Guten Tag aus Mainz!
Hatte ich beim Verlassen von Rumänien über die teilweise konstant schlechte Strass geschimpft, dann wusste ich noch nicht, was mir in der Republik Moldau bevorsteht – zumal die ersten Kilometer auf einer Betonpiste sich gar nicht so schlecht anließen. Aber dann mutierte einerseits die Straße in eine Trasse, die alle drei bis vier Meter quer über die Fahrbahn wie ein Keks durchgebrochen war. Das Vorwärtskommen ähnelte dem Radeln auf Eisenbahnschwellen und dies tat meinem Hintern mehr als weh. Um eine Reise vorzubereiten, liest man für gewöhnlich sich mit einem Reiseführer ein. Meiner laberte etwas davon, dass das Radeln wegen der schlechten Strassen strapaziös sei – aber das Land „flach wie ein Brett sei“. Hm, der Reiseführer stammt aus Australien und vielleicht heißt dort die Bezeichnung „flach wie ein Brett“, dass man in Downunder von der Vertikalen spricht. So in etwa sind dann in der Realität auch wirklich die Strassen angelegt: Mir gingen immer wieder die Worte „hoch und nieder immer wieder“ im Kopf rum, denn es ging immer einen Hügel hoch und sofort wieder runter und wieder hoch und… Vielleicht hatten die Aussies auch nur ein Brett vorm Kopf, denn so eine Aussage zu treffen, da muss man schon ganz schön neben der Spur sein.
Die hügelige Landschaft und die Schwellenstraße als Pappelallee angelegt, luden zum Dauer-Picknicken ein. Als dann noch die ersten Pinienwälder und die Myriaden von Weinbergen auftauchten, kam ich mir vor, als ob ich in der Provence oder der Toskana durch die Gegend holpere – OK die Strassen ließen mich wieder daran erinnern, dass ich in Moldau unterwegs war. Der Verkehr nahm immer mehr zu und irgendwie überholten mich kaum Ladas oder Dacias, die rumänische Automarke, sondern nur deutsche Wertarbeit. Die Moldauer scheinen es zu lieben, unter einem guten Stern oder mit weiß-blauem Karologo durch die Gegend zu düsen. Das Tempolimit hängt eher vom Verkehr, dem Straßenzustand und den Witterungsbedingungen ab als von irgendwelchen, zum Teil handgemalten, Verkehrszeichen. Ich kam mir wie ein Zuschauer einer Autowerbung bei einer Pause der „Sportschau“ vor. In vielen Ländern fahren ja die Reichen deutsche Kisten. Diese sehen dann aber schon meist sehr mitgenommen aus, es fehlen Außenspiegel oder das Model ist nicht mehr ganz das neueste. Hier könnte man die IAA direkt auf der Landstrasse abhalten. Nur die Top-Modelle holpern durch dieses kleine Land. Und jetzt verstehe ich auch, warum es fast in jedem Kaff eine Waschanlage gibt.
Nach 165 Kilometern erreichte ich schließlich mit dem Sonnenuntergang die Außenbezirke von Chisinau, das mal wieder in einer Mulde liegt – aber dessen Strassen halbwegs gut geteert waren. Kopfsteinpflaster scheint in Moldau glücklicherweise unbekannt zu sein. Dafür herrschte wohl Bettenknappheit, da die billigen Hotels alle voll waren. Schließlich fand ich Unterschlupf in einer 17-stöckigen Touri-Kolchose, und mein Rad landete auf dem bewachten Hotelparkplatz neben einer Harley und einem Mercedes Coupé. Auf der Hotelsuche bin ich an einem Schickimicki-Restaurant nach dem anderen vorbeigefahren. Dabei bin ich doch gerade in der Hauptstadt des ärmsten Lands Europas angekommen. Der Durchschnittslohn liegt bei 70 US-Dollar im Monat!
Hm, was soll ich in einer solchen Situation machen? Ich beschloss, die Frage lieber mal zu ignorieren, woher all die Kohle stammt, die hier protzig zur Schau gestellt wird. Vielmehr genoss ich die kulinarisch wirklich extrem gute Restaurantszene und wunderte mich nicht weiter. Vielmehr staunte ich über das „Beer House“, die erste Gasthausbrauerei in Chisinau und das ungefilterte, kühle Blonde, das hier frisch gezapft in Weizengläsern serviert wird. Auch die Speisen waren wie bspw. Truthahn in Banane sehr kreativ und langsam verstand ich die Welt an diesem Ort nicht mehr. Denn auch auf der Strasse sind Bettler, wie übrigens auch in Rumänien und der Ukraine die totale Seltenheit. Niemand läuft zerlumpt durch die Gegend. Die High-Heels-Komune aus L’viv ist hier weniger anzutreffen als die edle Flip-Flop-Brigade, was auch ohne Kopfsteinpflaster auf einen deutlich größeren Pragmatismus der moldawischen Damenwelt schließen lässt.
