canneloni, wobei letztere meist sehr lecker waren, da sie recht voll mit Spinat gefüllt waren. Saucenmäßig blieb meist nur die Tomaten-Variante „Filetto“ oder die mächtige „Blanca“, die Weiße, die hauptsächlich aus Sahne besteht. In Iguazú gab es in vielen gehobenen Hotels Buffets mit einer riesigen Auswahl an fleischlosen Speisen – neben großer Pasta- und Grillauswahl. Dazu wird natürlich ein guter Malbec-Rotwein oder Torrontes-Weißwein genossen – beides Traubensorten, die in Europa entweder gar nicht (Torrontes) oder nur als (Bordeaux-)Verschnitt existieren, da diese Sorten nicht robust genug für unser wechselhaftes Wetter sind.
Irgenwann waren wir dann vollgefuttert und auch vom Wein her gut gefüllt, so dass wir uns auf die 1.500 km lange Rückreise nach Buenos Aires mit dem Auto machten. Statt auf der Hauptstraße zurückzubrettern, nahmen wir uns wieder Zeit, auf den Nebenstraßen dieses vielfältige Land zu entdecken, so z.B. die breitesten Wasserfälle der Welt. Gut, wenn man von Iguazú kommt, dann sind alle anderen Wasserfälle der Welt eigentlich nur ein kleines Plätschern, aber die Saltos de Moconá waren die Reise wert. Der Rio Uruguay fällt direkt an der brasilianisch-argentinischen Grenze auf 3,5 km Länge mitten im Fluss abprupt ab, so dass auf der argentinischen Flussseite der Strohm zunächst ebenerdig weiterfließt, während er auf der brasilianischen Seite auf diesen 3,5 km bis zu 16 m an Höhe verliert. Dieses Phänomen mit dem Boot aus nächster Nähe zu betrachten, ist ein äußerst nasses, rumpeliges aber auch einmaliges Vergnügen – zumal die Fälle wirklich am Ende der Welt liegen. Zum nächsten Kaff waren es 75 km und dieses El Soberbio war selbst ein Fleckchen Erde an dem die Zeit wohl stehen geblieben ist. Samstag abends in der Kneipe wurde ein Endlos-Medley aus 90er Jahren Dance-Floor gespielt. „Rhythm is an Dancer“, „What is love?“ und Dutzende andere eigentlich längst vergessen One-Hit-Wonder hauten mir einen Ohrwurm nach dem anderen ins Hirn…“I’m too sexy for my car…“ ging mir noch Tage danach im Kopf herum – diese Zeitreise war aber noch das beste an dem Restaurant, denn kulinarisch war es gerade nach Iguazú ein Ritt durch die Hölle. Die Palmherz-Pizza bestannd eigentlich nur aus dickem Teig mit einer Komplett-Belegung aus Mozarella und einem Hauch Tomaten-Sauce. Die Palmherzen waren recht überschaubar angeordnet und die alternative Pasta (dieses Mal Bandnudeln) wurde mit Tomatensauce aus dem Tetra-Pak kredenzt. Es gibt sicherlich leckerere Speisen – aber wenigstens war das Quilmes-Bier schön kühl, denn hier oben im Nordosten Argentiniens ist es tropisch feucht-warm…und somit ideales Biergarten-Wetter.
Doch jede Reise geht mal zu Ende und somit ging es für uns weiter nach Süden in Richtung Buenos Aires. Ein letztes Mal besuchten wir einen der unzähligen Nationalparks Argentiniens – dieses Mal waren eigentlich Pflanzen in El Palmar die Attraktion. Wie es der Name schon vermuten lässt, geht um fast ausgerottete Palmen, aber der eigentliche Hit waren die Viscacha – trollige Chinchilla-Viecher, die nachtaktiv waren und uns mit ihrem Grunzen, Quieken und Pupsen in den Zeltschlaf „sangen“.