Die Stadt selbst, würde man die reinen Fakten gelten lassen, wäre als potthässlich zu bezeichnen. 1940 durch ein Erdbeben praktisch schon am Tropf hängend, machte der 2. Weltkrieg der im 15. Jhdt. gegründeten Stadt den Garaus. Das Land, früher unter dem Namen Bessarabien bekannt, war mal kurz nach der Oktoberrevolution der Russen 2 Monate unabhängig. Sonst gehörte es entweder als Provinz Moldawien zu Rumänien oder zu den Russen bzw. ab 1945 als Moldawische Sozialistische Sowjetrepublik zur UdSSR. Und so hielten die Plattenbauten Einzug in der zerstörten Stadt. Doch irgendwie waren die Planer auf dem grünen Trip und so ist die im Schachbrettstil angelegte Stadt mit Alleen und Parks durchzogen. Das dichte Blätterdach liegt wie ein Schleier auf den Häuserschluchten, das jeden Blick nach oben auf die Betonklötze dezent unterbindet. Dadurch guckt man automatisch nur in die Strasse, und so fühle ich mich in der Stadt sogar sehr wohl. Die zum Teil sehr hübschen Menschen flanieren die breiten, panzertauglichen Boulevards entlang, und dabei ist alles nur eine Frage des Sehens und Gesehen Werdens.
Was mich weiterhin in diesem Land irritiert ist die Sprache, die hier gesprochen wird. Offiziell wurden, Gorbi sei Dank, 1988 zunächst einmal wieder die lateinischen Schriftzeichen und „Moldawisch“ eingeführt. Trotzdem finden sich sogar noch Verkehrsschilder vereinzelt in kyrillischen Schriftzeichen. Auf der Straße höre ich auch mehr slawische Gesprächsfetzen – also entweder russisch oder ukrainisch. Das mit dem „Moldawischen“ ist eigentlich ein Witz, denn es ist handelt sich dabei höchstens um einen Dialekt der rumänischen Sprache. Doch in einem Anflug von übertriebenem Nationalstolz wurde sogar ein Moldawisch-Rumänisch-Wörterbuch publiziert. Dies würde in etwa einem Meenzerisch-Deutsch-Wörterbuch entsprechen. Doch das Wörterbuch ist nur ein Mosaikstein für die Politik, die hier betrieben wird. Präsident Voronin versucht sowohl mit Russland zu kuscheln, in dem er sich von den rumänischen Wurzeln, die hier überall existieren, distanziert. Gleichzeitig kuschelt er mit EU und NATO um Hilfe zu ergattern, die dieses Land bitter nötig hat – trotz all dem Protz auf der Gasse.
Die Menschen, denen ich hier begegne, freuen sich über uns Touristen – denn wir haben hier Seltenheitscharakter. Viele haben in der Schule Deutsch gelernt, der DDR sei Dank, und nun versuchen sie ihre verrosteten Deutschkenntnisse aufzufrischen. Dies geschieht nicht aufdringlich sondern eher nebenbei, wie bspw. bei den Parkwächtern meines Rads. Fußball und die EM-Qualifikation ist natürlich ein gutes Thema und schon saß ich in dem Häuschen der Parkwächter und es wurde über die Quali-Chancen von Russland und Rumänien diskutiert – Moldau hat sowieso keine Chance – und aus der ehemaligen Sprudelflasche wurde mir plötzlich Rotwein serviert. Wenn man etwas über Moldau weiß, dann vielleicht, dass dieses Land praktisch nur aus Weinbergen besteht und die Qualität des Traubensaftes sagenhaft ist. So war auch der Rotwein im Parkhäuschen außergewöhnlich gut (verträglich).
Nachdem ich die Stadt erwandert hatte, machte ich mal wieder einen Radausflug. Die Touri-Attraktion schlechthin von Moldau ist ein Kloster, das in den Sandstein an einer Flussschleife gehauen wurde. Dementsprechend begegneten mir doch tatsächlich drei „Touristen“, die aber eigentlich geschäftlich hier zu tun hatten. Zunächst versuchte ich das Kloster über die Trampelpfade am Felsrand zu erreichen, was aber unmöglich war. Die Fenster des Klosters waren wie bei den Feuersteins in den Fels gehauen, doch um dort hinein zu gelangen musste ich den Tunnel finden. Eine große Holztuer, die eigentlich verschlossen aussah, ließ sich dann doch mit etwas Kraftaufwand öffnen. Über eine Treppe im Finsteren gelangte ich schließlich durch den Fels ins Kloster, wo ich von einem einsamen Mönch mit wehenden, langen, dünnen, grauen Haaren und Rauschebart empfangen wurde. Der große Raum wirkte mit vielen Jesus- und Marienbildern und dem goldenen Altar etwas überladen – dennoch besaß er eine sehr zur Besinnung einladende Atmosphäre.
Sehr unbesinnlich, weil wieder auf der Straße, radelte ich von Chisinau weiter in Richtung Südosten weiter, Odessa, dem Ziel meiner Radtour entgegen. Eigentlich wäre es am einfachsten gewesen, diese Distanz von ca. 175 Kilometern mit einem Übernachtungsstopp in Tiraspol zurückzulegen. Doch der Geschichte sei Dank, haben die Menschen mal wieder mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. So einfach so ans Schwarze Meer zu radeln, das geht ja gar nicht. Schließlich gibt es in Moldau den Fluss Dnjestr, halb so breit wie der Rhein, dafür doppelt so wichtig als Grenze zwischen zwei Kulturen. Südlich des Dnjestr leben hauptsächlich Moldauer mit rumänischen Wurzeln, nördlich davon im so genannten Transnistrien Moldauer mit russischen und ukrainischen Ursprüngen. Als es mit der UdSSR rapide bergab ging, steigerte sich das Besinnen auf die jeweilige Vergangenheit ins Unermessliche. Transnistrien befürchtete eine Wiedervereinigung Moldaus mit Rumänien, wohingegen Moldau unabhängig von allen werden wollte und Transnistrien eher bestrebt war, die Sowjetunion wieder aufleben zu lassen. Es kam 1992 zum Bürgerkrieg im Hinterhof Europas, den natürlich niemand so richtig gewann. Aber seither ist Transnistrien ein Staat im Staate, mit eigener Währung, eigener Fahne, eigener Armee, eigener Polizei und eigenem Selbstverständnis von einem Land – schließlich wird es von keinem Staat der Welt anerkannt. Dieses Selbstverständnis bringt mir als Reisendem aber nicht viel, denn in Transnistrien haben Hard-Core-Stalinisten das Sagen, die das Wort Rechtsstaat sicherlich noch nie gehört haben. Theoretisch ist es möglich, durch diese abtrünnige Region zu reisen, doch leider ändern sich die „Einreisebestimmungen“ schneller, als die Transfergerüchte bei manch einem Fußballspieler und zweitens wird der jeweilige zu entrichtende Betrag zum Erhalt der „Ein- bzw. Ausreisegenehmigung“ individuell festgelegt – sprich der Korruption und der Willkür sind hier Tür und Tor geöffnet.
Also wurde das nix mit Transnistrien, und ich bog von der Holperstraße Richtung Stalinismus pur nach Süden ab, um zur ukrainische Grenze zu strampeln. Allerdings begab ich mich mit dieser Routenänderung mal wieder in eine sehr prekäre Lage. Wo würde es auf dieser Strecke ein Hotel geben? Darf ich als Tourist die Grenze dort überschreiten? Schließlich sind manches Mal auf unserem Planeten nicht alle Grenzen für Jedermann geöffnet. Ja gibt es überhaupt Restaurants im Süden Moldawiens und führt die Strecke nicht womöglich doch noch über das Gebiet von Transnistrien, das sich sporadisch auch über den Fluss nach Süden ausstreckt?
Peu à peu wurden mir meine Sorgen genommen. Zunächst sah ich schon mal Vehikel mit ukrainischen und russischen Nummernschildern, Busse mit den Schildern „Odessa-Chisinau“ darauf geschrieben und Corps Diplomatique Kennzeichen. Also war die Grenze offen und der Umweg über Südmoldau, um Transnistrien zu umgehen, wohl berechtigt. Dann fand ich in einem Ort ein Restaurant, wo mir nach längerem Hin- und Her die Frage gestellt wurde, was ich denn essen möchte, denn es gab keine Karte und der Wirt machte mir den Anschein, dass ich ihn mit meinem Hungergefühl überraschte. Mir fielen die rumänischen Wörter „porc“ (Schwein), „cartofi“ (Kartoffeln) und „salat“ ein und ruckzuck landete ein Wiener Schnitzel mit Pommes und Salat auf meinem Tisch.