Bevor wir die zweite Zeltnacht antraten, überlegte es sich der Himmel nochmals anders und nach einer recht langen Trockenperiode von einer Woche kübelte es plötzlich was das Zeug hielt. Dieses Dreckswetter veranlasste wohl den Restaurant-Besitzer im National Park dazu seinen Laden gar nicht erst aufzumachen, so dass wir abends plötzlich die Wahl hatten, im Kiosk des Campingplatzes Chips und Bier zu kaufen oder auf der 12 km langen Piste mit dem Auto in die Zivilisation zurück zu düsen, um etwas vernünftiges zum Futtern zu bekommen. Möchtegern-Gourmets wie wir setzten natürlich auf die zweite Variante, so dass wir in stockfinsterer Nacht bei Platzregen, dem Essen im insgesamt 18 km entfernten nächten Kaff entgegen rollten – mit Scheibenwischern, die mehr den Regen auf der Scheibe verschmierten, als diesen von dieser wegzuschaufeln. Die Fahrt auf der Piste verlief recht einfach und wir glaubten, auf der Hauptstraße wäre die Fahrt noch leichter hinter sich zu bringen, doch zu früh gefreut! Mögen argentinische Straßen einen guten Belag haben, so mangelt es diesen dafür meist an eindeutigen Fahrbahnmarkierungen. Tagsüber ist es ja auch leicht, die Spur auch ohne Mittelstreifen zu halten, aber nachts, bei null Sicht, Gegenverkehr und heizenden Lastern war dies alles auf einmal gar nicht mehr so einfach und garantiert nicht lustig. Die Scheinwerfer des LKWs direkt hinter uns praktisch auf dem Kofferraum kleben zu haben ist kein tolles Gefühl und diese 6 km Fahrt war der blanke Horror, nur getoppt durch das Abwägen der Situation, in der wir uns nun befanden. Sollten wir nach dem Essen in ein Hotel gehen und dort die Nacht verbringen, um den Platzregen abzuwarten oder wieder auf der Straße wieder 6 km Horror überstehen? Nun ja erstmal was essen in einem Kaff, in dem man wohl sonst nie anhalten würde. Nacht, Platzregen, leeres Restaurant und eine Besitzerin, die Vegetarier wohl noch nie im Leben gesehen hatte – irgendwie beste Horrorfilm-Zutaten. Das vorgesetzte Essen bestand aus Gnocchis mit Fleischsoße, obwohl dreimal angefragt „sin carne“ (ohne Fleisch), aber dafür mit einem riesigen Salatberg aus frischen Zutaten…
Das angeblich einzige Hotel bestand aus einem Schuppen direkt am Highway und hätte als Horrorfilm-Kulisse praktischen Nutzen gehabt und so begaben wir uns auf den Rückweg zu den pupsenden Viscachas, die natürlich in ihren wohl warmen trockenen Höhlen den Regen abwarteten. Ich hängte mich an einen LKW dran, der durch die nasse Nacht rauschte, aber als dieser auf über 60 km/h beschleunigte gab ich auf und ließ ihn ziehen – denn ich sah außer den Heckleuchten gar nichts – und die Einfahrt zum Nationalpark konnte ich auch nur groß anhand der Kilometersteine abschätzen. Zum Glück war der nächste heizende LKW mehr als einen Kilometer entfernt und so konnte ich im Schneckentempo die 6 km zurücklegen. Aber zum Ende dieser Strecke war der Abstand zum LKW vollkommen aufgebraucht und dieser wollte uns praktisch von der Straße hupen – also schnell die Warnblinkanlage aktiviert und auf den zum Glück vorhandenen Seitenstreifen geflüchtet. Der LKW rauschte von dannen und ich konnte mit Hilfe des Fernlichts die Einfahrt lokalisieren. Der Rückweg auf der Piste war dann ein pures Vergnügen – keine hupend-heinzenden LKWs – nur eine Capybara-Familie, die es auf der Piste zu umkurven galt. Das Zelt trotzte dem Regen, hielt dicht und trocknet gerade in unserem Wohnzimmer, denn gestern sind wir dann rechtzeitig zum nächsten 05-Spiel wieder im goldischen Meenz angekommen.