Die Marketing-Strategie der Werbung für ein Hotel in einem Weingut wurde mittels großer Tafeln am Straßenrand bis zum Exzess durchgeführt, und ich wich von meinem ursprünglichen Plan ab, in einem einfachen Gasthaus zu nächtigen, welches in meinem Reiseführer aufgelistet war. Ich hatte eh kein großes Vertrauen mehr in diesen Reiseführer, da viele Dinge, die es vielleicht einmal in Moldau gab, plötzlich nicht mehr gab. Dafür gab es ja bekanntlich umgekehrt auf einmal viele Hügel, die die Autoren des Reiseführers als „flach wie ein Brett“ bezeichneten. Ich bog von der Straße nach 120 Kilometern ab und rollte zum Dnjestr 5 Kilometer steil bergab, um dann vor der Hotelpforte von einem Wächter im Kampfanzug begrüßt zu werden. Anscheinend hatte man keine Lust für einen Gast die Tür zu öffnen und mit einem „Njet“ verstand ich, dass ich jetzt ein Übernachtungsproblem hatte. Da man in Moldau immer einen Plan B haben muss, radelte ich eine Abkürzung in das Dorf, in dem es angeblich ein Gasthaus gab. Nach ca. 20 Kilometern auf der Schotterpiste erreichte ich den Weiler. Im Buch stand eine Telefonnummer, niemand nahm ab, aber es gab ja auch eine Adresse – dumm nur, dass es in dem Dorf gar keine Straßennamen, geschweige denn Hausnummer gab. Und die Einheimischen wussten nichts von einem Gasthof!
Samstag Abends kurz vor Sonnenuntergang in Südmoldawien hatte ich nun echt ein Problem. Wo sollte ich ohne Zelt übernachten. Nach 2 Stunden befand ich wieder an der Kreuzung an der ich ursprünglich zum ersten Hotel abbog und fuhr weiter. Natürlich muss man auch mal Glück haben und dieses fand ich in Form einer Fernfahrerkneipe – der einzigen die ich in 391 Kilometern Moldau-Radeln fand. Ich durfte die Nacht in der 24 Stunden lang geöffneten Kneipe verbringen. Allerdings kamen dann die Fernfahrer in den Gasthof, gaben mir einen „Schnaps“ wie sie sagten nach dem anderen gegen meinen Willen aus. Es war natürlich Wodka und am Ende des Abends boten sie mir an, auf der Pritsche in der LKW-Kabine zu nächtigen. Mit Ohropax hielt ich auch das Geschnarche eines moldauischen Fernfahrers aus und war froh ein Dach über dem Kopf für die Nacht gefunden zu haben.
Am nächsten Morgen rollte ich ohne Kater halbwegs ausgeschlafen zur Grenze, wurde von den Beamten wieder zuvorkommend bedient und war ruckzuckwieder in die Ukraine eingereist. Da meine beiden Karten sich mit den Entfernungen mal kurz um 40 Kilometern verrechneten, brauchte ich nur 85 statt 125 Kilometer, um in Odessa am Schwarzen Meer anzukommen. Kaum im Hostel – oh ja! – angekommen, zu Mittag gegessen, fuhr ein Bus mit dem Team von Schachtjor Donetsk an mir vorbei. Als dann die ersten Fans mit Schwarzmeer-Odessa-Fanschals an mir vorbeimarschierten, nahm ich die Fährte gemeinsam mit einem Engländer auf, ukrainische Bundesliga live im Stadion zu verfolgen. Das Stadion liegt wie das Volksparkstadion in Hamburg in einem riesigen Park und anders als in Mainz gab es an der Tageskasse noch Karten für das Spiel. Stadionzeitungen wurden auch verkauft – allerdings hatten diese keinen Informationscharakter sondern schützten den ukrainischen Hintern vor dem Schmutz auf den Sitzen.
Als Snack auf den billigen Plätzen gab es Popcorn und Schrimps aus der Papptüte. Um das Anstehen für Getränke zu verkürzen wurde das Bier kurzerhand einfach in 1-Liter-Plastikflaschen verkauft, mit denen man allerdings dann nicht mehr auf die Sitze durfte. Vielmehr fristeten wir Biertrinker unser Dasein in der Verbannung am oberen Tribünenrand. Das Spiel war vor allem aus Sicht von Donetsk recht schlecht, denn die spielen ja regelmäßig UEFA-Cup und dafür war dieses 0:0 einfach grottig. Die Zuschauer machten allerdings gut Stimmung und so war der Sonntag Nachmittag gerettet. Außer Fußball gucken, lieben es die Bewohner von Odessa sich an den Strand zu knallen oder in der Innenstadt flanieren zu gehen. So ließ auch ich das Ende dieser Reise gemütlich am Schwarzen Meer ausklingen. Nach 1.145 Radel-Kilometern durch eine für mich davor sehr unbekannte Region unseres Kontinents, bin ich von den bereisten Ländern wirklich sehr angetan. Vielleicht ist es jetzt und in den nächsten beiden Jahren wirklich die beste Zeit, diese verborgenen Perlen zu entdecken, bevor L’viv wie Prag von Kulturtouristen überrannt, Moldawien von Weinbegeisterten überflutet und Odessa wie Mallorca von Partytouristen übervölkert wird.